Hallo Beorna, ich werde mich jetzt nach und nach mit deinen Beiträgen auseinandersetzen.
Ich habe mich, nach einigem Zögern, seit längerem der Springerschen These über den Sachsenstamm bzw. über den nicht existierenden Sachsenstamm, angeschlossen. Das es diese gens nicht gab, bedeutet aber nun doch nicht, daß es auch keine saxones gab.
Das ist das Paradoxon, an dem ich mich zur Zeit anscheinend aufwendig abzuarbeiten bemühe. Mit Springer kann man fast alle Theoreme, die die Forschung über die Sachsen aufgestellt hat, stark kritisieren; neben der Betonung des Verzichtes auf die ptolemäische Angabe nach Kahrstedt, wüßte ich gerade keine positive Aufnahme eines solchen Sachsenforschungsergebnisses, bis auf eine, die ich auch in einem meiner Beiträge (#8) - allerdings falsch zitiert - habe und die gewissermaßen meine Fragestellung der Verbindung von Ethnographie und Archäologie anbetrifft. Im Zusammenhang der Ala Saxonum, von der er auch sagt, daß diese möglicherweise anfangs auch tatsächlich "aus 'echten' Sachsen bestanden" habe schreibt: "Aus Bodenfunden zwischen der Ems und der Niederelbe wird geschlossen, dass Söldner, die aus diesen Gebieten stammten, während des 4. und 5. Jhs. im römischen Heer gedient haben." (Springer, 2004, S.45) Neigt Springer eigentlich einer Auffassung zu, daß eine Art kontinentale Saxonia faßbar werden könnte? Was mich daran aber irritiert ist sein plötzlich positive Bezugnahme auf Forschungsergebnisse, die seiner textkritischen Methode gewissermaßen zuwider laufen. Er referiert jedenfalls auf einen Beitrag von Böhme (1999b), in dem der Autor wahrscheinlich machen will, daß sächsische Heerführer im römischen Heerwesen im ausgehenden 4. Jh. ansehnliche Stellungen, wenn auch keine höheren Offiziersstellen, erreicht haben könnten. Ich werde im folgende einige Belegstränge referieren, wobei ich die Diskussion der Bestattungssitte grundsätzlich weglassen, dafür aber andere Arbeit von Böhme (1976a, 1999a) miteinbeziehe:
Die Betrachtung der Solidi-Funde für das 4. bis Anfang 5. Jh. führt den Autoren zunächst zu dem Schluß, daß sie gewissermaßen im Einklang mit den Quellen stehen, daß zwar Alemannen und Franken, aber keine Sachsen höhere Offiziersstellen bekleidet haben dürften. Der Hortfund von Lengerich ist dabei problematisch, den Böhme an anderer Stelle als Opferfund eines fränkischen Magnaten des 4. Jhs. plausibel machen will; im Zusammenhang mit den Insignien heißt es denn auch eindeutig, daß der Schatz "nur wegen seiner topographischen Lage im Ems-Weser-Gebiet aufgeführt [wird], obwohl der einst bedeutsame einheimische Söldnerführer nur schwerlich für die Sachsen in Anspruch zu nehmen ist." (S.62) Bezüglich des singulären Fundes dreier Silberbarren aus Diesdorf (Raddestorf), die um 418 in Trier oder Konstantinopel gegossen worden sein sollen, lasse aber "erkennen, daß ein in römischen Diensten erfolgreicher Söldnerführer von der Mittelweser (nur wenig südlich von Liebenau) im ersten Drittel des 5. Jhs. in den Besitz einer größeren ungemüßten Silbermenge gelangt sein muß." (S.52 f) An weiteren Einzelfunden nennt Böhme auch noch die spätantike Silberschale von Altenwalde, eine Elfenbeinarbeit aus Stendorf bei Osterholz-Scharmbeck, sowie Arm- und Fingeringe und Zwiebelkopffibeln (neben dem bereits aus Lengerich erwähnten) aus Meinerfehn (Uplengen/ Leer) und Hummeldorf, sog. Vestlandkessel (Bronzegefäße) aus Helle; auch Glasschalen und -becher aus Helle, Altenwalde, Issendorf, Wiepenkathen und Ritsch bei Stade nennt der Autor in diesem Zusammenhang.
