@Sepiola: Fortsetzung:
Die Frage ist, ob der Hintergrund der Geschichte einen historischen Kern hat. Gab es außer der Judensteuer antijüdische Maßnahmen, von denen die Christen mitbetroffen oder sogar besonders betroffen waren? Maßnahmen, die eventuell vom Kaiser selber ausgingen?
Die paganen Quellen machen ersichtlich, dass Domitian einige hochgestellte Persönlichkeiten, durch die er potentiell seine Herrschaft bedroht sah, ausschalten ließ. Ob der „belanglose Grund“, aus welchem mehrere Senatoren laut Suet.: Dom. 10, 2 verbannt wurden, oder ob die „sehr arrogant wirkende Gleichgültigkeit“ des Flavius Clemens und der „ganz fadenscheinige Verdacht“ gegen ihn, der ihm den Tod bescherte – wie Suet.: Dom. 15, 1 schreibt –, irgendwie auf Zugehörigkeit zum jüdischen oder christlichen Glauben zeugen, ist kaum zu beantworten. Zumindest von Flavius Clemens und seiner Frau Flavia Domitilla sagt Cass. Dio: hist. 67, 14, 1f dass sie wegen Atheismus/ Gottlosigkeit angeklagt waren, und Dio setzt ebd. hinzu: „wegen Gottlosigkeit wurden auch viele andere, die jüdische Sitten angenommen hatten, verurteilt“. Das alles weist erst einmal nur darauf hin, dass Domitian politische und gesellschaftliche Größen, die ihm vllt. zu einflussreich waren, unter anderem mit dem Argument ausschaltete, sie hätten Gottlosigkeit und jüdische Sitte angenommen. Ob das im Einzelfall zutraf und Domitian wirklich auf die Palme brachte, oder ob Domitian diesen Vorwurf nur als Scheinargument vorschob, weiß ich nicht.
Ersichtlich wird daraus zumindest, dass unter Domitian die jüdische (und damit im Verbund wohl auch die christliche) Religion in ziemlichem Verruf stand. Dass Domitian laut Suet.: Dom. 12, 2 die Judensteuer mit Härte eintreiben ließ, scheint dazu zu passen. Allerdings können m. E. bei Domitian in dieser Hinsicht auch einfach wirtschaftliche Motive u. Staatshaushalts-Überlegungen ausschlaggebend gewesen sein. Wenigstens beweist die Judensteuer-Eintreibung, dass es nicht verboten war, Jude zu sein. Man musste als Jude halt nur korrekt seine Steuern zahlen. Ob Domitian an die Senatoren da tatsächlich andere Maßstäbe anlegte, weil diese gewissermaßen ihrer röm. Vorbildfunktion genügen sollten, oder ob, wie gesagt, Domitian einfach nur irgendwelche Gründe brauchte, um unliebsame Senatoren in den Tod oder die Verbannung zu schicken, weiß ich nicht.
Jedenfalls sind das die einzigen mir bekannten Quellen, die etwas über Domitians Umgang mit den Juden aussagen. Ich persönlich zähle allerdings noch den Bericht des Hegesipp dazu, den ich im Hinblick auf die Frage „Domitian und die Juden?“ so deute: In Judäa bestand für die Römer langfristig die Gefahr von Aufruhr und Aufstandsbewegungen unter den Juden. Der worst case würde es sein, wenn sich ein Messias-Prätendent erhob, dem große Teile des jüdischen Volks vermutlich blindlings und fanatisch folgen würden. Also wies der Kaiser seine Amtsträger an, diese Szene in Judäa ganz besonders im Auge zu behalten und es wurden Anzeigen gegen verdächtige Davididen entgegengenommen. Allerdings hat das in meinen Augen wenig bis gar nichts mit der Frage zu tun, wie Domitian mit den jüdischen Diasporagemeinden in Italien, Kleinasien oder sonst wo umging.
Generell wissen wir also wenig über Domitians Maßnahmen gegen Juden im Reich und über die Tragweite solcher Maßnahmen.
Was jetzt Domitian und die Christen anbelangt: In welchem Maße die Römer zwischen jüdischer und christlicher Religion unterscheiden konnten und wollten, oder ob sie die Christen lediglich als spezielle jüdische Messias-Sekte wahrnahmen, ist nicht eindeutig zu beantworten. Immerhin nahmen Tacitus (ann. 15, 44, 2ff), Plinius und Trajan (epist. X 96 u. 97) sowie Sueton (Nero 16, 2) die Christen offensichtlich schon als eigenständige Religionsgemeinschaft wahr. Da alle vier nicht lange nach Domitian schrieben und da ja auch Tacitus u. Sueton bereits dem Nero die Unterscheidung zwischen Juden und Christen attestieren, dürfte dieser Unterschied zumindest dem Grundsatz nach auch Domitian und seine Behörden bekannt gewesen sein (im Einzelfall und Arbeitsalltag mag die Unterscheidung freilich manchmal vernachlässigt worden sein).
