Das ägyptische Kalenderwesen ist aus wenigstens zwei Gründen interessant:
- Es ist völlig von der Realität entkoppelt
- Der Sonnenkalender ist der Großvater unseres Gregorianischen Kalenders
(1) Doch wenn wir letzteres nicht wüssten, dann würden wir es kaum vermuten! Der Ägyptische Kalender ist KEIN Mondkalender; dies ist historisch eine Besonderheit! Er ist aber auch kein echter Sonnenkalender. Er ist einfach eine absolut künstliche Konstruktion.
Er teilt das Jahr in 13 Monate: 12 davon haben genau 30 Tage zu 3 Wochen zu je 10 Tagen. Der 13. Monat besteht aus 5 Feiertagen, den sog. „Epagomenen“, den überzähligen Tagen. Schöner kann ein Kalender gar nicht sein! Aber 100 Jahren nach Einführung ist er praktisch unbrauchbar.
Den Grund kennt jedes deutsche Schulkind: Das Sonnenjahr ist einfach länger als 365 Tage, deshalb hätte man alle 4 Jahre 6 Epagomene einschieben sollen, alle 100 Jahre jedoch nicht, jedoch alle 400 Jahre doch wieder
In der Tat wussten das die Babylonier und ziemlich sicher auch die ägyptischen Priester. Den Babyloniern half dieses Wissen wenig, weil sie unter der fixen Idee standen, den Mond in den Kalender mit einsynchronisieren zu müssen. Die Ägypter ignorierten einfach die Realität. Es drängt sich der Vergleich zu einem anderen afro-asiatischen Kalender auf, dem islamischen, der – von der anderen Seite her – das Sonnenjahr ignoriert, den manchmal „natürlich“ genannten Kalender.
Wie das islamische ist das ägyptische Jahr also zu kurz und der Jahresanfang („1. Thot“) wandert rückwärts durch das Sonnenjahr. Nach ungefähr 365,2422 / 0,2422 = 1500 Jahren wäre er aber wieder mit dem gregorianischen (!) Kalender, bzw. der Sonne synchron. In der Zwischenzeit müssen Jahrestermine dann jährlich amtlich festgelegt werden. Das alte Ägypten ist eine Bauernland. Nach der Nilflut (AKHET) muss das Land vermessen werden, dann erfolgt die Aussaat (PERET), dann die Ernte (SHEMU), dann werden die Steuern gezahlt und die Steine für Pharaos Pyramide geschleppt. In jedem Jahr zu einem anderen Kalenderdatum.... Die ägyptischen Schreiber wussten schon, wie man sich unentbehrlich macht...
(2) Das „natürliche Jahr“ begann allerdings zur Nilflut... Der Nil schwillt nach den Monsunregenfällen an, dies wird Ende Juni/Anfang Juli im Delta deutlich, August bis September herrscht überall Hochwasser... Doch gibt es natürlich auch trockene Jahre
Es wäre nun schön, einen (astronomischen) Indikator für dieses neue Jahr zu haben, z.B. die Sommersonnenwende am 21. Juni. Die ägyptische Priester haben aber etwas anderes gewählt: Den Morgenerstaufgang des Sirius (oder „Sothis“, beides sind griechischen Bezeichnungen).
An diesem Termin orientiert sich auch der weniger bekannte ägyptische Mondkalender, der – wie auch überall sonst auf der Welt – das Jahr am ersten Neumond nach einem astronomischen Ereignis beginnen lässt. Dieser Mondkalender erlaubt eine Zuordnung zu den Jahreszeiten und ist alt. Der uns so gut bekannte „künstliche“ ägyptische Sonnenkalender ist neuer. Er ist gut aus dem Neuen Reich bekannt, und – vielleicht, vielleicht – gab es ihn vorher auch gar nicht so richtig... Doch das sind wilde Spekulationen.
Das Problem mit diesem frühen Mondkalender war, dass das gewählte astronomisch Ereignis („Morgenerstaufgang des Sirius“) nicht fest im Sonnenjahr lag! Es verschiebt sich vom etwa 14. Juni um 4200 BC zum 5. Juli um 1550 BC bis zum 19. Juli um die Zeitenwende bis zum 5. August heute. Spätestens im Neuen Reich kam dieser Indikator also bereits zu spät zur Ankündigung der Flut! Somit musste der Fluttermin doch wieder berechnet werden und einem künstlichen (aber einfachen, mondlosen) Kalender waren Tür und Tor geöffnet.
