Wie von Traian "erbeten" nachstehend meine Original-Rezension des folgenden Buches, die ich bereits im Oktober 2008 an anderer Stelle veröffentlicht habe:
„Die Varusschlacht – Römer und Germanen“
Ralf-Peter Märtin
S. Fischer-Verlag, Frankfurt/Main, September 2008
460 Seiten, davon 101 Seiten Anhang/Quellenverzeichnis und 71 Seiten Rezeptionsgeschichte.
(d. h. 281 Seiten „eigentlicher Text“, davon nur 40 Seiten zur Varusschlacht.)
Etwa ein Dutzend überwiegend kleinformatiger s/w-Abbildungen im Text. Acht Karten, ein Stammbaum des Julisch-Claudischen Hauses.
Rezension:
Eine Rezension dieses Buches fällt mir sehr schwer. Weil es einen sozusagen janusköpfig anblickt.
Ober anders: Dieses Buch liest sich flott und spannend, gewissermaßen gleitet der Leser wie auf einer gut ausgebauten Autobahn entspannt dahin.
Wären da nicht ab und an diese wirklich ärgerlichen Schlaglöcher, die einen jedes Mal gehörig durchschütteln.
Doch davon später - fangen wir mit dem Guten an:
Dieses Buch greift von allen Neuerscheinungen zum Thema „Varusschlacht“, die ich bislang in den Händen hielt, am weitesten aus.
Der geschichtliche Ablauf beginnt nicht bei Caesar, sondern bereits bei den Kimbern und Teutonen (die Ambronen nicht zu vergessen, die gern unterschlagen werden!).
Wir erhalten ferner nicht nur eine gute Beschreibung der geschichtlichen Umstände, sondern zugleich auch eine ziemlich gute Augustus-Kurz-Biografie, eine ebensolche des Tiberius wie auch des Varus und – soweit bekannt – auch des Arminius.
Ferner wird der Zusammenprall der verschiedenen Soziokulturen, der römischen wie der germanischen sehr gut dargestellt.
Das Wirken der Römer in Germanien unter Drusus und Tiberius kommt auch nicht zu kurz.
Wir erfahren endlich mal Einzelheiten über den „pannonischen Aufstand“ (S. 134-165), der ja die geplante völlige Unterwerfung Germaniens vereitelte und der in anderen Büchern eher dilatorisch abgehandelt wird.
Diesen Aufstand schätzten die Römer immerhin als so gefährlich ein, dass sie 15 Legionen, 70 Cohorten Auxiliare und 10 Alen Kavallerie einsetzen.
Das ist locker die fast doppelte Stärke, die später Germanicus bei seinen Germanischen Rachefeldzügen zur Verfügung stand.
Und anschließend eine Zusammenfassung der Ereignisse des Jahres 9 – gesehen aus der Kalkriese-Perspektive, die der Autor nachdrücklich vertritt.
„Verblüffend“ ist vielleicht, dass der Autor die These vertritt, die Römer seien zunächst nur von ihren eigenen, von Arminius geführten Hilfstruppen, angegriffen worden, denen sich nach und nach immer mehr andere germanische Stämme angeschlossen haben.
Es folgt eine ausführliche Darstellung der Stabilisierung der Lage durch Tiberius und anschließend der Rache-Feldzüge des Germanicus.
Der sich anschließende Teil „Rezeptionsgeschichte“ ist nicht minder ausführlich und nimmt fast die Hälfte des Buches ein.
Dort lernen wir unter anderem, wie der „Hermann“ zu seinem Namen gekommen sein soll: Luther habe die antike Benennung des Arminius als „dux belli“ (Kriegsfürst) in „Heer-Mann“ übersetzt und so sei es zu dem Namen gekommen ( S. 290).
Soviel zur guten Seite dieses Buches. Negativ schlägt zunächst einmal zu Buche, dass auch dieses Werk eigentlich seinen Titel verfehlt hat, denn die Varusschlacht selbst nimmt nur einen sehr geringen Raum ein.
Kommen wir jetzt zu den „Schlaglöchern“ des Buches. Hier haben sich eine Fülle von „Kinken“ eingeschlichen.
Erstens:
Als mir bislang einzig bekannter (Sachbuch-)Autor nennt er Arminius durchgängig „Gaius Iulius Arminius“ – nämlich nach Augustus.
Dies setzt eine Adoption oder zumindest ein Patronantsverhältnis voraus, für das er an keiner Stelle des Buches irgendeinen Beleg liefert.
(Er bezieht sich dabei auf die „bahnbrechenden“ (Zitat) Schriften eines Würzburger Autors namens Timke – mehr ist da nicht.)
Zweitens befördert er Arminius gleich zwei Mal zum Präfekten der Hilfstruppen: Einmal soll der Cherusker bereits unter Tiberius in Germanien diesen Rang gehabt haben, und sogar als „Befehlshaber der Hilfstruppen“ unter Tiberius bei dessen Feldzug in Germanien in den Jahren 4-5 u. Z. dabei gewesen sein. Ein zweites Mal soll er diesen Rang erst in Pannonien erlangt haben.
Belege: Leider keine. Zumindest Velleius Paterculus, der Arminius gut kannte, würde dessen Rolle in Germanien unter Tiberius kaum ausgelassen haben.
Ach ja – und Drusus soll im Jahre 9 v. u. Z. an der Elbe durch eine sich andeutende Meuterei der Truppe zur Umkehr gezwungen worden sein, behauptet der Autor.
