Kontinuität vom römischem Reich zu den Franken???

tela

Aktives Mitglied
Ich lese gerade einen Band über die Frage der Kontinuität in der Spätantike. Dabei hat sich eine Frage herausgestellt:
Es wurden 3 Daten für das Ende der römischen Herrschaft nördlich der Alpen angeboten: Das traditionelle von 406/7, eines mit 456 und eines mit 486.
Wenn ich jetzt davon ausgehe, dass römische Strukturen nördlich der Alpen noch 50 - 100 Jahre nach dem Ende der wirklichen militärischen Kontrolle einigermaßen funktionstüchtig waren, wäre die Frage folgende:
Lässt sich beobachten, ob die Franken bei ihrer Reichsbildung römische Strukturen, z.B. bei der Verwaltung gezielt übernommen haben?
 
Ich lese gerade einen Band über die Frage der Kontinuität in der Spätantike. Dabei hat sich eine Frage herausgestellt:
Es wurden 3 Daten für das Ende der römischen Herrschaft nördlich der Alpen angeboten: Das traditionelle von 406/7, eines mit 456 und eines mit 486.
Wenn ich jetzt davon ausgehe, dass römische Strukturen nördlich der Alpen noch 50 - 100 Jahre nach dem Ende der wirklichen militärischen Kontrolle einigermaßen funktionstüchtig waren, wäre die Frage folgende:
Lässt sich beobachten, ob die Franken bei ihrer Reichsbildung römische Strukturen, z.B. bei der Verwaltung gezielt übernommen haben?

Derartige Überlegungen und Nachweise dazu versuchte Patrick Geary (Die Merowinger. Europa vor Karl dem Großen) vorzulegen.
 
Die römische Herrschaft endete 486 als Chlodwig den letzten römischen Statthalter Syagrius besiegte. (Syagrius hielt auch nach dem Ende des Westreiches noch Nordgallien besetzt)
Was wurde aus den dort stationierten Soldaten???
Wurden die einfach ins fränkische Heer aufgenommen???
Behielten sie dabei ihre "römische" Rüstungen???
Oder zogen sie als Banden/einzelne Räuber durch die Gegend, ähnlich wie es im Spätmittelalter mit den Raubrittern war???

Ich hoffe, dass das hier reingehört.

s.d.caes.
 
@ Tiberius Caesar
Außer der Bemerkung von den "Raubrittern" stimme ich Dir zu, dass die Frage ganz gut ist. Vor allem wäre dabei wichtig, inwieweit diese Truppen des Syagrius noch auf die römische Art und Weise kämpften bzw. ausgebildet wurden, um zu ermessen, wie die Auswirkungen solcher Kentnisse eventuell auf die Franken gewesen sein könnten, in wie weit das vorgefundene Heerwesen auf das der Franken Einfluss nahm.
 
Die römische Herrschaft endete 486 als Chlodwig den letzten römischen Statthalter Syagrius besiegte. (Syagrius hielt auch nach dem Ende des Westreiches noch Nordgallien besetzt)
Was wurde aus den dort stationierten Soldaten???
Wurden die einfach ins fränkische Heer aufgenommen???
Behielten sie dabei ihre "römische" Rüstungen???
Oder zogen sie als Banden/einzelne Räuber durch die Gegend, ähnlich wie es im Spätmittelalter mit den Raubrittern war???

Ich hoffe, dass das hier reingehört.

s.d.caes.

Das sind tatsächlich sehr interessante Fragen - auf die dann P. Geary allerdings keine Antwort gibt.
Aber man geht wohl von der Integration aus.
Geary spricht sowohl von Militarisierung als auch von Barbarisierung der weströmische Gesellschaft.
Man darf auch nicht die Bedeutung der Hilfstruppen in der Spätantike vergessen.

Allerdings alles sehr vage.
 
