Sepiola geht es dabei weniger um den historischen Buddha sondern ihn "erstaunt" die auffällig unterschiedliche Herangehensweise an die Quellen durch Chan je nach ihrer Herkunft. Während Chan der Auffassung ist, das frühe Christentum liege im Dunkeln (die Datierung der Paulusbriefe und der Evangelien verwirft er, da diese "erst" im 2. Jhdt. durch andere Quellen erwähnt werden), ist es für ihn überhaupt kein Problem bzgl. Buddha Quellen, die einen weitaus größeren Abstand zu ihrem Sujet aufweisen, für bare Münze zu nehmen.
Ich habe diesen Thread erst heute entdeckt.
Die Frage ist doch, ob sich meine Aussage, Buddha entstamme einer "mächtigen aristokratischen Familie", der Aussage Sepiolas, die These ´Reinkarnation = Teil der urchristlichen Lehre´ sei "zweifellos falsch", so direkt gegenüberstellen lässt, wie ihr beide das glaubt. Ich meine: Nein. Ich behaupte ja nicht, dass diese biografische Angabe
zweifellos wahr ist. Sie entspricht einfach einem weitgehenden geschichtswissenschaftlichen Konsens und ist für den Inhalt der buddhistischen Theravada-Lehre, die laut buddhistischer Tradition auf Siddharta Gautama zurückgeht, ganz irrelevant. Soll heißen: Ob Siddharta gelebt hat und aristokratischer Herkunft war, ist genauso bedeutungslos für die Aussagen der theravadischen Lehre wie die Frage der Historizität von Albert Einstein für den Inhalt der Relativitätstheorie.
Ganz anders im Fall des Jesus: Mit seiner Historizität steht und fällt der Inhalt und damit die Bedeutung der mit dieser Gestalt verknüpften Lehre.
Die theravadische Lehre ist - nach buddhistischer Auffassung - eine pragmatische Methodik zur Erlangung eines Erleuchtungsbewusstseins. Eine gesonderte quasi-mythische Verehrung der Person des Buddha, wie sie sich zusätzlich herausgebildet hat, ist ein sekundäres und der pragmatischen Lehre fremdes Phänomen. Extrem formuliert hat dies der Zenmeister Lin-Ji (9. Jh. CE), der Begründer der japanischen Rinzai-Schule, mit der Koan-Formel "Triffst du den Buddha, töte den Buddha".
Man sollte bei Aussagen über eine vermeintlich authentische Ur-Lehre des Jesus (unabhängig von dessen Historizität) also mehr Vorsicht walten lassen als Sepiola mit seiner "Zweifellos falsch"-Behauptung. Die christliche Quellenlage lässt einen solchen Schluss nun einmal nicht zu. Was sie stattdessen zulässt, ist eine Vielfalt von Urlehre-Hypothesen, die durch das Problem der Unterscheidung vermeintlich echter von falschen Christus-Worten (in den Evangelien) noch zusätzliche Brisanz erhält. Der überzeugte Christ Prof. Gerd Lüdemann sagt dazu:
Bibelzitate
Jesus ist ungeachtet aller wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihm für mich ein Fremder geblieben, so wie die ganzen christlichen Gestalten aus dem 1. Jahrhundert für mich Fremde sind. Ich kann Jesus nur durch diese Fremdheit hindurch beschreiben. Ich kenne einzelne seiner Worte und ich würde mal sagen, fünf Prozent davon im Neuen Testament sind echt ...
Natürlich sind auch diese 5 Prozent nur hypothetisch echt.
Im Falle von Buddha sind solche Zweifel und Berechnungen insofern irrelevant, als der pragmatische Wert der Theravada-Lehre überhaupt nicht davon abhängt, ob ein historischer Siddharta dies ursprünglich genauso gelehrt hat. Hinzu kommt, dass buddhistische Schulen nie ein Problem damit hatten, offen von der Theravada-Lehre abzuweichen, indem sie neue Sichtweisen und Methoden einführten wie z.B. im tibetischen Buddhismus, im Mahayana-Buddhismus des Nagarjuna und im Zenbuddhismus.