Partisanenkrieg im Ersten Weltkrieg?

1. Quellenkritik? Kühl?

Siehe oben.

Sofern das tatsächlich aus Tagebüchern zusammengetragen wurde (kann ich selbst so nicht feststellen, in dieser Hinsicht muss ich mich darauf verlassen, dass Keller Kühl einigermaßen authentisch wiedergibt), halte ich das für einigermaßen realistisch.

Sofern auf etwaigen Regiments-Tagebüchern der beteiligten Einheiten beruhend, wird man voraussetzen dürfen, dass dort auch die Verlustmeldungen der Regimenter an die jeweiligen Kommandierenden festgehalten wurden, sofern auf privaten Kriegstagebüchern einzelner Soldaten beruhend wird das eine solide Basis sein, um einzelne Verluste namentlich zu bestätigen, sofern da Soldaten einzelne ihnen namentlich bekannte Kameraden als Verluste auflisten.

Weder in nicht mit der Intention der Veröffentlichung geschriebenen privaten Tagebüchern, noch in Verlustmeldungen der beteiligten Truppen an die übergeordneten Kommandostellen, gab es besonderen Anlass deutsche Verluste einfach zu erfinden oder grottesk zu übertreiben.

Kühls Intention selbst ist natürlich tendenziös gwesen, geht ja bereits aus dem Titel seiner Schrift hervor, deswegen bin ich gerade bei seiner Dunkelziffer, im Besonderen was die Verletzten betrifft durchaus auch skptisch.
Sofern er sich für den Rest allerdings auf authentisches Material aus Kriegstagebüchern stützen konnte, die einfach nur Ereignisse und Wahrnehmungen festhielten und nicht in diesem Sinne in die Gattung der Rechtfertigungsliteratur gehörten, sehe ich keinen besonderen Grund die Zahl abzüglich der Dunkelziffer nicht für einigermaße authentisch zu halten.

Insofern mir Kühl nicht vorliegt, kann ich zu dessen Methodik natürlich nichts sagen und nicht näher prüfen, wie dicht da Quellenbezug zu entsprechenden Kriegstagebüchern tatsächlich gegeben ist.
Ich kann mir allerdings bei aller berechtigten Kritik an Keller nicht vorstellen, dass da vollkommen substanzloser Bullshit völlig unkritisch übernommen wurde.
Die Schlussfolgerungen die Keller zieht, mögen reichlich schräg sein und nichts taugen, aber den Anwurf seine gesamte Argumentation wissentlich und absichtsvoll auf offensichtliche Fälschungen was Quellenmaterial angeht, abzustellen, den würde ich ohne weiteres nicht machen wollen.

2. ganz offensichtlich nicht, allein schon aufgrund der Befehlsstufen

Nein.

"Blinde Zerstörungswut" = unkontrollietrolliertes, unkoordiniertes, wahllos-zufälliges Zerstören und Morden einer außer Kontrolle geratenen Soldateska, ist offensichtlich etwas anderes als ein "Exempel" zu statuieren = orchestriertes planvolles Vorgehen.

Das widerspricht sich offensichtlich.

Ich zweifle ja an dieser Stelle nicht die Gewalttaten an oder ähnliches, bin nur der Meinung, man müssste sich schon für eine Version entscheiden.

a) Frustrierte Soldaten handeln rein gefühlsbetont aus Eigeninitiative, geraten vollständig außer Rand und Band und das Ganze artet in "blinde Zeerstörungswut" und entsprechende Verwüstungen aus, ohne dass dabei ein Muster zu erkennen wäre, nach dem potentielle Ziele ausgesucht wurden etc.

b) Es wurde mit kühlem Kopf und in verbrecherischer Absicht beschlossen die Bevölkerung für irgendetwas (tatsächlichs oder eingebildetes) planvoll zu "bestrafen" und es wurde dementsprechend planvoll danach gehandelt.
Dann kann man meines Erachtens nach aber nicht mehr von "blinder Zerstörungswut" sprechen, sonden dann ist das ein geplantes Massaker gewesen.

Für eine der beiden Lesarten müsste sich Ugh aber entscheiden, dann könnte man erörtern, was dafür und was dagegen spricht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn ich mir die Gemengelage in der deutschen Armee in Belgien 1914 vergegenwärtige, drängt sich mir der Eindruck auf, dass es durchaus keiner Provokationen oder Franctireurs-Aktivitäten der Zivilbevölkerung bedurfte, um eine Spirale von Gewalt zu aktivieren. Franctireur-Aktivitäten galten bereits als erwiesen. Man rechnete damit auf Franctireurs zu treffen und die Zivilbevölkerung wurde bereits durch diesen Filter wahrgenommen, alles Erlebte schien mit dem Deutungs-Muster Franctireurs erklärbar und Franctireurs wurden dann auch in großer Zahl aufgegriffen.

Relativ bald nach der Besatzung Belgiens erschienen Artikel, die Belgien belasteten. Belgien sei nur dem Namen nach noch neutral gewesen. Briten und Franzosen hätten Zugang zu belgischen Plänen und Kartenmaterial bekommen, hätten Manöver dort veranstalten können wie im eigenen Land. Man habe lediglich ein Durchmarschrecht von Belgien gefordert, dem hatte Belgien sich widersetzt.

Es wurde Belgien ein Widerstandsrecht häufig generell abgesprochen, und Belgien als nur nominell neutraler Staat dargestellt, der eindeutig Partei gegen das DR ergriff, und der nach dem Grundsatz "Wer nicht für uns ist gegen uns" und mit äußerster Härte zu behandeln war, und der mit seinem Volkskrieg der Franctireurs dieses Schicksal verdiente.