Wichtig ist ja auch zu sehen, dass im weströmischen Heer, besonders bei den Grenztruppen schon lange Germanen gedient haben. Hier also ein hohes Maß an Kontinuität vorhanden gewesen ist. Auch lässt sich wohl aus den Gräbern sehen, dass hier oftmals alt und neue Siedler zusammen auf einem Friedhof bestattet wurden. Auch ein gutes Zeichen für eine schnelle Integration.
 
Lässt sich beobachten, ob die Franken bei ihrer Reichsbildung römische Strukturen, z.B. bei der Verwaltung gezielt übernommen haben?

Ich würde generell zwischen den einzelnen Regionen unterscheiden, zum einen die Alpenprovinzen und auf der anderen Seite diejenigen westlich des Rheins. Insbesondere unter dem Aspekt das sich die Fränkische Reichsgründung unter unterschiedlichen Aspekten in diesen Regionen ausbreitete.

Gerade bei der ursprünglichen Reichsgründung unter Chlodwig sehe ich den Glaubenswechsel hin zur römisch-katholischen Kirche als ein Machtinstrument. Daneben finden sich bei Gregor auch weiter Andeutungen dass die römische Verwaltungsstruktur zumindest beibehalten wurde. Titulatur, Auftreten und die Beziehungen zu Ostrom sind wohl auch damit zu erklären, dass sich die lokalrömische Oberschicht nicht ausgegrenzt fühlen sollte und somit zum "mitherrschen" angeleitet wurde.

Des weiteren gab es zumindest in den westgotischen und burgundischen Gebieten römisches Recht für die Romanen, was sicherlich nicht von heute auf morgen mit der fränkischen Eroberung abgeschafft wurde.

Was ich aber noch ansprechen möchte, mir scheint es so als wird Hier immer wieder davon ausgegangen, dass bei einer Eroberung eines gewissen Gebietes die indogene Bevölkerung verdrängt oder unterdrückt oder ausgewechselt wurde. Dies ist einfach grundlegend falsch. Diese Bevölkerungsschichten blieben selbstverständlich erhalten, das was sich großartig änderte war die Oberschicht bzw die Machthaber. Dies ist gerade bei den Franken wichtig, die ja nicht ihr gesamtes "Volk" bei den Eroberungen im Schlepptau hatten sondern sich von ihren Regionen aus die anderen Landstriche erkämpften.( Als Vergleich: die Vanadlen die Nordafrika eroberten hatten wohl kaum mehr als 80.000 Menschen, dh. Alte, Frauen, Kinder Sklaven und eine Stadt wie Karthago wohl um die 200.000 Einwohner) Insofern dürften eh viele ursprünglich römische Handlungen, Ideen oder sonstiges einfach weiter Bestand gehabt haben.
 
Es wurden 3 Daten für das Ende der römischen Herrschaft nördlich der Alpen angeboten: Das traditionelle von 406/7, eines mit 456 und eines mit 486.

In der früheren Forschung war das Jahr 406/407 ein "sakrosanktes" Datum, das leider zu vielen Missdeutungen geführt hat: Wegen der Aussage, dass die Rheingrenze in diesem Jahr zusammenbrach, hat man dies auch für die gesamten römischen Strukturen in den germanischen Provinzen angenommen - und dabei vorhandene Quellen ignoriert: das Heeresverzeichnis "Notitia Digitatum" zeigt nämlich auf, dass auch nach diesem zwar wirklich einschneidenden Datum noch Truppen am Rhein stationiert waren. Diese Überinterpretation war auch deshalb so verhängnisvoll, weil sich die archäologische Forschung danach richtete - mit dem Ergebnis, dass lange Zeit nur sehr wenige Funde für das 5. Jahrhundert identifiziert wurden.
456 ist meines Erachtens ein entscheidendes Datum. In diesen Jahren wurde die Endzeit des weströmischen Reiches eingeleitet. 455 fiel Köln an die Franken, zur gleichen zeit vermutlich auch Mainz. Trier wurde in den 470er Jahren. In diesen Jahren setzten sich die Germanen tatsächlich am linken Rheinufer fest. Erst in dieser Zeit bildete sich auch das Westgotenreich in Spanien und Südgallien. Ich denke, ab diesem Zeitpunkt war abzusehen, dass das römische Reich seine Macht in den westlichen Provinzen endgültig verlieren würde.


