Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Ich finde Kalkriese als "Fundregion" weitaus interessanter, als alle 701 Varusschlachttheorien zusammengenommen.
Schade, dass die gute Arbeit, die dort verrichtet wird, so sehr ins Kreuzfeuer der verschiedenen Fraktionen geraten ist.
Varus, Varus...ich kann´s nicht mehr hören.
Es gibt und gab doch noch so viel mehr.
 
Varus, Varus...ich kann´s nicht mehr hören.
Es gibt und gab doch noch so viel mehr.

Klar, aber im Jahr 2000 nach der "großen Schlacht" ist Arminius und Varus in aller Munde.

Mir ist übrigens egal ob Varus´ Legionen in Kalkriese vernichtet wurden, aber an irgendwas muß man doch glauben.
 
Nun, jeder macht sich so sein Bild über den Feldzug und die Schlachten des Varus.
Also was soll´s, wer an Kalkriese glauben will, soll es tun.
Ich wollte mit der Bemerkung nur ein wenig Verbisssenheit aus der Diskussion nehmen.
 
Ave Zusammen,


der Thread ist wieder mal an einem kritischen Punkt angelangt, daher möchte ich ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen:

(A) Zur Diskussion allgemein:

Manch einer äussert sich hier unzufrieden über den allgemeinen Stil. Das ist leider ein Grundproblem einer anonymen, öffentlichen und schriftlichen Kommunikation. Insbesondere in nichtmoderierten Foren artet das regelmässig aus, denn schriftliche Kommunikation ist eine pathologische Verständigung. Ich bin überzeugt, im persönlichen Gespräch am runden Tisch würde selbst der grösste Troll zu einem brauchbaren Diskussionspartner mutieren. Denn dort regeln Tonfall, Mimik und Ausstrahlung die Interaktion, und ein im Eifer gesprochenes Wort lässt sich auch schnell korrigieren oder zurücknehmen.

Nicht so im öffentlichen Forum. Jeder Schnitzer wird gnadenlos festgespeichert, Ironie kommt nicht witzig rüber, zwischen den Zeilen wird mehr gelesen als drin steht und so weiter. Deswegen sind einerseits die Moderatoren so ernorm wichtig: In nichtmoderierten Foren setzen sich mittelfristig allein diejenigen durch, die die größte Klappe haben. Die ausgewogenen und kompetenten Mitglieder verabschieden sich dort reihenweise bis nur noch getrollt wird. Andererseits, und deswegen, sollte sich jeder genau überlegen was er schreibt, öfters ist weniger mehr, manchmal ist Tippen Silber, Mitlesen Gold.

(B) Just take it serious

Kompetenz erwirbt man nur durch viel studieren. Und zwar vorwiegend der universitären Literatur aus Archäologie und Historie, und nicht durch kaum reflektiertes Wiederholen von populärwissenschaftlichen oder unhaltbaren Meinungen von Selbstdarstellern. Die Wahrheit ist oft verzwickt und nicht auf Anhieb zu erkennen. Deswegen sind ausgewogene Forschermeinungen oft ausgesprochen schwammig mit einem Hang zum Unkonkreten, zum sich nicht festlegen wollen. Und damit bei weitem nicht so attraktiv wie ein vielstimmiger Posaunenchor der selbsternannten "Ich habe es schon immer besser gewusst"-Experten. Konkret: Ergebnisse wie in Kalkriese muss man ernst nehmen, und daraus seine Schlussfolgerungen ziehen. Wenn es Unstimmigkeiten in Details gibt, so können das Hinweise auf bestimmte, auch neue, Fundinterpretationen geben. Deswegen aber das Kind mit dem Bade auszukippen und zu abenteuerlichen Quelleninterpretationen mit noch viel mehr Widersprüchen zu greifen, ist schlicht von Hinten durch die Brust ins Auge geschossen. Lasst euch nicht von Demagogen vor den Karren spannen.