Wieder kein Beleg.
Und Varus wird ohne weiteres zum Kommandanten der XIX. Legion während der raetischen Feldzüge befördert – ohne zu hinterfragen!
Dabei gibt es lediglich ein gesichertes Fundstück aus jener Zeit (eine Gürtelschnalle), dass Aufgrund der dort fast unleserlich eingeritzten Buchstaben so interpretiert werden KÖNNTE.
Und so lässt sich fortfahren:
Der Autor vertritt die Auffassung, Varus sei nicht mit vollständiger Truppenstärke in Germanien unterwegs gewesen – laut Autor waren es nur etwa 12.500 Mann.
Als „Beweis“ führt der Autor an: In den alten Quellen sei ja immer nur von zwei Lagerpräfekten die Rede, nicht von drei.
Wenn man das auf die Legaten anwendet, dann ist Varus auch nur mit einer Legion unterwegs gewesen, denn außer M. Numonius Vala ist ja kein weiterer Name eines Legaten überliefert.
Nee – genau andersrum zäumt der Autor dieses Pferd auf, hier wird kühn behauptet, jeder Vala sei sogar Kommandeur zweier Legionen und zudem des Varus’ Stellvertreter gewesen. (Nicht genannter Schluß daraus wäre: Varus selbst habe außer dem Oberbefehl auch „seine alte“ XIX. Legion kommandiert – oder nur Teile davon, da die Legionen ja nicht volle Kampfstärke gehabt hätten.)
So kann man es natürlich auch machen...
Belege: nada!
Und so geht es lustig weiter – wie’s dem Autor gefällt.
Die Lager Oberraden und Hedemünden seien 4 v. u. Z. von Tiberius zerstört worden, weil man sie nicht mehr brauchte – Germanien war ja befriedet.
Ein paar Seiten später berichtet der Autor, das Lager Haltern sei von Tiberius ins Feindgebiet „vorgeschoben“ worden, um eine sichere Basis zu haben.
Hä?
Außerdem weiß der Autor ganz genau, dass es der Adler der XIX. Legion war, den Germanicus den Brukterern abnahm. Soso.
Die im Klappentext angekündigte „verblüffende neue Erklärung“ für das Handeln des Arminius ist diese:
Er habe nur aus Ehrgeiz und verletztem Stolz so gehandelt, wie er handelte.
Zum einen habe er als Präfekt der Hilfstruppen die oberste Stufe dessen erreicht, was Rom ihm zu bieten gehabt hätte und deshalb nach höheren Weihen – der Königswürde bei seinen Leuten gestrebt.
Zum Zweiten sei er von den Römern stets schlecht und verächtlich behandelt worden, so etwa, die die Briten ihre eingeborenen Truppen (Sepoys) in Indien behandelt hätten – mit den gleichen Folgen eines Aufstandes.
Also sei „Gaius Iulius“ Arminius zum Verräter geworden.
(Es liegt mir fern nun auch noch die Geschichte des Sepoy-Aufstandes zu beschreiben – aber die Ursache hierfür ist bekannt und eine ganz andere.)
Ein paar Seiten zuvor beschreibt er hingegen Arminius, der in seiner römischen Ritterrüstung als vollkommen romanisierter Germane und vetrauenswürdiger Tischgenosse des Varus als einziger in der Lage gewesen sei, den Statthalter zum Marsch in die Falle zu überreden.
Schließlich verfolgt der Autor gerade bei solchen Aussagen eine Art, seine Aussagen mit Belegnummern zu belegen, die ich für zumindest teilweise schlicht unwissenschaftlich halte.
Er mischt in einem Satz (oder Absatz) eine spekulative Behauptung mit einer gesicherten Tatsache und setzt dahinter eine Fußnote was dem Ganzen auf den ersten Blick Authentizität verleiht.
Schlägt man aber die Fußnote nach, wird nur die gesicherte Tatsache belegt.
Nehmen wir zwei Beispiele:
Hinter der Aussage, es sei der Adler der XIX. gewesen, den Germanicus zurückerobert habe, bevor er das alte Varus-Schlachtfeld aufsuchte steht ein Quellenhinweis. (S. 244).
Dieser führt aber zu den „Annalen“ von Tacitus, der an der fraglichen Stelle nur und ausschließlich den Besuch des Germanicus auf dem Varus-Schlachtfeld beschreibt. Nix vom Adler der XIX.!
Genau wie auf Seite 7, als er „Gaius Iulius Arminius“ erstmals benennt, der im September 9 ein Massaker an römischen Soldaten angerichtet hätte.
Die dortige Belegnummer sagt lediglich aus, dass die Masse der Historiker das Datum der Varusschlacht auf September ansetze.
Namensbelege: Nix.
Gutes und schlechtes in diesem Buch also. Mit dem Schlechten könnte ich ebenso fortfahren, wie mit dem Guten.
Ich sehe mich schlussendlich nur schwer in der Lage, es zu empfehlen.
Soweit meine Rezension.
Lieber Traian:
Bitte gehe davon aus, dass ich in diesem Forum nur dann was sage, wenn ich auch wirklich was zu sagen habe - und dies dann nicht Meinung vom "Hörensagen" ist, sondern auf Basis einer genauen Recherche und sorgfältiger Meinungsbildung erfolgt.
Jetzt und in Zukunft.
Herzlichen Gruß