Wenn eine Zivilbevölkerung bereits von Anfang an durch den Filter "Franctireurs" betrachtet wird, und unter Generalverdacht gestellt wird, Freischärler zu sein, dann kann man auch davon ausgehen, dass damit auch die Zurückhaltung gegenüber einer Zivilbevölkerung, der man feindliche Absichten unterstellte, beeinträchtigt wurde. In dem Maße wie die Zurückhaltung gegenüber der Zivilbevölkerung durch die Franctireur-Phobie abnahm, waren Franctireurs- Tätigkeiten sehr gut geeignet, Maßnahmen gegen Zivilisten zu rechtfertigen und billigend in Kauf zu nehmen, dass der "brutalen Logik des Krieges viel unschuldiges Blut zum Opfer fiel".
 
Also diskutieren wir jetzt, ob es blinde, halbblinde oder einäugige Zerstörungswut war.
Die nächste Nebelkerze, vom Hölzchen zum Stöckchen.
Aber wieder wortreich erklärt.
 
Wenn ich mir die Gemengelage in der deutschen Armee in Belgien 1914 vergegenwärtige, drängt sich mir der Eindruck auf, dass es durchaus keiner Provokationen oder Franctireurs-Aktivitäten der Zivilbevölkerung bedurfte, um eine Spirale von Gewalt zu aktivieren. Franctireur-Aktivitäten galten bereits als erwiesen. Man rechnete damit auf Franctireurs zu treffen und die Zivilbevölkerung wurde bereits durch diesen Filter wahrgenommen, alles Erlebte schien mit dem Deutungs-Muster Franctireurs erklärbar und Franctireurs wurden dann auch in großer Zahl aufgegriffen.

Die Einschätzung, dass es realer Aktivitäten für das Auslösen einer Gewaltspirale nicht unbedingt benötigte teile ich durchhaus, aber das sagt ja nichts über das tatsächliche Ausmaß belgischen Widerstands aus.

Und gerade Leuven halte ich in diesem Zusammenhang für durchaus interessant, eben weil, wie weiter oben schon erwähnt sich die Gewalteskalation nicht unmittelbar nach der Besetzung der Stadt ereignete, sondern erst Tage danach, nachdem es erstmal einigermaßen ruhig war.

Man sollte doch annehmen, wenn da wirklich aus reiner Panik und Glauben an die Franctireur-Erzählung Gewalt ausgebrochen wäre, dass das umittelbar nach Einrücken der Truppen nach Leuven passiert wäre, nicht nachdem man bereits seit fast einer Woche in der Stadt saß und man nachdem sich tagelang keine Franctireurs irgendwo hatten blicken lassen, wohl Anlass gehabt hätte, nervlich etwas runter zu kommen und nicht in jedem Fenster den Schatten des pösen pösen Francois zu sehen, der nur auf die Gelegenheit wartet.
 
Wenn eine Zivilbevölkerung bereits von Anfang an durch den Filter "Franctireurs" betrachtet wird, und unter Generalverdacht gestellt wird, Freischärler zu sein, dann kann man auch davon ausgehen, dass damit auch die Zurückhaltung gegenüber einer Zivilbevölkerung, der man feindliche Absichten unterstellte, beeinträchtigt wurde. In dem Maße wie die Zurückhaltung gegenüber der Zivilbevölkerung durch die Franctireur-Phobie abnahm, waren Franctireurs- Tätigkeiten sehr gut geeignet, Maßnahmen gegen Zivilisten zu rechtfertigen und billigend in Kauf zu nehmen, dass der "brutalen Logik des Krieges viel unschuldiges Blut zum Opfer fiel".
nicht nur das @Scorpio - hattest die diesen Beitrag von @silesia gesehen? #510
 
Die nächste Nebelkerze, vom Hölzchen zum Stöckchen.
Aber wieder wortreich erklärt.
Ja, typisch für @Shinigami sind z.B. solche Aussagen:

"muss ich mich darauf verlassen, dass Keller Kühl einigermaßen authentisch wiedergibt"


um im gleichen Beitrag wenige Zeile später zu sagen:

"Kühls Intention selbst ist natürlich tendenziös gwesen"


Das ist eine Null-Aussage, denn was nutzt es, wenn Keller Kühl authentisch wiedergibt, wenn Kühl tendenziös berichtete?

Das passiert bei @Shinigami öfters. Er windet sich wortreich und sagt nichts. Was @Sepiola und @silesia gesagt bzw. zitiert haben, ignoriert er oder geht nur auf Unwesentliches ein. Ich habe schon lange aufgegeben, mit ihm zu diskutieren.
 
Man rechnete damit auf Franctireurs zu treffen und die Zivilbevölkerung wurde bereits durch diesen Filter wahrgenommen, alles Erlebte schien mit dem Deutungs-Muster Franctireurs erklärbar und Franctireurs wurden dann auch in großer Zahl aufgegriffen.

Beunruhigend war aber die Anwesenheit junger und kräftiger Burschen, die nach Beobachtung eines deutschen Majors »unter gänzlicher Abwesenheit von Frauen und Kindern [...] auf Stühlen, Bänken und auf der Erde vor den Häusern saßen und uns höhnisch lächelnd anschauten«. Der Reservist Kleinhans war in einer Bäckerei einquartiert und fand es merkwürdig, dass der Bäckermeister niemandem erlaubte, ins Obergeschoss zu gehen und »später sehr viele Speisen nach oben getragen wurden«.
(Keller, S. 134, zur Situation in Andenne)​

Wie beunruhigend wäre es erst gewesen, wenn die Einwohner beim Anblick der deutschen Soldaten nicht gelächelt, sondern grimmig dreingeschaut hätten?
 