(C) Auch Trolle können hilfreich sein

Echtes Trollen wird hier, den Moderatoren sei Dank, unterbunden. Aber auch quellenmäßig abgehobene Betrachtung verbergen immer wieder, neben jede Menge „Kappes“ wie wir in Köln sagen, auch ein paar Rosinen im Teig. Mit dem Nachlesen der neuesten Ergüsse auf dem Markt komme ich schon nicht mehr ganz mit, der Hit war ein Buch, das ich gerade gelesen habe. Ich will es aus Rücksichtnahme nicht benennen, aber dort werden die kompletten Varuslegionen in einem künstlichen Tsunami ersäuft. Wie genau das vor sich ging, weis man auch detailliert zu erzählen. Nach historischen oder archäologischen Quellen sucht man aber vergebens. Aber selbst da findet man noch ein oder zwei Rosinchen.

Der Trick ist immer derselbe: Man hängt sich an ein oder zwei durchaus bemerkenswerten Fakten auf, und fabuliert dann trotzig los. Tatsache ist aber, dass es zum Zug des Varus inzwischen Dutzende von Quellen gibt, die man ALLE zusammenbringen muss. Nur dann fügt sich das Puzzle hinreichend sinnvoll.

Konkret: Gegen Kalkriese wird immer die Caecinaschlacht ins Feld geführt. Wenn man so was als Historiker öfters um die Ohren kriegt, sollte man der Sache wie immer auf den Grund gehen. Was ist die Quelle dieser wackeligen Interpretation? Die ist schnell gefunden, es ist der verstorbene Heimatforscher Bökemeier. Wenn man dessen Bücher liest, findet man neben „Kappes“ auch etliche Rosinen, und man bekommt eine Ahnung, wieso diese These immer noch Furore macht. Genau das habe ich nämlich gemacht, als mich Cato und Cherusker mit der pontes-longi-These so beharkt hatten.

Und Bökemeier war keineswegs so ein Tsunamiforscher, sondern hat durchaus bemerkenswertes zu Buche gebracht. Insbesondere hat er auch nicht nur im heimischen Kämmerlein gegrübelt, sondern ist auch ins Feld gestiefelt, was ihn von den meisten Varus-„Experten“ deutlich abhebt. Er hat nicht zu verleugnende Belege dafür gefunden, das wahrscheinlich auch südlich Detmold Kampfhandlungen stattgefunden haben.

Diese Belege sind zwar bei weitem nicht so aussagekräftig wie in Kalkriese, aber immerhin. Was ist daraus aber zu folgern? Bökemeier machte daraufhin zwei Schritte auf einmal, und gab eine Antwort: Wenn es hier unten gerummst hat, dann kann es nicht in Kalkriese gewesen sein, ergo dort womöglich die Caecinaschlacht. Statt einer Antwort hätte er als Wissenschaftler, just take it serious, aber eine neutrale Frage stellen müssen: Nämlich, wie passt das mit Kalkriese zusammen? Wenn man jetzt dem nachgeht, so kommt man nämlich zu überraschenden, gerade auch archäologischen, Ergebnissen.

(D) Fazit:

Der Thread kann, gut moderiert, ruhig offen bleiben, aber ein Jeder bedenke was er schreibt und wie er sich öffentlich darstellt. Ausgewogenheit macht sich immer besser als Marktschreierei. Überzeugungen wachsen ganz langsam, wenn überhaupt. Meistens dadurch das die Vertreter der alten Ansichten aussterben (Max Planck).


Beste Grüsse, Trajan.
 
Hallo Trajan :winke:

danke für die mäßigenden Worte. Es war dringend nötig.

Allerdings möchte ich einen Widerspruch einbringen: Es ist nicht auf den verstorbenen Herrn Bökemeier zurückzuführen, dass Kalkriese mit der Caecina-Schlacht in Verbindung gebracht wird.
Schon Friedrich Knoke hielt um 1890 die Funde bei Barenaue (Kalkriese) für Überreste der Caecina-Schlacht und nahm somit eine Gegenposition zu Mommsens These von der Varusschlacht am dortigen Ort ein. Beide Standpunkte blieben allerdings unbelegt.

Heute vertreten die These von der Caecinaschlacht bei Kalkriese u.a. die Althistoriker Prof. Wolters (Uni Tübingen) und Dr. Kehne (Uni Hannover).

Populärwissenschaftler (wie Bökemeier usw.) gibt es sowohl pro als auch contra Kalkriese.


