Dann können wir das auch gleich zu Ende denken und sagen: Rassismus fängt immer im Kopf an. Aber eigentlich logisch. Natürlich wenn Du nicht laut denkst, oder niemand im Zimmer ist, der Dich hört, weiß es natürlich niemand.
Ich glaub das geht am Thema vorbei.
Dieses "Gegenargument" ist doch reines Derailing. Im ganzen Post predige ich "RASSISMUS HAT MIT STRUKTUR ZU TUN, RASSISMUS HAT MIT STRUKTUR ZU TUN..." und du schaffst es, ausschließlich das Beispiel zu zitieren, das du noch irgendwie aus dem Kontext reißen und nach deiner eigenen Logik umdeuten kannst ("siehste, ich hab doch gesagt es ist ein individuelles Problem!").
Also nochmal ganz langsam: Ich habe dieses Beispiel angebracht um zu verdeutlichen, dass es bei Rassismus eben nicht darum geht, in einer konkreten Situation 1) eine bestimmte Sprechermotivation oder 2) eine bestimmte emotionale Hörerreaktion abzubilden. Ich habe diese Allein-Situation ausschließlich als Beispiel gewählt, um zu zeigen, dass Rassismus nicht im Gespräch geboren wird, sondern bereits in den uns zur Verfügung stehenden Kategorien des Denkens angelegt ist - und dass es diese darzustellen und zu problematisieren gilt.
Buchtipp für Interessierte zu diesem Thema: Toni Morrison's Essay "
Playing in the Dark. Whiteness and the Literary Imagination."
Rassistisch ist, wer glaubt auf Grund seines Äußeren und seiner Volkszugehörigkeit besser als andere zu sein. Also, kann jemand ohne rassistisches Gedankengut nicht rassistisch sein.
Das könnte man durchaus so sagen, wenn man den Gedanken dabei einbezieht, dass dieser "Glauben" nicht nur aus einer quasi geniehaft-einzigartigen persönlichen Entwicklung beruht sondern eben genau auf "Gedankengut" - und das auf wesentlich breiterer Ebene, als du offenbar bereit bist zuzugeben. Rassismus speist sich durchaus vor allem aus historisch gewachsenen Kategorien, die entsprechenden Wertigkeiten bei ihrer Benutzung sofort suggerieren. In solchen Meta-Debatten wie dieser hier passiert Rassismus gern ohne dass der Sprecher das merkt, weil er oft einfach nicht derjenige ist, der durch diese strukturellen Wertungen herabgesetzt wird. Ein entscheidendes Merkmal struktureller Diskriminierung ist es ja, dass sie in der Regel als "so ist eben die Welt" kulturell unsichtbar gemacht wird - zumindest für diejenigen, die ohnehin privilegiert sind.
Aber ging es ... nicht darum, dass "Nigger" nicht in jedem Falle als abwertend zu verstehen sei?
Judith Butler nennt sowas
Resignification. Ein rassistisches Wort wie "Nigger" würde in dem Fall von Schwarzen gekapert und in seiner Benutzung umgedeutet (etwa als provokanter Witz oder als Synonym für "Kumpel"), um dem Wort seine verletzende Wucht zu nehmen und seinen Zweck (pauschale Herabsetzung) mit dem Erschaffen einer Alternativbedeutung zu unterlaufen. Also: ja, es gibt Wortbenutzungen, die nicht rassistisch sind - sie sind aber direktes Resultat der Tatsache, dass der inhärente Rassismus dieses Worts genau verstanden und als herabwürdigend wahrgenommen worden ist. Von daher wäre es absolut zynisch, aus der Existenz subversiver Positivbeispiele zu folgern, das Wort wäre ja gar nicht rassistisch. Das Gegenteil ist der Fall.
Im Zuge der political correctness verschwand auch der bekannte Sarotti-Mohr, die "Negerküsse" wurden zu "Schaumküssen" usw.
Ich will damit sagen, dass man zuweilen auch über das Ziel hinausschießen kann, wobei mir in diesem Zusammenhang die amerikanische Begriffsmutation vom Neger zum Schwarzen bis aktuell zum Afro-Amerikaner einfällt. Demzufolge müsste die "weiße" Bevölkerung sich künftig "Euro-Amerikaner" nennen.
Und ich will dazu nur anmerken, dass der generationenübergreifende Antisemitismus in der amerikanischen Durchschnittsbevölkerung nach dem 2. Weltkrieg schlagartig und empirisch messbar zurückgegangen ist, weil Amerikaner nach dem Holocaust sprachliche Wendungen wie "to jew someone" (jnd übervorteilen) etc. nicht mehr ungestraft verwenden konnten. Auch wenn die ältere Generation vielleicht so dachte, hat sie ihren Antisemitismus nicht mehr in der gleichen Weise sprachlich am Leben halten können, wodurch die nächste Generation wesentlich weniger antisemitisch eingestellt war. Das hat zumindest in der Otto-Normalbevölkerung große Verschiebungen mit sich gebracht (Robert Putnam, "American Grace" 2010)
Lieber mehr von diesen Verschiebungen als weniger, sage ich.
Wir sollten das Thema "Rassismus" nicht im Kontext wissenschaftlicher Theorien betrachten, denn das nimmt ihm alle Aktualität und gerät sehr dünnblütig. Hier wären vielmehr aktuelle Formen des realen Rassismus zu durchleuchten, wie sie uns konkret im Alltag oder in Medienberichten tagtäglich begegnen.
Ich stimme dir nicht zu, und zwar auf zwei Ebenen.
Erstens habe ich was dagegen, wenn wissenschaftliche Perspektiven so pauschal für sinnlose graue Theorie erklärt werden. Eben gerade weil Rassismus selbst über einen theoretischen Hintergrund, historisch gewachsene Ausprägungen und auch historisch begründete strukturelle Einbindungen verfügt (und nicht zuletzt weil es Rassismus nämlich auch nicht "schon immer" gab) muss man die Sache wissenschaftlich zerlegen und von hier aus das Problem versuchen zu erfassen. Sonst kann man doch gar nicht ermessen, was eigentlich alles unter "aktuelle Formen des realen Rassismus" fällt.
Zweitens, was hast du eigentlich davon, wissenschaftliche Methode und tagespolitische Kritik so gegeneinander auszuspielen? Beides hat ihre Berechtigung, am besten sind sie beide im Wechselspiel miteinander. Ich finde dieses Entweder-Oder störend.
@El Quijote, thanepower: tolle Beiträge! Ich kann euch leider gerade mal wieder nicht positiv bewerten, aber ausnahmsweise behaupte ich auch mal, dass es ja die persönliche Motivation ist, die zählt.