Die Hallstein-Doktrin förderlich oder hinderlich?

@Thane

Sei bitte nicht sauer, daß ich meine Antworten in Dein Zitat reinschreibe. Aber das erleichtert mir die Sache sehr, sieh es bitte nicht als "oberlehrerhaft" an.

Weißt, was ich immer als Beispiel nehme, die "pragmatische Sanktion", was ist geblieben, die Habsburger und der Frieden von Hubertusburg. Keiner der damals beteiligten sah irgend etwas voraus; Hallstein übrigens auch nicht. Aber der hatte eine Doktrin entwickelt, die einfach in die Zeit und Situation passte. Jetzt grübeln wir Historiker darüber.


M. :winke:

Der Vergleich ist gar nicht schlecht.

Nix weiß man, was Übermorgen ist. Und nichts ist so beständig wie der Wandel.
Aber eines muss man allen Bundesregierungen schon zugestehen. Der Wiedervereinigungsvorbehalt war, soweit irgendwie relevant in alle Verträge reingeschrieben.

Hallstein hat mit der "Doktrin" wenig bis nichts zu tun gehabt. Wobei ich im Moment nicht mehr weiß, warum er der Namensgeber wurde.
 
Adenauers Westintegration folgte der Einsicht, dass ohne die Unterstützung der USA die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Vordringens der SU nach Westeuropa deutlich erhöht wird.

Gleichzeitig war aber die USA, auch durch den Konflikt mit de Gaulle, immer wieder in ihrer Führungsrolle herausgefordert und lief tendenziell Gefahr, die Frage des Engagements in Europa in Frage zu stellen.

Zumal de Gaulle`s Europapolitik darauf abzielte, die führende westliche Festlandsmacht zu sein und Deutschland als Vision die europäische Integration anstelle der nationalstaatlichen Vission anzubieten.

Vor diesem Hintergrund mußte Adenauer durch eine bedingungslose Westintegration das Verbleiben der Amerikaner in Europa "erzwingen" und gleichzeitig den Erwartungen de Gaulles mindestens symbolisch gerecht werden.

Seinen Ausdruck findet diese Form der Westintegration in der "Niebelungentreue" auch auf der Ebene der Verteidigungsdoktrin. Von den USA bereits frühzeitig als "flexible Reaktion" geplant, um überhaupt handlungsfähig, sprich kriegsführungsfähig zu bleiben, verlangten die Westeuropäer, allen voran Westdeuschland die Anwendung der "massiven" Vergeltung, um die politischen Kosten eines Konflikts für die SU dramatisch zu erhöhen (und der Erfolg dieses Abschreckungskonzepts hat ja auch erfolgreich funktioniert).

Gleichzeitig waren die politischen Folgekosten der Kalten Krieges nicht unerheblich und führten zu einer Verhärtung der außenpolitischen Positionen für Deutschland (2 Staaatentheorie der SU in Bezugn auf Deutschland etc.) und Europa plus USA und waren eingebettet in das massive thermonukleare Wettrüsten.

Diese Situation war durch ein massives "Lagerdenken" gekennzeichnet und durch die Forderung der bedingungslosen Solidarität und Unterordnung unter die A-Waffenstrategie der USA (aber auch immer im Konflikt zu der eigenständigen Verfügung über A-Waffen in Frankreich und GB). Diese Strategie war hilfreich, einen Krieg zu verhindern, führte aber in eine Sackgasse, da sie keine Perspektive für eine Abrüstung ermöglichte.

Diese Situation meinte ich mit der übersteigerten Westintegration und dem damit zusammenhängenden Lagerdenken, das keine alternativen Optionen zuließ.

Vor diesem Hintergrund traten innenpolitische Kräfte in der BRD in Erscheinung (die in der SPD seit 45 immer vorhanden waren und streckenweise vermutlich auch unrealistische Vorstellungen einschlossen) und außenpolitische Kräfte (SALT-Abkommen etc.) auf den Plan, die erstarrten Fronten aufzuweichen.

Die einen, um die Zementierung der 2 Staatensituation für Deutschland zu überwinden und den Auftrag zur Vereinigung aus dem Bereich des Theoretischen wieder in den Bereich der praktischen Politik zurück zu holen. Und die Anderem, sprich USA und UdSSR um das nukleare Damoklesschwert zu entschärfen.

In diesem Sinne mußte ab einem gewissen Punkt die übersteigerte Westintegration Adenauers aufgegeben werden und in eine neue Phase überführt werden, um weiterhin außenpolitisch handlungsfähig zu sein.

Und nicht zuletzt deswegen legte Brandt die Hallstein-Doktrin ad Acta.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Und nicht zuletzt deswegen legte Brandt die Hallstein-Doktrin ad Acta."

Richtig, Brandt fuhr die "Ernte" der Hallstein-Doktrin und der adenauerschen Politik der Westintegration ein. In den späten 1960'er Jahren war die BR Deutschland u.a. wegen der Politik der Westintegration und der "Hallstein-Doktrin" faktisch unumkehrbar mit dem "Westen" verbunden. Ein deutscher "Sonderweg", Ausgleich mit der UdSSR und Vereinigung, war nicht einmal mehr denkbar, egal unter welchen Auspizien. Vor diesem Hintergrund konnte die diplomatische Anerkennungswelle der DDR "durchgewunken" werden und sieh da, sie trat erst ein, als die "Hallstein-Doktrin" ad acta gelegt wurde.

