Müssen wir mal wieder alles neu bewerten?

Man muss vielleicht andere Akzente setzen, aber ich denke nicht, dass wir die Prinzipien der Sesshaftwerdung grundsätzlich neu bewerten müssen.

Im Artikel wird ja erwähnt, dass es vermutlich vor allem der Fischreichtum im Amnya-Fluss war, der die Menschen dazu bewegte, dort eine befestigte Siedlung anzulegen. Es ging also ähnlich wie bei der Sesshaftwerdung im Fall von Landwirtschaft um die Nutzung und Verteidigung einer mehr oder weniger ortsgebundenen Ressource.

Und die im Artikel erwähnte Vorstellung, es habe vor Entwicklung von Landwirtschaft und Viehzucht generell kaum Konflikte gegeben, war imho noch nie wirklich glaubwürdig. Es gibt ja auch bei Tieren wie z. B. bei Wildhunden oder Schimpansen territoriale Konflikte, bei denen diese ein gutes Jagd- oder Sammelrevier gegen andere Gruppen verteidigen.
 
Die Wissenschaft dürfte im Großen und Ganzen vorsichtig genug sein, als dass sie etwas neu bewerten müsste. Catalhöyük, Göbekli Tepe, jetzt eben Amnya – es hat seine Gründe, dass die Presseerklärung von einem "bisher älteste[n]" Fund spricht. Was bedeutet, dass jederzeit ein noch älterer denkbar ist.

Eher schon sind die Medien, auch die populärwissenschaftlichen, ein Problem. Unverrückbare Daten tauchen nur bei ihnen auf. Vor ein paar Jahren wärmte sogar mal ein 'Spiegel'-Sonderheft den Mythos auf, die ältesten nachgewiesenen Siedlungen der Welt lägen im fruchtbaren Halbmond, obwohl das gleiche Heft (!) auch einen Artikel über Catalhöyük beinhaltete.
 
Eher schon sind die Medien, auch die populärwissenschaftlichen, ein Problem.
Die obige Meldung hat es sogar in die Tagesschau geschafft.


Vor ein paar Jahren wärmte sogar mal ein 'Spiegel'-Sonderheft den Mythos auf, die ältesten nachgewiesenen Siedlungen der Welt lägen im fruchtbaren Halbmond, obwohl das gleiche Heft (!) auch einen Artikel über Catalhöyük beinhaltete.
Gehört denn Catalhüyük nicht dazu, quasi als nordöstlicher Mondrand?
 
Die obige Meldung hat es sogar in die Tagesschau geschafft.
Das meinte ich nicht. Es ist nur leider so, dass die Medien meist ein völlig falsches Bild davon zeichnen, wie Wissenschaft funktioniert. Oft unabsichtlich, manchmal aber auch durchaus absichtlich, wird der Eindruck erzeugt, als widersprächen sich Wissenschaftler andauernd. Und als müssten die Karten andauernd neu gemischt werden. Die haben uns alle gründlich damit infiziert.
Gehört denn Catalhüyük nicht dazu, quasi als nordöstlicher Mondrand?

Es gibt offenbar keine ultimativ anerkannte Definition, aber jedenfalls reicht keine mir bekannte so weit nach Nordwesten. Niemand lässt die Außenseite der Mondsichel wohl weiter nordwärts reichen als bis zum Taurus, 600 km Luftlinie südöstlich von Catalhüyük, was auch insofern Sinn ergibt, als es sich ja um ein durch klimatische Bedingungen definiertes Gebiet handelt, die Folge seiner Geographie sind. Es ist der Taurus, der für den Regen im Tigris-Becken sorgt, nördlich und westlich davon geht es anders zu.

Und James Mellaarts Entdeckung von Catalhüyük machte seinerzeit deshalb Furore, weil es sich um den damals ältesten Beweis einer Siedlung außerhalb des Halbmonds handelte.
 
Die Definition scheint heutzutage weiter als früher zu sein. Hier eine Karte aus Wikipedia:

Fertile Crescent - Wikipedia

Çatalhöyük – Wikipedia

Fertile_Crescent_7500_BC_DAN.png
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Grafik scheint aus der norwegischen Wikipedia zu kommen, leider ohne Quellenangabe, soweit ich das ersehen kann. Vielleicht ist bei der Übertragung der Kontext verloren gegangen. Möglicherweise geht es gerade darum zu zeigen, wie James Breasted von der Realität eingeholt wurde.

In meinen Augen ergibt diese weite Fassung jedenfalls keinen Sinn (was natürlich nichts heißen muss). Breasted prägte den Begriff des fruchtbaren Halbmonds just unter Bezugnahme auf die besonderen klimatischen Bedingungen der oben mit dunkelgrüner Linie markierten Region, die dahingehend besonders ist, dass sie (trotz der vielen Wüsten in unmittelbarer Nachbarschaft) zumindest halbjährig kühl und regenreich genug ist, um dort Feldfrüchte anzubauen.

Ich habe es nicht mehr genau im Kopf, aber im Prinzip meinte er, dass die ersten urbanen Zivilisationen gerade dort entstanden seien, weil einerseits das Leben hart genug war, dass die Menschen sich zusammentun mussten, anderseits aber nicht so hart, dass ihre Zusammenschlüsse nur mit dem Überlebenskampf beschäftigt gewesen wären. Im Gegensatz dazu nahm er bspw. für die gemäßigten Breiten an, dass der Nahrungs- und Brennstoffbedarf im Winter dem Wachstum neolithischer Ansiedlungen sehr enge Grenzen gesetzt und die Entwicklung komplexer Gemeinwesen abgewürgt hätte. Solche Gemeinwesen seien dort erst möglich geworden, nachdem der Mensch sozusagen das zivilisatorische Tutorial fruchtbarer Halbmond abgeschlossen hatte.
 
In der Version oben ist außerdem Mesopotamien bewusst ausgespart. Mag sein, dass die Bewässerungswirtschaft erst später kam, aber der Begriff wird dadurch verfälscht.
Der zitierte Artikel zeigt auch ein anderes Bild.
 

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