Zu Trimalchio und seinem "Gastmahl":
Der springende Punkt ist ja gerade, dass bestimmte Evangelien im Falle von Gemeinsamkeiten, möglicherweise früher zu datieren wären.
Ich will mir da aber kein Urteil anmaßen. Was Carsten Peter Thiede, ein anerkannter Fachmann auf dem Gebiet, schreibt, erscheint mir zumindest weitestgehend schlüssig.
Um seine Thesen wirklich zu verstehen, muss man jedoch das Buch lesen. In wenigen Worten kann man den Inhalt leider nur sehr schwer vermitteln.
Bei "Trimalchio" beispielsweise zeigt er teils gravierende Übersetzungsfehler auf. Und erst wenn man diese berücksichtigt, erschließen sich oft die Parallelen zwischen den einzelnen Werken.
Der bei Trimalchio vorkommende "Hahn", lat. "index", wird in vielen deutschen Ausgaben z.B. als "Prophet" übersetz, gemeint ist jedoch "Ankläger", "Anzeiger", "Denunziant (so wie bei Plinius, Cicero und Ovid).
Ich denke, dass Thiedes Argumentation zur Hahnenstelle in der
cena Trimalchionis ein Zirkelschluss ist. Thiede ist jemand, der die Bibel ereignishistorisch liest. Wunder, Zahlenangaben* und die Auferstehung Christi ist für Thiede ein ereignishistorisches Faktum.** Damit stellt er sich außerhalb der Geschichtswissenschaft und setzt den Glauben voraus.
Bzw., wo es Thiede passt, liest er die Bibel auch gegen den Strich.
Thiede gehört aber auch zu denen, welche dazu neigen, Texte früher zu datieren, als dies die
communis opinio tut. Und so setzt er auch die Existenz der Evangelien früher an, als dies die
communis opinio tut.
Und hier kommen wir wieder zum Zirkelschluss und zur Hahnenstelle: Wenn also Petronius, der vor der Niederlegung der Evangelien gestorben ist, hier eine intertextuelle Anspielung verwendet, dann müssen die Evangelien älter sein. Er "beweist" also das Petronius-Zitat mit der Voraussetzung, dass die Evangelien älter seien, als mehrheitlich akzeptiert und gleichzeitig "beweist" er, dass Petronius, weil die Evangelien älter seien, als mehrheitlich akzeptiert, dass Petronius daraus zitiert. A belegt also B und B belegt A = Zirkelschluss.
Schauen wir uns nun die Stelle mal genauer an: Die Parallele besteht darin, dass der Schrei eines Hahns Auslöser für eine Stimmungsveränderung ist: Petrus bemerkt, dass er seinen Herrn und Freund verleumdet hat, schämt sich und ist traurig. Trimalchio hat kurz zuvor eine Unflätigkeit begangen und sieht den Hahnenschrei nun als böses Vorzeichen. Der Hahn ist ein indicem. Was macht nun Trimalchio? Er vollzieht schnell einige (pseudo-)rituelle Handlungen (er gießt Wein auf den Boden und spritzt ihn über Leuchter und wechselt einen Ring von einer Hand auf die andere) lässt den Hahn fangen und kochen.
Was Thiede offenbar bei seiner Kritik an der Übersetzung von
index unterschlägt ist, dass Trimalchio im Zusammenhang mit dem Hahnenschrei nun annimmt, dass in Kürze etwas Schlimmes passieren wird, ein Brand oder ein Tod, und er hofft, dass es nicht ihn und sein Haus trifft. Die Übersetzung des
index als 'Prophet' oder 'Anzeiger' ist in diesem Fall also völlig folgerichtig, über die des 'Anklägers' kann man streiten (dafür spricht, dass Trimalchio seinen (pseudo-)rituellen Handlungen vollzieht, dagegen, dass er in dem Hahnenschrei eine Voraussage sieht). Die Übersetzung als 'Denunziant' wäre hier im Zusammenhang völlig deplaziert.
Petronius spricht hier ganz klar etwas an, was seinen Lesern bekannt sein muss. Der Hahnenschrei zu ungewöhnlicher Stunde muss den Lesern etwas bedeutet haben und zwar im Sinne eines Bösen Vorzeichens, egal, ob man das nun evtl. als Aberglauben abwertete (Trimalchio wird ja als Parvenue dargestellt) oder ernst nahm.
