Viktorianische Epoche: Nur Plüschkultur?

Artifex

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Verehrte unbekannte Spezialspezialisten,

stimmt das Vorurteil, das in England zur Zeit seiner grössten Machtentfaltung, der Epoche des Viktorianismus, eine Kulturverflachung stattfand? Also dass es kaum originelle Entwicklungen in der Literatur, Architektur, Philosophie, Musik, etc. gab und die Gesellschaft in einer selbstgefälligen Plüschkultur verflachte.

Über Antworten und Hinweise auf interessante Links würde ich mich freuen.

Schon jetzt besten Dank
Artifex
 
Woher hast du diese These?

Die "Viktorianische Epoche" bezeichnet in erster Linie einen politischen Zeitrahmen, etwa die Regierungszeit Viktorias. In diese Zeit fiel unter anderem die Industrialisierung, und damit das erstarkte Bürgertum, als finanzstarke Geldgeber. Das Bürgertum zeigte nun gerade z.B mit dem Neoklassizismus seine "Größe" und seine finanzielle Stärke.
Die Architektur dieser Epoche kannte übrigens verschiedene Stile, unter anderem den Neoklassizismus, der sich an antiken Vorbildern orientierte. Allerdings ist die Rückbesinnung auf alte Ideale, auch Schönheitsideale nichts neues, wie man auch an der heutigen Mode unschwer erkennen an. Alle paar Jahre wiederholen sich die Styles.

Man kann den Neoklassizismus andererseits auch als Sehnsucht nach der guten, alten Zeit sehen, nach den Kriegen und vor allem auch der großen Hungersnot in Irland verständlicherweise durchaus auch etwas "Plüschiges", weil man sich nach Ruhe, Frieden, Harmonie sehnt und dem kleinen, privaten Glück. Schon im Regency begann der Wunsch nach "Liebesheirat" um sich zu greifen, es kam zu einer gewissen Romantik, durchaus gleichberechtigt zur mehr oder weniger offenen Gesellschaftskritik.
Und England hatte in dieser Zeit einige Autoren, die heute zu den Klassikern gehören. Also auch nicht schnöde abzuwerten.

Gegenfrage: was hat sich unsere Zeit denn an umwälzenden architektonischen Neuerungen und musikalischen Kompositionen einfallen lassen, das ganz anders war und gegenüber früheren Entwürfen und Kompositionen einzigartig?

Wenn du eine frühere Epoche abtust, muß die heutige Epoche ja um einiges besser sein, nicht wahr? Welche umwälzende Epoche haben wir denn gerade? :grübel:
 
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Woher hast du diese These?

Die "Viktorinaische Epoche" bezeichnet in erster Linie einen politischen Zeitrahmen, etwa die Regierungszeit Viktorias. In diese Zeit fiel unter anderem die Industrialisierung, das erstarkte Bürgertum, als finanzstarke Geldgeber. Das Bürgertum zeigte nun gerade z.B mit dem Neoklassizismus nsiene "Größe" und seine finanzielle Stärke.
Die Architektur dieser Epoche kannte verschiedene Stile, unter anderem den Neoklassizismus, der sich an antiken Vorbildern orientierte. Allerdings ist die Rückbesinnung auf alte Ideale, auch Schönheitsiedeale nichts neues, wie man auch an der heutigen Mode unschwer erkennen an. Alle paar Jahre wiederholen sich die Styles.

Und England hatte in dieser Zeit einige Autoren, die heute zu den Klassikern gehören. Also auch nicht schnöde abzuwerten.

Gegenfrage: was hat sich unsere Zeit denn an umwälzenden architektonischen Neuerungen und musikalischen Kompositionen einfallen lassen, das ganz anders war und gegenüber früheren Entwürfen und Kompositionen einzigartig?

Als Ergänzung kann man Wiki anfügen, da wird doch einiges über die Literatur usw. geschrieben:

Viktorianisches Zeitalter – Wikipedia
 
Verehrte unbekannte Spezialspezialisten,

stimmt das Vorurteil, das in England zur Zeit seiner grössten Machtentfaltung, der Epoche des Viktorianismus, eine Kulturverflachung stattfand? Also dass es kaum originelle Entwicklungen in der Literatur, Architektur, Philosophie, Musik, etc. gab und die Gesellschaft in einer selbstgefälligen Plüschkultur verflachte.

Über Antworten und Hinweise auf interessante Links würde ich mich freuen.

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Artifex


Wie alle Vorurteile erweist sich auch dieses bei näherer Betrachtung als absurd. Technisch, architektonisch aber durchaus auch kulturell war die überaus lange Regentschaft von Queen Victoria eine überaus fruchtbare Periode. Großbritannien war tatsächlich der "workshop of the world". Der Eisenbahnbau, die Entwicklung einer modernen Industriekultur ging von Großbritannien aus, und es lebten und wirkten zur Zeit Victorias eine ganze Reihe bedeutender Künstler und Literaten von Carlyle, Walter Scott über Charles Dickens und Thackeray bis zu Disraeli, Kipling, Arthur Conan Doyle und Oscar Wilde. Es ist wohl keine Übertreibung, wenn man diese Epoche mit der Blütezeit des "Elizabethan Dramas" vergleicht.

Der Crystal Palace im Hydepark, der 1936 abbrannte, und 1851 die erste weltaustellung beherbergte, wurde Vorbild für zahlreiche Neubauten in ganz Europa, und es gingen von GB auch sonst zahlreiche Impulse aus. Forscher wie Livingstone, Burton, Speke, Grant, Stanley und andere trugen erheblich dazu bei, die letzten weißen Flecke auf dem Globus zu erschließen und zu "zivilisieren" dieser Zivilisationsprozess brachte so unterschiedliche Persönlichkeiten hervor wie General Gordon "Pascha" und Cecil Rhodes.