Nun mögen derartige Funde für gewisse Kontakte eines „Siedlungsgebietes zwischen Unterweser und Elbmündung mit dem römischen Reich auch noch im 5. Jh.“ (Böhme, 1976a, S.211) sprechen, aber dieses Siedlungsgebiet schon als „sächsisch“ anzugeben, erscheint weniger belegt als vielmehr voraussgesetzt. Was ist also weiter anzuführen? Böhme (1999b) verweist auf die Funde von den ca. 250 Kerbschnittgarnitur-Exemplaren, die man mit "germanischen Söldnergräbern der Grenzprovinzen von Britannien über Gallien bis ins Donaugebiet, bes. häufig jedoch im nördlichen Gallien und gelegentlich auch im rechtsrheinischen Barbaricum" (Böhme, 1999b, S.54) in Verbindung bringt.
Die Mehrzahl der mehrteiligen Garnituren datiert demnach etwa Ende 4. Jh. u. Anfang 5. Jh., wurde aber abgelöst von der sog. Einfachen Gürtelgarnitur, die bis zur Mitte des 5. Jh. in Gebrauch war. Daneben gab es eine einfachere Form. Einen Prunkgürtel, den man in Grab 32 von Sahlenburg (Cuxhaven) gefunden hat, schreibt er einem sächsischen Sölnerführer, der unter Valentinian I gedient hätte, zu. Weitere Exemplare stammen aus Herbergen (südlich von Kloppenburg) - Böhme vermutet hier ein nicht erkanntes Körpergrab - sowie aus dem Oldenburger Land; ersteres zeichnet sich durch eine besonders Breite Gürtelschnalle aus, letztere durch die Verzierung Riemenzunge des Typs Misery. Die Gürtelgarnitur von der Fallward wird als Typ Vieuxville ins frühe 5. Jh. datiert, wobei Böhme (ebd., S.56) das dendrochronologische Datum des Bootsarges angibt (421 n. Ztr.). Von der zweiten, jüngeren Variante hat man Exemplare in Helle, Liebenau, Bremen-Mahndorf und Wijster gefunden; zwei der dritten Variante stammen aus Haselünne und Stolzenau. Durch die kartogrpahische Auswertung kommt Böhme zu dem Schluß, daß sich also archäologisch nachweisen ließe, "daß nicht nur Franken und Alemannen, sondern auch sächsische Sölnder bereits in valentinianischer Zeit angeworben wurden [...], besonders intensiv scheint jedoch sächsischer Zuzug zur spätrömischen Armee während des 5. Jhs gewesen zu sein" (S.59 f).
Aber auch hiermit ist noch nicht belegt, daß es sich wirklich um „Sachsen“ handelt. So kommt er auf die sog. Stützarmfibeln mit Trapezfuß und die von Männern getragenen Stützarmfibeln mit gleichbreitem Fuß zu sprechen, die unter dem Einfluß spätrömischer Zwiebelknopffibeln entstanden seien. Älteren Exemplare aus Bronze gelten dem Autoren als "sächsisch"; seit Beginn des 5. Jh. erscheinen auch welche aus Silberpreßblech. Die meisten und "gewichtigsten" sind nach Angabe sog. gleicharmige Kerbschnittfibeln des 5. Jhs., die ebenfalls "typisch sächsisch" seien und unter römischen Einfluß entstandene Muster aufweisen. Das massive Autreten dieser Fibeltypen im Elb-Weser-Dreieck führten den Autoren zu der Ansicht, diese "für genuin sächsische Fibeln" zu halten. Von den Stützarmfibeln mit Trapezfuß (Niedersächs. Typ A u. B) haben sich lediglich vier Exemplare außerhalb dieses mutmaßlich sächsischen Kerngebietes gefunden: Ihr Auftreten in Nordgallien (spätes 4. Jh.) dienen dem Autoren denn als Nachweis für Anwesenheit sächsischer Söldner bzw. dessen Frauen, während es auch gallische Typen gibt, die auf diese sächsischen Vorbilder zurückgehen sollen; keine wurde in Britannien gefunden, weshalb der Autor dort für das 4. Jh. nicht mit nennenswerter Anwesenheit sächsischer Söldner rechnet. Entsprechendes gilt für sog. Tieföhrnadeln, "die sich durch den Grabfund von Bliedersdorf in die Zeit um 400 datieren lassen" (S.70), so daß sich - wenn auch spärlich - eine Fundkonzentration mutmaßlich sächsisch einzuordnender Zuschreibung in der Provinz Germania II ergebe.