LG Nicole ;)
 
Sine ira et studio

Nach fast 900 Beiträgen zu dem Thema (nicht alle sine ira et studio) möchte ich mal aus Werner Böcking: Die Römer am Niederrhein und in Norddeutschland, Ludwigsburg, 1974 folgendes (S. 56) zitieren: "Es wäre eigentlich schade, wenn das Schlachtfeld jemals gefunden und damit den Gelehrten dieses herrliche Streitobjekt genommen würde.":yes::yes::yes:

Da dieser Thread mittlerweile etwas unübersichtlich geworden ist, wollte ich mal fragen, ob jemand mit einem neutralen Standpunkt mal die bisherigen Argumente pro bzw. contra Kalkriese als Ort der Varusschlacht mal vorstellen könnte.
 
Gute Idee.
Mich würde auch interessieren, was explizit gegen die Caecina-Schlacht/pontes longi spricht, außer, dass man keine Münzen aus nach 9n.Chr. gefunden hat.
 
Wolters' Spagat

"Heute vertreten die These von der Caecinaschlacht bei Kalkriese u.a. die Althistoriker Prof. Wolters (Uni Tübingen) und Dr. Kehne (Uni Hannover)." (Nicole H.)


Wolters kann eigentlich für keine Überzeugung dingfest gemacht werden. Zu Beginn seines Buches jubelt er noch über „die Entdeckung des mutmaßlichen Ortes jenes dramatischen Geschehens bei Kalkriese“: „Nach Jahrhunderten der Suche scheint durch eine glückliche Fügung der Originalschauplatz gerade rechtzeitig zum Bimillenium gefunden worden zu sein“ (S. 9 der 2. Aufl. von „Die Schlacht im Teutoburger Wald“). Im Lauf seiner Darlegungen rückt er dann wieder von der eigenen Mutmaßung ab, vor allem ab S. 164, wo er den Vorrang der Archäologie vor der literarischen Überlieferung ablehnt. Er verweist deutlich auf den Widerspruch zwischen dem riesigen Totalverlust (3 Legionen) und der vergleichsweise winzigen Kalkriese-Lokalität (S. 166 f.). Letztlich bleibt bei ihm alles offen – immer schön abgesichert durch den wissenschaftlichen Konjunktiv mit SCHEINEN: „So scheint man gut beraten, Skepsis ... walten zu lassen“ (S. 166).
 
Hier wurde schon eigentlich alles zu dem Thema ausgetauscht und der Thread ist schon eh für Neueinsteiger unübersichtlich geworden. Ich möchte nur darauf hinweisen, das in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Geo Epoche" mit dem Titel "Die Germanen" ein relativ ausführlicher Artikel sich über die Varusschlacht findet. Dort wird Kalkriese mehrfach als mutmasslicher Ort der Varusschlacht betitelt... .

Weiterhin konnte ich dem Internet entnehmen, das erneut wieder eine Strafanzeige gegen Kalkriese als dem Ort der Varusschlacht gestellt wurde. Scheinbar gibt es doch mehr stichhaltige Argumente (?). Und ausgerechnet das im "Varusjahr".
 
Hier wurde schon eigentlich alles zu dem Thema ausgetauscht und der Thread ist schon eh für Neueinsteiger unübersichtlich geworden. Ich möchte nur darauf hinweisen, das in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Geo Epoche" mit dem Titel "Die Germanen" ein relativ ausführlicher Artikel sich über die Varusschlacht findet. Dort wird Kalkriese mehrfach als mutmasslicher Ort der Varusschlacht betitelt... .


„Alles zum Thema ausgetauscht“ gibt es doch gar nicht. Das Denken lässt sich nicht an der Weiterarbeit hindern. Auch werden laufend neue Bücher und Aufsätze genau zu diesem Thema veröffentlicht. Die Autoren gehen nicht davon aus, dass alles schon gesagt sei. Das wird auch so weitergehen. Also: Keine Scheuklappen vor dem immer neuen Durchdenken der alten Fragen!


