@rena8:
Ein Thema, dass mich auch alle zehn Jahre mal wieder packt...Als gelernter Statistiker glaube ich natürlich nur Statistiken, die ich selbst gefälscht habe
Ein wunderschönes Beispiel die hier schon gelinkte Karte:
http://strangemaps.files.wordpress.com/2008/01/sprakliga-stormakter.jpg
Wie balticbirdy ganz richtig bemerkte: Weil der Kaukasus kein Land ist, fällt er einfach weg in dieser sonst sehr instruktiven Grafik..
Leider gibt es aus der Vergangenheiten (sagen wie mal: vor 1750) m.W. nach noch viel weniger Brauchbares, das man zu Rate ziehen kann.
Richtig ist sicher, dass es keine EINFACHE Regel gibt. Ich poste hier mal 5 oder 6 Thesen/Fragen dazu, die sich bei mir so angesammelt haben:
-1- Aussagen über den Umfang und die Art der gesprochene Umgangssprache (das „vernacular“) eines Gebiets scheinen mir – vor dem 19. Jahrhundert – sehr fragwürdig zu sein. Die beiden historisch bekanntesten Beispiel sind das „18. Jh. China“ und das „Kolonial-Indien“. Die Sprache der Herrschenden war „Mandschu“ (seit 1644) bzw. „Englisch“. Die Bevölkerung sprach – je nachdem wie man zählt – 100 verschiedene Sprachen, die meisten allerdings wenigstens zu einer Sprachfamilie gehörig, was im Fall „Indo-Europäisch“ in Indien aber auch nicht wirklich eine Hilfe war. Das man in China also „chinesisch“ gesprochen hat, ist – was das Thema „Sprachverdrängung/ Sprachübernahme“ angeht – eine nicht sehr hilfreiche Aussage.
Meine Lieblingsfrage für den europäischen Historiker ist immer: Was hat man denn um 1250 im „Heiligen Römischen Reich“ gesprochen? Deutsch? Auch? Irgendwo, irgendwie.. Auf jeden Fall jeder anders J
-2- Aus den Felduntersuchungen der letzten hundert Jahre wissen wir, wie „kleinkariert“ Sprachen eigentlich sind. Ich bin in Deutschland etwas herum gekommen und habe ein bisschen Niederländisch, Kölsch. Alemannisch und Bairisch verstehen gelernt. Das Etikett „Deutsch“ ist seitdem für mich dadurch etwas fragwürdig geworden. Ich bezweifle seitdem, dass in „Gallien“ im 5. Jahrhundert „Latein gesprochen“ wurde. Ich denke – ohne Beweis – dass man das gesprochen hat, was man 500 Jahre vorher auch schon gesprochen hat, und sich weder von den Römern noch von den Franken hat verrückt machen lassen! Warum auch? Wenn man was „Amtliches“ hatte, dann konnte man das mit dem Bürgermeister immer in der gemeinsamen Muttersprache klären. Ich bin auf dem Lande aufgewachsen, wo der Pastor nur auf der Kanzel und der Bürgermeister nur im Stadtrat hochdeutsch sprach, und sie sonst sofort ins übliche „Platt“ verfielen... Die Notwendigkeit, die „lingua franca“ oder - mit anderen Worten: Die offizielle „Landessprache“ - zu können wird m.M. gewaltig überschätzt. Natürlich musste sie jeder kennen, der „vorwärts“ kommen wollte – doch das ist eine Ideologie des späteren Bürgertums...
-3- Ich denke deswegen, dass bis in die Zeit der Massenmedien eine weit unterschätzte Vielfalt an gesprochenen Sprachen existierte, auch im „zivilisierten“ Teil der Welt. (Die Zeit der Massenmedien begann mit dem Buchdruck, setzte sich durch die Kombination „Alphabetisierung/Tageszeitung“ im europäischen 18./19. Jh. fort und erreichte im 20. Jh. mit Radio/Fernsehen/Internet weltweit seinen normierenden Höhepunkt.) Die Sprachen sind vielleicht gar nicht so schnell „verschwunden“ wie man glaubt.
-4- Ja, aber wie verschwinden Sprachen dann? Denn das tun sie ja.... Einmal sicherlich durch eine territoriale Verdrängung bzw. einen kleinen Genozid, den es seit den Zeiten der Assyrer immer wieder gegeben hat. Beispielhaft ist hier die Situation der Nord (und auch Süd-) amerikanischen Indianer, die je bekanntlich in einem sehr kleinräumigen Sprachennetz leben/lebten. Eine Sprache nach der anderen „wird ausgestorben“. Zweitens: Die bürgerliche Anstrengung aufzusteigen, die nur über die Beherrschung der offiziellen Sprache geschieht. Dies muss nicht einmal durch eine politische Maßnahme verursacht sein, wie in Belgien oder Irland etwa, sondern geschieht von alleine. Ein Kind, das „es besser haben soll“ als seine Großeltern, wird - aus Sprachökonomie - aufhören seine Muttersprache zu sprechen, wenn in seiner „peer-group“ die Standard-Sprache verstanden wird. Das ist ein „Umklapp-Effekt“, der allerdings erst nach allgemein erfolgreicher Anwendung der „bürgerlichen Strategie“ erfolgt. Drittens: Dazu kann Schulzwang (Strafen bei Benutzung der „Bäh-Sprache“!) kommen, den ich aber für wenig wirksam halte, weil „zu spät“ (und überhaupt eine „Schule“ voraussetzend). Viertens: Durch die Massenmedien ab dem 19. Jahrhundert wurde dies noch besonders normiert. Ich kenne noch die Formulierungen (in verschiedenen Dialekten): „Du sprichst ja wie das Radio.“
-5- Zweisprachigkeit ist nicht sehr lange durchzuhalten (Sprachökonomie!). WENN der Zwang zur Benutzung der Standard-Sprache besteht, dann wird die „alte“ Sprache vergessen werden. Allerdings – so meine These – besteht dieser Zwang erst seit kurzem (100 Jahre?), und auch nicht in allen Teilen der Welt. Warum sprechen die Bayern bairisch und die Norddeutschen hochdeutsch? Nun, ein Bayer kann mit wenig Aufwand so tun, als ob er hochdeutsch reden würde, aber Niederdeutsch ist eine nicht nur durch eine Lautverschiebung getrennte Sprache. Darum spricht man in ganz Bayern bairisch, aber in Hamburg nur noch im Ohnsorg-Theater „Platt“.
-6- Ja, und dann haben wir die Sorben, und die Katalanen, und die Katalonen, und die Basken, und die Norweger, und die Iren, und, und, und.... Ich sehe hier zwei verschiedene (aber doch auch wieder ähnliche) Ursachen:
-A- Für jede erfolgreiche (oder erfolglose) Separatistenbewegungen ist eine eigene Sprache das „gefundene Fressen“. Ich behaupte mal, dass dies primär keine sprachlichen sondern politische Gründe hat. Man hat – vielleicht mit Recht - behauptet, dass das moderne Norwegisch und Irisch einfach „erfundene“ Sprachen wären. So überleben oder entstehen (!) Sprachen.
-B- Wir haben heute (!) die Möglichkeit - als LUXUS, entgegen den Prinzipien der Sprachökonomie - eine Hobbysprache zu pflegen. Die Gründe dies zu tun liegen so tief wie jedes „Hobby“....