was waren die gründe ?
Und was waren die Ursachen, dass dieses nicht wahrgenommen wurde/werden konnte ?
Es ist sicherlich relativ einfach Tirpitz für seine Konzeption der Kriegsmarine zu kritisieren und in der Tat stellt sich die Frage, ob er über realistische theoretische Alternativen verfügt hat bzw. verfügen konnte. War er „Täter“, der aktiv die „Schalen des Zorns“ füllte durch den Aufbau der Hochseeflotte, oder einfach nur das Opfer „historischer Umstände“ und er exekutierte quasi „historische Sachzwänge“?
Betrachtet man als Ausgangssituation das Kaiserreiche nach 1871 dann war das Ziel Bismarck (Aron: Clausewitz, den Krieg denken, S. 348 ff), die territorialen Gewinne des DR in das europäische Gleichgewichts- und Bündnissystem zu integrieren. „Und ohne dass die deutsche Macht unvereinbar erschiene mit den traditionellen Freiheiten der Staaten, unannehmbar für Großbritannien oder das zaristische Russland“.
Mit der Durchführung der Konflikte / Kriege (1864, 1866 und 1870) war immer auch der Anspruch der diplomatischen Absicherung und der Deeskalation verbunden, um das Eingreifen dritter Mächte nicht zu provozieren.
In diesem Zusammenhang soll Bismarck die Unterscheidung eingeführt haben zwischen der „Macht- und der Sicherheitspolitik“. Und er beanspruchte mit seinem Politikstil, eine „Sicherheitspolitik“ zu betreiben, im Gegensatz zur aggressiven Machtpolitik.
Mit dem Abgang von Bismarck und der zunehmenden Einflussnahme von Wilhelm 2 auf die Außen- und Militärpolitik ging dieser ursprüngliche Ansatz verloren und entwickelte sich in der Wahrnehmung durch benachbarte Mächte zu einer aggressiven Machtpolitik. Deutschland entwickelt sich zu einem „Störenfried“, der im Falle eines potentiellen Sieges seiner Flotte und angesichts seiner starken Heeresmacht zu einer hegemonialen Position in Europa gelangen würde ((Aron: Clausewitz, den Krieg denken, S. 373)
Die Veränderung der Politik des DR beschreibt Kissinger (Die Vernunft der Nationen, S. 180) relativ zutreffend, indem er auf die hohen Anstrengung abstellt, die das Reich im Rahmen seiner „Nationenbildung“ erbringen mußte. Als Folge dieses geschichtlichen Prozesses attestiert er dem DR, dass es in der Kürze der Zeit kein nationales Konzept seiner Interessen ausgearbeitet hat. Dieses Defizit, so Kissinger, wurde durch eine Mischung aus verbalen und sonstigen Drohgebärden (nicht selten maritimer Natur) von Seiten von Wilhelm 2 und einem relativ inhaltslosen Konstrukts, der Durchführung deutscher „Weltpolitik“ versucht zu kompensieren.
Vor diesem Hintergrund konnte Tirpitz vermutlich nur Mahan als theoretischen Überbau für die Marinepolitk des DR adaptieren. Und dieses, obwohl ihm vermutlich selber mehr als bewusst war, das bereits bei einer oberflächliche Überprüfung der Prinzipen von Seemacht, Deutschlands Potential bestensfalls als mittelmässig einzuschätzen wäre
Dass es keine angemessene Adaption von Mahan an die kontinentale Lage des DR gegeben hat, liegt vermutlich auch an der Dominanz der Diskussion der Clausewitzschen Ideen, der Konzepte von Schlieffen oder der von Moltke.
Gleichzeitig ergab sich durch die „wilde Landnahme“ von Besitzungen durch deutsche Kolonisten und der Eingliederung in den Überseebesitz des DR eine materielle Basis, die die Notwendigkeit der Ausformulierung einer Theorie der „Weltpolitik“ zwingend erforderlich gemacht hätte. Sie hätte nicht zuletzt kläre müssen, wieviele Kolonien bzw. welche Rohstoffbasis das DR zur Absicherung seiner dynamischen, aber dennoch mit einer Reihe von strukturellen Defiziten belasteten Industrie, braucht (vgl. Milward:The Economic Developement of Continental Europe 1780-1870, S. 428) Diese Vorgaben hätten die Prämissen der Marinerüstung in einem anderen Licht erscheinen lassen können und den politschen Rahmen für Tirpitz bieten könen.
Dieses insbesondere vor dem Hintergrund der Frage der Rivalität bzw. der Möglichkeit der Kooperation mit GB. Und alle Vorteilen, die eine Kooperation für das DR gehabt hätte. So bezeichnete bereits 1908 Lord Esher (B. Tuchman, Der stolze Turm; S. 447 ff) das DR als den mit Abstand gefährlichsten Rivalen und im folgenden Jahr beschäftige sich bereits ein Untersuchungsausschuss mit der Frage, ob England eine Invasion abwehren konnte!!!!
Bis zum Zeitpunkt der Bildung der Entente hätte es sicherlich die Möglichkeit gegeben, eine politische Position auszuformulieren, die Deutschland eine Rolle als gleichberechtigter Handelspartner und als Juniorpartner im Bereich der Marinerüstung (1:4 ) ermöglicht hätte und dem DR auch weiterhin die Rolle des „Festlandsdegen“ zuzuweisen. Dieses Konzept wäre ein „Sicherheitskonzept“ im Bismarckschen Sinne gewesen, allerdings hätte es den Nachteil gehabt, dass die Flotte in der Bedeutung der Teilstreitkräfte nur zweitrangig geblieben wäre.
War es am Ende die Rivalität der Teilstreitkräfte in Kombination mit der „kindlichen“ Freude eines Monarchen an „seinen Schachtschiffen“, die er doch so gerne selber gezeichnet und „designed“ hat, die zum Aufbau der Hochseeflotte geführt hat?