Was das neue Geo-Heft anbelangt, so ist das Neue darin doch gerade, dass Prof. Weigels, der in den Augen mancher Betrachter eine unrühmliche Rolle in der Durchsetzung des Kalkriese-Alleinvertretungsanspruchs gespielt haben soll, in seinem Beitrag auf einmal von Kalkriese als dem zentralen Ort der Varusschlacht abrückt und nur davon redet, Kalkriese sei im Kontext der Varussschlacht zu sehen. Wer den Wortgebrauch der Zunft kennt, weiß, dass dies eben NICHT bedeutet, hier sei die Schlacht geschlagen worden. Dieser neuwissenschaftliche Modebegriff kann alles Mögliche heißen, unter anderem auch, dass Kalkriese eventuell als Platz der Rachefeldzüge des Germanicus ins Auge gefasst wird.
 
Was diese Geo-Epoche-Ausgabe angeht...:

Darin ist ein Artikel von einem Herrn Ralf-Peter Märtin, er sich über das Thema äußert.

In genanntem Artikel stimmen seine Aussagen über die Römer "nur" nicht so ganz.

Was er über die Germanen (Ausrüstung/Kampfweise) schreibt ist schlichter Unsinn.

Empfehlung: Nicht kaufen!

Der gleiche Herr hat übrigens zu dem Thema Varusschlacht auch ein Buch geschrieben: "Die Varusschlacht - Rom und die Germanen", S. Fischer, 2008.

Nach ausführlichem Durcharbeiten komme ich auch bei diesem Buch zu der Empfehlung: Nicht kaufen!

Gründe: Ungenauigkeiten, tlw. schlicht unwissenschaftliche Zitierweise und darüber hinaus etliche historische "Kinken".

Gruß
 
Wenn man den Namen "Rainer Friebe" bei google eingibt, findet man Seiten, wo er die Meinung vertritt, die Varus-Schlacht hätte bei Halberstadt stattgefunden.
Obwohl man in den letzten Jahrzehnten häufig römische Hinterlassenschaften in Mitteldeutschland gefunden hat, wird meist noch die Auffassung von Importgütern dabei vertreten. Wenn man sich aber den überlieferten Anlaß der Varusschlacht näher ansieht, könnte man auch anderer Meinung sein. Soweit ich es verstehe, wurden in der römischen Provinz "Germania östl. d. Rheins" eine Reihe von Aufständen der Germanen zum Anlaß dieser Militärexpedition gesehen. Ursache für diese Aufstände sollen Steuerforderungen von Seiten Roms gewesen sein. Wenn das stimmt, müssten die Römer vorher durch Landvermessung die Steuer-fähigkeit der Einwohner nach römischem Recht festgestellt haben (siehe hierzu das Lukasevangelium). Das kann man aber nur in einem Land machen, daß man zum eigenen Territorium rechnet. Da aber die Germanen nach meiner Vorstellung noch nicht in der Eigentumsgesellschaft lebten (sondern im Stammesrecht), haben sie diese Steuer (bezogen auf Landeigentum) nicht verstanden und als unangebracht und unberechtigt empfunden. Da die "Inbesitznahme" von "Germania östl. d. Rheins" vermutlich im wesentlichen friedlich erfolgte, täuschten sich die Römer über ihren Status in dieser Provinz, was zu der militärischen Fehleinschätzung führte. Der römische Einfluß vor der Steuerfeststellung kann aufgrund weitverzweigter Handelstätigkeit durchaus bis zur Elbe gereicht haben. Siehe hierzu auch die römische Siedlung "Waldgirmes" im Lahntal, welche allerdings ohne Steinbauten auskommen mußte. Also kann auch im Harz gegen Römer gekämfpt worden sein.
 
Gestern vorab frisch erworben, in ca. 4 Wochen soll es im Handel erhältlich sein. Wer die Geschichte um Kalkriese als Ort der Varusschlacht vertiefen möchte:

„Kalkriese 4 – Katalog der Römischen Funde vom Oberesch – Die Schnitte 1 bis 22“

Verlag Philip von Zabern / Mainz am Rhein – ISBN:978-3-8053-3978-0
Von Joachim Harnecker und Georgia Franzius
 
ing38 schrieb:
...dass Prof. Weigels, der in den Augen mancher Betrachter eine unrühmliche Rolle in der Durchsetzung des Kalkriese-Alleinvertretungsanspruchs gespielt haben soll,.....Wer den Wortgebrauch der Zunft kennt, weiß, ...

