Seeblockade und Kriegsrecht nach 1945 (Kontext: Ukrainekrieg)

silesia

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Der Fall des Tankers ist problematisch. Er ist sanktioniert, aber „Handelsschiff“ (vermutlich aber eher aus dem Korruptionsumfeld des russischen Militärs nur pro forma, mit der Versorgungslinie werden Taschen gefüllt aus dem Militärhaushalt, praktisch fährt der seit 2014 für die Marine). Vergleichbar wäre, wenn Versorgungsschiffe der Bundesmarine privat betrieben würden …
Wenn er im Konvoi fahren würde: legitimes Ziel.
Wenn er Benzin für Syrien transportiert: Blockaderecht. Keine warnungslose Versenkung.

Seekriegsrecht verlangt aber außerdem für die Verhängung einer Blockade die Durchsetzungsmöglichkeit. Das ist schon kaum Russland möglich, überhaupt nicht der Ukraine, die über keine nennenswerte Marine verfügt. Sonst ist das völker(kriegs)rechts-widrig.

Die Anwendung von Seekriegsrecht wird von vielen Staaten (mit entsprechenden Interessen) penibel „beobachtet“.

Ist also alles problematisch.
 
THX

Das heißt also, das da beide Kriegsparteien einen gefährlichen Weg beschreiten!?
Unter Umständen besteht die Möglichkeit, internationale neutrale Marinekampfeinheiten im Schwarzen Meer zu stationieren, mit allen daraus sich ergebenden eventuellen Risiken!?
 
Wenn er im Konvoi fahren würde: legitimes Ziel.
Demnach wären, wie schon angeregt, im Konvoi fahrenden Frachter, mit ukrainischem Weizen an Bord, ein legitimes Ziel für russische Marine, wenn sie aber allein unterwegs wären, ein ilegitimes. Das erschließt sich mir nicht.
 
Demnach wären, wie schon angeregt, im Konvoi fahrenden Frachter, mit ukrainischem Weizen an Bord, ein legitimes Ziel für russische Marine, wenn sie aber allein unterwegs wären, ein ilegitimes. Das erschließt sich mir nicht.

Welcher Konvoi, welche Begleitung?

Ich habe oben von einem russischen Frachter mit russischer Kriegsschiffsbegleitung gesprochen, außerhalb einer völkerrechtmäßigen Blockade.
 
Seekriegsrecht verlangt aber außerdem für die Verhängung einer Blockade die Durchsetzungsmöglichkeit. Das ist schon kaum Russland möglich, überhaupt nicht der Ukraine, die über keine nennenswerte Marine verfügt. Sonst ist das völker(kriegs)rechts-widrig.

Heutztage braucht es für die Durchsetzung einer Blockade keine Kriegsschiffe mehr. Flugzeuge, Anti-Schiffsraketen und jetzt (See-)Drohnen sind hervorragende Mittel, den Schiffsverkehr in einem Gebiet zu unterbinden.

Zum Seekriegsrecht noch allgemein. Was der norwegische Journalist da schreibt, ist in meinen Augen ziemlicher Murks.

1. Das Londoner Protokoll von 1909 mit den Regeln, wie eine Seeblockade auszusehen hat, ist von keinem Signaturstaat ratifiziert worden.

2. In Zeiten, in denen Krieg nicht mehr "erklärt", bzw. gar nicht mehr so benannt wird, soll eine Blockade ausgerufen werden müssen?

3. Da Handelsschiffe über Radar und Kommunikationsmittel verfügen, sind sie in der Lage, auch Aufklärung zu betreiben und sind deshalb ein legitimes Ziel (dies war schon im Nürnberger Prozess ein Argument, die vorwarnlose Versenkung feindlicher Handelsschiffe verstieß zwar gegen das Londoner Protokoll von 1936, blieb aber ungeahndet).
 
Heutztage braucht es für die Durchsetzung einer Blockade keine Kriegsschiffe mehr. Flugzeuge, Anti-Schiffsraketen und jetzt (See-)Drohnen sind hervorragende Mittel, den Schiffsverkehr in einem Gebiet zu unterbinden.

So weit ich das verstehe, ist es im Rahmenn einer Blockade zulässig jedes Schiff, dass es unternimmt zu versuchen diese zu durchbrechen, zu beschlagnahmen und zu internieren, nicht aber es ohne Vorwarnung zu versenken.
Flugzeuge, Drohnen und Antischiffsraketen mögen ja brauchbare Mittel zur Versenkung sein, allerdings nicht zum Aufbringen, zur Beschlagnahme und zur Internierung.
 
