Lukrezia Borgia
Moderatorin
Stichworte sind Körperlichkeit, Körperöffnungen und der Umgang damit. Ein prominentes Beispiel, das meine These unterstreicht ist das Jüngste Gericht am Portal des Bamberger Doms. Bin gerade sehr beschäftigt und komme wahrscheinlich erst in ein oder zwei Stunden dazu, meine Gedanken hier zu posten, aber vielleicht kommt ihr von selbst drauf, auf was ich hinaus will:
http://upload.wikimedia.org/wikiped...l,_Tympanum_(jüngstes_Gericht)_2006-04-07.JPG
So, nun endlich finde ich Zeit, meine Hypothese, warum das mittelalterliche Portrait die Personen mit geschlossenem Mund darstellt, darzulegen.
Vielleicht beginne ich am Besten mit einer Interpretation des verlinkten Bildes. Hier sind nämlich zweierlei Dinge zu sehen: Zum einen Menschen, die den Mund geschlossen haben, zum anderen Menschen, die mit geöffnetem Mund dargestellt sind. Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich um eine Darstellung des Jüngsten Gerichts. Üblicherweise befinden sich zu Jesu rechter Seite die Seligen, die gerettet werden. Obwohl sie (übrigens auch äußerst bemerkenswert!) ein Lächeln auf den Lippen haben, sind diese geschlossen. Bei den Verdammten auf der anderen Seite ist der Mund bei einigen geöffnet, bei der Person direkt neben der linken Hand Christi wird sogar die obere Zahnreihe sichtbar.
Die Konnotation des geöffneten Mundes scheint also offensichtlich eine negative zu sein, geöffnete Lippen haben zugespitzt gesagt etwas diabolisches.
Eine mittelalterliche Argumentation ohne Blick in die Bibel ist schwerlich möglich. Ich zitiere:
Ich stellte eine Wache vor meinen Mund, ich verstummte, demütigte mich und schwieg sogar vom Guten. (Ps 39,2-3)
So sieht es auch die regula benedicti, die eben dies an den Beginn der 6. Regel stellt. Unter 6.8 heißt es weiter: "Albernheiten aber, müssiges und zum Gelächter reizendes Geschwätz verbannen und verbieten wir für immer und überall. Wir gestatten nicht, dass der Jünger zu solchem Gerede den Mund öffne."
Der Einwand, dass es sich bei der regula benedicti um eine Norm aus dem monastischen Bereich handelt, ist nur bedingt gerechtfertigt. Erstens möchte ich zu bedenken geben, dass die Darstellungen von Gesichtern im Früh- und Hochmittelalter häufig im sakralen Berich anzutreffen ist (Illustrationen in Evangeliaren, Grabreliefs etc.) und sich der mittelalterliche Mensch, man kann es gar nicht oft genug betonen, in eine religiös-katholisch-demütige Weltordnung eingebettet sah, die derartige Normen als nacheiferungswürdig ansah. Es versteht sich von selbst, dass die Kluft zwischen Norm und Realität größer wird, je weiter man sich von der normgebenden Institution entfernt; in unserem Fall: Je weniger Zugang zu klösterlicher und höfischer Bildung vorhanden war, desto weniger wurde diese Norm beachtet. Allerdings sehe ich für unsere Fragestellung keine große Schwierigkeit darin, denn überlieferte Portraits sind uns aus diesen Schichten kaum bekannt.
So weit erst einmal dazu. Wenn noch weiter Ausführungen zur Plausibilisierung gewünscht werden, mach ich mir noch einmal die Mühe.
Bei meinem zweiten Gesichtspunkt habe ich mir sozusagen selbst ein Ei gelegt, denn die Verlinkung des Bamberger Portals scheint dem entgegenzustehen. Doch Ausnahmen bestätigen ja bekannterweise die Regel und eben diese war, dass der im Mittelalter portraitierte Mensch nicht in der Intensität in Interaktionen dargestellt wird, wie das seit der Renaissance der Fall ist. Zumindest wird sie nur selten durch Gesichtszüge deutlich gemacht, sondern eher als eindeutige Gesten.
Außerdem ist es ja ohnehin ein Gemeinplatz, dass die Darstellungen Stereotypen folgen, also dass man so gut wie nie individuelle Züge des Dargestellten erkennen kann. Und eben das hat in meinem Augen mit der Ablehnung der Körperlichkeit im Mittelalter zu tun. Damit möchte ich (Gott bewahre! :angsthab nicht sagen, dass der mittelalterliche Mensch keine Ästhetik (im ursprünglichen Sinne von Wahrnehmung) gegenüber schönen Körpern besessen hat. Vielmehr denke ich an einen Ausspruch Gregors des Großen, der den "Körper als das erbärmliche Kleid der Seele" definierte. Auch hier klafft christliche Erwartungshaltung und die Realität wieder einmal weit auseinander, denn dass Schönheit, Lust und sexuelle Leidenschaft, die alle drei im Bereich der Körperlichkeit angesiedelt sind, durchaus eine Rolle spielten, braucht nicht extra erwähnt zu werden.
Dennoch wäre es wohl nicht werbewirksam (sowohl für weltliche als auch für positiv-eschatologische Ambitionen) gewesen, sich mit seiner Körperlichkeit zu brüsten.
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