Die Queen selbst war sicher keine Intellektuelle, doch gelang es ihr, die Monarchie wieder zu stabilisieren und ihr Ansehen, das unter ihren Onkeln George IV. und William IV extrem ramponiert wurde zu verbessern. Das Victorianische Zeitalter trägt durchaus zu Recht ihren Namen. Selten hat sich die Welt zu Lebzeiten eines Monarchen so rasant gewandelt, und die Queen verkörperte angesichts dieser rasanten Entwicklung eine gewisse Beständigkeit.

Die Einstellung von Schriftstellern und Autoren zum "British way of life" war höchst unterschiedlich. Dickens klagte in seinen Romanen die Schattenseiten der Industrialisierung und die Ausbeutung an, während Rudyard Kipling, geboren in Indien von den Segnungen der Zivilisation überzeugt war und von "The white man´s burden" sprach. Oscar Wilde nahm die Prüderie und Scheinheiligkeit der Gesellschaft aufs Korn und versuchte mit seinem Ästhetizismus einen Gegenentwurf auszuarbeiten, doch sie alle waren mit all ihren Widersprüchen doch Kinder ihrer Zeit, der Victorianischen Zeit, was dieser Epoche eine große Faszination verleiht, egal ob man sie mit liebevoller Nostalgie oder harscher Kritik wegen ihrer Mißstände betrachtet.
 
Ich möchte meinem Vorredner in gewissen Punkten widersprechen, oder zumindest: ihn ergänzen.

Die Innovation kam in der Victorianik gewissermaßen durch die Hintertür. Der Crystal Palace, die Bahnhofshallen, epochemachend und zukunftsweisend, waren keine Werke von Architekten sondern von Ingenieuren; Ingenieure aber schufen sich erst durch diese und ähnliche Leistungen (z. B. Brückenbauten und überhaupt die durch die Eisenbahn bedingten infrastrukturellen Änderungen) den Platz in der Gesellschaft (neben den anderen "Progressisten" wie z. B. Forscher oder Sozialpolitiker).

Die "höfische" bzw. offizielle Kunst und Kultur bewegte sich entlang konservativer bis regredierender Schemata – die Vorhallen der Bahnhöfe wurden gotisch und romanisch, Landhäuser und Villen in einem eklektizistischen Stilmischmasch gebaut, Hauptsache historisierend. Mit dem Erfolg, dass es heute nicht möglich ist, auf jahrhundertealte Traditionen zurückzugreifen … der traditionalistische "Klumpen" hat sich Ende des 19, Anfang des 20. Jhs. so vehement gelöst, dass die Anbindung endgültig verloren ist.
 
Bomfatinös!

Ich bin begeistert. Vielen Dank für die vielen Antworten. Auf "Woher hast du diese These?" möchte ich auf das Buch "New York liegt im Neandertal" von E.W. verweisen. Dort steht im Kapitel "Der Palazzo" über die Kultur der Renaissance folgendes auf S. 199:
>>Vergleicht man das Zeitalter des Perikles in Griechenland in Griechenland mit dem Italien des 15. Jahrhunderts, so fallen eine große Anzahl von Gemeinsamkeiten auf. Ist das Zufall?

In Florenz und Athen war die Kunst eine alles umfassende lebenswichtige Funktion des Alltags. Sowohl um die Griechen als auch um die italienischen Renaissancemenschen lag eine rätselhafte Aura von Genialität, die jeden begabten Menschen zu höchster schöpferischer Leistung anspornte. Zu keiner Zeit gab es so viele Genies. Ein Gebildeter war mindestens Wissenschaftler, Musiker, Kunstsachverständiger, Philosoph, geschulter Redner und fast immer auch ein hervorragender Sportler. Leonardo da Vinci bot dem Mailänder Herzog Sforza seine Dienste an und zählte in einem Bewerbungsbrief seine Fähigkeiten in dieser Reihenfolge auf: Er könne transportable Brücken, Belagerungsmaschinen und Schleudergeschütze konstruieren. Er sei im der Lage, Kriegsschiffe und Minen zu bauen. Außerdem hätte er neue Kampfwagen und Kanonen erfunden. In Friedenszeiten sei er fähig, jede gewünschte Architektur zu entwerfen, Wasserleitungen zu legen und Tunnel zu bohren. Er könne auch Skulpturen in Marmor, Bronze und Ton herstellen und verstünde zu malen.

Verrochio war Maler, Bildhauer, Goldschmied, Möbelschreiner und Dekorateur. Er lieferte auf Wunsch Heiligenbilder, Möbel, silbernes Geschirr, Modeentwürfe und kunstvolle Kaltbuffets.