Zum Großteil gab es noch nicht mal die. In Dalhain jedenfalls nicht. Man hat dort aus Wut (und Mordlust?) in der Zivilbevölkerung gewütet.

Wut? Ja, mit Sicherheit! Aber Mordlust?

Aus dem 2. Weltkrieg kennen wir Berichte, dass Einheiten vor dem Einsatz regelrecht heiß gemacht und aufgehetzt wurden, auch dass relativ junge Leute plötzlich Herren über Leben und Tod wurden, außerdem war reichlich Alkohol im Spiel, und es kam zu surrealistischer Barbarei.

Trotzdem waren doch selbst unter hartgesottenen Kriegsverbrechern die Typen, die das ganz locker wegsteckten, die vielleicht noch auf dem Weg in den Heimaturlaub damit prahlten, wie viele Juden sie umgebracht hatten- eher eine Minderheit.

Es gab Täter, die sich das Leben nahmen, es gab Nervenzusammenbrüche, Leute die verrückt wurden, die sich umbrachten.

Die Massaker in Belgien geschahen nicht im Bewusstsein von Allmacht, auch wenn de facto das deutsche Militär Herr über Leben und Tod in Löwen oder Dinant war.

Die Taten geschahen aber in der Regel nicht im Bewusstsein Herr über Leben und Tod zu sein, nicht unter dem Eindruck "und mir kann sowieso keiner". Im Gegenteil! Sie geschahen aus Paranoia, aus Unsicherheit, unter Stress und durchaus auch aus einem Gefühl der Angst, der Bedrohung heraus.

Ob diese Gefühle objektiv berechtigt waren, ist eine ganz andere Frage, aber subjektiv war das Gefühl, der Bedrohung durch Franctireurs vorhanden. Menschen, die unter Stress stehen, sich bedroht fühlen, die Angst haben und die vielleicht auch freien Zugang zu Alkohol haben, reagieren oft mit Aggression und sind dabei durchaus zu großen Grausamkeiten fähig.
 
Die Taten geschahen aber in der Regel nicht im Bewusstsein Herr über Leben und Tod zu sein, nicht unter dem Eindruck "und mir kann sowieso keiner". Im Gegenteil! Sie geschahen aus Paranoia, aus Unsicherheit, unter Stress und durchaus auch aus einem Gefühl der Angst, der Bedrohung heraus.

Das dürfte eine Annahme sein.

Und im Falle von Dalhain dürfte sie nicht zutreffen, es sei denn, französische Krankenschwestern und Dorfpfarrer wirken besonders bedrohlich.
 
Die Einschätzung, dass es realer Aktivitäten für das Auslösen einer Gewaltspirale nicht unbedingt benötigte teile ich durchhaus, aber das sagt ja nichts über das tatsächliche Ausmaß belgischen Widerstands aus.

Und gerade Leuven halte ich in diesem Zusammenhang für durchaus interessant, eben weil, wie weiter oben schon erwähnt sich die Gewalteskalation nicht unmittelbar nach der Besetzung der Stadt ereignete, sondern erst Tage danach, nachdem es erstmal einigermaßen ruhig war.

Man sollte doch annehmen, wenn da wirklich aus reiner Panik und Glauben an die Franctireur-Erzählung Gewalt ausgebrochen wäre, dass das umittelbar nach Einrücken der Truppen nach Leuven passiert wäre, nicht nachdem man bereits seit fast einer Woche in der Stadt saß und man nachdem sich tagelang keine Franctireurs irgendwo hatten blicken lassen, wohl Anlass gehabt hätte, nervlich etwas runter zu kommen und nicht in jedem Fenster den Schatten des pösen pösen Francois zu sehen, der nur auf die Gelegenheit wartet.



Keller hält unbeabsichtigten Beschuss von deutschen Einheiten für unwahrscheinlich, da vor allem neu angekommene Truppen im Südosten beschossen wurden.

Ich frage mich, wie er das so kategorisch ausschließen will. Es ist andernorts nachweislich immer wieder vorgekommen. Es sind zahlreiche Einheiten durch Löwen durchmarschiert. Am 25. August 1914 standen die Deutschen schon 70-80 km westlich. Die noch intakte belgische Armee setzte von Antwerpen aus zu einem Gegenangriff an, bei dem sie bis Tildonk vorrückten, nur 8 km von Löwen entfernt. Die Deutschen fluteten daraufhin nach Löwen zurück, und gleichzeitig kam die 17. Reserve Division in Löwen an.

Da kann man davon ausgehen, dass sich Verbände vermischten, Soldatzen versprengt wurden. Auch waren die Truppen noch wenig kriegserfahren. Wie sollte da ausgeschlossen werden, dass eine Einheit nicht genau weiß, was neben ihr liegt, dass man mal mit einem MG das Gelände abstreicht, dass Soldaten Feuerschutz geben wollen, dass eine Salve ungezielt abgefeuert wird, dass man die Reichweite eines Geschosses unterschätzte, dass Soldaten getroffen wurden, ohne dass man genau sagen konnte woher der Schuss kam.

Dann ist natürlich auch zu bedenken, dass wenn sich Einheiten selbst beschießen, es 1. enorm viel böses Blut in der Truppe gibt und 2. mit ziemlicher Sicherheit einen Rattenschwanz von Untersuchungen, Berichten, Zeugenvernehmungen, bürokratischem Schriftverkehr, schlimmstenfalls ein Kriegsgerichtsverfahren da ist eigentlich auch logisch, dass es weitaus bequemer ist, Franctireurs für erschossene Soldaten verantwortlich zu machen, statt ballistische Untersuchungen anzustellen, bei denen womöglich die Nachbarkompanie belastet wird.