Das soll jetzt nicht zu einem Seminar über Völkerrecht werden. Aber die vorwarnlose Versenkung von gegnerischen Handelsschiffen ist durch das Urteil gegen Dönitz und Raeder als "gängige" Methode in der Seekriegsführung akzeptiert worden.

...
Kurz nach Ausbruch des Krieges bewaffnete die britische Admiralität in Übereinstimmung mit ihrem Handbuch für Anweisungen an die Handelsmarine vom Jahre 1933 ihre Handelsschiffe, ließ sie in vielen Fällen unter bewaffnetem Geleit fahren, gab Anweisungen, bei Sichtung von Unterseebooten Positionsberichte zu funken, und baute somit die Handelsschiffe in das Warnsystem des Marinenachrichtendienstes ein. Am 1. Oktober 1939 verkündete die Britische Admiralität, daß die britischen Handelsschiffe angewiesen worden seien, U-Boote, wenn möglich, zu rammen.

Auf Grund dieses Tatbestandes kann der Gerichtshof Dönitz für seine Unterseebootkriegsführung gegen bewaffnete britische Handelsschiffe nicht für schuldig erklären.
...
Dönitz' Befehl, neutrale Schiffe ohne Warnung zu versenken, falls sie in diesen Gebieten angetroffen würden, war daher nach Ansicht des Gerichtshofes eine Verletzung des Protokolls.
...
In Anbetracht aller bewiesenen Tatsachen, insbesondere mit Rücksicht auf einen Befehl der britischen Admiralität vom 8. Mai 1940, nach dem alle Schiffe im Skagerrak nachts versenkt werden sollten, und endlich in Anbetracht der Antwort des Admiral Nimitz auf dem ihm vorgelegten Fragebogen, nach welcher im Pazifischen Ozean seitens der Vereinigten Staaten vom ersten Tag des Eintritts dieser Nation in den Krieg uneingeschränkter U-Bootkrieg durchgeführt wurde, ist die Verurteilung von Dönitz nicht auf seine Verstöße gegen die internationalen Bestimmungen für den U-Bootkrieg gestützt.
...

Quelle: Urteilsbegründung Karl Dönitz

Die Schlussfolgerung daraus

1. Durch die Möglichkeit, "Aufklärung" zu betreiben, sind feindliche Handelsschiffe Kombattanten, die vorwarnlos verseenkt werden dürfen.
2. Die Londoner Protokolle schützen nur die neutrale Schifffahrt

Gewichtiger als das ist in meinen laienhaften Augen aber, dass die Verfahrensweisen des Londoner Protokolls von 1909 nichts mit der Realität der Kriegsführung zu tun haben, sondern vollkommen absurd geworden sind.

Die technologische Entwicklung seit 1909 machen ein "Stoppen und Durchsuchen" einfach nicht mehr möglich, Funk, Flugzeug, Radar, Anti-Schigfsraketen, Sattelitenaufklärung...

Zum Angriff auf die "Sig" selbst.

Dieser erfolgte nicht in internationalen Gewässern sondern in russischen (zumindest einseitig erklärten), also im Kriegsgebiet.

Das Schiff ist ein Tanker, also ein schwimmendes Treibstofflager und somit ein legitimes Ziel, genauso wie an Land.

Es fährt unter der Flagge einer der Kriegsparteien.

Bekanntermaßen war es exklusiv fürs russische Militär unterwegs, mutmaßlich also auch jetzt.

Alles in allem ein legitimes Ziel, kein Kriegsverbrechen.
 
Bekanntermaßen war es exklusiv fürs russische Militär unterwegs, mutmaßlich also auch jetzt.

Alles in allem ein legitimes Ziel, kein Kriegsverbrechen.
...da sich Russland nach eigenen Angaben nicht in einem Krieg befindet, sondern in einer temporär ausgedehnten Spezialoperation, kann es eigentlich derzeit nicht in Anspruch nehmen, in Sachen "Sig" Opfer eines Kriegsverbrechens zu sein...;)
 
Danke fürs Verschieben!

Noch einmal der Hinweis, ich bin kein Jurist schon gar kein Völkerrechts- oder Völkerkriegsrechtexperte. Ich habe allerdings einem ganz ordentliches juristisches Basiswissen. Deshalb ist alles, was ich hier schreibe, meine persönliche Meinung/Interpretation.

Sodele.

Die Grundlage des heute bestehenden Völkerrechts ist die Charta der Vereinten Nationen. Die wiederum auf Rechtsgrundlagen des Völkerbunds und Verträgen, Vereinbarungen basieren, wie der Genfer Konvention und der Haager Landkriegsordnung.

