Du darfst nicht vergessen, dass diese Eindimensionalität Absicht ist. Die Kunst sah eher auf Form, Position und Material. Du wirst oft Illustrationen finden, in der ein Bruch der Darstellung zu erkennen ist, an dem die für uns korrekt wirkende Darstellung in die Zweidimensionalität übergeht. Ein Beispiel ist das
Krönungsevangeliar aus der Hofschule. Besonders interessant ist es bei Darstellungen aller 4 Evangelisten zu beobachten, wie
hier aus dem Schatzkammer-Evangeliar. Durch die Hinzufügung der Evangelistensymbole sind 8 dargestellt und es sind je 8 blaue und grüne Steine am Rand dargestellt. Zur Interpretation müsste ich nachschlagen. Aber das konnte von Autor zu Autor variieren, insbesondere bei den Zahlen. Zu den Edelsteinen finden sich die wichtigsten Bedeutungen im Lexikon des Mittelalters. 8 steht für Taufe und Beginn. Hier sehen wir, wie die Evangelisten, ein jeder vom Geist Gottes inspiriert sein Evangelium verfasst. Denn die Evangelistensymbole schreiben nicht, sondern lesen vor. Der Goldene Rand, der Rahmen wird so gleichsam von den Evangelisten (grüner Hintergrund) und den Symbolen, die hier die Inspiration, die Offenbarung darstellen, (blauer Hintergrund) gleichsam wie mit Nägeln gehalten. Der Rahmen ist aber auch einem Bucheinband nachempfunden. Es geht also darum, dass die Evangelien Offenbarung Gottes sind.
Das ist nur eine Interpretation. Und ich habe nicht einmal darauf hingewiesen, dass die 4 Evangelisten gleichsam von einem Kreuz getrennt werden und somit auch in Bezug auf ihre Position relativ zum Kreuz interpretiert werden können. In den Quellen finden sich die "Geheimnisse der Edelsteine" oder "des Materials" oder gar "die Geheimnisse der Zahl der ..." erwähnt. Aber fast immer ohne Interpretation, da diese vom einzelnen Betrachter vorgenommen werden sollte, der sich so gewissermaßen meditativ dem Glauben nähern konnte. Daher kann man zwar verschiedene Interpretationen von Zahl, Material und Position zitieren, aber fast immer nicht zuordnen wo und wann was für eine Interpretation vorlag. In dem Sinne ist die obige Interpretation reine Spekulation, um das Vorgehen zu verdeutlichen. (Zur Zahlenmystik haben wir irgendwo auch einen Thread mit Literaturangaben. Wenn der Artikel auch durchwachsen ist, ist bei Wikipedia unter
Zahlensymbolik die Literatur genannt. Bei den Gesamtdarstellungen zu Bibel, bzw. Mittelalter finden sich auch Hinweise zu Form, Materialien und Anordnung sowie weiterführende Literatur.)
Beliebte Anordnungen waren Kreuz und die Bezirke des Tempel des Salomo (außen die Wildnis, dann der Garten als Symbol der bewohnten Erde, dann der Vorhof der Heiden, der Vorhof der Frauen, der eigentliche Vorhof und darin der Tempel und darüber das Allerheiligste). An der Stirnplatte der Reichskrone sind die Anordnung nach Kreuz und nach dem Tempel kombiniert. Und auf die Geheimnisse der Edelsteine einer Krone als Insignie und ihrer Materialien -ob schon die Reichskrone gemeint ist, ist unsicher- gibt es Anspielungen in einem Lehrgedicht über die Reichsinsignien
Gottfried von Viterbos, wohl für den jungen Heinrich VI., um ein Beispiel für die Erwähnung der Zahlenmystik zu nennen. Die
Reichskrone ist dann auch ein Beispiel für den umgekehrten Weg. Es sind am Gegenstand die ursprüngliche Anzahl der Steine und Perlen nicht mehr genau zu ermitteln. Aus der Zahlensymbolik ergeben sich hier begründete Vermutungen. (Die hauptsächliche Literatur zur Krone findet sich im Wikipedia-Artikel.)
Nun sind dadurch die mittelalterlichen Illustrationen alles andere als eindimensional, wenn auch meist nicht perspektivisch gezeichnet. So führen die Bruchstellen der karolingischen Illustrationen dieses Stils zwischen einer mehr perspektivischen Darstellung und einer 'eindimensionaleren' Darstellung vom irdischen Abbild zu einer tieferen Bedeutung. Im Grunde führen die für uns realistischeren Darstellungen also vom eigentlichen Hintergrund oder im Sinne der Künstler von der eigentlichen Wahrheit fort, indem wir sie als realistischer sehen statt uns durch die Interpretation davon weg zur "Wahrheit" führen zu lassen.
Die Dominikaner erschufen aus dieser Art der Darstellung später Gedächtnisbilder, wie es Giordano Bruno nannte, bzw. im Zusammenhang mit ihm übersetzt wird. Diese Bilder sollte es den Mönchen ermöglichen, anhand derselben über die christliche Lehre zu meditieren und sie durch die verwendete Symbolik verinnerlichen. Viele dieser Bilder waren aber auch einfacher und sollten durch ihre vorgestellte Anschaulichkeit wirken. (
Hier ein Bild Brunos, eines der Dominikaner habe ich nicht gefunden.) Die Grundidee wurde also auch noch in der Neuzeit bewahrt.
(Wer sich den Hintergrund nicht erarbeiten will, kann den Roman "Der Name der Rose" von Umberto Ecco lesen, in dem der Charakter des William von Baskerville anhand der Reliefs in der Bibliothek ganz ähnliches vorführt, wenn auch meist gleich mit deutlichen Anspielungen auf bestimmte Schriften. Aber es geht da ja schließlich auch um eine geheime Bibliothek.)