Die Hallstein-Doktrin förderlich oder hinderlich?

Repo

Aktives Mitglied
In einem anderen Thema wurde die Hallstein-Doktrin angesprochen.

War sie letztendlich förderlich oder hinderlich für die deutsche Wiedervereinigung?

Im Rep-Klub sah man die Sache glasklar: Schwachsinn des verkalkten Politik-Establishment.

Wie sieht der Historiker dies aber heute?
 
In diesem anderen Thread hat es Thanepower auf den Punkt gebracht :
Na gut, dann erklären wir nachträglich alle "Falken" des "Kalten Krieges", wie ich es versucht habe unter #10 auszuführen, zu verdienstvollen Vorläufern der Vereinigung.
Wenn man die Kausalkette "Wettrüsten-> Zusammenbruch der SU -> Wiedervereinigung" zu Grunde legt, müsste also der kälteste Krieger auch der beste Wiedervereiniger gewesen sein. Ich finde diese Argumentation aber zu grobmotorisch. Man kann sagen, dass nach dem Krieg eine Wiedervereinigung für (4 1/2) Jahrzehnte einfach kein realistisches Ziel war, und dass man die damalige Politik nicht als auf eben dieses Ziel gerichtet ansehen darf.

Daher gilt für mich dasselbe, was ich im Adenauer-Thread geschrieben habe :

1. Jede Haltung gegenüber der DDR, die die Blockbildung förderte (also auch die Hallstein-Doktrin), hat die Wiedervereinigung zunächst in weite Ferne rücken lassen

2. Es gab keine mögliche Haltung, mit der man etwas anderes erreicht hätte.

3. Die politische Stellung Deutschlands zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung spielt durchaus eine Rolle für das Gelingen derselben, und die ist auch eine Folge der Nachkriegspolitik.
 
Dieses Problem hatten wir implizit bereits im Adenauer-Thread.

http://de.wikipedia.org/wiki/Hallstein-Doktrin

Es sind zwei alternative Erklärung für die Vereinigung denkbar und wurden ja auch konträr diskutiert.

1. Vereinigung durch Annäherung: Dieses Variante entsprach im wesentlich der Vostellungswelt der "Tauben" und prominentester Vertreter war Brandt und die SPD, aber auch Teile der FDP, die sich nicht gerade dem "Mende-Flügel" zugerechnet haben.
Kernkonzept ist, dass durch Austausch von Kultur eine mentale Annäherung von Ost und West stattfindet und durch die mentale Veränderung die staatlichen Widersprüche ad Absurdum geführt werden. In der Folge wird der Kalte Krieg beendet und es mündet in der Vereinigung beider deutscher Staaten ein.

2. Vereinigung durch zu "Tode-Rüsten": Ein Konzept der Falken und im wesentlichen durch die USA verfolgt und prominentester Vertreter wäre der "Sternenkrieger" Reagan. Die Bedeutung der "Hallstein-Doktrin" wäre in diesem Kontext angesiedelt.

In diesem Fall sollte durch Rüstung die wirtschaftlichen Widersprüche im RGW verschärft werden. Die wirtschaftlicher Implosion sollte zum Zusammenbruch des WP führen und so zu einer Beendigung des Kalten Krieges und zu einer Überwindung der Teilung.

Relevant ist sicherlich die Frage, ob beide Varianten sich ergänzt haben in ihrer Wirkung im Sinne von Synergien, oder aber, ob sie sich teilweise in der Wirkung neutralisiert haben.

Vermutlich kann mann von der Wirksamkeit beider Konzepte ausgehen. Aus meiner Sicht hätte das 2. Theorem alleine nicht gereicht, da es die positive Visison einer friedlichen Annäherung der Systeme im Brandtschen Sinne gebraucht hat, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen.

Das 2. Theorem steht immer unter dem Vorbehalt, dass die Machthaber des unterlegenen Systems, also die Herren des Kremls, eine rationale Einsicht in den Niedergang haben und diesen so akzeptieren.

Ein irrationaler Machthaber, wie beispielsweise Hitler, hätte in dieser Situation argumentiert, dass die Zeit gegen den Warschauer Pakt arbeitet und aus diesem Grund eine rasche militärische Konfrontation das Gebot der Stunde sei.

