Nun ich sehe das etwas anders- Sowohl Zivil-als auch Militärverwaltung wurden letzlich instrumentalisiert und "ausgehebelt" zugunsten einer "Parteiververwaltung", die anfänglich neben der regulären Zivil- und Militärverwaltung existierte und diese langfristig wohl ersetzen sollte.
Ich würde es noch radikaler formulieren. Sie wurde systematisch ersetzt. Und die Nationalsozialisten holten deutlich konsequenter nach, was in der Weimarer Republik nicht getan wurde. Sie ersetzten das "monarchische Personal" in der Verwaltung und den Ministerien durch entsprechende Personen, die der NS-Bewegung nahe standen, wie Ingrao: Hitlers Elite, es beispielhaft beschreibt.
In diesem Umfeld fand die NS-Revolution statt und schuf das System der Polykratie und somit der rivalisierenden Herrschaftszentren, wie auch bei Mazover (Hitlers Imperium, S. 208ff) beschrieben mit der "organisierten Unordnung".
...dass sie auch de jure rein führerorientiert ausgerichtet und letztlich nicht an feste Verfahrensregeln und Gesetze gebunden war.
Dieser Aspekt ist entscheidend, auch für die Argumentation von Snyder (soweit sie mir durch die Interviews zugänglich ist, aber Rovere wird sicherlich eine kompetente Darstellung liefern). In dem Maße wie die traditionellen Verwaltungsverfahren aufgelöst werden, indem die staatliche Ordnung zerstört wird, können sie durch "Verfahrensregeln" ersetzt werden, die letztlich weder an juristische Normen noch an ethische oder moralische Kriterien gebunden sind.
Dieser Mechanismus funktionierte für die besetzten Gebiete - und darauf bezieht sich auch die Argumentation von Snyder stark - aber sie wirkte genauso auch für die Organisationen des 3. Reichs (vgl. Welzer: Täter)
Das Individuum wird bei seinen Entscheidungen der normalerweise vorhandenen "Rechtssicherheit" beraubt und so werden aus "normalen Männern" Akteure mit Verhaltensweisen, die ihre früheren Wertvorstellungen teilweise ad absurdum führen (vgl. Pohl: Die Herrschaft der Wehrmacht). Und sie müssen kontextorientiert neue Verhaltensnormen entwickeln, die teilweise die "Entgrenzung der Gewalt" im Russlandfeldzug deutlich widerspiegeln (vgl.dazu beispielsweise: Bartov: Hitlers Wehrmacht und Neitzel & Welzer: Soldaten)
Wenn es also einen Masterplan gab,dann den der Errichtung eines führerorientierten Parteienstaates .
Die Errichtung von autokratischen Regierungsformen ist in der Regel kein Selbstzweck und auch bei Hitler folgt es eher dem Zwang, erfolgreich die "Macht zu ergreifen", wie bei Herbst (Hitlers Charisma) beschrieben und folgt ähnlich wie Wehler (Intentionalisten, Strukturalisten und das Theoriedefizit der Zeitgeschichte, in: Land ohne Unterschichten) einer Interpretation von Hitler im Rahmen der Weberschen "Charismatischen Herrschaft".
Es gab in diesem Sinne kein "Masterplan" aus den zwanziger Jahren für die Ausformung der NS-Herrschaft, sondern diese ergab sich in enger Interaktion zwischen Hitler und der NS-Bewegung eher evolutionär.
Der Nationalismus, den es ja bereits seit der Mitte des 19.Jahrhunderts gab, war hierbei m.E. nur ein Mittel zum Zweck innerhalb dieser Ideologie, aber nicht Selbstzweck.
Der ursprüngliche Nationalismus der national-liberalen Bewegung des "Vormärz" bis ca. 1860 war aufklärerisch und emanzipativ ausgerichtet. Er wies zudem noch nicht in diesem Maße die ethnische Determinierung auf, die er zugespitzt durch Hitler ab 1920 erhalten sollte.
Somit war der "völkische Nationalismus" eines Hitlers durch eine klare Inklusion und Exklusion geprägt und somit Instrument zur Begründung der Vernichtung von bestimmten ethnisch definierten Gruppen, wie den Juden. Er war aber auch Ziel, da er als Fernziel die Herrschaft der "arischen Rasse" über die ganze Welt anstrebte. Dabei strebte er als "Zwischenziele" im Rahmen der "ethnischen Säuberungen" eine ethnische Homogenisierung von Landstrichen an. Und diese lagen nicht nur in Deutschland, sondern im Rahmen des "Generalplans" wurden sie auch auf die damalige UdSSR ausgeweitet.
In diesem Sinne war der "völkische Nationalismus" der Masterplan -ausformuliert im "Mein Kampf" und noch deutlicher im "geheimen" "Zweiten Buch" - mit eindeutigen hegemonialen Ansprüchen und der Inklusion- bzw. Exklusion von großen Teilen der europäischen Bevölkerung. Ein zentrales Merkmal, das die NS-Bewegung mit definiert hat und ihr auch eine gewisse "Alleinstellung" gegenüber anderen faschistischen Bewegungen gegeben hatte.