Warum sollte jemand sauer sein, nur weil jemand zu seiner Meinung steht die keinem Anderen in irgendeiner weise schadet? Mir ist es gleichgültig aus welchen Gründen jemand sich mit der Geschichte beschäftigt, solange er eine gewisse Ernsthaftigkeit an den Tag legt. Wenn auf diese Weise noch andere Leute zur Geschichte auf einem guten Niveau finden, desto besser!
Die bereits genannte Literatur ist mir zum Teil bekannt. Mit Blick auf das Militärwesen muss man natürlich sagen, dass die wenigsten Werke dieses Thema in den Mittelpunkt stellen. Bekanntlich ist Militär immer auch ein Mittel der Politik und steht daher in deren Schatten. Delbrück etwa hat eine ganze Reihe von zeitlosen Überlegungen angestellt, wobei seine Auslegung altgermanischer „Wehrverfassungen“ inzwischen deutlich überholt ist. Man merkt ihm an, dass er ein Zeitgenosse Dahns ist. Trotzdem ist es lesenswert, vor allem im Bezug auf seine Quellenkritik antiker Überlieferungen, seinem strategischen Blick (etwa zu den persischen Kriegen oder den punischen Kriegen) und der Tatsache, dass er die politischen Triebkräfte nicht außer Acht lässt. Dahns Werke sind mit Leidenschaft geschrieben, genau wie sein Roman und haben wohl schon so manchen Leser dazu gebracht sich mit dem Thema der Goten oder der Völkerwanderung zu befassen.
Beat Mayer-Flügel halte ich für sehr lesenswert, weil hier Alltag und die „Propaganda“ des Cassiodor gleichermaßen aufgezeigt werden. Beat versteht es den aus heutiger Sicht schwülstigen Stil Cassiodors zu entkernen und ihm immer neue Perspektiven abzugewinnen. Man darf nicht vergessen das Cassiodor ein leitender Politiker des Ostgotenreichs war und ein Gelehrter seiner Zeit zugleich, der versuchte antike Traditionen, das Christentum und die „barbarischen“ Goten miteinander zu versöhnen. Die außergewöhnlich segensreiche Herrschaft des Königs Theoderich in Italien war die Frucht dieses Zusammenspiels zu dem Cassiodor erst in der letzten Phase dessen Herrschaft seinen Teil beitrug und sie glorifizierte.
Ganz ähnlich hat auch Prokop Hintergedanken, nämlich seinen Helden Belisar zu feiern. Indem Prokop kein verantwortlicher Politiker der ersten Linie war (er hat sehr wohl ebenfalls Politik gemacht! Etwa als Gesandter…), kann er sich seine Distanz zum Hofe in Konstantinopel besser leisten. Er schreibt sehr viel, zeigt aber von Militärischem wenig Sinn zu den Kernfragen – wie schon Delbrück herausstreicht. Trotzdem ist er ganz bestimmt die umfangreichste der zugänglichen Primärquellen zur Gotengeschichte.
Die Getica des Jordanis scheint der Versuch das Politisch-Geschichtliche Gesamtkunstwerk Cassiodors im Sinne des geplanten Feldzuges des Germanicus während des Ostgotenkrieges diesem Zunutze zu machen? Immerhin hatte dieser oströmische Feldherr die Enkelin des Ostgotenkönigs Theoderich geheiratet – als ranghöchste Fürstin des legitimen amalischen Herrschergeschlechts der Ostgoten. Ein Schachzug der sich wohl gegen die letzten Heerkönige der Ostgoten in Italien richten sollte um „Legitimisten“ unter den Goten auf dessen Seite zu ziehen. Germanicus starb aber bevor er wirklich aktiv werden konnte und Narses führte letztlich dessen Heer zum siegreichen Feldzug nach Italien…
@Militär:
Rein was das Militär betrifft sehe ich bei Wolfram und Delbrück wichtige Grundgedanken beschrieben. Spätantike Heere, besonders von Foederierten wie es die Goten etwa in Italien waren sind häufig irritierend. Ich habe schon ein paar meiner Sichtweisen zu Foederierten hier im Forum gepostet. Durch römische Zahlungen wurde Einfluss auf die Heere der Wandervölker genommen!
