Die Quellen zur Varusschlacht

Interessant, dann wussten also Sueton oder Orosius auch, dass Varus drei Legionen verlor, Augustus den Kopf gegen die Wand geschlagen haben soll

Das mit den drei Legionen hatten wir doch auch schon geklärt, das schreibt u. a. Sueton:

Drei Legionen plus Hilfstruppen. Bei größeren Aufgeboten waren immer Hilfstruppen beteiligt, ob sie eigens genannt werden (Sueton, Velleius, Dio) oder nicht.

Strabon: τρία τάγματα Ῥωμαίων μετὰ τοῦ στρατηγοῦ Ὀυάρου Κουιντιλλίου = drei römische Legionen mit ihrem Feldherrn Quintilius Varus
Manilius: trium legionum = drei Legionen
Velleius: legionum trium totidemque alarum et sex cohortium = drei Legionen, ebensoviele Alen und sechs Kohorten
Florus: tres legiones = drei Legionen
Sueton: tribus legionibus cum duce legatisque et auxiliis omnibus = drei Legionen mit dem Oberbefehlshaber, den Legaten und allen Hilfstruppen
Tacitus: tres legiones, totidem legatos = drei Legionen und ebensoviele Legaten

Und auch das mit dem Kopf an die Tür und dem Ausruf "Quintilius Varus, gib mir die Legionen wieder!" schreibt Sueton wenige Sätze später:

Graves ignominias cladesque duas omnino nec alibi quam in Germania accepit, Lollianam et Varianam, sed Lollianam maioris infamiae quam detrimenti, Varianam paene exitiabilem tribus legionibus cum duce legatisque et auxiliis omnibus caesis. Hac nuntiata excubias per urbem indixit, ne quis tumultus exsisteret, et praesidibus provinciarum propagavit imperium, ut a peritis et assuetis socii continerentur. 2 Vovit et magnos ludos Iovi Optimo Maximo, si res p. in meliorem statum vertisset: quod factum Cimbrico Marsicoque bello erat. Adeo denique consternatum ferunt, ut per continuos menses barba capilloque summisso caput interdum foribus illideret vociferans: "Quintili Vare, legiones redde!" diemque cladis quotannis maestum habuerit ac lugubrem.

Bei Tacitus steht das übrigens nicht.

... und das man aus den Gebeinen einen Hügel aufschichtete
Das hat Otto von Freising von keinem antiken Schriftsteller, das haben ihm die Augsburger erzählt. Du hast es doch gerade selber zitiert:

Tradunt Augustenses hanc cedem ibi factam ostenduntque in argumentum collem ex ossibus mortuorum conpactum, quem in vulgari Perleich, eo quod legio ibi perierit, usque hodie vocant vicumque ex nomine Vari appellatum monstrant
 
Das mit den drei Legionen hatten wir doch auch schon geklärt, das schreibt u. a. Sueton:



Und auch das mit dem Kopf an die Tür und dem Ausruf "Quintilius Varus, gib mir die Legionen wieder!" schreibt Sueton wenige Sätze später:

Graves ignominias cladesque duas omnino nec alibi quam in Germania accepit, Lollianam et Varianam, sed Lollianam maioris infamiae quam detrimenti, Varianam paene exitiabilem tribus legionibus cum duce legatisque et auxiliis omnibus caesis. Hac nuntiata excubias per urbem indixit, ne quis tumultus exsisteret, et praesidibus provinciarum propagavit imperium, ut a peritis et assuetis socii continerentur. 2 Vovit et magnos ludos Iovi Optimo Maximo, si res p. in meliorem statum vertisset: quod factum Cimbrico Marsicoque bello erat. Adeo denique consternatum ferunt, ut per continuos menses barba capilloque summisso caput interdum foribus illideret vociferans: "Quintili Vare, legiones redde!" diemque cladis quotannis maestum habuerit ac lugubrem.

Bei Tacitus steht das übrigens nicht.


Das hat Otto von Freising von keinem antiken Schriftsteller, das haben ihm die Augsburger erzählt. Du hast es doch gerade selber zitiert:
 
Ich danke Euch, dass ermöglicht noch mal einen interessanten Einstieg in die Frage, wer von den "Antiken" wusste was, wenn Otto der Annahme war die Varusschlacht wäre um Augsburg geschlagen worden.
 