martin rohmann schrieb:
...Darin ist ein Artikel von einem Herrn Ralf-Peter Märtin....In genanntem Artikel stimmen seine Aussagen über die Römer "nur" nicht so ganz. Was er über die Germanen (Ausrüstung/Kampfweise) schreibt ist schlichter Unsinn. Empfehlung: Nicht kaufen! ...Der gleiche Herr hat übrigens zu dem Thema Varusschlacht auch ein Buch geschrieben....Nach ausführlichem Durcharbeiten komme ich auch bei diesem Buch zu der Empfehlung: Nicht kaufen!
....Gründe: Ungenauigkeiten, tlw. schlicht unwissenschaftliche Zitierweise und darüber hinaus etliche historische "Kinken".......

Liebe Diskuttanten,

bei aller Liebe zur freien Rede, dass pauschale Verunglimpfen ist nicht der Stil dieses Forums. Wer Kritik anbringt, muss dies mit konkreten Zitaten belegen. Was ist eine "unrühmliche Rolle" denn konkret? Wer oder was ist die "Zunft"? Wieso stimmen Aussagen "nicht so ganz", was genau ist "schlichter Unsinn". Wieso wird mehrfach "nicht kaufen!" gepredigt, wo konkret sind "Ungenauigkeiten", "unwissenschaftliche Zitierweise" und "historische Kinken" festzumachen?

Wir reden hier also nicht über Bauchgefühle, sondern belegen unsere Ansichten mit konkreten Argumenten. Ich bitte ing38 und Rohmann um konkrete Belege ihrer Thesen oder um Unterlassung solcher Beiträge.

Beste Grüsse, Trajan.
 
Wie von Traian "erbeten" nachstehend meine Original-Rezension des folgenden Buches, die ich bereits im Oktober 2008 an anderer Stelle veröffentlicht habe:


„Die Varusschlacht – Römer und Germanen“
Ralf-Peter Märtin
S. Fischer-Verlag, Frankfurt/Main, September 2008
460 Seiten, davon 101 Seiten Anhang/Quellenverzeichnis und 71 Seiten Rezeptionsgeschichte.

(d. h. 281 Seiten „eigentlicher Text“, davon nur 40 Seiten zur Varusschlacht.)

Etwa ein Dutzend überwiegend kleinformatiger s/w-Abbildungen im Text. Acht Karten, ein Stammbaum des Julisch-Claudischen Hauses.

Rezension:

Eine Rezension dieses Buches fällt mir sehr schwer. Weil es einen sozusagen janusköpfig anblickt.

Ober anders: Dieses Buch liest sich flott und spannend, gewissermaßen gleitet der Leser wie auf einer gut ausgebauten Autobahn entspannt dahin.

Wären da nicht ab und an diese wirklich ärgerlichen Schlaglöcher, die einen jedes Mal gehörig durchschütteln.

Doch davon später - fangen wir mit dem Guten an:

Dieses Buch greift von allen Neuerscheinungen zum Thema „Varusschlacht“, die ich bislang in den Händen hielt, am weitesten aus.

Der geschichtliche Ablauf beginnt nicht bei Caesar, sondern bereits bei den Kimbern und Teutonen (die Ambronen nicht zu vergessen, die gern unterschlagen werden!).

Wir erhalten ferner nicht nur eine gute Beschreibung der geschichtlichen Umstände, sondern zugleich auch eine ziemlich gute Augustus-Kurz-Biografie, eine ebensolche des Tiberius wie auch des Varus und – soweit bekannt – auch des Arminius.

Ferner wird der Zusammenprall der verschiedenen Soziokulturen, der römischen wie der germanischen sehr gut dargestellt.

Das Wirken der Römer in Germanien unter Drusus und Tiberius kommt auch nicht zu kurz.

Wir erfahren endlich mal Einzelheiten über den „pannonischen Aufstand“ (S. 134-165), der ja die geplante völlige Unterwerfung Germaniens vereitelte und der in anderen Büchern eher dilatorisch abgehandelt wird.