Man muss ja auch bedenken, was das für eine Einheit bedeutet, wenn plötzlich der Verdacht oder der Vorwurf im Raum steht, dass sie unwissentlich Kameraden erschossen hat. Bei der unübersichtlichen Frontlage und den Einheiten, die über Löwen marschierten, halte ich es keineswegs für so unwahrscheinlich, dass friendly fire vorkam und auch, dass man da lieber summarisch Franctireurs angab, statt sich einer aufwändigen Untersuchung anzusetzen, die natürlich auch fatale Konsequenzen haben konnte.
 
Das dürfte eine Annahme sein.

Und im Falle von Dalhain dürfte sie nicht zutreffen, es sei denn, französische Krankenschwestern und Dorfpfarrer wirken besonders bedrohlich.

Ich will mich auch nicht küchen- oder täterpsychologisch allzu weit aus dem Fenster lehnen. Immerhin haben wir eben die Aussagen, die Warnungen vor Franctireurs, die Tagesbefehle die Verlautbarungen, die Berichte im Weißbuch, die Memoirenliteratur, die doch zumindest schlaglichtartig Einblicke in die Mentalität und Psychologie der deutschen Armee 1914 gewähren, und die zumindest die Annahme auch plausibel erscheinen lässt.
 
Es gibt im Stadtarchiv Delitzsch einen Brief eines Unteroffiziers des 2. Magdeburger Infanterie-Regiment Nr. 27 (14. Infanteriebrigade, an dem Tag unter direktem Kommando von Ludendorff) über den Angriff auf Retinne, der vielleicht typisch ist für die Vorgänge anfangs August und zeigt, dass man ein Problem mit friendly fire hatte.

Nachts vom 5. zum 6. August um 12 1/2 Uhr wurde zum Abmarsch Befehl gegeben. Wir zogen durch das fast vollständig niedergebrannte Dorf Soumagne und überschritten die Bahn am Wegekreuz Soumagne bis Melen und Retinne – Hervé. Bei einem Wirtshause vor dem Dorfe Sur Fosse wurde uns wiederum durch einen Feuerüberfall der belgischen Vorposten ein energisches Halt geboten. Nach Abgabe einiger Schüsse durch eine unserer Batterien zogen sich jedoch die Vorposten zurück. Die Chaussee vor dem Wirtshause war jedoch durch Aufreißen und Schaffung starker Hindernisse (Möbel waren quer über den Weg gelegt) verbarrikadiert. Rechts und links konnte man infolge der vielen dichten Hecken, wie sie in Belgien üblich sind, auch nicht weiterkommen. Nach Wegräumen der Hindernisse gelangten wir nach dem Dorfe Sur Fosse; wir kamen in ein heftiges Kreuzfeuer, wobei wir nicht unterscheiden konnten, ob es vom Feinde oder von unseren eigenen Truppen herrührte. Wir stürmten trotzdem - unsere Offiziere voran - vorwärts und gelangten vor dem Dorfe Retinne in eine Mulde, wo das Kreuzfeuer noch heftiger wurde. Um festzustellen, ob wir es mit unseren eigenen Leuten zu tun hatten, wurde während des Kampfes der Feldruf: 'Der Kaiser' ausgegeben. Dadurch erkannten die in unserer Nähe befindlichen deutschen Truppen, daß sie die eigenen Truppen beschossen hatten. Natürlich stellten sie nun sofort das Feuer auf uns ein und richteten es auf Retinne. Das Dorf Retinne liegt zum Teil auf einer Anhöhe, zum Teil am Abhang dieser Anhöhe. Inzwischen war es 8 Uhr morgens geworden (6. August). Des schlechten Wetters wegen war es noch ziemlich dämmerig. Unser Vormarsch und die Kämpfe hatten sich in solcher Schnelligkeit und Aufregung abgespielt, daß wir mit unseren Gedanken in Unordnung geraten waren, so daß jetzt viele von uns nicht wußten: ist es Morgen oder Abend? Wir sammelten uns auf einer im Dorfe auf der Höhe liegenden Wiese, wo inzwischen bereits unsere Artillerie eingetroffen war. Diese eröffnete auf die fliehenden Belgier ein wirkungsvolles Feuer, und der Feind hatte hierbei nach Aussage der später auf der Festung Lüttich gefangengenommenen Belgier große Verluste erlitten. Wir folgten dem fliehenden Feind in der Richtung auf Lüttich. Der Einmarsch in Belgien, namentlich die Kämpfe vor und in Retinne, hat unserem Regiment sehr hohe Verluste gebracht."

4. Der Erste Weltkrieg 1914-1918 - Seite 5

Auf belgischer Seite kämpften reguläre Einheiten. Bataille de Retinne — Wikipédia

Nachdem die kämpfende Truppe weitergezogen war, wurden am 6.8. in Retinne 40 Zivilisten getötet und das Dorf zerstört. Ähnlich in weiteren 8 Dörfern in der Gegend:
Barchon, Battice, Blegny, Fléron, Herve, Melen - Labouxhe, Soumagne, Louveigné.
 
Nachdem die kämpfende Truppe weitergezogen war, wurden am 6.8. in Retinne 40 Zivilisten getötet und das Dorf zerstört. Ähnlich in weiteren 8 Dörfern in der Gegend:
Barchon, Battice, Blegny, Fléron, Herve, Melen - Labouxhe, Soumagne, Louveigné.