Von den Goten erwartete man seit der Schlacht von (H)Adrianopel Reiterkrieger, darauf komme ich noch mal später zurück. Wolfram sagt einmal sehr gut, dass die Namen verschiedener Völkerschaften antiker Schlachtberichte im Wesentlichen oft fast so etwas wie eine bestimmte „Waffengattung“ meinen. Ich will es einmal wie folgt interpretieren:
Boiorix hat herausgestellt, das die (H)Eruler einst für eine flinke, leichte Infanterie bekannt waren. Die Goten waren für ihre Lanzenreiter berühmt, wobei die überlange Lanze (als Cantus bekannt) mit beiden Händen zugleich geführt wurde (wurde auch von Sarmarten benutzt und Anderen). Die westlichen Franken stellten der römischen Armee seit langem Fußkrieger mit gutem Kampfgeist die anscheinend mit Schild, Ango (pilumartigem Wurfspeer) oder Wurfaxt bewaffnet waren. Von alanischen Foederierten erwartete man ebenfalls Reiterkrieger, darunter vor allem jene mit hunnischer Kampfweise – also mit Pfeil und Bogen! Kontingente der Hunnen dienten auch oft in römischen Heeren und als der Westgote Alarich auf Rom marschierte, führte ihm sein Nachfolger auf dem Thron Athanarich ein gemischtes Reiterkontingent bestehend aus Goten und Hunnen von Pannonien aus zu. An einer Stelle streicht Prokop heraus wo die Goten besonders unterlegen waren, nämlich in genau dieser „hunnischen“ Kampfesweise als schwer gepanzerte, berittene Bogenschützen. Bei fast allen berühmten und siegreichen Schlachten der Goten gegen die Römer hatten sie auch stammesfremde Kontingente dabei die sich auf diese Kampfesweise bestens verstanden… In den Hilfsheeren Belisar und Narses ist oft zu bemerken dass auch Prokop diese „nationalen Eigenheiten“ im Sinne von Waffengattungen benutzt, wenn er von bestimmten Völkern schreibt.
Es lohnt wirklich das Kapitel „Exercitus Gothorum“ von Wolfram aufmerksam zu lesen. Dabei wird auch klar, dass trotz der oben genannten „Kernkompetenz“ der Goten als Reiterkrieger sie durchaus auch andere Kampfesarten kannten. Auf dem Balkan etwa wehrte Theoderich Angriffe bulgarischer Streifscharen (sie wohnten damals noch keineswegs in Bulgarien, das war später) mit einer Armee ab, die fast ausschließlich aus Infanterie mit Bogenschützen und Speerkämpfern bestand. Die „teuren“ Reiterkrieger rekrutierten sich wie fast immer damals im Wesentlichen aus der begüterten gotischen Oberschicht, die man nicht zu Unrecht mit dem Adel und ihrem direkten Gefolge in Verbindung bringen kann. Sie hatten Geld, Zeit, Lust und auch Muße ihr Waffengeschick als Reiterkrieger zu vervollkommnen. Die Fußkrieger der Goten werden kaum dieser Schicht angehört haben. Ihre Ausrüstung war einfacher und Theoderich hat die vorgefundene italische Waffenproduktion mit Sicherheit genutzt ihre Bewaffnung und Ausbildung weiter anzuheben. Ein Volk auf der (kriegerischen) Wanderschaft bleibt in allen seinen Teilen ein kriegsgeübtes Volk. Diese Übung schwindet nur zu leicht in einem üppigen Land, falls wirklich größere Teile der Goten wieder Bauern geworden sein sollten und der König nicht Gegensteuert. Delbrück unterstreicht mit Recht die guten Leistungen gotischer Fußkrieger während der Belagerung von Rom und ihr völliges Versagen in Totilas letzter Schlacht! Genüsslich hebt Wolfram etwa hervor, wie erfolgreich gotische Foederatenheere in römischen Diensten im Verbund mit den „Völker-Waffengattungen“ anderer Foederaten und römischen Truppen gekämpft haben und wie oft gotischer Reiterstolz dagegen bei eigenen Kriegen in Niederlagen geführt hatte! Das hat nichts mit mangelnden Fähigkeiten gotischer Offiziere oder Krieger zu tun, sondern mit dem was das moderne Militär unter „kombinierten Waffengattungen“ versteht. Römische Foederatenpraxis förderte halt die Spezialisierung. Dazu kam der Stolz des waffenbewussten Adels, wenn er etwa 507 die fatale Schlacht der Westgoten gegen die Franken bewirkte, obwohl der ganze Kriegsstrategie ihres Königs auf die zu erwartende Hilfe des ostgotischen Brudervolkes ausgerichtet war. Sie trotzten ihrem König die Schlacht ab und unterlagen!