Also war Sueton die Quelle von Otto und weniger Orosius wie El Quijote vermutete ?

Beide.
Orosius hat von Sueton abgeschrieben, Otto hat von Orosius und Sueton abgeschrieben. So steht es bei Orosius:

Sub eodem uero tempore Quintilius Varus cum tribus legionibus a Germanis rebellantibus, mira superbia atque auaritia in subiectos agens, funditus deletus est. quam reipublicae cladem Caesar Augustus adeo grauiter tulit, ut saepe per uim doloris caput parieti conlidens clamaret Quintili Vare, redde legiones.

Orosius, Book 6(b) - Latin text

Otto erwähnt Sueton namentlich; dass er auch Orosius vorliegen hatte, kann aus den Formulierungen geschlossen werden: "caput parieti collideret ac per vim doloris diceret" ist fast wörtlich von Orosius übernommen worden. Sueton hat es etwas anders formuliert. Inhaltlich gibt es einen Unterschied in einem winzigen Detail: Bei Sueton haut Augustus den Kopf an die Tür, bei Orosius haut er ihn an die Wand.
 
Beide.
Orosius hat von Sueton abgeschrieben, Otto hat von Orosius und Sueton abgeschrieben. So steht es bei Orosius:

Sub eodem uero tempore Quintilius Varus cum tribus legionibus a Germanis rebellantibus, mira superbia atque auaritia in subiectos agens, funditus deletus est. quam reipublicae cladem Caesar Augustus adeo grauiter tulit, ut saepe per uim doloris caput parieti conlidens clamaret Quintili Vare, redde legiones.

Orosius, Book 6(b) - Latin text

Otto erwähnt Sueton namentlich; dass er auch Orosius vorliegen hatte, kann aus den Formulierungen geschlossen werden: "caput parieti collideret ac per vim doloris diceret" ist fast wörtlich von Orosius übernommen worden. Sueton hat es etwas anders formuliert. Inhaltlich gibt es einen Unterschied in einem winzigen Detail: Bei Sueton haut Augustus den Kopf an die Tür, bei Orosius haut er ihn an die Wand.

Welche Quelle nutzte Cassius Dio davon, wenn überhaupt, worin las Tacitus und wo und wer erwähnte den/die Visurgis (noch). Schaut man auf die Lebzeiten aller und sucht darin die Hauptschaffensphase wäre das hilfreich. Man muss sich nochmal rein knien möchte man sich der Lokalisierung nähern worum es mir ja im Speziellen geht..
 
Zuletzt bearbeitet:
Welche Quelle Dio für die Varusschlacht nutzte, wird sich wahrscheinlich nicht mehr feststellen lassen.

Die Visurgis wird bei vielen antiken Autoren erwähnt; keiner der Autoren bringt sie in einen direkten Zusammenhang mit der Varusschlacht. Auch aus Dios Erwähnung der Flüsse lässt sich nicht viel mehr entnehmen, als dass sich Varus irgendwann vor der Schlacht mal zwischen Rhein und Visurgis (Weser/Werra) aufgehalten haben muss. Es steht bei Dio noch nicht einmal, dass die Schlacht zwischen Rhein und Visurgis zu lokalisieren sei, es wäre - wenn man sich nur auf Dio stützt - sogar eine Lokalisierung weiter östlich möglich.


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Welche Quelle Dio für die Varusschlacht nutzte, wird sich wahrscheinlich nicht mehr feststellen lassen.

Die Visurgis wird bei vielen antiken Autoren erwähnt; keiner der Autoren bringt sie in einen direkten Zusammenhang mit der Varusschlacht. Auch aus Dios Erwähnung der Flüsse lässt sich nicht viel mehr entnehmen, als dass sich Varus irgendwann vor der Schlacht mal zwischen Rhein und Visurgis (Weser/Werra) aufgehalten haben muss. Es steht bei Dio noch nicht einmal, dass die Schlacht zwischen Rhein und Visurgis zu lokalisieren sei, es wäre - wenn man sich nur auf Dio stützt - sogar eine Lokalisierung weiter östlich möglich.


