Salute, Johann, Salute Community,
Johann hat ein email an den Verlag Matthes & Seitz Berlin geschrieben, der mir dieses email zur Beantwortung wiederum übersandte. Zur Erklärung, ich habe als Historiker die Recherchen und das historische Endlektorat für den Roman von Volker Harry Altwasser „Letzte Haut“ zu verantworten.
Zu den hier diskutierten Fragen:
„1. Wurde Dr. Konrad Morgen nach dem II. Weltkrieg verurteilt?“
Nein, wurde er nicht, wie in Euren Forumsbeiträgen bereits vermutet.
Vielmehr:
Wurde er aufgrund eines Spruches der Spruchkammer des Internierungslagers Ludwigsburg vom 24. Juni 1948 „Entnazifiziert“ uns als „Entlastet“ eingestuft (Aktenzeichen J/75/5326, beurkundet: 14. Juli 1948).
In der Außenstelle des Bundesarchivs Ludwigsburg finden sich folgende Hinweise zu Dr. Konrad Morgen:
Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachtes der Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener (AZ 4 Js 767/58). Dieses Ermittlungsverfahren wurde am 29. März 1961 eingestellt. Es liegen in der vorstehend genannten Außenstelle des Bundesarchivs hierzu keine Akten vor.
Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachtes der Mitwirkung an der Deportation und Vernichtung ungarischer Juden (dort AZ 4 Js 402/70, Signatur BArch B 162/9000, Signatur der Zentralen Stelle AR-Z 28/70). Das Ermittlungsverfahren wurde am 6. März 1972 eingestellt (Einstellungsbeschluß der Staatsanwaltschaft ebenda.). Die Akten wurden vom Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden übernommen, in der Außenstelle existiert noch eine Korrespondenzakte im Umfang von ca. 50 Seiten.
Fazit: Konrad Morgen wurde definitiv in der Nachkriegszeit nicht strafrechtlich belangt.
„2. Dr. Konrad Morgen hat als Entlastungs- und Belastungszeuge ausgesagt, welchen Sinn hatten diese Ermittlungsverfahren, die ja im Vergleich zum Holocaust vollkommen marginal sind, nur Karriere ist wissenschaftlich etwas dünn.“
Diese Frage, Johann, ist immer die schwierigste, die Frage nach dem Wieso und Warum. Insbesondere bei der „Detailgeschichte“, wie hier bei Konrad Morgen, wo sich keine oder kaum Rückschlüsse aus dem bekannten historischen Großkontext ableiten lassen und die Primär- und Sekundärquellen hierzu in der Regel auch schweigen (selbst Tagebücher sind, wenn vorhanden, nur sehr kritisch zu verwenden).
Ein Versuch:
Auch verbrecherische und totalitäre Regimes lassen wegen Korruption und Betrug in den eigenen Reihen ermitteln. Die Verfahren wegen „Häftlingsmord“ waren letztlich nichts anderes, um das Strafmaß quasi legalistisch erhöhen zu können und resultierten durchaus aus einer bürokratischen Eigendynamik. Karrierestreben ist allerdings bei der Entfaltung der Eigendynamik solcher Vorgänge ein starker Motor.
Natürlich sind aus den Primär- und Sekundärquellen auch übergeordnete Interessen „herauslesbar“, wie z.B. ein SS-interner Machtkampf innerhalb des RSHA (Reissicherheitshauptamt) Kaltenbrunner (Chef RSHA) und Nebe (Chef RKPA) einerseits und Müller (Chef der Gestapo) andererseits sowie zwischen dem RSHA und dem WVHA, Pohl, (Wirtschaftsverwaltungshauptamt) der „SS“.
Alles andere wäre Spekulation und aus den Quellen nicht her leitbar bzw. nachweisbar.
„3. Was ist in diesem Buch historisch abgesichert und was "dichterische Freiheit"?
Historisch abgesichert ist natürlich der historische Großkontext. Darüber hinaus die Biographie (Lebensdaten, Einsatzorte, Ausbildung, die Ermittlungen, der Prozeß gegen Koch etc.) des Konrad Morgen; die Namen und Lebensdaten vieler Protagonisten, individuelle Verbrechen von SS-Angehörigen, das historische Umfeld (Automarken, Dienstgrade, also die gesamte „Requisite“). Insgesamt beruht der Roman auf ca. 1.000 Seiten Quellenmaterial (Primär- und Sekundärquellen).
Zur „dichterischen Freiheit“ zählen, Gedanken der Protagonisten, Dialoge, atmosphärische Schilderungen, Gefühle, Handlungsstränge usw. und insbesondere geschilderte Charaktere. Natürlich auch die Rahmenhandlung, das Hautgleichnis und dieses vor allem, die künstlerische Kraft, Geschichte erlebbar und fühlbar zu machen.
Ein Gruß aus Berlin
Karsten
P.S.: Bleibt Klio treu!