Zum sehr speziellen Gebiet des Seekriegsrecht gibt es keinen Abschnitt in der Charta. In Kapitel VII, Art. 42 findet sich folgendes:

Artikel 42

Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, daß die in Artikel 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen.

Damit definieren die Vereinten Nationen Maßnahmen die vor der Anwendung von Gewalt (=Krieg) erfolgen können. Blockaden sind also kein kriegerisches Mittel, sondern ein Mittel, um einen Krieg zu vermeiden.

Eine Definition, was eine Blockade ist, liefert die UN-Charta allerdings nicht. Allerdings werden Luft- und Lsndstreitkräfte erwähnt, eine Blockade bezieht sich also nicht nur auf Seeverbindungen
 
Zuletzt bearbeitet:
Nächster Absatz.

Eine Blockade zur See wurde auf der Londoner Konferenz 1908-1909 zum Seekriegsrecht wie folgt definiert



E r s t e s K a p i t e l
Die Blockade in Kriegszeiten

Art.1. Die Blockade muss auf die feindlichen und vom Feinde besetzten Häfen beschränkt werden.

Art. 2. Entsprechend der Pariser Deklaration von 1856 muss die Blockade, um rechtlich wirksam zu sein, tatsächlich wirksam sein, das heißt, durch eine Streitmacht aufrechterhalten werden, welche hinreicht, um den Zugang zur feindlichen Küste in Wirklichkeit zu verhindern.

Art. 3. Die Frage, ob die Blockade tatsächlich wirksam ist, bildet eine Tatfrage.

Art. 4. Die Blockade gilt nicht als aufgehoben, wenn sich die blockierenden Streitmächte infolge schlechten Wetters zeitweise entfernt haben.

Art. 5. Die Blockade muss den verschiedenen Flaggen gegenüber unparteiisch gehandhabt werden.

...

Eine sehr genaue Definition, was eine Blockade ist, ohne Zweifel.

Das Problem dabei ist, dass diese Vereinbarung von keiner an der Konferenz beteiligten Macht ratifiziert, also in Landesrecht überführt wurde, im Gegensatz zur Haager Landkriegsordnung oder der Genfer Konvention.

Der Krieg zur See fand deshalb im rechtsfreien Raum statt. 5 Jahre später hielten sich die Kruegsgegner nicht an die Regeln, auf die man sich nur 5 Jahre zuvor geeinigt hatte.
 
Im Versailler Vertrag werden zwar Prozesse vor allierten Gerichten gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher angekündigt, diese finden jedoch nicht statt

Artikel 228.

Die deutsche Regierung räumt den alliierten und assoziierten Mächten die Befugnis ein, die wegen eines Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen vor ihre Militärgerichte zu ziehen...

Es war klar, dass sich das auch und vor allem auf die UBoot-Kriegsführung bezog.

Allierte Gerichtsverhandlungen zum uneingeschränkten UBoot-Krieg sind mir nicht bekannt. In Deutschland gab es einen Prozess um die Versenkung eines Lazarettschiffs (Freispruch, da die Admiralität von der Bewaffnung ausging und der Kapitän dem Glaubennschenken musste) sowie um die Beschießung Schiffbrüchiger. Hier erhielten die Angeklagten Offiziere zunächst Haftstrafen, in zweiter Instanz Freispruch da auf Befehl des Kommandeurs gehandelt.
 
Vierter Punkt im historischen Abriss

1930 einigten sich die 5 Siegermächte des 1. Weltkriegs wie UBoote Krieg führen sollten. 1936 schloss sich das Deutsche Reich im Rahmen des deutsch-britischen Flottenabkommens der Übereinkunft an.

1. Bei Massnahmen gegen Handelsschiffe müssen sich Unterseeboote an die internationalen Rechtsbestimmungen halten, denen die Überwasserschiffe unterliegen.
2. Insbesondere darf in Zukunft ein Kriegsschiff, sei es ein Überwasserschiff oder ein Unterseeboot, ein Handelsschiff nicht versenken oder unschädlich machen, bevor nicht die Fahrgäste, die Mannschaft und die Schiffspapiere an einen sicheren Platz gebracht worden sind. Ausgenommen sind Fälle, in denen sich Handelsschiffe, die ordnungsgemäss gewarnt worden sind, hartnäckig weigern, anzuhalten oder einem Besuch bzw. einer Durchsuchung aktiven Widerstand entgegensetzen. Die Rettungsboote der Handelsschiffe werden nicht als sicherer Platz angesehen, solange nicht die Sicherheit der Fahrgäste und der Mannschaft unter den bestehenden Wetterbedingungen oder angesichts der Nähe von Land oder der Anwesenheit eines andern Fahrzeugs, das imstande wäre, sie an Bord zu nehmen, gewährleistet ist.
 