Diesen Aufstand schätzten die Römer immerhin als so gefährlich ein, dass sie 15 Legionen, 70 Cohorten Auxiliare und 10 Alen Kavallerie einsetzen.

Das ist locker die fast doppelte Stärke, die später Germanicus bei seinen Germanischen Rachefeldzügen zur Verfügung stand.

Und anschließend eine Zusammenfassung der Ereignisse des Jahres 9 – gesehen aus der Kalkriese-Perspektive, die der Autor nachdrücklich vertritt.

„Verblüffend“ ist vielleicht, dass der Autor die These vertritt, die Römer seien zunächst nur von ihren eigenen, von Arminius geführten Hilfstruppen, angegriffen worden, denen sich nach und nach immer mehr andere germanische Stämme angeschlossen haben.

Es folgt eine ausführliche Darstellung der Stabilisierung der Lage durch Tiberius und anschließend der Rache-Feldzüge des Germanicus.

Der sich anschließende Teil „Rezeptionsgeschichte“ ist nicht minder ausführlich und nimmt fast die Hälfte des Buches ein.

Dort lernen wir unter anderem, wie der „Hermann“ zu seinem Namen gekommen sein soll: Luther habe die antike Benennung des Arminius als „dux belli“ (Kriegsfürst) in „Heer-Mann“ übersetzt und so sei es zu dem Namen gekommen ( S. 290).

Soviel zur guten Seite dieses Buches. Negativ schlägt zunächst einmal zu Buche, dass auch dieses Werk eigentlich seinen Titel verfehlt hat, denn die Varusschlacht selbst nimmt nur einen sehr geringen Raum ein.

Kommen wir jetzt zu den „Schlaglöchern“ des Buches. Hier haben sich eine Fülle von „Kinken“ eingeschlichen.

Erstens:
Als mir bislang einzig bekannter (Sachbuch-)Autor nennt er Arminius durchgängig „Gaius Iulius Arminius“ – nämlich nach Augustus.

Dies setzt eine Adoption oder zumindest ein Patronantsverhältnis voraus, für das er an keiner Stelle des Buches irgendeinen Beleg liefert.

(Er bezieht sich dabei auf die „bahnbrechenden“ (Zitat) Schriften eines Würzburger Autors namens Timke – mehr ist da nicht.)

Zweitens befördert er Arminius gleich zwei Mal zum Präfekten der Hilfstruppen: Einmal soll der Cherusker bereits unter Tiberius in Germanien diesen Rang gehabt haben, und sogar als „Befehlshaber der Hilfstruppen“ unter Tiberius bei dessen Feldzug in Germanien in den Jahren 4-5 u. Z. dabei gewesen sein. Ein zweites Mal soll er diesen Rang erst in Pannonien erlangt haben.

Belege: Leider keine. Zumindest Velleius Paterculus, der Arminius gut kannte, würde dessen Rolle in Germanien unter Tiberius kaum ausgelassen haben.

Ach ja – und Drusus soll im Jahre 9 v. u. Z. an der Elbe durch eine sich andeutende Meuterei der Truppe zur Umkehr gezwungen worden sein, behauptet der Autor.
Wieder kein Beleg.

Und Varus wird ohne weiteres zum Kommandanten der XIX. Legion während der raetischen Feldzüge befördert – ohne zu hinterfragen!

Dabei gibt es lediglich ein gesichertes Fundstück aus jener Zeit (eine Gürtelschnalle), dass Aufgrund der dort fast unleserlich eingeritzten Buchstaben so interpretiert werden KÖNNTE.

Und so lässt sich fortfahren:

Der Autor vertritt die Auffassung, Varus sei nicht mit vollständiger Truppenstärke in Germanien unterwegs gewesen – laut Autor waren es nur etwa 12.500 Mann.

Als „Beweis“ führt der Autor an: In den alten Quellen sei ja immer nur von zwei Lagerpräfekten die Rede, nicht von drei.

Wenn man das auf die Legaten anwendet, dann ist Varus auch nur mit einer Legion unterwegs gewesen, denn außer M. Numonius Vala ist ja kein weiterer Name eines Legaten überliefert.