Der Spezialist galt bei den Griechen als Banausse und in Oberitalien als Prolet. Es ist überhaupt eine bemerkenswerte Tatsache, dass man in Zeiten hoher künstlerischer Aktivität eine große Vielseitigkeit bei allen begabten Menschen antrifft, während der Spezialist immer nur in kulturarmen Perioden auftaucht. Ähnliche Abhängigkeiten gibt es zur politischen Einheit. Sowohl im Italien des 15. Jahrhunderts als auch im Griechenland des Perikles war das Land politisch uneinig und zerrissen. Es gab eine Vielzahl von kleinen Stadtwesen, die sich alle untereinander in offenen Fehden oder durch diplomatische Intrigen bekämpften. Es wird häufig übersehen, dass politisch uneinige Kleinstaaten größere schöpferische Impulse entwickeln als Weltreiche. Das antike Rom war zur Zeit seiner Weltherrschaft eine kulturelle Sonnenfinsternis, das spanische Weltreich Philipp II. eine bigotte Totengruft und das Empire der Queen Victoria eine spießbürgerliche Plüschkultur. Man könnte das bunte Bild der griechischen und oberitalienischen Stadtstaaten mit dem heutigen Europa vergleichen. Nirgendwo sonst auf der Erde gibt es so viele eigenständige Nationen, so eng zusammengedrängt wie auf dem halbinselähnlichen Zipfel des asiatischen Kontinents, den wir Europa nennen. Auf einer Fläche so groß wie die arabische Wüste liegen an die dreißig Länder. Trotz ihrer Kleinheit haben diese Zwergstaaten die Welt verändert wie keine Macht vor ihnen. <<

In Anfällen intellektueller Selbstüberschätzung schraube ich zur Zeit an einem Essay rum, in dem ich unter anderem diese Thesen verwurste. Den Beispielen der kulturell trägen Imperien habe ich noch das Osmanische Reich hinzugefügt.
 
@artifex


"Das antike Rom war zur Zeit seiner Weltherrschaft eine kulturelle Sonnenfinsternis, das spanische Weltreich Philipp II. eine bigotte Totengruft und das Empire der Queen Victoria eine spießbürgerliche Plüschkultur."

Ein geneigter Lektor hätte den ganzen von Dir zitierten Absatz, aber in Sonderheit, den von mir zitierten Satz verhindern müssen. Es sei denn, er ist als äußerst provokante These gemeint.

"Das antike Rom war zur Zeit seiner Weltherrschaft eine kulturelle Sonnenfinsternis..."

Viel Mühe braucht es nicht, um diesen Teilsatz zu widerlegen:

Römische Kunst – Wikipedia

und das ist nur ein sehr kursorischer Wiki-Artikel, den Du bestimmt auch kennst. Im übrigen ist mir so eine These noch nie untergekommen, was natürlich nichts heißen muß.

Zu Spanien unter P. II

El Greco – Wikipedia

Real Sitio de San Lorenzo de El Escorial – Wikipedia

Und von hier aus geht es mit vielen Links weiter in die spanische Renaissance. Von "bigotter Totengruft" kann da wohl nicht gesprochen werden; hier wird eher ein Vorurteil gegen P. II antizipiert, zumal auch die Niederlanden zum spanischen Weltreich zählten und das Vizekönigreich Sizilien.

Über die Viktorianische Epoche schrieben schon meine Mitdiskutanten.

Das ist natürlich nur ein Anriss, aber müßte ich über die Thesen des Herrn Heine ein Essay schreiben, würde ich selbige aus historischer und, nicht mein Fachgebiet, kunsthistorischer Sicht heftigst kritisieren.

M.


P.S.: Der geschichtsphilosophische Ansatz erscheint mir auch sehr konstruiert.
 
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Der Eisenbahnbau, die Entwicklung einer modernen Industriekultur ging von Großbritannien aus, und es lebten und wirkten zur Zeit Victorias eine ganze Reihe bedeutender Künstler und Literaten von Carlyle, Walter Scott über Charles Dickens und Thackeray bis zu Disraeli, Kipling, Arthur Conan Doyle und Oscar Wilde. Es ist wohl keine Übertreibung, wenn man diese Epoche mit der Blütezeit des "Elizabethan Dramas" vergleicht.
Nur Walter Scott hast Du falsch auf dem Zeiger. Der schuf vor allem zur Zeit von George III., der bis 1820 regierte, und George IV. (1820-1830 König).
Von daher könnte man sich wahrhaft streiten, ob nun die Georgian Era oder die viktorianische Zeit bedeutender waren. In die Georgian Era fallen zeitlich Swift, Johnson, Fielding, Burns, Byron, Austen, Blake, Shelley ...

Auch ansonsten wird man rasch finden, dass die meisten Impulse wie die Eisenbrücke, welche z.B. im Wörlitzer Park nachempfunden wurde, oder die Eisenbahn ("Catch me who can" 1808) eben aus der Georgian Era stammen.
:winke:

Künstlerisch würde ich dennoch die viktorianische Zeit keineswegs verdammen. So eine Verdammung finde ich grundsätzlich lächerlich und ein Aufwärmen von Vorurteilen. Die Vorurteile haben das Bild vom 18.Jh. im späten 19.Jh. und frühen 20.Jh. verschleiert und nun soll man dem selben Unsinn auch mit der Viktorianischen Zeit aufsitzen?:nono:
Man muss ja deswegen Hayter und Landseer nicht direkt lieben.;):D
 
Ich würde auch gerade Paxton als herausragend ansehen. Gut, er war nicht vormals Architekt, sondern begann als Botaniker, und entwarf und baute erst Gewächshäuser und Wintergärten. Den "Kristallpalast" für die Weltausstellung muß man durchaus als herausragend und erstaunlich bezeichnen! Voraussetzung dafür waren eben auch die technischen Neuerungen der Zeit und eine Vision, die über das Machbare hinwegzugehen schien.
Man könnte den Kristallpalast in etwa mit der Oper in Sydney vergleichen, wobei man sich über Geschmack grundsätzlich (nicht) streiten kann.
 