Wenn ich jetzt davon ausgehe, dass römische Strukturen nördlich der Alpen noch 50 - 100 Jahre nach dem Ende der wirklichen militärischen Kontrolle einigermaßen funktionstüchtig waren, wäre die Frage folgende:
Lässt sich beobachten, ob die Franken bei ihrer Reichsbildung römische Strukturen, z.B. bei der Verwaltung gezielt übernommen haben?

Haben sie. Die römische Nobilität existierte auch im Merowingerreich noch lange weiter. Den prägendsten Einfluss übte sie in Südfrankreich - wo die Senatoren eine bestimmende politische Schicht blieben - und in den städtisch geprägten frühen Bistümern aus. Eines der spannendsten Forschungsthemen zu dieser Zeit ist die Frage, wie stark die Franken "romanisiert" wurden. Mittlerweile geht man zum Beispiel davon aus, dass sogar die Reihengräber - eines der kennzeichnenden Merkmale fränkischer Kultur - erst durch römischen Einfluss entstanden.
 
tela schrieb:
456 ist meines Erachtens ein entscheidendes Datum.
Der letzte große Feldherr war Aetius, der den größten Teil des Reiches gegen die vordringenden Germanen und Hunnen verteidigte. Er wehrte sich tatsächlich gegen den drohenden Zerfall des Westreiches. Im Jahr 454 wurde er auf Betreiben Valentinians ermordet; das war der Todesstoß.
Tiberius Caesar schrieb:
Die römische Herrschaft endete 486 als Chlodwig den letzten römischen Statthalter Syagrius besiegte.
Syagrius beherrschte im Namen Roms, aber in tatsächlicher Unabhängigkeit, das Gebiet um Soissons.
Ashigaru schrieb:
Die römische Nobilität existierte auch im Merowingerreich noch lange weiter.
Insbesondere jenseits von Seine und Loire konnte sich der romanische Senatorenadel halten, der in Kirche und Verwaltung spätaltertümliche Bildung, Lebensgestaltung und Stadtkultur ins fränkische Reich der Merowinger einbrachte und weitergab. Ein Vertreter dieser Schicht war Gregor von Tours, der im wesentlichen die Kenntnis der Zustände vermittelt.
 
Kleiner Nachtrag

Hallo Tela,
ich frage mich, ob du bei Patrick Geary ("Die Merowinger") tatsächlich entsprechende Antworten bezüglich der Übernahme der römischen Verwaltung von die Franken erhalten hast. Als Ausgangspunkt zitiere ich mal

[...] Die römische Nobilität existierte auch im Merowingerreich noch lange weiter. Den prägendsten Einfluss übte sie in Südfrankreich - wo die Senatoren eine bestimmende politische Schicht blieben - und in den städtisch geprägten frühen Bistümern aus. [...]

Und zwar habe ich heute Nacht ein bißchen bei Ewig ("Die Merowinger und das Frankenreich" Verlag Kohlhammer, 2001) geblättert. Dort steht etwas im Kapitel VI. 7:

"Zu den wichtigsten Institutionen, die Chlodwig und seine Söhne als römisches Erbe direkt oder indirekt über gotisch-burgundische Vermittlung in Gallien übernahmen, gehörte der Civitascomitat." (S.97)
Der comes civitatis als königlicher Statthalter "umfassende Kompetenzen in Gericht, Heerwesen und Verwaltung." (ebd.) In den ländlichen Bezirken (pagi) seiner Civitas konnte er sich durch einen vicarius vertreten lassen. Zu seinem Personal gehörten tribuni und curiales, die beide für Steuereinziehung zuständig waren, erstere hatten eher Polizeifunktion, zweitere waren auch Art Beisitzer im Gericht.
Zur Verbreitung ("Civitaszone") stellt Ewig fest, daß es solche Civitascomitate vorwiegend in Mittel- und Südgallien gab, wobei die Provence eine Ausnahme bildete: hier gab es das Amt des rector Provinciae in Verbindung mit dem Patriciustitel.