Nee – genau andersrum zäumt der Autor dieses Pferd auf, hier wird kühn behauptet, jeder Vala sei sogar Kommandeur zweier Legionen und zudem des Varus’ Stellvertreter gewesen. (Nicht genannter Schluß daraus wäre: Varus selbst habe außer dem Oberbefehl auch „seine alte“ XIX. Legion kommandiert – oder nur Teile davon, da die Legionen ja nicht volle Kampfstärke gehabt hätten.)

So kann man es natürlich auch machen...

Belege: nada!

Und so geht es lustig weiter – wie’s dem Autor gefällt.

Die Lager Oberraden und Hedemünden seien 4 v. u. Z. von Tiberius zerstört worden, weil man sie nicht mehr brauchte – Germanien war ja befriedet.

Ein paar Seiten später berichtet der Autor, das Lager Haltern sei von Tiberius ins Feindgebiet „vorgeschoben“ worden, um eine sichere Basis zu haben.

Hä?

Außerdem weiß der Autor ganz genau, dass es der Adler der XIX. Legion war, den Germanicus den Brukterern abnahm. Soso.

Die im Klappentext angekündigte „verblüffende neue Erklärung“ für das Handeln des Arminius ist diese:

Er habe nur aus Ehrgeiz und verletztem Stolz so gehandelt, wie er handelte.

Zum einen habe er als Präfekt der Hilfstruppen die oberste Stufe dessen erreicht, was Rom ihm zu bieten gehabt hätte und deshalb nach höheren Weihen – der Königswürde bei seinen Leuten gestrebt.

Zum Zweiten sei er von den Römern stets schlecht und verächtlich behandelt worden, so etwa, die die Briten ihre eingeborenen Truppen (Sepoys) in Indien behandelt hätten – mit den gleichen Folgen eines Aufstandes.

Also sei „Gaius Iulius“ Arminius zum Verräter geworden.

(Es liegt mir fern nun auch noch die Geschichte des Sepoy-Aufstandes zu beschreiben – aber die Ursache hierfür ist bekannt und eine ganz andere.)

Ein paar Seiten zuvor beschreibt er hingegen Arminius, der in seiner römischen Ritterrüstung als vollkommen romanisierter Germane und vetrauenswürdiger Tischgenosse des Varus als einziger in der Lage gewesen sei, den Statthalter zum Marsch in die Falle zu überreden.

Schließlich verfolgt der Autor gerade bei solchen Aussagen eine Art, seine Aussagen mit Belegnummern zu belegen, die ich für zumindest teilweise schlicht unwissenschaftlich halte.

Er mischt in einem Satz (oder Absatz) eine spekulative Behauptung mit einer gesicherten Tatsache und setzt dahinter eine Fußnote was dem Ganzen auf den ersten Blick Authentizität verleiht.
Schlägt man aber die Fußnote nach, wird nur die gesicherte Tatsache belegt.

Nehmen wir zwei Beispiele:

Hinter der Aussage, es sei der Adler der XIX. gewesen, den Germanicus zurückerobert habe, bevor er das alte Varus-Schlachtfeld aufsuchte steht ein Quellenhinweis. (S. 244).

Dieser führt aber zu den „Annalen“ von Tacitus, der an der fraglichen Stelle nur und ausschließlich den Besuch des Germanicus auf dem Varus-Schlachtfeld beschreibt. Nix vom Adler der XIX.!

Genau wie auf Seite 7, als er „Gaius Iulius Arminius“ erstmals benennt, der im September 9 ein Massaker an römischen Soldaten angerichtet hätte.

Die dortige Belegnummer sagt lediglich aus, dass die Masse der Historiker das Datum der Varusschlacht auf September ansetze.

Namensbelege: Nix.

Gutes und schlechtes in diesem Buch also. Mit dem Schlechten könnte ich ebenso fortfahren, wie mit dem Guten.

Ich sehe mich schlussendlich nur schwer in der Lage, es zu empfehlen.

Soweit meine Rezension.

Lieber Traian:
Bitte gehe davon aus, dass ich in diesem Forum nur dann was sage, wenn ich auch wirklich was zu sagen habe - und dies dann nicht Meinung vom "Hörensagen" ist, sondern auf Basis einer genauen Recherche und sorgfältiger Meinungsbildung erfolgt.