Damit komplettiert Böhme zwar seine Kartierung gallorömisch-nordseegermanischer Beziehungen, aber auch hier ist noch zu erweisen, was er belegen will: daß es sich „sächsische“ Söldner handelt. Im folgenden kommt Böhme (1999b) zum Kern seiner Argumentation: Die Übergangsform (Vorstufe Issendorf) der Stützarmfibel mit Trapezfuß zur späteren gleicharmigen Kerbschnittfibel sieht der Autor in fünf Exemplaren, die ausschließlich im nördlichen Elb-Weser-Dreieck nachgewiesen wurden. Als Weiterentwicklung sieht der Autor die Frühform Seraing an, kleine gleicharmige Gewandspangen aus Bronze" (S.67). Erst ins frühe 5. Jh. datieren die ersten gleicharmigen Fibeln vom Typ Sahlenburg, die flächendeckende Kerbschnittmuster aufweisen. Fünf einheitliche Exemplare stammen aus dem Elb-Weser-Dreieck, eines aus Ostengland (Mucking), "wohin es nur mit seiner Trägerin, einer Sächsin des frühen 5. Jhs. gelangt sein kann.“ (S.67) Weitere Exemplaren dieser gleicharmigen Kerbschnittgewandspangen, zum Teil auch aus Silber und vergoldet (Typ Dösemoor und Nesse), wurden je ein Exemplar in Mahlstedt und Obernhausen (Oldenburg) gefunden, waren aber auch zwischen Weser und Rhein sehr verbreitet, was Böhme dahingehend deutet, "daß wohl seit dem mittleren 5. Jh. auch andere Bevölkerungsgruppen außerhalb des Elb-Weser-Dreiecks sich mit typisch sächsischen Trachtenaccessoirs geschmückt haben, um damit ihre Zugehörigkeit zu diesem [...] 'Stammesverband' zu bekunden" (S.67), während das gleichzeitige Auftreten dieses Typus in Britannien "als Beleg der auch schriftlich bezeugten Zu- und Einwanderung sächsischer Bevölkerungsgruppen" (ebd.) gelten könne. Während der ersten Hälfte des 5. Jhs. entstanden auch die dem Autoren als typisch sächsisch geltenden Stützarmfibeln mit bandförmigen Bügeln (Typen Mahndorf und Perlberg) im Elb-Weser-Dreieck, deren Verbreitung in in Ostengland ebenfalls die Anwesenheit sächsischer Bevölkerungsgruppen belegen sollen. Nun liegt mir sein Verweisartikel von 1986 nicht vor, aber schon früher schrieb er, daß man mit J. Werner den „Beginn der „sächsischen Siedlung in England“ (Böhme, 1976a) um 400 ansetzen könne, worauf die Gräberfelder in Muckin (Essex), Spong Hill (Norfolk) und auch Dorchester (Oxforshire) hinweisen würden; dezidiert nennt er hier die um diese Zeit von ihm datierten Fibeltypen: gleicharmige Kerbschnittfibel-Typ Sahlenburg, verzierte komponierte Schalenfibeln und Stützarmfibeln mit bandförmigen Bügel. Interessant ist die Aufstellung der Auslaufdaten dieser Fibeltypen: „Tutulus- und Stützarmfibeln (mit Trapezfuß) waren bereits um 400 außer Mode gekommen, die komponierten Schalenfibeln und schmalen Stützarmfibeln scheinen nach der Mitte des 5. Jhs. nicht mehr benutzt worden zu sein, und die [...] jüngsten Kerbschnittfibeln und die gegossenen Schalenfibeln kommen am Ende des 5. Jhs. außer Gebrauch.“ (Böhme, 1976a, S.219) In dem so kartierten Gebiet tauchen nun andere Fibelformen (Bügelfibeln ohne Kerbschnittverzierungen), deren Verbreitung im Süden, Osten und Nordosten liegt; daß Vergleichsstücke auch aus England stammen, deutet der Autor dahingehend, „daß auch noch nach der Mitte des 5. Jhs. mit Kontakten zwischen dem östlichen Elb-Weser-Raum und der neuen überseeischen Heimat der Sachsen zu rechnen ist“ (ebd.), obzwar die mutmaßliche Herkunft dieser Fibelform (nach südosteuropäischer und donauländischer Anregung) „im Thüringerreich und den nördlich anschließenden Gebieten“ (ebd.) gesehen wird. Insofern ist gar eine Kartierung der Bügelfibeln mit (gelappter oder gelochter) Kopfplatte bei Böhme (1999a, S.65) irreführen, die durchaus enge Beziehungen zwischen den Ländern der "Angelsachsen" und "Sachsen" belegen könnte, wenn sie nicht auf der seiner Fundanalyse der 70er Jahre basieren würde und sich als Detailansicht herausstellt.