Aber nehmen wir mal an, Thiede hätte nun Recht damit, dass die Evangelien älter seien, als in der Fachwelt akzeptiert und Petronius hätte sie, rein von ihrer Entstehungszeit her gesehen, noch lesen können (dass Petronius als gebildeter Römer des Griechischen mächtig war, ist unzweifelhaft). Die Tatsache der Abfassung reicht ja nicht, er hätte auch daran kommen müssen, was zwar nicht völlig unmöglich, aber doch ziemlich unwahrscheinlich ist, und er hätte davon ausgehen müssen, dass sein Publikum die Anspielung verstünde, was den Unwahrscheinlichkeitsfaktor noch erhöht.
*Es gibt eine Stelle im Johannesevangelium, wo der auferstandene Christus die Jünger am See Genezareth aufsucht, die ans Land kommen um ihn zu begrüßen. In ihrem Netz sind laut Johannes 153 Fische. Augustinus hat in der Zahl einen Hinweis auf die Dreifaltigkeit Gottes gesehen, da die Zahlen in Punkten dargestellt ein gleichseitiges Dreieck ergäben
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Thiede meint aber, dass das abzulehnen sei, darüber habe der Evangelist Johannes wohl kaum nachgedacht. Diese Auffassung kann ich teilen, wobei ich dem Evangelisten Johannes, der ja unter den kanonischen Evangelisten der "Intellektuelle" ist, durchaus zutraue, dass er an eine solche Zahlensymbolik gedacht haben mag. Thiede dagegen hält die Zahl für historisch:
In dieser Szene erfahren wir auch etwas über die Gewissenhaftigkeit, mit der die Jünger um Petrus ihren Fischfang betrieben. Trotz der ungeheuren Anspannung der Situation - völlig unerwartet begegneten sie dem auferstandenen Jesus - vergessen sie nicht, erst einmal nachzuzählen, wie viele Fische sie gefangen hatten. Es waren nicht 152 oder 154, sondern 153: [...] Aus der Sicht des Historikers stellt sich die Frage, ob diese symbolischen Deutungen nicht erst dadurch möglich wurden, dass zuvor ein ganz unsymbolisches, faktisches Geschehen beobachtet wurde. Diese professionellen Fischer hatten zwei gute Gründe, ihren Fang sehr genau zu zählen. Einerseits wollten sie genau wissen, was sie da zum Weiterverkauf gefangen hatten, und andererseits hatten sie eine Fischfangsteuer zu zahlen, die nach der Zahl der gefangenen Fische berechnet wurde. Petrus und die anderen konnten auch im Augenblick der Begeisterung nicht aus ihrer Haut, aus steuerlichen Gründen durften sie es auch nicht...
Implizit geht Thiede da wohl auch von der Steuerehrlichkeit der Jünger aus. :still:
**Er argumentiert dabei durchaus mit den Regeln der Geschichtswissenschaft, verbiegt diese aber. Die Unterschiede im Auferstehungsbericht der vier kanonischen Evangelien sieht er als Beweis für ihre Wahrheit, was durchaus der Erfahrungswirklichkeit spricht, wenn mehrere Personen von demselben Ereignis berichten wird es immer verschiedene Versionen geben, wenn die Berichte sich zu sehr gleichen, kann man dagegen von Absprachen ausgehen. Was er bei dieser Argumentation außer acht lässt, ist, dass ja gerade die Synoptiker von einander abgeschrieben haben, teilweise ersetzen etc. Außerdem sind natürlich alle Evangelisten Christen, welche den christlichen Glauben teilen, sie sind also weder vom christlichen Glauben, der mit der Auferstehung steht oder fällt unabhängig, noch kann man von einer Unabhängigkeit der Synoptiker untereinander ausgehen. Die nunaciert unterschiedlichen Berichte der Synoptiker sind also nicht - zumal sie keine Augenzeugen der Ereignisse sind (den Nichtsynoptiker Johannes sieht er im Übrigen, wenn er sich hierbei auch außergewöhnlich vorsichtig ausdrückt, die Verantwortung für diese Aussage also auf andere schiebt, als den Apostel Johannes) - als Belege für unterschiedliche Augenzeugenberichte zu sehen, die Gründe für die Unterschiede müssen in unterschiedlichen Aussageabsichten liegen.