Natürlich ist die zitierte Polemik eine Vereinfachung und Zuspitzung. Und sicherlich entstand auch im Britischen Empire oder dem Römischen Reich Kunst und Kultur. Überall entwickeln Menschen diese Ausdrucksformen.

Aber Ihr müsst zugeben, dass der Vergleich der kulturellen Erzeugnisse dieser Imperien mit denen der geographisch und zeitlich viel kleineren italienischen Renaissance und der griechischen Klassik nicht zu ihren Gunsten ausfällt, oder?

So galten bei den Römern alle geistigen Beschäftigungen, die nicht unmittelbar der staatlichen Praxis dienten, als studio minora, minderwertige Studien.
Die Römer haben keine eigene Architektur entwickelt, sondern sie fertig aus Griechenland und den hellenistischen Städten importiert. Die schöpferischen Elemente der Kunst wurden negiert, bzw. waren nicht von Interesse. Kunst hatte vor allem dekorativen Wirkungswert. Und eine eigene Philosophie wurde ebensowenig entwickelt. Wir verdanken den Römern eher pragmatische Schöpfungen in der Jurisprundenz, Ingenieurkunst und dem Militärwesen.
 
In meinen Augen widersprichst du dir gerade selbst. Kunst ist Schöpfung und Schöpfung ist Kunst. Entweder ist Kunst und Schöpfung auch dekorativ; wenn das Dekorative allerdings keine Kunst ist, dann wäre alles Nichtdekorative eben auch gerade Militärkunst und Ingenieurwesen Kunst und alles wäre Kunst, was von der Norm abweicht und eine eigene, besondere Qualität in sich trägt.

Kunst definiert sich ja nicht nur in der "schönen Kunst". Auch eine technisch herausragende Konstruktion ist "Kunst". Auch technische Neuerungen sind Schöpfungen, und es ist eine Kunst sie zu entwerfen und zu bauen.

Davon mal ganz abgesehen, dass Bauwerke ohne entsprechende Konstruktion nicht möglich sind. Was daran ist Kunst? Ein Fenster, dass statt rechteckig rund ist? Eine Ansammlung von Formen? Oder vielmehr eine Konstruktion, die statisch unmöglich scheint und dennoch nicht in sich zusammenfällt?

Eine ionische Säule ist Kunst, eine konische aber nicht? Warum? Weil die ionische dekorativer ist? Da hast du sie wieder, deine "Dekoration".

Und entschuldige mal, die Renaissance und die griechische Antike dauerten wohl länger als die Lebenszeit einer Viktoria. Woran misst du deren Stärke im Vergleich zu anderen Epochen? An der Anzahl der Bauwerke?
 
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Nochmals, ich meine wiewenig kulturell Neues haben Imperien wie das British Empire (der Viktorianismus ist ja nur ein Wimpernschlag darin) oder andere jahrhundertealte Großmächte im Vergleich zu kleineren Staaten geschaffen.

Vielleicht habe ich nicht präzise genug formuliert. Besser denken und schreiben konnte der große Egon Friedell in seiner "Kulturgeschichte der Neuzeit" auf S. 197 über die Zerrissenheit Italiens während der Renaissance:

" Dies führt uns zu dem oft vernommenen Lamento über die „politische Zerrissenheit“ des damaligen Italien. Inder Tat: wenn man das Bild lediglich vom Standpunkt des Nationalpolitikers betrachtet, so ist es nicht erfreulich. In Mailand herrschten die Sforza, in Florenz die Medici, in Mantua die Gonzaga, in Ferrara die Este, im Kirchenstaat die Päpste, in Neapel die Aragonier, dazu kamen noch die beiden Seerepubliken Venedig und Genua und die zahlreichen kleineren Souveränitäten. Alle diese Staatswesen bekämpften sich nicht nur untereinander durch offene Fehde oder versteckte diplomatische Intrige, sondern waren auch im Innern durch soziale und politische Parteien gespalten. Aber es lässt sich in der Geschichte verhältnismäßig selten die Beobachtung machen, dass Kräftigung des Nationalgeistes und Steigerung der politischen Macht mit Höherentwicklung der Kultur Hand in Hand gehen. Weder die Griechen der perikleischen Zeit noch die Deutschen des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts genossen das Glück eines nationalen Einheitsstaates, sondern befanden sich in ganz desolaten politischen Verhältnissen, und doch waren beide damals die stärkste geistige Kraftquelle unseres Planeten. Hingegen: die Römer brachten es zu der Zeit, als sie die ganze Welt beherrschten, in Kunst und Wissenschaft nur zu einem dürftigen, epigonenhaften Dilettantismus; die lateinische Renaissance, die Karl der Große auf der Höhe seiner Macht versuchte, verlief sehr kläglich; Frankreich hat unter Ludwig dem Vierzehnten nur eine fadenscheinige, aufgebauschte Goldbrokatkultur und unter Napoleon nur den leeren, lackierten Empirestil erzeugt; Deutschland hat weder nach 1813 noch nach 1870 eine bedeutende künstlerische Entwicklung genommen und besonders in dem Jahrzehnt nach seiner Einigung seine banausischste, geistloseste und kitschigste Kulturperiode erlebt, während das besiegte Frankreich auf dem Gebiet der Malerei und des Romans ganz Neues und Überwältigendes hervorbrachte. ... Die Römer haben es zum Imperialismus gebracht, die Griechen nicht, weil sie talentierter waren. Aus demselben Grunde, warum in einem Freilufttheater ein Ibsendrama oder eine Mozartoper unaufführbar ist, wird wahre geistige Klutur immer nur in relativ kleinen Staatswesen Wurzeln fassen können. Die reichsten geistigen Entwicklungen sind immer von Zwergstaaten ausgegangen: von Athen, Florenz, Weimar. Und Italien, das jetzt (1927) nicht mehr "zerstückelt" ist, hat es in den zwei Menschenaltern seiner Einheit auf keinem Gebiet zu etwas anderem gebracht als zu matten und nichtssagenden Kopien der französischen Kultur…"
 