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Noch ein Beitrag zum Kuriositätenkabinett:
Da Otto von Freising erstaunlicherweise den Knochenhügel erwähnt über den meines Wissens von Sueton nichts überliefert ist, dann stellt sich die Sachlage möglicherweise wie folgt dar. Sueton hätte es wissen können verschriftete es auch, so dass Otto es noch bei ihm lesen konnte. Danach ist die Textstelle jedoch verschollen. Sueton wusste es nicht, dann musste Otto es bei einem anderen Historiker gelesen haben. Aber die Quellen die Tacitus oder Dio nutzte waren es nicht, denn dann hätte er die Varusschlacht auch an der Weser gesucht und nicht bei Augsburg. Welche Historiker las Otto von Freising noch, die ihm dann auch noch mehr über die eines Auguren unwürdige Tat berichtet haben könnten, nämlich den Gefallenen die Ehre zu erweisen und dafür einen Feldzug gegen die Cherusker unterbrach bei dem Germanicus später von den Selbigen über die Weser zurück gedrängt wurde. Wusste er davon und wollte die Schlacht wie viele Lokalpatrioten in seine Nähe verlegen, dann verschwieg er uns einiges.
 
, dann musste Otto es bei einem anderen Historiker gelesen haben.
Nochmal: Otto hat es bei überhaupt keinem Historiker gelesen.
Bei Augsburg gab es einen Hügel, und die Augsburger haben erzählt, das sei ein Knochenhügel. Dass er das von den Augsburgern hat, schreibt Otto doch selber!

Den Augsburger Knochenhügel kann es gegeben haben, vielleicht ein Überbleibsel der Schlacht auf dem Lechfeld, vielleicht sonstwas, aber doch wohl kein Überbleibsel der Varusschlacht. Du wirst doch nicht jetzt allen Ernstes den Augsburger Hügel mit der Varusschlacht in Verbindung bringen?
 
Nochmal: Otto hat es bei überhaupt keinem Historiker gelesen.
Bei Augsburg gab es einen Hügel, und die Augsburger haben erzählt, das sei ein Knochenhügel. Dass er das von den Augsburgern hat, schreibt Otto doch selber!

Den Augsburger Knochenhügel kann es gegeben haben, vielleicht ein Überbleibsel der Schlacht auf dem Lechfeld, vielleicht sonst was, aber doch wohl kein Überbleibsel der Varusschlacht. Du wirst doch nicht jetzt allen Ernstes den Augsburger Hügel mit der Varusschlacht in Verbindung bringen?

Dann müssen die "Augsburger" aber so einiges über die Varusschlacht gewusst haben und man darf sich dann fragen woher sie es wussten.
 
Die Augsburger müssen nur vage gewusst haben, dass es irgendwann einmal die Schlacht gab, und deuteten einen Hügel als Überbleibsel dieser Schlacht.

Woher sie es wussten? Vielleicht von ihren Geistlichen, die es von Orosius (der auch im Mittelalter wohlbekannt war) wussten.

Nähere Kenntnisse hatten sie offenkundig nicht, sonst hätten sie die Schlacht nicht bei sich lokalisiert.
 
Die Augsburger müssen nur vage gewusst haben, dass es irgendwann einmal die Schlacht gab, und deuteten einen Hügel als Überbleibsel dieser Schlacht.

Die Augsburger haben wahrscheinlich den Hügel gar nicht mit Varus in Verbindung gebracht.
Eine vor Otto entstandene Schrift beschreibt eine kuriose Schlacht um eine Stadt Cisara in Noricum, bei der ein Titus Annius samt seinen Legionen und makedonischen Hilfstruppen vernichtet worden sein. Diese Cisara wird mit Augsburg identifiziert. Da heißt es, der spätere sizilianische Statthalter Verres sei dem Gemetzel entkommen.

Tiburnia oder Regensburg und die ältesten Bischöfe in Bayern aus römischer und agilolfingischer Zeit

Möglicherweise hat erst Otto Verres und Varus zusammengebracht.
 
