Danke.
Ich hab viel in einer vierteiligenSerie im Januar in der Frankfurter Rundschau dazu gelesen (Historiker Fried ist ja an der Uni Frankfurt). Hier ein paar Passagen, die ICH interessant fand:
Stefan Weinfurter, als Mittelalterforscher ebenfalls eine Instanz, fragt in seiner Karls-Biografie immer wieder: Ist es denn wahr, stimmt die Geschichte? Und wenn er die Frage stellt, ob denn alles erfunden sei, gerade auch das, was die Nachwelt Karl in der Tat andichtet, dann ist das eine semi-rhetorische Frage. Nein, nicht alles erfunden, aber ungeheuer viel.
Einhart, Karls erster Biograf und Mann an seiner Seite, bezeichnete Karls erstrangige Anstrengung als „Beseitigung jeder Unbestimmtheit“. Das ist nicht ohne Ironie, denn zu der gewaltigen Bildungs- und Wissensoffensive gehörte eine „regelrechte Schreib-Euphorie“ (Weinfurter) – mit allem, was dazugehört: Beschönigungen, Verklärungen, Vertuschungen, Verdrehungen, Entstellungen, Fälschungen.
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Karl, geboren am 2. April 748, gestorben am 28. Januar 814, wurde 65 Jahre alt. Bereits damit hat sich seine Zeit nicht arrangieren wollen. Seine Grabinschrift behauptete, er habe „siebzig Jahre des Lebens als Greis vollendet“. Jahrhunderte hat auch diese Fälschung gewirkt, Jahrhunderte hat es gedauert, sie zu durchschauen, heute (vor allem durch die Biografie Dieter Hägermanns) erscheint plausibel, dass die Grab-inschrift eine Anspielung auf Psalm 89 war: „Unser Leben, heißt es da, „währet siebzig Jahre“. Um Karl als Vollendeten hinzustellen, letztendlich als Vollender der Heiligen Schrift, sollte der Gebieter ein gesegnetes Alter erreicht haben. Auch diese Segnung war bereits eine falsche Fährte.
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Der Glaubenskrieger Karl war der Urheber eines Dreißigjährigen Kriegs, der Provokation folgte eine Eskalation der Gewalt, die Gründungen von Bischofsburgen oder Karlsburgen wurden zu Brückenköpfen der Mission, um die kultische Verehrung heidnischer Gottheiten und Dämonen zurückzudrängen. Wo auch immer ein Heide aufgetrieben wurde, sah er der „Predigt mit der eisernen Zunge“ entgegen. Fried erzählt, wie Karl die Parole ausgegeben haben soll: Taufe oder Tod. Karl war ein Glaubenskrieger, der große Franke ein „heiliger Barbar“, wie Stefan Weinfurter sein Buch untertitelt.
Besessen war Karl auch von der Mission der Muslime. Für sie stürzte er sich, ohne Kenntnisse über den Islam, über dessen Kultur und, das war dann wirklich fatal, dessen Kriegstechniken, ins „Abenteuer“ (Fried) gegen die Sarazenen. Was Karl bei seinem spanischen Feldzug im Jahr 778 widerfuhr, war ein (immer wieder verschwiegenes) Desaster. Der Nachklang dann im „Rolandslied“ und anderen Epen bedeutete weitere verklärende Fiktionen, die das Karlsbild beeinflussten, im Hochmittelalter, im Spätmittelalter. Nicht nur vor 700, 800 Jahren.
Zu erzählen weiß, warum das Karolinger Reich, Fried skizziert es auf wenigen Seiten, alles andere als eine „egalisierende Einheit“ war, vielmehr „bunte Vielfalt prägte das durch Kriege zusammengebrachte „karlische Vielvölkerreich“. Dabei war es vor allem aber zweierlei: „randseitig“ – gemessen an Byzanz und am Reich des Kalifen war das Frankenreich Peripherie. Hinzu kam, trotz der Wiederentdeckung der Neugierde und der durch Kriegszüge vorgenommenen Horizontverschiebungen: Das Reich hatte von seiner Lage kaum eine Vorstellung, wie Fried gelegentlich, nicht durchgängig, zuspitzt. Die Franken, denen die Weltweite und die Weltferne, trotz diplomatischer Anstrengungen bis hin nach Bagdad, verborgen blieb, lebte die Isolation. Das nicht etwa bewusst, aber, im Schatten der gewaltigen Wissensoffensive Karls, unwissentlich.