In diesem Sinne halte ich persönlich die 2. Strategie für extrem gefährlich, obwohl sie durchaus im realpolitischen Sinne einen faktischen Anteil an der Vereinigung hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Moment,

es geht mir weniger um die Deutschlandpolitik der 50er+60er insgesamt.
In diesem Thread lediglich um die Hallstein-Doktrin
 
Und die Antwort hat dann Klaus ja auch gegeben:
"1. Jede Haltung gegenüber der DDR, die die Blockbildung förderte (also auch die Hallstein-Doktrin), hat die Wiedervereinigung zunächst in weite Ferne rücken lassen"

Und ich habe versucht, sie systematisch in den entsprechenden politischen Kontext einzuordnen und ihre Wirksamkeit als Instrument zu betrachten.
 
Ketzerisch könnte man einwerfen, dass stets von der Wiedervereinigung die Rede ist, wie sie 1989 stattfand.

Ereignisse und Handlungen müßten auch abseits von Optionen der Annäherung danach untersucht werden, welchen Stabilisierungswert sie für den Westen hatten.
 
Es war immer ein Horror der DDR-Camarilla, dass die Bundeswehr eines Tages mit klingendem Spiel durchs Brandenburger Tor marschiert.
 
Silesia hat sehr recht.
Genauso sollte sie aussehen, die Adenauersche Wiedervereinigung.

Und auf genau diesen Punkten haben sie bestanden, die Westalliierten, volle Westintegration, Nato-Beitritt von Gesamt-Deutschland usw.

Durchgesetzt durch eine "Politik der Stärke" gegen einen wirtschaftlich in die Insolvenz gegangen Ostblock.
Die Sowjets haben die DDR verkümmelt um die UdSSR zu retten.

Adenauer + Westbündnis haben recht behalten, sich lediglich um ein paar Jahrzehnte verrechnet.

Aber es ist OT, sowas von OT


Aber zurück zu Hallstein.
Hat jene Doktrin zu dieser Entwicklung beigetragen, oder war sie eher hinderlich?

Ich habe in den 60ern mal eine Sartire gelesen,
zwei neugebackene afrikanische Staatschefs unterhalten sich über den abgelaufenen, bzw. bevorstehenden Deutschland-Besuch.

Nach Berlin fliegen, an der Mauer überaus betroffen sein, aber dann zurück nach Bonn und knallhart die Forderungen auf den Tisch.
 
Ich habe in den 60ern mal eine Sartire gelesen,
zwei neugebackene afrikanische Staatschefs unterhalten sich über den abgelaufenen, bzw. bevorstehenden Deutschland-Besuch.

Willy Stoph, formell der Staatschef der DDR, wurde mal in Afrika versehentlich mit dem Deutschland-Lied empfangen...:D
 
Wieso, waren die Spielmannszüge der NVA so schlecht?:rofl:

Nöh, das "Wachregiment Friedrich Engels" war schon ganz gut. :pfeif: Mal so aus preußischer Sicht.

Google-Ergebnis für http://www.axishistory.com/fileadmin/user_upload/n/nva-wachreg-engels1.jpg

"Aber zurück zu Hallstein.
Hat jene Doktrin zu dieser Entwicklung beigetragen, oder war sie eher hinderlich?"


@Repo

Ich habe darüber nie gearbeitet, aber ich denke als Arbeitshypothese, sie war nicht hinderlich. Warum? Die "Hallstein-Dokrin" hat in der Außenpolitik und der Diplomatie die ehemalige DDR auf den Platz verwiesen. Dieses formulierte außenpolitische Supremat in Bezug auf Deutschland und seine Vertretung war ein m.E. unverzichtbarer Teil der Westintegration der BR Deutschland. In der Außenwahrnehmung war "Deutschland" die Bundesrepublik. Trotz der diplomatischen "Anerkennungswelle" der DDR in den 1970'er Jahren hat sich daran m.E. nichts geändert. Die DDR war außenpolitisch ein "Niemand" ohne die UdSSR.

M. :winke:
 
Die "Hallstein-Dokrin" hat in der Außenpolitik und der Diplomatie die ehemalige DDR auf den Platz verwiesen. Dieses formulierte außenpolitische Supremat in Bezug auf Deutschland und seine Vertretung war ein m.E. unverzichtbarer Teil der Westintegration der BR Deutschland.