Das ist eben auch typisch. Ein paar zerstörte Dörfer oder tote Zivilisten sind dem Chronisten kaum eine Erwähnung wert.
 
Dorfpfarrer wirken besonders bedrohlich.

Ja, die eignen sich bekanntlich besonders für Verschwörungstheorien. Bei Horne/Kramer (2018) ist darüber einiges zu lesen. Kleine Kostprobe (S. 158):

"Zum Mythenkomplex des Franktireurs gehörten auch spezifischere Legenden. Besonders auffallend waren Geschichten, die davon handelten, wie Priester in Belgien, Frankreich und Elsaß-Lothringen ihre Gläubigen zu bewaffnetem Widerstand aufgestachelt hatten. Die deutschen Behörden räumten schließlich ein, daß solche Geschichten fast jeder Grundlage entbehrten. Doch die Legende war sehr wirksam, weil sie eine bestimmte Version des Volkskriegs herausdestillierte - eine katholische Bevölkerung, die zu fanatischer Gewalt imstande war, und vom autoritären Klerus nach Belieben manipuliert werden konnte. Deutsche Tagebuchschreiber bekundeten häufig ihre Feindseligkeit gegenüber Katholiken und eine pathologische Angst vor Priestern. Ein Soldat aus Hamburg schilderte den ersten belgischen Priester, dem er begegnete, als 'monsier le curé, diese unheimliche Gestalt Belgiens'.
Der Mythos entstand bereits in der ersten Phase der Invasion. Am 5. und 6. August wurden die Priester von Olne und Forêt in der Nähe von Lüttich getötet, und der Kirchturm von Visé, von dem aus angeblich Signale zum Fort de Pontisse ergangen waren, wurde am 10. August niedergebrannt. Als der allgemeine Vormarsch begann, galten die Priester bereits als Rädelsführer des Widerstands. General von Beseler schrieb am 16. August an seine Frau: 'Das Betragen der Belgier ist dagegen unqualificierbar; sie zeigen sich nicht als civilisiertes Volk, sondern als eine Räuberbande; eine schöne Folge der belgischen Pfaffenherrschaft.' Die überwiegend protestantische 1. Armee mißhandelte und erschoß westlich der Gette mehrere Geistliche unter der Beschuldigung, sie hätten einen Angriff der Einwohner auf die Deutschen organisiert und sich vom Kirchturm aus mit dem Feind verständigt. [...]" (Die Beispiele gehen noch einige Seiten weiter...)
 
Keller hält unbeabsichtigten Beschuss von deutschen Einheiten für unwahrscheinlich, da vor allem neu angekommene Truppen im Südosten beschossen wurden.

Ich hatte ja oben schon eingeräumt, dass ich nicht weiß, wo genau innerhalb des Stadtgebiets geschosse wurde, und inwiefern Kellers Bschreibung diesbezüglich korrekt ist.

Insofern Truppen, wenn sie aus südöstlicher Richtung kamen, aus Richtung der Eisenbahntrasse Lüttich-Leuven gekommen wären, hätte es für Truppen in Lüttich selbst kaum Anlass gegeben sie bei Ankunft für Feindtruppen zu halten, insofern ja der gesamte deutsche Nachschub aus Richtung Lüttich über genau diese Route kam, mussten die deutsche Truppen in und um Leuven wissen, dass dieses Gebiet sicher in deutscher Hand war.

Am 25. August 1914 standen die Deutschen schon 70-80 km westlich. Die noch intakte belgische Armee setzte von Antwerpen aus zu einem Gegenangriff an, bei dem sie bis Tildonk vorrückten, nur 8 km von Leuven entfernt. Die Deutschen fluteten daraufhin nach Löwen zurück, und gleichzeitig kam die 17. Reserve Division in Löwen an.

Aber den ankommenden Truppen war genau so bekannt, dass Leuven selbst in deutscher Hand war.
Die belgischen Truppen kämpften sich zwar bis 8 Km an die Stadt heran, aber in der Stadt selbst und auch in der direkten Umgebung wurde nicht gekämpft.

Das aus Richtung Westen sich zurückziehende deutsche Truppen fälschlich für Belgier/Entetetruppen, whatever gehalten wurden, kann ich mir ebenso schwer vorstellen, einmal weil die rückwärtigen Kommandostellen in Leuven sicherlich die Neuankömmlinge über die Lage und die Standorte der westlich/nordwestlich Leuven stehenden deutschen Truppen informierten, zum Anderen weil die sich auf Leuven zurückziehenden Truppen, sicherlich keine Anstalten machten die Stadt zu beschießen, was der Feind zweifellos getan hätte und weil sicherlich auch immer wieder Melder zwischen den Stelle in Leuven und den sich auf Leuven zurückziehenden Truppen zwecks weitestmöglicher Koordinierung des Rückzugs verkehrten.

Friendly fire, weil gleichzeitig verschiedene Verbände aus verschiedenen Richtungen in Leuven eintrafen erscheint mir uwahrscheinlich.
Im Übrigen wenn von Leuven aus vor Leuven eintreffende Truppen unter Beschuss genommen worden wären weil man sie für denn Feind hielt, wäre das sicherlich auch unter Verwendung Artillerie passiert und spästestens hier wäre klar gewesenn, dass das keine "Franctireurs" sein konnten.