Jetzt und in Zukunft.

Herzlichen Gruß
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Martin, du bist doch auch nicht seit gestern im Forum – geschweige denn in dieser Diskussion. Da müsstest du wissen, dass Goldwaagen für die Worte der hier geäußerten Meinungen zu plumpe Instrumente sind ... warum also nicht gleich den Autoren auseinandernehmen, anstatt nur über ihn zu schimpfen?

Weit entfernt davon, mich hier einmischen zu wollen, muss ich allerdings eine Lanze für den "Gaius Iulius Arminius" brechen: dass Arminius das römische Bürgerrecht bekommen hat, ist klar, dass das in einen römischen Namen im Patronat des Bürgerrechtsverleihers (und das war bei ausländischen Freien immer der Kaiser, seit Augustus) resultierte, auch. Gut, über den "Gaius" kann man sich zoffen. Ansonsten ist das nur ein 1 + 1 = 2.
 
Vielleicht möchte ja noch jemand meine unbedeutende Meinung hören.
Vor mehr als einem Jahr war bei einem öffentlichen Vortrag über Germanen, Chatten usw eines Archäologen zu Gast. Im Anschluss konnten Fragen von den Zuhörern gestellt werden. Irgendwie kam einer der unbedarften Zuhörer auf Kalkriese und die Varus-Schlacht zu sprechen. Darauf erwiderte der Archäologie, dass nur noch wenige seiner Zunft fest davon überzeugt seien, dass Kalkriese Ort der Varus-Schlacht sei. Ich war da erst mal baff.
In Fernsehn und Zeitung wird man ja geradezu mit der oberlehrerhaften Nachricht überrollt, dass die nun "Varus-Schlacht" genannte Schlacht nicht im Teutoburger Wald sondern in Kalkriese stattfand.
Nun habe ich Wolters Buch mit dem vielsagenden Titel "Die Schlacht im Teutoburger Wald" (nicht aber alle Beträge dieses Threads) gelesen und fand dieses Buch äußerst gut, gerade weil dort auch die Zweifel beschrieben wurden und nicht einfach eine endgültige Wahrheit im Galileo-Stil herausposaunt und didaktik reduziert wurde.

Nun endlich zu meiner Meinung: Die Funde von Kalkriese stehen definitiv im Zusammenhang mit einer Kampfhandlung der ersten Jahrzehnte des ersten Jahrhunderts. Dummerweise sind für die Zeit und die ungefähre Gegend zahlreiche Schlachten und Kämpfe überliefert. Ein Zusammenhang mit den Germanicus-Feldzügen ist meiner Ansicht nach plausibler vor allem wegen der Legio I Germanica, aber Kalkriese muss letztlich doch Ort der Varus-Schlacht bleiben. Im Grunde ist die dortige Forschung und das Museum vom Mythos Hermann abhängig. Nur wegen der Lokalisierung der Varus-Schlacht wurde dort so viel von der Politik investiert. Wenn es nur die Spuren der Caecina-Schlacht wären, wäre dies doch für alle Beteiligten äußerst peinlich. (Die genaue Lokalisierung der Varus-Schlacht ist von nationaler Bedeutung und interessiert nicht nur die Heimatforscher. Im übrigen halte ich die Funde von Hedemünden und Waldgirmes für Geschichtswissenschaft weit aus bedeutendender, aber die Politik, die Presse und das Volk interessieren sich scheinbar nur für Hermann.)

Zur Zeit lese ich Germanen-Handbuch der DDR aus dem Jahre 1988. Interessantes ist dort in Unkenntnis von Kalkriese über Caecina geschrieben: "Die vier unter Caecina rheinwärts abziehenden Legion (I Germanica, V Alaudae, XX Valeria Victrix, XXI Rapax) wurden von Arminius und Inguimerus in einem Moorgebiet angegriffen... Erst als der Troß im Schlamm steckengeblieben war, und allgemeine Verwirrung um sich griff, setzten die Germanen zum Hauptstoß an. Es schien sich eine der Varus-Katstophe vergleichbare Niederlage anzubahnen. Dass es dazu nicht kam, lag an der mangelhaften Disziplin der Germanen selbst."
 
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