In Augsburg, im heutigen Stadtzentrum. Der Hügel heißt heute Perlachberg, dort steht der Perlachturm.
Ah, ok. Das ist ja ganz schön weit weg von Ems und Lippe. Vielleicht hat man damals auch einen Zusammenhang zwischen Augustus und Augsburg gemacht? Es wurde ja viel spekuliert und gedeutet, egal wie absurd es war.
 
Vielleicht hat man damals auch einen Zusammenhang zwischen Augustus und Augsburg gemacht? Es wurde ja viel spekuliert und gedeutet, egal wie absurd es war.

Nein, man hat die Schlacht in die Zeit vor Augustus verlegt, als Augsburg ja tatsächlich noch außerhalb der römischen Reichsgrenzen lag. Die Stadt Augsburg sei damals noch barbarisch gewesen und habe Cisara geheißen. Der anonyme Autor ging (fälschlicherweise) davon aus, Rätien sei vor der römischen Eroberung von Germanen besiedelt gewesen. Der Verres, der da erwähnt wird, wurde 73 v. Chr. Statthalter von Sizilien. Die Schlacht soll kurz zuvor stattgefunden haben. (Die übrigen Figuren wie Titus Annius oder der Hilfstruppenkommandant "Avar, Sohn des Königs Bogud" sind aus verschiedenen Quellen zusammengewürfelt.)

Wie gesagt, hat diese (fiktive) Geschichte mit Augustus und Varus ursprünglich gar nichts zu tun. Wahrscheinlich hat erst Otto von Freising die Verbindung hergestellt, indem er Varus und Verres miteinander identifiziert hat.
Dann musste die Varusschlacht natürlich zur Zeit des Augustus stattgefunden haben, aber man hat sie in seine frühen Jahre verlegt. Es kam dann die Idee auf, die Drusus-Feldzüge seien die Revanche für die Varus-Niederlage gewesen.


Das ist ja ganz schön weit weg von Ems und Lippe.
Von Ems und Lippe konnte Otto von Freising nichts wissen. Dazu hätte er die Annalen des Tacitus lesen müssen, die bekanntlich erst 1508 wiederendeckt wurden.
 
Nein, man hat die Schlacht in die Zeit vor Augustus verlegt, als Augsburg ja tatsächlich noch außerhalb der römischen Reichsgrenzen lag. Die Stadt Augsburg sei damals noch barbarisch gewesen und habe Cisara geheißen. Der anonyme Autor ging (fälschlicherweise) davon aus, Rätien sei vor der römischen Eroberung von Germanen besiedelt gewesen. Der Verres, der da erwähnt wird, wurde 73 v. Chr. Statthalter von Sizilien. Die Schlacht soll kurz zuvor stattgefunden haben. (Die übrigen Figuren wie Titus Annius oder der Hilfstruppenkommandant "Avar, Sohn des Königs Bogud" sind aus verschiedenen Quellen zusammengewürfelt.)

Wie gesagt, hat diese (fiktive) Geschichte mit Augustus und Varus ursprünglich gar nichts zu tun. Wahrscheinlich hat erst Otto von Freising die Verbindung hergestellt, indem er Varus und Verres miteinander identifiziert hat.
Dann musste die Varusschlacht natürlich zur Zeit des Augustus stattgefunden haben, aber man hat sie in seine frühen Jahre verlegt. Es kam dann die Idee auf, die Drusus-Feldzüge seien die Revanche für die Varus-Niederlage gewesen.

Von Ems und Lippe konnte Otto von Freising nichts wissen. Dazu hätte er die Annalen des Tacitus lesen müssen, die bekanntlich erst 1508 wiederendeckt wurden.

Ok. Das ist natürlich was ganz anderes. Aber woher dann überhaupt die Idee dass es eine Varusschlacht gab? Woher kam das Wissen darüber vor der Entdeckung des Tacitus?
 
Von Sueton und Orosius, die beide die Varusschlacht erwähnten. Beide waren auch im Mittelalter bekannt und wurden gelesen. (Orosius hatte den Vorteil, ein christlicher Autor gewesen zu sein.)
Auf Sueton berief sich Otto von Freising namentlich. Dass er auch Orosius benützt hatte, ergibt sich aus der teils engen Übereinstimmung seines Textes mit dem von Orosius.
 
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