Klar ist, dass, wenn alle Juden unter Domitian eine besondere Steuer zu bezahlen hatten und die Pflichtigkeit letztendlich an jüdischer Abstammung und der Beschneidung festgemacht wurde (siehe Suet.: Dom. 12, 2), zumindest die Heidenchristen nicht unter die Juden gezählt werden konnten. Etwas schwerer muss die Differenzierung den Römern in Judäa gefallen sein, denn welche beschnittenen Juden waren da Juden, welche Judenchristen usw.? In Judäa verschwammen die Kategorien. Ein Zeugnis von dieser unübersichtlichen Situation für die Römer mag der Bericht des Hegesipp sein.
Wie steht es nun mit Maßnahmen speziell gegen Christen unter Domitian? Was gibt es da für Hinweise in den Quellen?
1) Der Name Flavia Domitilla ist oben bereits gefallen, weshalb ich hieran als erstes anknüpfe: Euseb.: hist. ecc. III 18, 4 beruft sich auf pagane Geschichtsschreiber, wenn er behauptet, Flavia Domitilla sei die Nichte des Flavius Clemens und Christin gewesen und deshalb von Domitian auf die Insel Pontia verbannt worden.
Aber Cass. Dio: hist. 67, 14, 1f hatte geschrieben, Flavia Domitilla sei die Ehefrau des Flavius Clemens und jüdische Proselytin gewesen und deshalb auf die Insel Pandateria verbannt worden.
Falls man nicht zwei verwandte Frauen gleichen Namens annehmen will, weicht Eusebius also in drei Details von Dio ab und wird folglich einen anderen paganen Schriftsteller zur Hand gehabt haben. Eines dieser Details ist die Religionszugehörigkeit der Domitilla. Ob die Römerin Domitilla sich dem Judentum oder dem Christentum angenähert hatte, will ich nicht beurteilen. Tendenziell würde ich dem Dio eher recht geben wollen, nicht nur weil er etwas früher als Eusebius schrieb, sondern vor allem, weil er anders als Eusebius als Heide nicht in der Versuchung stand, eine hochgestellte röm. Persönlichkeit zur Vertreterin seiner eigenen Religionsgemeinschaft zu machen. Nur weiß ich nicht, ob der von Dio genannte Vorwurf gegen Domitilla „Gottlosigkeit“ und „Annahme jüdischer Sitten“ bei Dio zwangsläufig die Zugehörigkeit zum Judentum aussagen muss oder ob es nicht auch die Zugehörigkeit zum Christentum meinen kann. Wir wissen nicht, ob und in welchem Maße Dio da differenziert hat. Ich will also offen lassen, ob diese Eusebius-Stelle überhaupt etwas Brauchbares zum Thema „Domitians Maßnahmen gegen Christen“ beitragen kann. Eusebius sagt zwar an gleicher stelle auch genereller, dass jene paganen Schriftsteller von einer Verfolgung des christl. Glaubens und von Martyrien der Christen berichten würden, aber er gibt keine nähere Auskunft.
2) Der „Brief an die Korinther“, den nach allgemeiner Annahme (gestützt auf die Überlieferung) ein Vorsteher der röm. Gemeinde namens Clemens in den 90er Jahren (vermutl. um 96 n. Chr.) verfasst hat, gibt in 1.Clem. 1, 1 u. 7, 1 deutliche Hinweise auf eine Bedrückung/ Verfolgung der christl. Kirche zu Rom unter Domitian. Genaueres erfahren wir aber nicht. Die Stellen sind gewiss zu undeutlich, um hieraus auf eine planmäßige Verfolgung der Christen unter Domitian zu schließen, aber wenigstens sind sie ein Indiz für Bedrückungen der Christen unter Domitian.
3) Tertullian schreibt in seinem Apologeticum 5, 4 davon, dass Domitian angefangen hatte, die Christen ähnlich wie einst Nero zu verfolgen, dass er einige verbannte usw., dann aber diese Verfolgung wieder einstellte (wie ja auch Hegesipp von einer Einstellung der Verfolgung der Kirche durch Domitian spricht).
4) Dann ist da noch Euseb.: hist. III 17-18, 1 u. 20, 8f, wo die „Grausamkeiten“ Domitians, seine Verfolgung der Christen (Eusebius zitiert hier auch den Tertullian) und die Verbannung des Evangelisten Johannes genannt werden.
5) Hegesipps Bericht haben wir schon gehabt.
6) Laktanz (mort. Pers. 3, 1-5) lasse ich mal außen vor. Bei ihm wird eigentlich nur deutlich, dass Domitian in der christlichen Überlieferung als Christenverfolger galt.
Schaut man sich das alles i. d. Summe an, so kann man, denke ich, sagen, dass die Christen (zumindest die in Rom, vielleicht aber auch reichsweit) unter Domitian Bedrückung erfuhren und sich dies in der christlichen Überlieferung festgesetzt hat.