Was ich ganz interessant finde, heute im Spiegel wird ja über die Universitäten, Bachelor und Masterstudiengänge berichtet. Die 68er von damals sind mit den heutigen Studenten nichtmehr zu vergleichen. Früher wurde die Zeit mit "diskutieren am Küchentisch" verbracht, heute wird geackert...
Wenn die Studienzeit verkürzt wurde ging man auf die Barrikaden. Dazu noch ein anschauliches Bild einer Diskussion am Küchentisch...
Perfekt...
Es wurde auch in den 60er Jahren geackert und nicht nur politisiert, gekifft und gevögelt. Der Neomarxismus einiger 68er hatte teilweise absurde Züge, und der Glaube mit ein paar "Kadern" so wie die Bolchewiki Revolution zu machen, war schon ein beeindruckendes Zeugnis für Realitätsverlust. Einige, die sich auf den "langen Marsch durch die Institutionen" begaben, haben dabei sehr viel von "Visionen" verloren, die einmal ihr Charisma ausmachten.
Die Protestbewegung war vielschichtig, wenn man nach den Nachwirkungen der 68er Bewegung fragt, so ist doch einiges übriggeblieben. Eine ganze Reihe von Leuten, die sich der 68er Bewegung zugehörig fühlten, hat zumindest beruflich durchaus "etwas gerissen" wie eine ganze Reihe von Politikern wie Ströbele, Trittin und Fischer. Viele 68er engagierten sich in der Friedens- und Umweltbewegung und haben Einfluss bei der Gründung der Grünen gehabt, die jahrelang eine sehr gute Oppositionspartei waren, frechere, buntere Töne in die Politik und Themen wie Umweltschutz in die Diskussion brachten. Die Emanzipationsbewegung, wie sie die lauteste Ruferin im Streite, Alice Schwarzer propagiert(e) schoß oft genug über das Ziel hinaus, die Kritik an traditionellen Rollenbildern öffentlich gemacht zu haben, gegen die extrem repressive Auslegung des § 218 protestiert zu haben, bleibt dennoch verdienstvoll.
Sicher können sich die 68er nicht alleine das Verdienst an die Fahnen heften, den Kuppelparagraphen, den in der Nazizeit verschärften § 175 gekippt zu haben und die "sexuelle Befreiung" und den "Mief von 1000 Jahren" im Alleingang überwunden zu haben. Dadurch, dass sie- durchaus nicht selten mit rüdem Diskussionstil- auf Mißstände verwiesen haben, dass sie Tabuthemen in die öffentliche Diskussion gebracht haben, dass sie, in der jungen BRD durchaus noch etwas fast unerhörtes, öffentlich demonstriert haben, hatten sie aber durchaus Anteil daran, dass die Regierung Brandt schließlich darauf setzte, "mehr Demokratie zu wagen" und damit auch die Wahl gewinnen konnte. Der Protest an den Hochschulen wurde auch von international angesehenen Dozenten mitgetragen. Historiker wie der unvergessene Ernst Schuber, überraschenderweise aber auch der von seinem Stil eher konservative Rudolf von Thadden haben sich durchaus als 68er bezeichnet.
Studiengebühren, überfüllte Hörsäle, Auslosungen und gesalzene Studiengebühren lassen die Hochschulen der 60er fast schon als idyllisch erscheinen, als die Studenten sich noch siezten und im Anzug statt im Norwegerpulli zur Vorlesung erschienen, wo noch Anwesenheitskontrollen stattfanden. Aus meiner eigenen Studienzeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass Eifersüchteleien, Mobbing gegenüber Kollegen und Studenten, Unkollegialität und Unberechenbarkeit oft am schlimmsten in Fachbereichen waren, die traditionell links waren und von vielen Alt- 68erInnen und Quotenfrauen dominiert werden, wo die Professorinnen in Jesuslatschen aufkreuzten. Dennoch ist der Umgangston zwischen Professoren und Studenten doch ein ganz anderer, und daran hat die 68er Bewegung sicher einen durchaus bedeutenden Anteil.
Das ist sicher auch für den Prozess der Demokratisierung, der Sensibilisierung für alternative Lebensstile und für Entwürfe eines weniger autoritären Erziehungssystems zutreffend. Die antiautoritäre Erziehung in dem Sinne, dass überhaupt keine Erziehung mehr stattfand und sich nur rücksichtslosere Kinder durchsetzten mag man kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Allerdings mutet manches aber recht modern an, wenn man an die Kritik an einem ungerechten Bildungssystem denkt, das die Bildungschancen wie nirgendwo sonst vom sozialen Status der Eltern abhängig macht. Der Direktor von Haus Salem und die "Supernanny" wollen uns glauben machen, die Kids brauchten einfach mehr Disziplin und Werte, da ist von den "bildungsfernen Schichten" die Rede und von "Parallelgesellschaften".
Vielleicht sind hier durchaus auch ein paar Vorschläge der 68er gar nicht so schlecht, jedenfalls wurden in den 70ern Arbeiter- oder Gastarbeiterkinder auch gefördert, gab es noch frechere Kindersendungen wie die "Rappelkiste", die auch Kids aus dem "abgehängten Prekariat" und deren Probleme porträtierten.
Ob im Guten wie im Schlechten, die 68er Bewegung hat durchaus historische Nachwirkungen gezeigt, die nicht als Scheitern zu bezeichnen sind, man muß sie nicht lieben, man sollte sie nicht überbewerten, sie aber als postpubertäre Spinner aus bürgerlichem Haus und neomarxistische Utopisten und politische Analphabeten abzutun, wird ihrer Bedeutung nicht gerecht.
Ob es ohne die Protest- und Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre heute einen schwarzen, bzw. eine weibliche Präsidentschaftskandidatin, eine, na ja, Frau als Bundeskanzlerin, einen schwulen Oppositionsführer oder regierenden Bürgermeister von Berlin, einen Ex- Taxifahrer und Sponti, der einmal einen Politzisten verprügelt hat als Bundesaußenminister und Honorarprofessor gegeben hätte, muß zumindest als recht fraglich gelten.