Und jetzt sind wir dann nach 1945. Sorry, dass ich das Thema weiter gefasst habe, aber ohne diese Vorgeschichte ist die Diskussion nicht zu verstehen.

Art. 42 der UN-Charta ist, soweit ich gedehen habe, seit Oktober 45 unverändert.

Wichtiger ist aber der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und hier die Sngeklagten Raeder und besonders Dönitz als BdU.

Ich hab die Urteilsbegründung oben schon zitiert. Deshalb an dieser Stelle nur noch, dass die Verteidigung von Dönitz zwei Dtrategien verfolgte.

Die erste, ihr habt das genauso gemacht, Skagerak, Aussage Nimitz.

Die zweite, die Regeln zur Blockade sind nicht mehr zeitgemäß. 1909 dachte niemand an Funk oder Flugzeuge gedacht. Man konnte Handelsschiffe nicht mehr stoppen und durchsuchen.

Der internationale Gerichtshif ist dem überwiegend gefolgt, in dem es dieses Verfahren nur bei neutralen Schiffen gefordert hat.

Puh, durch.
 
Wie ich ganz weit oben schrieb, die Definition und die "Durchführungsverordnung" einer Blockade aus 1909 ist nicht übertragbar auf das Jahr 2022/23.

1909 flog zum ersten Mal ein Flugzeug über den Ärmelkanal. War "drahtlose Telegraphie" der heißeste Scheiß und nur auf den wenigsten Schiffen verfügbar. Man kommunizierte von Bord zu Bord mit Flaggen und Leuchtsignalen. U-Boote befanden sich eher im Versuchsstadium und wurden als Waffe von den Admirälen nicht ernst genommen. An Raketen hatte Jules Verne gedacht, Radar und Satelliten waren noch nicht mal Science Fiction. Ferngesteuerte Fahr- und Flugzeuge, gar Boote???

Heute erkennt ein Handelsschiff ein anderes Überwasserschiff bevor es mit den Augen gesehen wird. Das fehlende Transpondersignal verheißt nichts Gutes. Mit Satellitentelefon sind die eigenen Streitkräfte alarmiert, die über Fernaufklärer-Flugzeuge oder andere Quellen verfügen und die Radarsignale identifizieren können.

Noch bevor das Kriegsschiff überhaupt dem zu stoppenden Handelsschiff nahe kommen kann ist die Anti-Schiffsrakete von Land, vom Flugzeug oder eigenem Kriegsschiff abgeschossen.

Nee, Leute, so funktioniert das einfach nicht mehr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Jetzt ist es doch zu einem "Seminar", zumindest aber zu einem Monolog. Das Beste kommt wie immer zum Schluss

Abgesehen von der Unsinnigkeit veralteter Blockaderegeln, weder Russland noch die Ukraine noch Parteien anderer Konflikte können eine völkerrechtskonforme Blockade verkünden oder durchsetzen. Wer Art. 42 oben gründlich gelesen hat, weiß, dass dies nur der UN-Sicherheitsrat tun kann.

Artikel 42

Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, daß die in Artikel 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- oder Landstreitkräften... durchführen.

Grundsätzlich ist deshalb jeder Angriff auf ein unbewaffnetes Handelschiff im Krieg Russlands gegen die Ukraine ein Verstoß gegen das Völkerrecht bzw. ein potenzielles Kriegsverbrechen.

Sollte es jemals zu einer unabhängigen und fairen juristischen Aufarbeitung des Krieges kommen, gehe ich aber davon aus, dass Angriffe auf Tanker dennoch anders beurteilt werden als Angriffe auf Getreidetransporter.
 
Da hast Du eine Menge zusammengetragen!

Aber der Reihe nach, in der Argumentationskette:
Kannst Du bitte #13 zunächst prüfen? Sowohl bzgl. des Sachverhalts als auch der völkerrechtlichen Bewertung sehe ich da Probleme.
 
Der Krieg zur See fand deshalb im rechtsfreien Raum statt. 5 Jahre später hielten sich die Kruegsgegner nicht an die Regeln, auf die man sich nur 5 Jahre zuvor geeinigt hatte.
wenn das mit dem rechtsfreien Raum stimmen sollte, verstehe ich die Aufregung über den "uneingeschränkten Ubootkrieg" nicht (?!)
 
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