"Narbonensis provinicia appelatur pars galliarum, quae Interno mari adluitur...Agrorum culut, virorum morumque dignatione, amplitudine opum nulli provinciarum postferenda breviteque Italia verius quam provincia." (Plinius, n.h. 3,31)
Zuerst sollten wir in der Diskussion zwischen der Narbonensis und dem übrigen Gallien unterscheiden. In die Narbonensis gab es seit augusteischer Zeit einen breiten Zustrom italischer Siedler, Plinius schildert Südgallien als vorbildliche Provinz Italiens, die in vielem dem Mutterland ähneln würde. Die Narbonensis oder Gallia Transalpina war seit 125 v.Chr. erobert, seit den 80er Jahren v.Chr. erreichte sie den Provinzstatus. Wer heute die römischen Fundstätten und Ausgrabungen von Glanum (St.Remy), Vasio (Vaison la Romaine) anschaut, die Amphittheater von Arausio (Orange) oder Arelate (Arles) besichtigt, bekommt einen schwachen Eindruck von der tiefgreifenden Romanisierung Südgalliens. In Südgallien trafen die römischen Eroberer auf eine multilinguale Bevölkerung, besonders im Rhonedelta war der gallische Schriftgebrauch mit griechischen Alphabet verbreitet. Lateinische Inschriften findet man vor dem Abschluss des gallischen Krieges (50 v.Chr.) jedoch hauptsächlich in römischen Siedlungsschwerpunkten wie Narbo oder Tolosa, gallogriechische Inschriften nehmen kontinuierlich bis zum Wendepunkt Gallischer Krieg zu, Verträge werden von den gallischen Eliten in griechisch abgeschlossen, Strabon berichtet von der Unterrichtung einheimischer Aristokraten in griechischer Sprache und Philosophie durch Massalia veranlasst (Strab.4,1,5). Wie auch Massalia suchte Rom den Weg über die Aristokratie:
"Daher ließ er, bevor er irgendetwas unternahm, Diviacus zu sich rufen, und nach Entferung der üblichen Dolmetscher besprach er sich mit ihm durch Vermittlung des Gaius Valerius Troucillus, eines Fürsten der Provinz Gallien, eines guten Freundes von ihm, dem er in allen Dingen das höchste Vertrauen schenkte."
(Gallischer Krieg, 1,19)
Julius Cäsar verließ sich auf einen Prinzeps aus der Narbonensis, der bereits römischer Bürger war (vielleicht wurde das Bürgerrecht an Lateinkenntnisse gebunden), aber noch einen gallischen Beinamen trägt - er ist ein erster Beleg für einen zweisprachigen gallischen Aristokraten, während der Häduer Diviacus noch nicht über genügend Lateinkenntnisse verfügte.
Latein setzte sich als Sprache der Verwaltung, des Rechts, des Geschäfts und der Politik über die einheimischen Eliten durch, gallisch blieb am konservativsten erhalten in Toponymen (Berge, Landschaften, Flüsse, Ortsnamen), Namen von Tieren, Pflanzen oder speziellen landwirtschaftlichen Geräten - interessant ist, dass sich die Bezeichnungen für landwirtschaftliche Produkte, die für einen regionalen oder überregionalen Markt produziert wurden, schnell latinisierten (Milch - lac - lait), während häusliche Nebenprodukte ihre gallischen Wurzeln erhielten (Molke - gall. *,mes(i)gus - frz. mègue). Unter Einbziehung französischer Dialekte haben sich ca. 400 Wörter gallischen Ursprungs erhalten, wobei nur 180 davon gängig sind.
Wie lange hat sich Gallisch neben dem Vulgär-Latein als Sprache des Alltags, im häuslichen, nicht offziellen Bereich auch im offziellen und öffentlichen Bereich erhalten?
"Non autem exquires a nobis, qui apud Celtas commoramur, et in barbariaum sermonem plerumque avocamur, orationis artem - du wirst nicht von mir, der ich bei den Kelten weile und mich meistens mit der barbarischen Sprache beschäftige, rhetorische Fähgikeiten erwarten..."." (adversus haereses, Proömium,3)
Irenäus ist der erste Bischof von Lyon, und schrieb im letzten Viertel des 2.Jahrhundert n.Chr., dass er durchaus auch noch auf Gallisch predigen musste, um verstanden zu werden.
"Verfügungen können in einer beliebigen Sprache hinterlassen werden, nicht nur auf Latein und Griechisch, sondern auch auf Punisch und Gallisch oder (der Sprache) eines anderen Volkes."
(Ulpian, Digesta 32.11)
Der römische Rechtsgelehrte und Jurist Domitius Ulpianus (170 - 223 n.Chr.) hält also in seinem Werk fest, dass Gallisch auch rechtsgültige Sprache beim Verfassen von Testamenten ist - dass er gerade Punisch und Gallisch erwähnt, kan darauf hindeuten, dass diese beiden Sprachen neben Latein und Griechisch noch am meisten gesprochen wurden.
Bis ins 4.Jahrhundert findet man noch kurze Inschriften, z.B. in Trier eine Grabinschrift einer Mutter Artula für ihre Tochter Ursula "Hic quiescit in pace Ursula qui (!) vixit annos XXI Artula cara mater titulum posuit",- Ursula ist die direkte Übersetzung des gallischen Artula (kleine Bärin)
- oder auf Spinnwirteln aus Autun, die erotische und amoröse Anspielungen (auch wegen des Aussehens von Spindel und Wirtel) im klaren Gallisch trugen - "moni gnatha budduton imon" - "Komm Mädchen nimm meinen budduton", wobei letzteres Wort entweder Penis oder Kuss bedeutet.
In dieser Zeit scheint das Gallische verschwunden zu sein, ob der Sprachtod im 5.Jahrhundert oder später erfolgte lässt sich wahrscheinlich nicht mehr feststellen.
Literaturhinweise: Südgallien im 1.Jahrhundert v.Chr., Freyberger, F.Steiner-Verlag, 1999, vergriffen
Die Kelten, Mythos und Wirklichkeit, Herausg.Stefan Zimmer, dort "Der Tod des Festlandkeltischen" von Torsten Meißner, Theiss-Verlag, 2004
Wie aus Galliern Römer wurden: Leben im Römischen Reich, Helga Botermann, 2005, Klett-Cotta, vergriffen