Die "2-Staatentheorie" hat so richtig doch keiner ernst genommen, die DDR war ohne die Präsenz der GSSD nicht überlebensfähig.

M.
 
Adenauers Westintegration folgte der Einsicht, dass ohne die Unterstützung der USA die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Vordringens der SU nach Westeuropa deutlich erhöht wird.

Gleichzeitig war aber die USA, auch durch den Konflikt mit de Gaulle, immer wieder in ihrer Führungsrolle herausgefordert und lief tendenziell Gefahr, die Frage des Engagements in Europa in Frage zu stellen.

Zumal de Gaulle`s Europapolitik darauf abzielte, die führende westliche Festlandsmacht zu sein und Deutschland als Vision die europäische Integration anstelle der nationalstaatlichen Vission anzubieten.

Vor diesem Hintergrund mußte Adenauer durch eine bedingungslose Westintegration das Verbleiben der Amerikaner in Europa "erzwingen" und gleichzeitig den Erwartungen de Gaulles mindestens symbolisch gerecht werden.


Diese Situation meinte ich mit der übersteigerten Westintegration und dem damit zusammenhängenden Lagerdenken, das keine alternativen Optionen zuließ.


Zuerst mal, De Gaulle wurde franz. Präsident 1958, gewisse Handlungsfreiheit gegenüber den USA gewann er erst in der allerletzten Adenauer-Zeit, das hat für die Adenauersche Politik keine Rolle gespielt.


Vor diesem Hintergrund traten innenpolitische Kräfte in der BRD in Erscheinung (die in der SPD seit 45 immer vorhanden waren und streckenweise vermutlich auch unrealistische Vorstellungen einschlossen) und außenpolitische Kräfte (SALT-Abkommen etc.) auf den Plan, die erstarrten Fronten aufzuweichen.
Anscheinend ist dies heute auch vergessen:winke:
die Abgrenzung gegenüber dem Osten war lange Zeit in der SPD deutlich kompromissloser als in den anderen Parteien. Den Grotewohl hat kein Schumacher, kein Reuter kein Ollenhauer kein Wehner und auch kein Brandt! vergessen oder toleriert.

In diesem Sinne mußte ab einem gewissen Punkt die übersteigerte Westintegration Adenauers aufgegeben werden und in eine neue Phase überführt werden, um weiterhin außenpolitisch handlungsfähig zu sein.

Und nicht zuletzt deswegen legte Brandt die Hallstein-Doktrin ad Acta.
Sagen wir mal so, Brandt hatte politisches Gespür für das was möglich war.
Wie Adenauer und OT: auch Kohl.

Ich würde auch nicht unbedingt von "übersteigerter Westintegration" sprechen. US-Hörigkeit zeitweise, OK, aber welche Alternativen gab es? Die Briten wollten vom Kontinent nichts wissen, und die Franzosen waren am Ende vor De Gaulle. Und danach, Juniorpartner De Gaulles????? Zahlmeister für Force de Frappe und Währungskrieg?

Was heißt da ad Acta, es hat auch weiterhin jeder Staat Probleme mit den Westdeutschen bekommen, der mit der DDR anbandelte, was lediglich nicht für die Ostblockländer galt.
Was ich klug an der Hallstein-Doktrin finde, dass es ein unfreundlicher Akt war, der Folgen haben würde war klar, sonst aber nichts. Man hat sich keineswegs die Hände gebunden.
 
Die "2-Staatentheorie" hat so richtig doch keiner ernst genommen, die DDR war ohne die Präsenz der GSSD nicht überlebensfähig.

So? In #19 ist ein Link auf eine Rede von Bahr. Er hat sie ernst genommen und ich auch, vor allem ihn und auch das was er gesagt hat, also waren wir mindestens schon 2.
 
@Thane

Weißt Du was, das ist eine derartig offene und ehrliche Antwort - danke! Ich habe mir damals nie Gedanken über eine "2-Staatentheorie" gemacht, aber ich wäre für den kleineren deutschen Staat in den "Krieg gezogen". Dann wären wir, bei mir ohne theoretische Basis, schon mal 3.

Melchior :winke:
 
Vermutlich sprecht Ihr unterschiedliche Betrachtungsebenen an.

Die 2-Staaten-Theorie war das juristische, aber auch politische Konstrukt, um bundesdeutsche Verfassungswirklichkeit inkl. Wiedervereinigungsgebot des GG, real existierende Verhältnisse auf dem Territorium des Deutschen Reiches, Fortführungsanspruch der BRD und Supremat, Entspannungspolitik und halbwegs normalisierte Verhältnisse zur DDR im Interesse der Bürger beider Staaten, und vielleicht noch den einen oder anderen Aspekt unter einen Hut zu kriegen.