Die nächst größere Verwaltungseonheit war das Dukat als Militärsprengel; der dux hatte den Oberfehl über die comites. Aus den als Dukate organisierten west- und südgallischen Enklaven der fränkischen Teilkönigreiche des 6. Jh. bildeten sich z. B die Reichsherzogtümer von Toulouse, Bordeaux, Le Mans und vorübergehend die Auvergne. ...
 
Ich lese gerade einen Band über die Frage der Kontinuität in der Spätantike. Dabei hat sich eine Frage herausgestellt:

Hi Tela, behandelt das Buch auch die östlichen Provinzen, also das byzantinische Reich und die weitere Kontinuität nach deren Zusammenbruch?

THX, lynxxx
 
Hi Lynxxx.
Nein. Mein Buch hatte einen ausgesprochen regionalen Charakter. Es ging klar um die Kontinuität zwischen Antike und Mittelalter in Südwestdeutschland.
 
Ashigaru schrieb:
Eines der spannendsten Forschungsthemen zu dieser Zeit ist die Frage, wie stark die Franken "romanisiert" wurden.
Der König der Franken wurde Ehrenkonsul der Römer und erhielt als Geschenk einen Königsornat mit Diadem und Purpurmantel.
 
Kommentar schrieb:
Das ist ja mal eine echt "gehaltvolle" Antwort auf eine spannende Frage.
Danke, denn daran ist zu erkennen, daß die
Macht- und Ämterhierarchie des Römischen Reiches generell in Kraft blieb, letztlich auch der Gedanke seiner Einheit. Seit 476 gab es nur noch einen
Kaiser in Ostrom, der von den Mächten im „Hexagon“ (geographischer Raum, in dem sich im Laufe der Jahrtausende eine Zivilisation entwickelte, die
die Grundlage des heutigen Nationalstaats Frankreich bildet) anerkannt
wurde. Umgekehrt wurde Chlodwig nach seinen Siegen über die
Westgoten und die Burgunden vom oströmischen Kaiser als rex anerkannt
und zum Ehrenkonsul erhoben. Die damit verbundenen
Rechte nutzte der merowingische Herrscher. Dies unterstreicht, daß
die Idee vom einen Römischen Reich noch wirkmächtig war. Chlodwig
übernahm in seinem erweiterten Herrschaftsbereich die römischen
Verwaltungsinstitutionen und das Steuerwesen, die Goldmünzen
trugen weiterhin das Bild des Kaisers, die Zusammensetzung des
Heeres war weiterhin gemischt römisch-fränkisch-germanisch. Der
alte Senatorenadel, aus dem viele Bischöfe stammten, konnte seine
gesellschaftliche Position halten, die politische Funktion der Bischöfe
scheint ebensowenig geschmälert worden zu sein. Seitdem die Franken
zumindest äußerlich das katholische Christentum angenommen
hatten, entfaltete dies neue soziokulturelle Integrationskräfte, wie
beispielsweise aus der sprunghaft ansteigenden Zahl von Klostergründungen
zu ersehen ist. Auf dem Land wurden immer mehr
Gemeinden eingerichtet, städtisches Leben erhielt seinen Rhythmus
durch die liturgischen Zeremonien. Die Gräber der Heiligen zogen
Pilger an, die zunehmenden Pilgerreisen von Britannien nach Rom
bildeten einen der Gründe, warum in der Merowingerzeit immer
mehr Hospize und Hospitäler entstanden und der Gedanke einer
institutionalisierten Fürsorge (nicht nur für Pilger) Platz griff. Weit
mehr als die politische Herrschaft, die instabil war, schuf das Christentum
einigende Bande in der immer noch multiethnischen Bevölkerung,
es verhinderte den Bruch mit der antiken Schrift- und
Rechtskultur und Kunst.
Quelle: http://www.ulmer.de/file/redirect/gf/pdfs/gf21-44.pdf
 
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