... Die Römer haben es zum Imperialismus gebracht, die Griechen nicht, weil sie talentierter waren. Aus demselben Grunde, warum in einem Freilufttheater ein Ibsendrama oder eine Mozartoper unaufführbar ist, wird wahre geistige Klutur immer nur in relativ kleinen Staatswesen Wurzeln fassen können. Die reichsten geistigen Entwicklungen sind immer von Zwergstaaten ausgegangen: von Athen, Florenz, Weimar. Und Italien, das jetzt (1927) nicht mehr "zerstückelt" ist, hat es in den zwei Menschenaltern seiner Einheit auf keinem Gebiet zu etwas anderem gebracht als zu matten und nichtssagenden Kopien der französischen Kultur…"
Aha. Kreativität ist also nur im Kleinen möglich, die Griechen waren talentierter, die Römer jedoch erfolgreicher, und geistige Entwicklungen sind per se nur künstlerische. Oder wie?

Interessant auch dass Länder, die erst gelobt werden für ihre Kultur danach kritisiert werden, speziell Italien, als Abklatsch der französischen NICHT-Kultur oder so ähnlich.

Ohne Worte.

Nachtrag: Was hat Friedell eigentlich erschaffen, also rein künstlerisch und schöpferisch gesehen? Ich würde mir als Gutachter für eine OP auch einen Arzt suchen und nicht einen Labortechniker
 
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Die Römer haben keine eigene Architektur entwickelt, sondern sie fertig aus Griechenland und den hellenistischen Städten importiert. Die schöpferischen Elemente der Kunst wurden negiert, bzw. waren nicht von Interesse. Kunst hatte vor allem dekorativen Wirkungswert. Und eine eigene Philosophie wurde ebensowenig entwickelt. Wir verdanken den Römern eher pragmatische Schöpfungen in der Jurisprundenz, Ingenieurkunst und dem Militärwesen.

Äh … Artifex, bei aller Zustimmung zu deinem Enthusiasmus muss ich hier widersprechen: die Römer interessierten sich sogar ziemlich für Kunst und spielten den aus Griechenland einfliegenden Ball souverän weiter. Z. B. die Verwendung des Rundbogens … die Weiterentwicklung z. B. der Stoa durch Seneca und der Neuplatonismus sind römische Leistungen, Dichtkunst, Malerei und Plastik wurden auf ähnliche Höhen entwickelt. Zusätzlich zu den "pragmatischen Schöpfungen".
Mit den "schöpferischen Elementen" bringst du einen unfairen, modernen Aspekt der Kunst ein, der so in der Antike nicht diskutiert wurde und auch nicht Bestandteil irgendwelcher Kunstphilosophien war. Klar war sie dekorativ! Aber in viel größerem Maße tatsächlich Können, Meisterschaft, die in Bereichen wie z. B. der Architektur das relativ sicher umrissene und traditionelle Wissen der richtigen Vollendung von gestalterischen Aufgaben festlegte.

Aber wir kommen hier gerade von Hölzchen aufs Stöckchen. Es sei nur angemerkt, dass während des victorianischen Zeitalters sich gerade durch den konflikt der Industrialisierung, des Imperialismus und des Aufstiegs der Demokratie ein Spannungsfeld ergab, in dem sich u. a. der Kunstbegriff neu definierte: weg vom "Akademiekünstler", hin zum "freien Künstler". Dementsprechend: Victorianik: nicht nur Plüsch und Spitzendeckchen.
 
Es wird häufig übersehen, dass politisch uneinige Kleinstaaten größere schöpferische Impulse entwickeln als Weltreiche.


Diese These ist zumindest interessant genug, um sie als Arbeitshypothese zu überprüfen. ich will gleich Material in ihrem Sinne dazugeben. Nicht nur die griechische Antike mit ihren poléis, oder die Kleinstaaten der italienischen Renaissance zeigen dieses Phänomen, auch in al-Andalus, als das umayyadische Kalifat zusammenbricht und an dessen Stelle ca. 25 Kleinstaaten treten, die sogenannten mul
ūk at-tawāʾif (Taifakönige, Reyes de taifas), kommt es zu seiner Blütezeit der Kunst, insbesondere der Architektur, Musik und Literatur, schlicht und einfach deswegen, weil die konkurrierenden Lokaldynasten alle miteinander um die Würde der Kalifatsnachfolge wetteifern und dementsprechend Gelder bereitstellen (für ein Gedicht wurde gerne Mal das Vielfache des Jahresverdienstes eines Bauern oder Handwerkers bezahlt).


Das antike Rom war zur Zeit seiner Weltherrschaft eine kulturelle Sonnenfinsternis, das spanische Weltreich Philipp II. eine bigotte Totengruft und das Empire der Queen Victoria eine spießbürgerliche Plüschkultur.
Ein geneigter Lektor hätte den ganzen von Dir zitierten Absatz, aber in Sonderheit, den von mir zitierten Satz verhindern müssen. Es sei denn, er ist als äußerst provokante These gemeint.