Man muss ja auch bedenken, was das für eine Einheit bedeutet, wenn plötzlich der Verdacht oder der Vorwurf im Raum steht, dass sie unwissentlich Kameraden erschossen hat. Bei der unübersichtlichen Frontlage und den Einheiten, die über Löwen marschierten, halte ich es keineswegs für so unwahrscheinlich, dass friendly fire vorkam und auch, dass man da lieber summarisch Franctireurs angab, statt sich einer aufwändigen Untersuchung anzusetzen, die natürlich auch fatale Konsequenzen haben konnte.

Das man bei der unübersichtlichen Lage sicherlich vermeiden wollte, die eigenen Truppen in die Verantwortung zu nehmen, wenn friendly fire vorkam, weil es eben einmal vorkommen konnnte, da würde ich dir folgen.
Aber warum dafür "Franctireurs" erfinden?

So lange es nur um die Militärjustiz und Verluste ging, konnte man sich ja intern darauf einigen, das ganze auf reguläre Feindeinwirkung zu schieben, insofern Truppen der Entente in 8 Km Entferung standen.

Verletzungen mit späterer Todesfolge bei Rückzugsgefechten, Todesfälle bei Vorausabteilungen mit dem Zweck die Lage vor Tildonk für einen gegenangriff zu sondieren, Erfundene Raids von kleineren Verbänden der Ententetruppen gegen die Vororte von Leuven und lokale Zusammenstöße dort...............

Für die Militärjustiz wären dass sicherlich hinreichend plausible Erklärungen für Verluste gewesen, zumal man voraussetzen wird dürfen, dass die Militärjustiz selbst sich der komplizierten Lage an der Werstfront bewusst und sicherlich nicht unbedingt scharf darauf war, die eigenen Truppen wegen Fehlern in der unübersichtlichen Situation zu belangen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das man bei der unübersichtlichen Lage sicherlich vermeiden wollte, die eigenen Truppen in die Verantwortung zu nehmen, wenn friendly fire vorkam, weil es eben einmal vorkommen konnnte, da würde ich dir folgen.
Aber warum dafür "Franctireurs" erfinden?

So lange es nur um die Militärjustiz und Verluste ging, konnte man sich ja intern darauf einigen, das ganze auf reguläre Feindeinwirkung zu schieben, insofern Truppen der Entente in 8 Km Entferung standen.

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Die Franctireurs musste man ja gar nicht mehr erfinden. Deren Existenz galt ja bereits als gesichert. Ich gehe auch gar nicht davon aus, dass man Franctireurs bewusst erfunden hat, um damit eventuellen internen Untersuchungen wegen "friendly fire" vorzubeugen.

Ich ziehe vor, mir vorzustellen, dass es einfach von irgendwoher schießt. Es lässt sich die Schussrichtung nur ungefähr angeben, die Schützen sieht man nicht, wer oder was es war ist unklar.
In den Tagen vorher ist die Truppe aber vor Franctireurs gewarnt worden, alles spricht vom Volkskrieg der Franctireurs, und jetzt hat man ein paar tote oder verletzte Soldaten. Da schreibt der Kompaniechef eben "Einheit von Franctireurs beschossen"- und die Sache ist geritzt, es ist eine Erklärung gefunden, eine Erklärung, die plausibel scheint, die akzeptiert wird.

"Friendly fire" lässt sich häufig gar nicht nachweisen, es kam natürlich vor, dass im Niemandsland Stoßtrupps erkennen, dass sie unbeabsichtigt aufeinander geschossen haben. In den meisten Fällen kam es aber gar nicht heraus, kam nicht heraus, dass eine Batterie zu kurz feuerte, dass sich Stoßtrupps beschossen. Wie viele Bauern, Pilz- oder Beerensammler sind nicht schon von einer verirrten Kugel getroffen worden, bei der sich gar nicht mehr eruieren lässt, wer die Kugel abfeuerte.

Ich denke, es lässt sich keineswegs ausschließen bei der oft unklaren Frontlage, dass Soldaten von verirrten Kugeln getroffen wurden. Es kann die Kugel aus einem Karabiner noch auf mehrere Hundert Meter töten. Bei der Lage in Löwen 1914, der Nervosität der Truppe und der Unerfahrenheit der meisten Soldaten ließ sich das keineswegs ausschließen, an anderen Orten war es nachweislich schon zu Panikreaktionen gekommen.

Bei den Soldaten die "aus dem Hinterhalt" verwundet oder getötet wurden, kam es auch kaum zu aufwändigen forensischen oder ballistischen Untersuchungen. Für alles was irgendwie von der Norm abwich, was unerklärlich schien, wurde mit dem Deutungsmuster "Freischärler" eine plausibel wirkende Erklärung geliefert.
Alles was unerklärlich war, was von der Norm abwich, war durch Franctireurs erklärbar. Es war aber nicht nur das Unerklärliche damit erklärbar- die Franctireur-Aktivitäten waren aber auch sehr geeignet, das eigene Tun wenn nicht zu rechtfertigen, so doch zu entschuldigen.



Schrieb man in einen Bericht: "Verluste durch Franctireur-Beschuss" war die Sache geritzt. Da war kein Bericht mehr zu schreiben, keine Untersuchung, die Todesursache wurde weithin akzeptiert. Es gab eine Erklärung, eine Deutung. Niemand musste sich wegen der Sache einen Kopf machen, und die meisten Truppenführer werden, wenn sie Verluste durch Franctireurs einräumten, gar nicht mit der Absicht, friendly fire zu vertuschen agiert haben, sondern sie haben in gutem Glauben ein allgemeines Erklärungsmuster aufgegriffen, das ihnen naheliegend erschien.