Als passendes Schmankerl zum Thema Waffengattungen/Stämme kommt mir gerade ein Asterix-Band in den Sinn, wo auf einem römischen Sklavenmarkt „Garantiert rostfreie Thraker“ angeboten werden. Denn „Thraker“ wurde ein gewisser Gladiatorentyp genannt, der mit Schwert und „viel Eisen“ ausgestattet war. Eigentlich waren die Thraker eine Volksgruppe gewesen, deren Schwertkämpfer einst einiges Ansehen genossen hatten….
Ich habe jetzt die ganze Zeit fast nur von den Goten nach dem Hunnensturm geschrieben, dabei lebten doch Goten zuvor einige Zeit nördlich der Donau und stellten dem römischen Militär ebenfalls foederierte Krieger und Personal für Auxilien! Damals waren die Goten (gemeint sind hier die Terwingen und nicht die östlichen Greutungen/Ostrogothen) aber nun gar nicht für ihre Reiterkrieger berühmt. Man schätzte sie als zuverlässige Infanteristen mit Schwert und Schild. Mehrere Kohorten (also Fußkrieger) mit gotischem Personal nahmen noch am großen Perserkrieg Kaiser Julian (Apostata) teil! Als sich ein angeblicher Nachfahre der gerade ausgestorbenen konstantinschen Kaiserdynastie (Prokop) erfolgreich vor den Goten als „legitimer“ Thronfolger präsentierte und gotische Foederaten zur Durchsetzung seines Anspruchs gemäß der Verträge einforderte, marschierten 3000 gotische Elitekrieger in Richtung Konstantinopel um den Usurpator zu helfen. Doch der war bereits hingerichtet worden bevor sie eintrafen. Die gotischen Krieger von Stand werden beschrieben als langmähnige große Kerle mit eng geschnürter Rüstung und guter Bewaffnung – und als Fußkrieger!
Erst nach der Schlacht von (H)Adrianopel sind die späteren Westgoten „verreitert“ wie ihre östlichen Vettern. Auf die oben genannte Episode mit dem Usurpator folgte der Krieg Kaiser Valens gegen die Terwingen unter Athanarich. Hier ist wieder von einer gotischen Kavallerie nicht sonderlich die Rede. Vorher hatten die Goten nur zu gerne auf die teils durchmischt mit ihnen lebenden, anderen Völker, wie die Taifalen oder sarmatische Stämme zurückgreifen können und anscheinend keine erwähnenswerte Reiterei besessen. Die Taifalen in römischen Diensten galten als ausgezeichnete leichte Reiterei und einige von Ihnen waren als Dediticii für das römische Militär etwa in Gallien und sogar in Italien angesiedelt worden. Während der gotischen „Landnahme“ am Schwarzen Meer und ihrer Kriegszüge unter König Kniva im dritten Jahrhundert sind die Goten auch noch Fußkämpfer gewesen. Die Akkulturation an die Reitervölker Südrusslands (wie vor allem die Sarmaten) ging im Westen eben langsamer vonstatten als bei den östlichen Goten, die schon lange vor Eintreffen der Hunnen als verwegene Reiterkrieger unter König Ermanrich ein mächtiges Reich in Südrussland errichtet hatten.
Schluss jetzt! Das Meiste von dem hier geschriebenen hatte ich im Wesentlichen schon in anderen Threads geschrieben