Die Denkschrift des Admiralstabes vom 22.12.16 ist geradezu unglaublich, ja man muss sie vor dem Hintergrund des enormen militärischen Risikos schon fast als groß fahrlässig und absolut verantwortungslos bezeichnen muss.
Oben ist die Denkschrift vom 22.12.1916 erwähnt, deren "Berechnungen" laut Stegemann bis in den Sommer 1916 zurückgehen.
Interessant dabei ist, dass bereits der Entwurf des Immediatvortrages vom 13.1.1916 eine ähnliche Ausage enthält, mit entscheidenden "Ausfällen auf Englands Verkehrs- und Lebensverhältnisse" argumentiert, die genaue Berechnung aber offenläßt und nur unterstellt. Ausgnagspunkt ist die "Versenkungsprognose" von rd. 632.000 to. Schiffsraum pro Monat, bzw. 3,8 Mio. to. im ersten
Halbjahr des uneingeschränkten UBoot-Krieges.
Der Immediatvortrag erfolgte am 18.1.1916, KaWeZwo meldete Bedenken an und verlangte insbesondere Schonung des neutralen Verkehrs und der Passagierdampfer. Die Neutralen sollten ihre Schiffe in Konvois durch Kriegsgebiet führen.
Die Sache versandete wieder, da man keine zufriedenstellende Lösung fand. Tirpitz wiederholte die Eingabe am 31.1.1916, wiederum mit den Monatsprognosen der Versenkungen und der These, diese wirkten "entscheidend", das englische Wirtschaftsleben würde "zerrüttet". Tirpitz prognostizierte außerdem, dass die seinerzeitige Fortführung bei richtiger Antwort nicht zu einem Bruch mit den USA geführt hätte. Basis war sein Telegramm vom 16.2.1915, nach dem der UBootKrieg England binnen 6 Wochen (sic!) zum Einlenken gezwungen sein würde (aus den 6 Wochen wurden dann in der Januar-Prognose 1916 6 Monate).
Reichskanzler Bethmann Hollweg meldete starke Zweifel an den Prognosen an, 11.2.1916. Er stützte sich dabei auf abweichende Versenkungsprognosen von 300.000 pro Monat (Reichsmarineamt) gegenüber den nunmehr "aktuellen" von 632.000 pro Monat. "BH" wies außerdem auf vermutete Nahrungsmittelreserven von 3 Monaten in England hin (Agentenangaben!). "An ein Niederzwingen Englands in 6 - 8 (!) Monaten sei dann gar nicht zu denken". Es kam ein weiterer Aspekt hinzu: der Bruch mit den USA würde die diesbezüglichen Einfuhren über Holland -
täglich im Gegenwert von 5 Mio. Mark - versiegen lassen. Dabei handelt es sich offenbar um die indirekten Importe aus den USA nach Holland, von dort zu den Kriegführenden. "Aufhören der Ernährung ... Falkenhayn sage, dann müssen eben die Belgier und Polen hungern, oder man müsse die belgische Bevölkerung nach Frankreich abschieben. Das Verhungern würde ... bedeuten, daß in unserem Etappengebiet Typhus ausbricht, und das Abschieben der belgischen Bevölkerung sei eine Unmöglichkeit".
Holtzendorff unternahm dann am 19.2.1916 einen weiteren anlauf: "...
beehre ich mich in der Anlage ergebenst eine Zusammenfassung der in meinem Auftrage unternommenen genauen statistischen Untersuchungen über die Einwirkung des Krieges, insbesondere des UBootkrieges, auf Englands Volkswirtschaft zu übersenden. ... ein rücksichtslos durchgeführter U-Bootkrieg werde Englands Widerstandskraft in etwa einem halben Jahre brechen, soweit dies rechnungsmäßig auf unwiderlegbarem Zahlenmaterial fußt. ... Die erbetenen gutachterlichen Äußerungen einiger Sachverständiger von anerkannter Bedeutung zu den anlagen werde ich unmittelbar nach Eingang vorzulegen nicht verfehlen."
- Die Sachverständigen-Gutachten reichte Holtzendorff am 27.2.1916 nach.
- Helfferich und erwiderte am 26.2. und 1.3. im Auftrag von Bethmann Hollweg.
- Admiralstab erwiderte auf Helfferich am 18.3.1916
- Helfferich erwiderte Admiralstab am 19.3.1916 und nannte die Denkschrift (inkl. Gutachten) "ganz dilettantisch".
Den gutachterlichen Berechnungen vom Sommer bzw. Dezember 1916 ging fast ein Jahr Streit voraus. Die Zugrundelegung der Zahlenbasis im Januar 1917 diente nur mehr der Rechtfertigung einer Verzweifelungstat.
Quelle: Granier, Die Deutsche Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg, Band 3, 2000, diverse Dokumente unter den angegebenen Daten.