Es ist auch zu bedenken, dass die Truppe von der Existenz von Franctireurs fest überzeugt war, alle Erlebnisse in Belgien schienen mit dem Erklärungsmuster übereinzustimmen. Die Frontlage, die Kampflage war unübersichtlich, es sind zahlreiche Einheiten durch Löwen gekommen. Anderen Orts war es immer wieder bereits nachweislich zu Panikreaktionen gekommen. In dieser überhitzten, paranoiden Atmosphäre, unter dem Zeitdruck des Schlieffenplans, in der psychischen Gemengelage die andere Diskutanten bereits skizziert haben, erscheint es mir höchst fraglich, wie Keller vor diesem Hintergrund Verluste durch Gefechtspanik, Missverständnisse und friendly fire so kategorisch ausschließen will.
 
(aus Kostprobe bei Horne/Kramer)
Doch die Legende war sehr wirksam, weil sie eine bestimmte Version des Volkskriegs herausdestillierte - eine katholische Bevölkerung, die zu fanatischer Gewalt imstande war, und vom autoritären Klerus nach Belieben manipuliert werden konnte.
(…)
Die überwiegend protestantische 1. Armee mißhandelte und erschoß westlich der Gette mehrere Geistliche unter der Beschuldigung, sie hätten einen Angriff der Einwohner auf die Deutschen organisiert und sich vom Kirchturm aus mit dem Feind verständigt.
Das die Konfession eine Rolle spielte vermutete ich schon, als ich im sog. Weißbuch sah, dass bei fast bei jedem Zeugen bei der Angabe zur Person die Konfessionszugehörigkeit angeführt wurde. Und es stimmt - habe ich gerade nachgeschaut: Zumindest auf den ersten 55 Seiten waren fast alle evangelisch oder lutherisch, nur jeweils einer gab an katholisch oder jüdisch zu sein.
 
Ich hatte ja oben schon eingeräumt, dass ich nicht weiß, wo genau innerhalb des Stadtgebiets geschosse wurde, und inwiefern Kellers Bschreibung diesbezüglich korrekt ist.

Insofern Truppen, wenn sie aus südöstlicher Richtung kamen, aus Richtung der Eisenbahntrasse Lüttich-Leuven gekommen wären, hätte es für Truppen in Lüttich selbst kaum Anlass gegeben sie bei Ankunft für Feindtruppen zu halten, insofern ja der gesamte deutsche Nachschub aus Richtung Lüttich über genau diese Route kam, mussten die deutsche Truppen in und um Leuven wissen, dass dieses Gebiet sicher in deutscher Hand war.



Aber den ankommenden Truppen war genau so bekannt, dass Leuven selbst in deutscher Hand war.
Die belgischen Truppen kämpften sich zwar bis 8 Km an die Stadt heran, aber in der Stadt selbst und auch in der direkten Umgebung wurde nicht gekämpft.

Das aus Richtung Westen sich zurückziehende deutsche Truppen fälschlich für Belgier/Entetetruppen, whatever gehalten wurden, kann ich mir ebenso schwer vorstellen, einmal weil die rückwärtigen Kommandostellen in Leuven sicherlich die Neuankömmlinge über die Lage und die Standorte der westlich/nordwestlich Leuven stehenden deutschen Truppen informierten, zum Anderen weil die sich auf Leuven zurückziehenden Truppen, sicherlich keine Anstalten machten die Stadt zu beschießen, was der Feind zweifellos getan hätte und weil sicherlich auch immer wieder Melder zwischen den Stelle in Leuven und den sich auf Leuven zurückziehenden Truppen zwecks weitestmöglicher Koordinierung des Rückzugs verkehrten.

Friendly fire, weil gleichzeitig verschiedene Verbände aus verschiedenen Richtungen in Leuven eintrafen erscheint mir uwahrscheinlich.
Im Übrigen wenn von Leuven aus vor Leuven eintreffende Truppen unter Beschuss genommen worden wären weil man sie für denn Feind hielt, wäre das sicherlich auch unter Verwendung Artillerie passiert und spästestens hier wäre klar gewesenn, dass das keine "Franctireurs" sein konnten.

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Es ist aber zumindest vorstellbar, dass eine deutsche Truppe mal Richtung Westen mit einem MG auf Ungefähr das Gelände abstreut, um zu zeigen Stop! Hier sind wir". Dass dabei eventuell noch Nachzügler beschossen werden, ist immerhin auch nicht völlig abwegig.

Es lässt sich auch nicht ausschließen, dass beim Versuch, einer Einheit Feuerschutz zu geben, Nachbareinheiten gefährdet wurden.

Bei "friendly fire" sollte man auch bedenken, dass es sich in den meisten Fällen gar nicht nachweisen lässt. Man kann doch nur ganz ungefähr die Schussrichtung rekonstruieren, sieht bestenfalls das Mündungsfeuer. In vielen Fällen lässt sich die Schussrichtung nur mutmaßen, und es ist häufig gar nicht bemerkt worden. Es ließ sich oft nur durch einen Zufall nachträglich ermitteln, und wenn es vorkam und auch erkannt wurde, wurde diese Erkenntnis gar nicht veröffentlicht. Es war nun einmal passiert, und mit einer Untersuchung wurde es nicht ungeschehen. Ich denke, da wird man durchaus von einer hohen Dunkelziffer ausgehen können, von Fällen, wo es gar nicht bemerkt wurde.