"Das antike Rom war zur Zeit seiner Weltherrschaft eine kulturelle Sonnenfinsternis..."

Viel Mühe braucht es nicht, um diesen Teilsatz zu widerlegen:

Römische Kunst – Wikipedia

und das ist nur ein sehr kursorischer Wiki-Artikel, den Du bestimmt auch kennst. Im übrigen ist mir so eine These noch nie untergekommen, was natürlich nichts heißen muß.

Zu Spanien unter P. II

El Greco – Wikipedia

Real Sitio de San Lorenzo de El Escorial – Wikipedia

Und von hier aus geht es mit vielen Links weiter in die spanische Renaissance. Von "bigotter Totengruft" kann da wohl nicht gesprochen werden; hier wird eher ein Vorurteil gegen P. II antizipiert, zumal auch die Niederlanden zum spanischen Weltreich zählten und das Vizekönigreich Sizilien.

So unpassend finde ich den Begriff bigotte Totengruft nicht. Natürlich sind spanische Renaissance und spanischer Barock unter dem Begriff Siglo de Oro ('Goldenes Zeitalter') zusammengefasst, was sich in erster Linie auf Architektur und Bildhauerei, Malerei und Literatur bezieht, doch sollte man eben auch Inquisition und Vertreibung von Juden (1492), Mauren (1499, 1570/71, 1608/09), Inflation, Verödung der Wirtschaft und Missbrauch der königlichen Privilegien in den Kolonien nicht vergessen. Nicht für all dies war Felipe verantwortlich, zum Teil waren es seine Vorgänger und Nachfolger, doch unter Philipp kulminiert das doch sehr stark. Und wenn Du schon die Niederlande ansprichst, dann darfst du den achtzigjährigen Krieg nicht vergessen, der unter Philipps Herrschaft ausbrach.

Den Abschnitt zu Rom würde ich auch nicht unterschreiben, man denke nur an das Bauprogramm unter Augustus, doch völlig von der Hand zu weisen ist auch dieser nicht. Zwar griff Rom durchaus einheimische kulturelle Elemente der eroberten Völker auf, aber letztlich muss man sagen, dass viele Kulturen durch die Romanisierung auch unwiederbringlich verloren gegangen sind. Man kann das exemplarisch an den Sprachen sehen. Daher ist der Ausdruck der "kulturellen Sonnenfinsternis" durchaus auch passend, wenn er auch nur die halbe Wahrheit mitteilt.

Wenn wir die vorrömische Sprachenkarte vor etwas mehr als 2000 Jahren ansehen (nehmen wir nur einmal die iberischen Staaten, Frankreich und Italien), wird das Ausmaß des Sprachensterbens deutlich. Eine kleine (sicher unvollständige) Aufstellung aus dem Kopf:

Tartessisch: ausgestorben
Keltiberisch: ausgestorben
Iberisch: ausgestorben
Lusitanisch: ausgestorben
Baskisch: wird in einem kleinen Raum noch gesprochen
Gallisch: ausgestorben
Ligurisch: ausgestorben
Lepontisch: ausgestorben
Rätisch: ausgestorben
Venetisch: ausgestorben
Etruskisch: ausgestorben
Oskisch: ausgestorben
Umbrisch: ausgestorben
Latein: hat sich weiterentwickelt zu Portugiesisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und weiteren romanischen Sprachen
Südpicenisch: ausgestorben
Messapisch: ausgestorben
Griechisch: in Italien und Südfrankreich ausgestorben

In der Osthälfte des römischen Reiches waren es mehr die "Griechen" - die mit Alexanders Feldzügen eingeleitete Hellenisierung ging unter den Römern weiter. Auf dem Balkan kamen später noch die Slawen hinzu. Auf dem Balkan, in Anatolien und Zypern sind seit Alexander ausgestorben (wiederum keine Gewähr für Vollständigkeit):
- Illyrisch
- Päonisch
- Dakisch
- Thrakisch
- Mysisch
- Phrygisch
- Palaisch
- Luwisch
- Isaurisch
- Pisidisch
- Sidetisch
- Lykisch
- Karisch
- Lydisch
- Eteokyprisch

Überlebt haben: Albanisch, Armenisch, Kurdisch. (Wobei nicht sicher belegt ist, ob das Kurdische vor 2000 Jahren in Anatolien schon beheimatet war.)

Nun ist Sprache nicht mit Kunst gleichzusetzen, doch ist das Aussterben der Sprachen z.T. schon in römischer Zeit durchaus auch mit dem Aussterben von Kunstrichtungen in Zusammenhang zu stellen. Das Aussterben von Sprachen ist sozusagen ein Indiz für das Aussterben von Kulturen, was natürlich nicht heißt, dass nciht ein Sub- oder Superstrat der alten Kultur in die neue mit einfließt.
 
"Diese These ist zumindest interessant genug, um sie als Arbeitshypothese zu überprüfen. ich will gleich Material in ihrem Sinne dazugeben. Nicht nur die griechische Antike mit ihren poléis, oder die Kleinstaaten der italienischen Renaissance zeigen dieses Phänomen, auch in al-Andalus, als das umayyadische Kalifat zusammenbricht und an dessen Stelle ca. 25 Kleinstaaten treten, die sogenannten mul[/COLOR][/COLOR]ūk at-tawāʾif (Taifakönige, Reyes de taifas), kommt es zu seiner Blütezeit der Kunst, insbesondere der Architektur, Musik und Literatur, schlicht und einfach deswegen, weil die konkurrierenden Lokaldynasten alle miteinander um die Würde der Kalifatsnachfolge wetteifern und dementsprechend Gelder bereitstellen (für ein Gedicht wurde gerne Mal das Vielfache des Jahresverdienstes eines Bauern oder Handwerkers bezahlt)."