(3) Ich muss jetzt eine kleinen Abstecher in die Astronomie machen: Was bitte ist der Morgenerstaufgang?
Es gibt ein Band um den Himmel, das die Babylonier „Weg der Götter“ nannten. Diese „großen Götter“ waren die sichtbaren 5 Planeten sowie Sonne und Mond, wie es in dieser Form dann auch die Griechen und Römer übernommen haben. Sie bewegen sich in teilweise rätselhaften Schleifen auf diesem Band, die Sonne allerdings relativ „gradlinig“. Diese sehr genaue Spur der Sonne nennt man Ekliptik; im weiteren Sinne auch das ganze besagte Band. Es gibt aber noch weitere Himmelslichter, die sich sinnigerweise NICHT bewegen (die Babylonier nannten sie Igigi (bzw. Annunaki), die „kleinen Götter“).Auf dem Ekliptik-Band wurden diese Sterne nun zu Sternzeichen-Bildern zusammengefasst: Widder, Stier, Krebs,... Der Sinn: Man kann hiermit die Position der Planetengötter sehr genau beschreiben.
Nun kann man es zwar nicht wirklich sehen, wenn die Sonne in so einem Sternbild steht, allerdings ergibt sich kurz vor Sonnenaufgang die Situation, dass ein Sternbild „aufgeht“ - und dann die Sonne folgt. Das ist in südlichen Wüsten morgens um 5 Uhr ein Aufsehen erregendes Schauspiel. Die Dämmerung ist ja nur sehr kurz und der klare Himmel voller Sterne... Wir Mitteleuropäer können das eher nicht nachvollziehen... Es gibt aber in Südfrankreich und Spanien auch solche Sommernächte...
So, wenn also ein Stern, der bisher unter dem Horizont stand (also erst bei Tageslicht unsichtbar aufging), zum ersten mal sichtbar vor der Sonne aufgeht, nennt man das eben „Morgenerstaufgang“.
Der Sirius gehört nun zwar zu keinem Ekliptiksternbild , aber er ist nahe dran – und er ist insbesondere sehr hell.
Heutzutage findet dieses Ereignis um den 5. August statt (Um 139 CE war es der 19. Juli – dieses Datum wird auch heute gerne noch irrtümlich genannt!) . Vor 5000 Jahren fand es aber Mitte Juni statt, also gerade rechtzeitig, um im Nildelta als „Flutwarnung“ zu dienen.
(4) Der erste Tag des ägyptische Sonnenkalenders (1. Thot) läuft nun bekanntlich durch das ganze Jahr und trifft – wie oben berechnet – nach 1500 Jahren auf das gleiche tropische Datum (gregorianischer Kalender). Er trifft dann aber nicht den Sothisaufgang! Denn dieser verschiebt sich, wenn auch gering, entsprechend der „Präzession des Äquinoktiums“ um ca 14 Tage in 1000 Jahren; der Sirius hat als sehr naher Stern aber auch eine Eigenbewegung, und über einen genauen Wert dieser „Sothis-Periode“ gibt es deshalb regelmäßig Streitigkeiten. Der „kanonische“ Wert ist 1460 Jahre; der Wert nur aus der Präzession 365,256 / 0,256 = 1427 Jahre. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen...
(5) Warum soviel Theater um diese Periode? Nun, das Ereignis, dass der 1. Thot mal wieder auf den Siriusaufgang fällt, ist historisch gut dokumentiert, aber natürlich nicht in abendländischen Kalenderdaten. Wenn wir die Sothisperiode genau kennen, können wir aber diese Termine zur Deckung bringen:
1599 CE – 139 CE - 1322 BCE – 2782 BCE – 4242 BCE …
Man vermutet auch gerne, dass der ägyptische Sonnenkalender zu einem dieser Zeitpunkte eingeführt worden ist…
Allerdings beruht all dies auf der Annahme, dass der Sonnenkalender niemals reformiert worden ist, also seine 365 Tage strikt durchgehalten wurden. Dies ist in der Tat möglich. Allerdings wissen wir auch, wie die Pharaonen oft mit der Wahrheit umgegangen sind....
Sothis-Zyklus ? Wikipedia
http://apronbadger.ap.funpic.de/sternfreunde/pdf/nil.pdf
http://www.elcappuccino.ch/kaffeesatz/chrono/chrono_sothiszyklus.html