Davon unabhängig konnte man über die Nachhaltigkeit (auch ein Unwort des Jahres) dieses Konstrukt nachdenken.
 
Vermutlich sprecht Ihr unterschiedliche Betrachtungsebenen an.

Die 2-Staaten-Theorie war das juristische, aber auch politische Konstrukt, um bundesdeutsche Verfassungswirklichkeit inkl. Wiedervereinigungsgebot des GG, real existierende Verhältnisse auf dem Territorium des Deutschen Reiches, Fortführungsanspruch der BRD und Supremat, Entspannungspolitik und halbwegs normalisierte Verhältnisse zur DDR im Interesse der Bürger beider Staaten, und vielleicht noch den einen oder anderen Aspekt unter einen Hut zu kriegen.

Genau so ist es.


Dem juristisch unverbildeten kommt das vor, wie wenn sich einer den Finger im eigenen Hintern abbrechen wollte. (man entschuldige das harte Wort)

Aber es war um 1970 herum doch auch nicht anders als heute.
Man brauchte ein Konstrukt, das die entsprechende Real-Politik dieser Jahre Bundesverfassungsgerichtstauglich machte.
Und sie sind vor dasselbe gezogen! Die politischen Gegner! Und haben aufgrund dieses Konstrukts verloren. Undenkbar es wäre andersrum ausgegangen.
 
Die Hallstein-Doktrin hatte ja nicht nur den (offiziell so verkündeten) Grund, die DDR zu isolieren. Es sollte gleichzeitig den eigenen Staat in der Welt positionieren. Gerade mit der zurück gewonnen (Teil-) Souveränität und der sich abzeichnenden Wirtschaftsentwicklung mit hohen Exporten ist das auch wichtig. Schließlich war damals Außenhandel viel politischer als heute.

Diesen Aspekt sehe ich auch als gefördert, aber auch die DDR konnte sich so profilieren.

Eine Auswirkung war aber sicher die Ausweitung des Blockdenkens, gerade auch in Afrika. Kaum ein in die Unabhängigkeit entlassener Staat dort konnte sich dem entziehen, die Politik aus Bonn war da auch nicht hilfreich. Und die dortigen neuen Staatschefs waren mehr an Militärhilfe (USA oder UdSSR) interessiert als an ziviler Entwicklungshilfe.

Solwac
 
Aber es war um 1970 herum doch auch nicht anders als heute.
Man brauchte ein Konstrukt, das die entsprechende Real-Politik dieser Jahre Bundesverfassungsgerichtstauglich machte.
Und sie sind vor dasselbe gezogen! Die politischen Gegner! Und haben aufgrund dieses Konstrukts verloren. Undenkbar es wäre andersrum ausgegangen.

Jede Diplomatie, die die Interessen des eigenen Landes im Auge haben muss, wäre dumm, wenn sie voreilig auf bestimmte politische Faustpfänder ohne Gegenleistung verzichten würde, Dazu zählten im Kalten Krieg - und diese Zeit muss man sich stets vor Augen halten - in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland besonders die völkerrechtliche Anerkennung der DDR und diejenige der Oder-Neiße-Linie gegenüber Polen. Dass die CDU-geführten Regierungen mit diesem Pfund wucherten, kann man ihnen nicht verdenken, ganz abgesehen von einer tiefsitzenden Furcht vor dem Kommunismus und seiner Inkarnation, der Sowjetunion.

Irgendwann wurde klar, dass Realität und das Beharren auf verlorenen Positionen immer weiter auseinanderklafften. Die Aufgabe des Alleinvertretungsanpsruchs im Jahr 1972 - verankert in der der Hallstein-Doktrin - ließ sich die Bundesrepublik im Grundlagenvertrag vom 21.12.1972 mit einer Reihe von Reiseerleichterungen für Bürger der DDR und Westdeutschlands honorieren, auch wenn sie die Freizügigkeit der DDR-Bürger nicht erreichen konnte. Und selbst die SPD-geführte Regierung unter Willy Brandt erkannte im Warschauer Vertrag vom 7.12.1970 nur die "Unverletztlichkeit" der Oder-Neiße-Linie, nicht aber ihre völkerrechtliche Anerkennung an. Die erfolgte erst im "Zwei-plus-Vier-Vertrag" vom 12. September 1990.

Schließlich hielt auch die SPD-geführte Regierung unter Brandt und Schmidt die Forderung nach Wiedervereinigung aufrecht, wie das bereits ihre CDU-geführten Vorgängerregierungen getan hatten.

Rückblickend kann man feststellen, dass die Diplomatie der Bundesrepublik analog zur welt- und europapolitischen Situation im allgemeinen klug reagiert und den Schwenk zur neuen Ostpolitik in einem guten Timing vollzogen hat.
 
Gerade der Warschauer Vertrag verdeutlicht die Kompliziertheit: Die Oder - Neiße - Grenze ist keine Grenze der "ehemaligen" BRD, trotzdem lässt sich Polen diese bestätigen = ein Verrat an der DDR und der 2 Staaten - Theorie sowie eine indirekte Anerkennung des Alleinvertretungsanspruchs?
 
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