Vor allem lässt sich friendly fire nur nachweisen, wenn es offensichtlich war, wenn Einheiten direkt aufeinandertreffen. Das war aber nur selten der Fall, und es ließ sich auch nur nachweisen, wenn es konkreten Verdacht gab und wenn in der Sache ermittelt wurde. Aufwändige forensische ballistische Untersuchungen wurden aber in der Regel nicht durchgeführt. Es ließ sich vielleicht Schusswinkel und Schussrichtung ermitteln, wenn es von überall her schießt, lassen sich aber nur vage Angaben machen, woher es kam und wer geschossen hat.

Es ist in allen Kriegen seit es Schusswaffen gibt, immer wieder friendly fire" vorgekommen. Klar, Rekruten werden geschliffen, was eine Schussbahn ist, wenn sie einen Fauxpas begehen, werden sie so geschliffen, dass sie es nie mehr vergessen. Und doch passieren mit Schusswaffen immer wieder unglaubliche Dinge. Zum Glück bleibt es meistens bei einem Schrecken. Aber auf jedem Schießplatz, in jedem Club gibt es mindestens einen Idioten, und wenn der aufkreuzt geht alles in Deckung. Jeden Sylvester kommt es zu Unglücksfällen, jedes Jahr verlieren Jäger, Pilz- oder Beerensammler durch Unfälle den Tod.

Schusswaffen und menschliche Unvernunft - da gibt es eigentlich nichts, was es nicht schon gegeben hat. So etwas passiert, und es passiert im tiefsten Frieden, trotz einem der schärfsten Waffengesetze, trotz unzähligen Lehrgängen, die Jäger oder Sportschützen absolvieren müssen. Wieviel mehr aber im Krieg! Der eine Idiot, bei dem alles in Deckung geht, der findet im Krieg viele Kameraden- und alle sind bis an die Zähne bewaffnet!

Wie gesagt, friendly fire- da wird man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen müssen. Es wird vielfach gar nicht erkannt, oft erst nachträglich und zufällig. Ballistische und forensische Untersuchungen haben die Deutschen bei den 40 Toten und 190 Verwundeten sicher nicht angestellt.

Nun muss aber irgendjemand geschossen haben.



Die belgische Armee zog sich zurück, die Guarde Civique war demobilisiert. Die Belgier haben nachdrücklich gewarnt und haben Waffen eingesammelt.
Die Deutschen haben gewarnt und ebenfalls Waffen eingesammelt. Sie haben täglich Geiseln genommen.

Unter den gegebenen Umständen war es reiner Selbstmord, wenn Zivilisten, nachdem die belgische Armee sich zurückgezogen hatte, gegenüber zuletzt 15.000 deutschen Soldaten zu den Waffen ergriffen, die es nach zweimaligen Requirierungen immer noch in Löwen gab.

Die Zivilbevölkerung war entwaffnet worden, die Zivilisten verfügten über keinerlei militärische Ausbildung. Sie und ihre Familien waren deutschen Vergeltungsmaßnahmen schutzlos ausgesetzt.
-Die Zivilisten wurden von Anfang an unter Generalverdacht gestellt.


Es hat in allen Kriegen seit Erfindung des Schießpulvers Fälle von friendly fire gegeben. Es lässt sich häufig nur nachträglich und durch Zufall nachweisen. In einigen belgischen Städten ist es nachweislich vorgekommen.
Die Lage im Löwen war verworren, die Armee noch unerfahren. Sie befand sich in einem Zustand der Anspannung, der Paranoia, der Nervosität. Sie hatte sich sehr stark radikalisiert, die belgische Zivilbevölkerung wurde unter Generalverdacht gestellt, und die Franctireurs-Psychose war jedenfalls auch sehr geeignet, das recht brutale Vorgehen gegen Zivilisten wenn nicht zu entschuldigen, so aber doch zu entlasten.
 
Das die Konfession eine Rolle spielte vermutete ich schon, als ich im sog. Weißbuch sah, dass bei fast bei jedem Zeugen bei der Angabe zur Person die Konfessionszugehörigkeit angeführt wurde. Und es stimmt - habe ich gerade nachgeschaut: Zumindest auf den ersten 55 Seiten waren fast alle evangelisch oder lutherisch, nur jeweils einer gab an katholisch oder jüdisch zu sein.

Und hast du dir auch angeschaut, welche Formationen zu Beginn des 1. Weltkriegs in Belgien kämpfen?

Die bis weit nach Belgien hinein vorstoßende 1.-3. Armee, sind vor allem preußische und sächschische Formationen, die Truppen der Bayerischen Armee unter Kronprinz Rupprecht kämpfen im Elsässischen Grenzgebiet, spielen also in Belgien keine Rolle und die würtembergischen Verbände in der 4. Armee, touchieren zwar beim Schwenk die belgische Provinz Luxemburg, kämpfen dann allerdings in den Grenzabschnitten zu Lothringen und der Champagne gegen die Franzosen, bewegen sich also nur relativ kurze Zeit über belgisches Terrain.

Insofern ein Großteil der katholischen Kader bei den deutschen Truppen gar nicht länger in Belgien kämpfte, weil eentweder mit der Bayerischen Armee im Elsass oder bei den Würtembergern in den Grenzschlachten in Lothringen und der Champagne eingesetzt, wobei belgisches Gebiet lediglich touchiert wurde, während die weiter nach Belgien hineinstoßenden preußischen und sächsischen Truppen weit überwiegend aus protestantischen Kadern bestanden, braucht man sich übeerhaut nicht zu wundern, dass die Berichte über Franctireur-Aktivitäten weit überwiegend von protestantischen Augenzeugen kommen.
Da braucht man auch gar keine Verschwörungstheorien draus zu stricken, sondern müsste sich einfach nur mal ansehen, wer in den ersten Wochen des Weltkrieegs wo kämpfte.
 
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