Titus_Livius schrieb:
Wenn ich nicht weiß, daß ich unterdrückt werde, dann empfinde ich keine Unterdrückung. Wenn ich keine Unterdrückung empfinde, bin ich nicht unterdrückt. Wenn ich nicht unterdrückt werde, handele ich im Sinne der Diktatur und bin frei. Wenn ich frei in einer Diktatur bin, handele ich Systemkonform. Wollen wir das Wortspiel mal weiter machen?
Das ist kein Wortspiel. Natürlich waren Nazis und diejenigen, die es mit ihnen hielten, im 3. Reich nicht unterdrückt. Natürlich waren alle, die nichts sagen wollten, nicht unterdrückt. Aber hier verwischt Du wieder mal die Ebenen. Einmal argumentierst Du mit Einzelpersonen, ein andermal mit dem "deutschen Volk", also einer Gruppe. Die Beziehung stellst Du über die "Mehr-" und "Minderheitheit" her. Neben der Tatsache, daß diese Kräfteverhältnisse von Dir unbewiesen bleiben müssen, ist es aber zusätzlich Unsinn. Die Einzelperson ist Unterdrückt, wenn sie ertwas will, was verboten ist, die Gruppe aus vielen Individuen, wenn sie potentiell etwas nicht darf, egal ob die Einzelperson, die Mehr- oder Minderheit das dann auch tatsächlich will oder nicht.
Außerdem gibt es verschiedene Arten der Unterdrückung. Da gibt es jetzt in Irland eine Unterdrückung der Raucher etc. Das läßt sich nicht vergleichen mit dem 3. Reich. Das ist eine ganz andere Kategorie.
Und es gibt Unterschiede in einer Zensur: darauf hat Manganite schon verwiesen: staatlich, privat. Und dann gibt es aber auch Unterschiede in der staatlichen Zensur. Zum ersten die Strafen. Geringes Bußgeld, "Straf"lager oder Todesurteile. Und dann gibt es auch die Art der Zensur. Wenn bewußt gelogen wird, historische Tatsachen verdreht werden, geschmacklose Vergleiche angestellt werden oder Opfer verhöhnt werden sollen, so ist hier eine Zensur, die das einschränken soll, etwas anderes, als eine, die dies fördert (da der Springerverlag erwähnt wurde, siehe den "Stürmer") und die berechtigte Kritik an sich selbst verbietet. Das alles kann man nicht in einen Topf werfen, außer um Sand in die Augen zu streuen.
Zu Lili: Es geht wirklich nicht darum, ob sich der oder jener 1945 besiegt oder befreit gefühlt hat. Es geht darum, ob es tatsächlich eine Besiegung oder Befreiung WAR. Gefühle sind subjektiv, die Tatsachen objektiv. Ich habe versucht zu sagen, unter welchen Aspekten - außer dem Faktum an sich, daß nämlich Armee A Armee B besiegte - man von der Besiegung sprechen kann (Primat des Nationalen) und wann von Befreiung (Primat des Politischen). Wer von Besiegung spricht, stellt in den Vordergrund, daß Deutschland besiegt wurde - ist ein Faktum. Aber welches Deutschland wurde besiegt? Ist es eines, mit dem ich mich identivizieren kann, oder eines, gegen das gekämpft zu haben gerade mir als Deutscher Dankbarkeit abringen kann oder muß? Das ist hier die Frage.
Wie gesagt, es geht nicht darum, ob 1945 der Wehrmachtssoldat, der Vertriebene oder das Bombenopfer dies oder jenes empfand. Es geht HEUTE darum, es als Besiegung oder Befreiung aufzufassen. Besiegung bedeutet, wir/ich wurden besiegt. Ich stehe auf der Seite derer, die besiegt wurden. Auf dieser Seite stehen aber nicht die Opfer des Regimes, auf dieser Seite steht nicht die Freiheit des Einzelnen und auf dieser Seite steht nicht die Meinungsfreiheit. Aber, auf dieser Seite stand das damalige Deutschland mit seinem System. Bin ich auf dieser Seite? Titus Livius sagt: ja, hier stehe ich (er geht sogar weiter, er sagt, hier müssen alle Deutschen stehen, wenn sie nicht aus dem "deutschen Volk" fliegen wollen). Oder ist das damalige Deutschland nicht MEIN Deutschland heute? Ist es nicht die Negation dessen, für das ich eintreten will? Wenn das so ist, dann können wir nur allen danken, die halfen, das 3. Reich niederzuwerfen. Dann ist der Sieg über Deutschland die BEFREIUNG der Deutschen.
Ich kann für niemanden sprechen, außer für mich. Daher kann ich nicht sagen, 1945 muß heute für jeden Befreiung bedeuten. Aber wer Demokratie und Freiheit über die Nation stellt, kann es nicht anders sehen.