Als Arbeitshypothese, selbstverständlich.


"So unpassend finde ich den Begriff bigotte Totengruft nicht. Natürlich sind spanische Renaissance und spanischer Barock unter dem Begriff Siglo de Oro ('Goldenes Zeitalter') zusammengefasst, was sich in erster Linie auf Architektur und Bildhauerei, Malerei und Literatur bezieht, doch sollte man eben auch Inquisition und Vertreibung von Juden (1492), Mauren (1499, 1570/71, 1608/09), Inflation, Verödung der Wirtschaft und Missbrauch der königlichen Privilegien in den Kolonien nicht vergessen. Nicht für all dies war Felipe verantwortlich, zum Teil waren es seine Vorgänger und Nachfolger, doch unter Philipp kulminiert das doch sehr stark. Und wenn Du schon die Niederlande ansprichst, dann darfst du den achtzigjährigen Krieg nicht vergessen, der unter Philipps Herrschaft ausbrach."

Du schreibst es selbst. "Siglo de Oro ('Goldenes Zeitalter')" und das in Bezug auf die Kunst- resp. Kulturgeschichte.

Die Inquisition war in der zweiten Hälfte des 16. Jh. ein Phänomen aller katholischer Länder; die Vertreibung der Juden, war nicht nur ein spanisches Phänomen, das der Mauren natürlich ein nur spanisches. Inflation, da konnte P. II. wenig für, es sei denn er hat zum Mittel der Münzverschlechterung gegriffen was ich auf die Schnelle nicht überprüfen kann, Staatsbankrott, klar, aber da war er nicht der Einzige.

"...dann darfst du den achtzigjährigen Krieg nicht vergessen, der unter Philipps Herrschaft ausbrach."

Hätten die Niederländer sich in die spanische Herrschaft dreingeschickt, dann wäre er auch nicht ausgebrochen. :pfeif:

Was ich damit ausdrücken möchte, bei einer kunst- resp. kulturgeschichtlichen Wertung, sollte politische Geschichte möglichst außen vor bleiben.

Ich möchte dabei bleiben, das "schwarze Gewand" P. II. legt sich gleichsam über die historisch, auch kunsthistorische, Betrachtung und Beurteilung dieser Zeit. Aus meiner beschränkten Sicht, brachte diese Zeit viele künstlerische Meisterwerke hervor, die auch nachwirkten.


"Den Abschnitt zu Rom würde ich auch nicht unterschreiben, man denke nur an das Bauprogramm unter Augustus, doch völlig von der Hand zu weisen ist auch dieser nicht. Zwar griff Rom durchaus einheimische kulturelle Elemente der eroberten Völker auf, aber letztlich muss man sagen, dass viele Kulturen durch die Romanisierung auch unwiederbringlich verloren gegangen sind. Man kann das exemplarisch an den Sprachen sehen. Daher ist der Ausdruck der "kulturellen Sonnenfinsternis" durchaus auch passend, wenn er auch nur die halbe Wahrheit mitteilt."

Hier haben andere Mitdiskutanten bereits berufen geantwortet.

Bleibt aus meiner Sicht die Arbeishypothese, daß "kleine Staaten" hinsichtlich der kulturellen Kreativität, produktiver sind als "große Staaten".

In dem Posting von Artifex, wird ein Zitat von Friedell angeführt. In diesem Zitat werden Wertungen eines Kulturhistorikers wiedergegeben, die ich zumindest für nachfragenswert halte.

Z.B.:

"Frankreich hat unter Ludwig dem Vierzehnten nur eine fadenscheinige, aufgebauschte Goldbrokatkultur und unter Napoleon nur den leeren, lackierten Empirestil erzeugt;"

Diese Bemerkung könnte auf einen "Namensnennung Wettlauf" von Künstlern hinauslaufen. ;)

"Deutschland hat weder nach 1813 noch nach 1870 eine bedeutende künstlerische Entwicklung genommen und besonders in dem Jahrzehnt nach seiner Einigung seine banausischste, geistloseste und kitschigste Kulturperiode erlebt..."

Deutschland hatte erst 1871 seine nationalstaatliche Einigung, es müßte also gleichsam, "Arbeitshypothese" vorausgesetzt, gleichsam vor Kreativität "explodiert" sein, ist es auch; hier führt sich Friedell selbst ad absurdum.

:ironie:Oder fiel Schwarzburg-Sondershausen durch besondere Leistungen zum Weltkulturerbe auf?


M.
 
Du schreibst es selbst. "Siglo de Oro ('Goldenes Zeitalter')" und das in Bezug auf die Kunst- resp. Kulturgeschichte.

Das schließt doch Bigotterie nicht aus. Und Totengruft: Inquisition, Indianersterben, Geldsterben, Wirtschaftssterben (letzteres ist natürlich ein wenig fehl in der Liste).

Die Inquisition war in der zweiten Hälfte des 16. Jh. ein Phänomen aller katholischer Länder; die Vertreibung der Juden, war nicht nur ein spanisches Phänomen, das der Mauren natürlich ein nur spanisches.