Das hat einiges für sich. [man könnte weiter die Wahrnehmung der Hallstein-Doktrin in den anderen westlichen Ländern problematisieren. Ich habe in Erinnerung, dass diese zuletzt nicht ganz kritiklos gesehen wurde]

und: das Supremat stand im Kontext der wirtschafltichen Entwicklung und war "bezahlbar".
 
Nöh, d

"Aber zurück zu Hallstein.
Hat jene Doktrin zu dieser Entwicklung beigetragen, oder war sie eher hinderlich?"


@Repo

Ich habe darüber nie gearbeitet, aber ich denke als Arbeitshypothese, sie war nicht hinderlich. Warum? Die "Hallstein-Dokrin" hat in der Außenpolitik und der Diplomatie die ehemalige DDR auf den Platz verwiesen. Dieses formulierte außenpolitische Supremat in Bezug auf Deutschland und seine Vertretung war ein m.E. unverzichtbarer Teil der Westintegration der BR Deutschland. In der Außenwahrnehmung war "Deutschland" die Bundesrepublik. Trotz der diplomatischen "Anerkennungswelle" der DDR in den 1970'er Jahren hat sich daran m.E. nichts geändert. Die DDR war außenpolitisch ein "Niemand" ohne die UdSSR.

M. :winke:


Zustimmung.

Wobei natürlich immer mal wieder der Versuch gemacht wurde, mit der DDR zu "winken", um mehr herauszuholen.
Was durch die Hallstein-Doktrin doch deutlich erschwert wurde. Wusste man ja, was passiert wenn.., dürfte dem Steuerzahler schon die eine oder andere Mark erspart haben.
 
@Melchior: Klar kann man diese These als Arbeitshypothese nehmen...

Zunächst war der Effekt dieser Doktrin jedoch eine Verschärfung der Systemrivalität mit einer Zuspitzung der politischen und vor allem militärischen Konfrontation und bisher hat noch keiner einen Weg aufgezeigt, wie man aus dieser damaligen Situation einen Pfad zur Vereinigung hätte finden sollen.

Und by the way, zu diesem Zeitpunkt war der wirtschaftliche Niedergang der SU bestenfalls in den Anfangen in den relevanten Indices abzulesen. Also eher wirtschaftliche Stagnation, aber sicherlich kein Hinweis auf wirtschaftlichen Niedergang.

In diesem Sinne wäre zum Zeitpunkt der Kuba-Krise kaum ein Politiker in Bonn auf die Idee gekommen, die Hallstein-Doktrin als Wegbereiter der Vereinigung anzusehen.

Und es war vor allem auch die Wahrnehmung in den sechziger Jahren, dass die Durchsetzung der Doktrin im Außland (und auch innenpolitisch) immer schwerer wurde und immer höheren Druck erforderlich machte.

Mit der Konsequenz, dass durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Ländern mit diplomatischen Kontakten zur DDR, die BRD zusehens in eine außenpolitische Isolation gekommen wäre.

Offensichtlich hat man dann bereits in den späten Sechzigern das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Doktrin sehr kritisch gesehen und ist zunehmend von der Anwendung abgerückt.

Zumal sie im Zeichen der "friedlichen Koexistenz" sich selber ad absurdum geführt hat.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Melchior: Klar kann man diese These als Arbeitshypothese nehmen...

Zunächst war der Effekt dieser Doktrin jedoch eine Verschärfung der Systemrivalität mit einer Zuspitzung der politischen und vor allem militärischen Konfrontation und bisher hat noch keiner einen Weg aufgezeigt, wie man aus dieser damaligen Situation einen Pfad zur Vereinigung hätte finden sollen.

Richtig! Die Systemrivalität ist evident. Je stärker die "Abgrenzungspolitik" wurde, und zwar seitens der BRD, desto höher war auch die Glaubwürdigkeit der BRD im "Westen". Die Glaubwürdigkeit der "Westintegration" war auch abhängig von der "Abgrenzung".

Natürlich gab es zu diesem historischem Zeitpunkt keinen "Pfad" zur Wiedervereinigung.