Was nun die Stammesentwicklung der Sachsen betrifft, führt Böhme (1999b) neben der Piraterie im ausgehenden 4. Jh. gemäß Autor vor allem zur Indienstnahme sächsischer Söldner ins römische Heer; die Bildung einer sächsischen Reitertruppe (Ala saxonum) falle dabei wahrscheinlich noch in die Zeit Diocletians (Böhme, 1976a); möglicherweise wurde der als "kühne, gefolgschaftliche Seefahrer" konnotierte, "durch kriegerische Unternehmungen des 4./5. Jhs. (anfangs Piratenzüge, später Söldnerdienste)" prestigeträchtige Sachsenname "auch bei ursprünglich nicht zugehörigen Bevölkerungsgruppen im Hinterland" (1999b) - beispielsweise aus dem Gebiet zwischen der Ems und der Weser oder von der Mittelweser "an den Seefahrten teilnehmen wollten, dadurch erfolgreich integriert werden konnten und auf diese Weise zu 'Sachsen' wurden." (S.71) Der Zuzug wurde von sächsischen Heerführer organisiert, deren Gräber man auf der Fallward, in Issendorf oder Helle gefunden hat. Als Indiz für eine "sächsische Identität" wertet Böhme also die Tracht und scheint ein sächsisches Kernland nahezulegen, nämlich das Elb-Weser-Dreieck. Ein weiteres Argument für die Ausbreitung der Sachsen wenigstens bis zur mittleren Weser ließe sich dann weiter mit Böhme (1999a) durch die Verbreitung der Bügelfibel mit gelappter Kopfplatte vom Typus Liebenau-West Stow anführen, wovon auch ein Exemplar in einem Frauengrab (F 128) aus dem westfälischen Beele - einer wohl spätantik-frühmittelalterlicher Gräberfeld, daß z. T. eine kaiserzeitliche Siedlung überlagerte - stammt und die er zweifelsfrei einer Sächsin zuschreibt, da diese Gewandspangenform "im ausgehenden 5. Jh. ausschließlich von Sächsinnen zwischen Niederelbe und Mittelweser getragen wurde." (S.64)
All das zusammengenommen mag zwar gewisse Indizien für die Kartierung eines sächsischen Stammesgebietes ergeben, wie sie etwa Häßler abgebildet hatte, aber damit ist die Rede von „Sachsen“ im Sinne einer ethnischen Einheit mitnichten belegt und bleibt ausgesprochen problematisch. So ist S. Brathers zuzustimmen, demnach die als "angelsächsisch" gedeuteten Funde seit dem späten 4. Jh. auf der britischen Insel zwar ein gewisser Beleg für Siedler sein mögen, sie belegen aber "zugleich - durch ihre starke Ähnlichkeit zu kontinentalen Funden Nordwesteuropas - anhaltende Beziehungen, gewissermaßen 'Rückkopplungen' zum Kontinent und den dort gelegenen Herkunftsgebieten (Keramik, gleicharmige und kreuzförmige Fibeln). Im Fundmaterial sind interessanterweise auch Beziehungen in den fränkischen, alemannischen und thüringischen Raum zu erkennen, was auf heterogen zusammengesetzte und nicht auf geschlossene Siedlergruppen hinweist (vor allem in den Körpergräberfeldern südlich der Themse). Außerdem sind die Beziehungen nach Norwegen offensichtlich (Abb. 36)." (S.272)
Die Funde, insonders die frühen, ließen sich vielleicht mit Saxones zusammenbringen, aber gewiß nicht mit einer Saxonia antiqua im ethnischen Sinne.
Lit.:
H.-W. Böhme, Das Land zwischen Elb- und Weser-Mündung vom 4. bis 6. Jh. Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern 29: Das Elb-Weser-Dreieck I. Mainz am Rhein: v. Zabern, 1976, S.205-225
ders., Franken oder Sachsen? Beiträge zur Siedlungs- und Bevölkerungsgeschichte in Westfalen vom 4.-7- Jahrhundert. Studien zur Sachsenforschung 12, S.43-73
ders., Sächsische Söldner im römischen Heer. Das Land zwischen Ems und Niederelbe während des 4. und 5. Jahrhunderts. Über allen Fronten. Nordwestdeutschland zwischen Augustus und Karl dem Großen. Oldenburg: Isensee, 1999, S.49-73