Hier möchte ich Dir dezidiert widersprechen. Die Inquisition gab es nicht. Es gab eine Inquisition im Mittelalter, die in ersten Linie Südfrankreich und Norditalien betroffen hat. Dann gab es im 16./17. Jahrhundert die römische Inquisition. Diese hat in ca. 100 Jahren 135 Todesopfer gefordert, wovon die meisten auch nach weltlichen Maßstäben Schwerverbrecher waren, sie also nicht wegen des religiösen Vergehens zum Tod verurteilt wurden, sondern wegen der religiösen Komponente ihres Vergehens vor das Inquisitionsgericht kamen (Mord eines Priesters, Vergewaltigung einer Nonne o.ä.).
Dann gab es noch die Spanische Inquisition (15. - 19. Jhdt.). deren Opferzahlen hat man zwar inzwischen kräftig nach unten korrigiert, sie geht aber noch immer in die Tausende. Sie ist also keineswegs ein "normales" Phänomen, welches in anderen Ländern ähnliche Ausmaße angenommen hätte. auch die Vertreibung der Juden 1492 aus Spanien ist recht singulär und jeder Christ jüdischer Herkunft stand spätestens zu diesem Zeitpunkt für die nächsten Jahrhunderte unter dem Generalverdacht, ein verborgener Jude zu sein.
Mit der Vertreibung von Juden und Muslimen geht der Zusammenbruch der Wirtschaft in vielen Teilen Spaniens einher. Die Wurzeln liegen dafür schon im Mittelalter und der Möglichkeit, sich durch Neuansiedlung dem Feudalwesen zu entziehen und im Stand aufzusteigen. Im 16. Jahrhundert gab es Landstriche in Spanien, in denen beinahe jeder in den Adelsstand aufgerückt war und daher zu fein zum arbeiten. Das war natürlich mit der einhergehenden Vertreibung von Juden und Muslimen katastrophal und führte dementsprechend zur Verödung von Landstrichen.

Inflation, da konnte P. II. wenig für, es sei denn er hat zum Mittel der Münzverschlechterung gegriffen was ich auf die Schnelle nicht überprüfen kann, Staatsbankrott, klar, aber da war er nicht der Einzige.

Es sagt ja niemand, dass Philipp etwas dafür konnte. Aber als König wäre es an ihm gewesen z.B. Kriege zu vermeiden, oder den ungebremsten Silberfluss nach Europa aus Amerika zu retardieren, die Conversos unter Schutz zu stellen (vielleicht indem er das Vertreibungsdekret seiner Urgroßeltern von 1492 aufgehoben hätte?) und die Morisken ihren Gebräuchen nachgehen zu lassen. Mit letzterem hätte er sich den Aufstand der Alpujarras erspart und den Grund für die zweite große Vertreibungswelle der Morisken aus Spanien.
Stattdessen ist es wohl eher wahrscheinlich, dass er den Aufstand mit voller Absicht durch das Verbot der arabischen Sprache und muslimischer Bräuche provoziert hat, wohl aus dem Grund, dass damals die Türkenphobie herrschte und die Morisken als 5. Kolonne der Türken angesehen wurden. Einen militärischen Sinn hatte diese Provokation also.
Dennoch: Für die spanische Wirtschaft war es fatal.
 
Spanien ist doch ein schönes Beispiel. Schönen Dank für den Hinweis auf die Taifakönige in El Andalus! Trotz der ungeheuren Mengen an Gold, die aus Südamerika herusgepresst wurden, ging es doch in Spanien seit dem Höhepunkt der Macht - auch durch den doppelten Druck einer bürokratischen Despotie und der kirchen Inquisition - immer mehr bergab. Fremde Anschauungen galten als Gifte, die durch eine engherzige Zensur und das Verbot des Besuchs ausländischer Schulen unterdrückt wurden. Die Vertreibung der Morisken wurde schon erwähnt. Durch den Kontrollwahn der trägen zentralistischen Staatsverwaltung wurden selbständigen Regungen der Kommunen eingeschränkt. Bestechlichkeit, Rückständigkeit und Wirtschaftsprotektion führten zu mehrfachem Staatsbankrott und einem jahrhundertelangen Niedergang des Reiches.

Ein weiteres Negativ-Beispiel ist das osmanische Reich. Dort herrschte eine Verweigerungshaltung gegenüber den technologischen und wirtschaftlichen Errungenschaften Europas. So war beispielsweise der Buchdruck verboten. Hezarfen Ahmed Çelebi , der 1638 (!) mit künstlichen Flügeln vom Galata-Turm sprang und über den Bospores flog, wurde vom empörten Sultan Murat IV. in die Verbannung schickte, wo er zwei Jahre später unter mysteriösen Umständen verstarb. Als auch das konstitutivste Element des Staates, die militärische Expansion, zum Stillstand kam, hatte dies gravierende Auswirkungen auf die innere Struktur des Reiches und leitete eine Phase des Niedergangs und der allgemeinen Verarmung ein. Das erwachsene Männer seidene Pluderhosen und Schnabelschuhe trugen, ist ein weiteres Indiz für die Agonie dieser Kultur.



Um nochmal zu meinem ersten Beitrag zu kommen: Kann mir jemand Links nennen, die meine These von der Verflachung der Viktorianischen Kultur stützen?
 
Oder fiel Schwarzburg-Sondershausen durch besondere Leistungen zum Weltkulturerbe auf?
Ja.
Das "Monplaisir" in Arnstadt und das Schloss in Sondershausen wären meines Erachtens zu nennen, wobei ich das "Monplaisir" in Arnstadt gerne geschützt als Welterbe sehen möchte.

Kunstbanause! :p=)

Tut mir leid, wenn das von Dir ironisch gemeint war, habe ich die Ironie nicht herauslesen können.
 
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