Und by the way, zu diesem Zeitpunkt war der wirtschaftliche Niedergang der SU bestenfalls in den Anfangen in den relevanten Indices abzulesen. Also eher wirtschaftliche Stagnation, aber sicherlich kein Hinweis auf wirtschaftlichen Niedergang.

d'accord

In diesem Sinne wäre zum Zeitpunkt der Kuba-Krise kaum ein Politiker in Bonn auf die Idee gekommen, die Hallstein-Doktrin als Wegbereiter der Vereinigung anzusehen.

Und es war vor allem auch die Wahrnehmung in den sechziger Jahren, dass die Durchsetzung der Doktrin im Außland (und auch innenpolitisch) immer schwerer wurde und immer höheren Druck erforderlich machte.

Das vermag ich nicht zu beurteilen.

Mit der Konsequenz, dass durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Ländern mit diplomatischen Kontakten zur DDR, die BRD zusehens in eine außenpolitische Isolation gekommen wäre.

Nein, da bräuchten wir konkrete Beispiele, mir fielen da keine wirklich wichtigen ein, jenseits von "Verhandlungsspielchen"; hatte Frankreich, UK, oder die USA jemals vor, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen?

Offensichtlich hat man dann bereits in den späten Sechzigern das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Doktrin sehr kritisch gesehen und ist zunehmend von der Anwendung abgerückt.

@Thane

Sei bitte nicht sauer, daß ich meine Antworten in Dein Zitat reinschreibe. Aber das erleichtert mir die Sache sehr, sieh es bitte nicht als "oberlehrerhaft" an.

Weißt, was ich immer als Beispiel nehme, die "pragmatische Sanktion", was ist geblieben, die Habsburger und der Frieden von Hubertusburg. Keiner der damals beteiligten sah irgend etwas voraus; Hallstein übrigens auch nicht. Aber der hatte eine Doktrin entwickelt, die einfach in die Zeit und Situation passte. Jetzt grübeln wir Historiker darüber.


M. :winke:
 
Sei bitte nicht sauer, daß ich meine Antworten in Dein Zitat reinschreibe. Aber das erleichtert mir die Sache sehr, sieh es bitte nicht als "oberlehrerhaft" an.

:S hä? warum sollte ich sauer sein und warum sollte das oberlehrerhaft sein?

Die Anworten sind kontextbezogen und das ist doch super! Also no problemo!

Und es waren nicht Länder der ersten oder zweiten, sondern eher der dritten Welt gemeint, die Kontakt zur DDR aufnahmen und somit entsprechende Sanktionen von Seiten der BRD zu spüren bekamen.

http://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/01366/index.html.de

mich stört an der ganzen Dikussion die einseitige Fixierung auf die Westintegration und die Verschärfung des Ost-West-Gegensatzes.

Vor allem abstrahiert es von den damaligen unterschiedlichen Position der Parteien und deren Handlungsrepertoir.

In diesem Zusammenhang eine Rede von Bahr, die die konträre Position deutlich auf den Punkt bringt. "Wandel der Systeme durch Annäherung" und er macht auch deutlich, dass man absolut nicht davon ausgehen konnte, auf absehbare Zeit einen wie auch immer gearteten Systemwandel im Osten zu erwarten sei.

http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_document.cfm?document_id=81

Sicherlich war die Westintegration relevant für den Handlungsspielraum. Aber es besteht keine lineare Beziehung. Vielmehr, und da wiederhole ich mich jetzt erneut, bestand immer die Gefahr, dass eine zu starke Westintegration auch die Systemrivalität in einem Maß verschärfte, das auch in den westlichen Metropolen als nicht mehr sinnvoll erachtet wurde.

Da konnte es vorkommen, dass der britische PM Mcmillan nach Moskau flog, nur um sich den Widerspruch von Adenauer zuzuziehen.

An diesen Punkten sieht man auch, dass eine Übererfüllung der Bonner-Westintegration kontraproduktiv für die Ost-Beziehungen insgesamt war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Spannender Gedanke,

Du meinst also - wenn ich richtig verstanden habe - dass die Westintegration in hinderlicher Weise überspannt wurde, wobei die Hallstein-Doktrin hier ein Mosiakstück der Überspannung jedenfalls ab einem gewissen Zeitpunkt darstellt? :confused:
 
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