Stilicho - was waren seine Ziele?

Dieter

Premiummitglied
Wenn ich Stilichos (* um 365; † 22. August 408 in Ravenna) Biografie betrachte, dann ist mir bis heute nicht ganz klar, welche Ziele er eigentlich verfolgte: War er lediglich ein guter weströmischer Heermeister? Strebte er für seinen Sohn oder gar für sich die Kaiserwürde an, wie man ihm vorwarf? War er Römer, romanisierter Germane oder gar Germane pur?

Fragen über Fragen! :grübel:
 
Teilweise wurde darüber bereits hier diskutiert: http://www.geschichtsforum.de/f28/herrschaft-der-theodosius-i-s-hne-37419/

Ich würde sagen, er war romanisierter Germane. Als was er selbst sich fühlte, können wir aber nicht wissen.

Welche Ziele er hatte, lässt sich schwer sagen, schließlich können wir nicht in ihn hineinsehen. Ob er für sich oder seinen Sohn die Kaiserwürde anstrebte, lässt sich somit nicht beantworten. Ich glaube es allerdings nicht so wirklich, denn wozu wartete er dann so lange? Honorius war deutlich jünger als er, auf dessen natürliches Ableben konnte er nicht warten. Und wenn Stilicho erst einmal gestorben war, konnte er auch nichts mehr für seinen Sohn tun. Wenn Stilicho die Macht an sich reißen wollte, wäre dafür gleich nach Theodosius I.' Tod oder nach den Siegen über Alarich und Radagaisus der beste Zeitpunkt gewesen.
Ich denke, er war klug genug, um zu erkennen, dass er ohnehin die reale Macht hatte, und sich damit zufriedenzugeben, so wie es auch die Heermeister nach ihm taten. Ein Putsch hätte auch unweigerlich zu einer Reaktion Ostroms geführt, und auch im Westen wäre mit antigermanischen Unruhen zu rechnen gewesen (wie es sie nach seinem Tod auch wirklich gab), vielleicht auch mit der Erhebung eines nationalrömischen Gegenkaisers. (Andererseits war die Kaisererhebung des Magnentius im Westen auch akzeptiert worden.) Letztlich konnte Stilicho durch einen Putsch eigentlich nur verlieren.
 
Ich würde sagen, er war romanisierter Germane. Als was er selbst sich fühlte, können wir aber nicht wissen.

Wo wurde Stilicho denn überhaupt geboren? Seiner Biografie nach ist zumindest zur Hälfte Germane. Hatte er da nicht einen gewissen Zwiespalt hinsichtlich seiner Stammesgenossen?

Ob er für sich oder seinen Sohn die Kaiserwürde anstrebte, lässt sich somit nicht beantworten. Ich glaube es allerdings nicht so wirklich, denn wozu wartete er dann so lange?

Aber Odoaker hat das nur 60 Jahre später getan - also nicht gleich Kaiser, aber immerhin erster Mann im Staat! Und Ostrom war zu keiner Reaktion fähig, abgesehen davon, dass es den Teufel Odoaker mit dem Beelzebub Theoderich austrieb.
 
Von Germane pur kann keine Rede sein - er bemühte sich sehr um eine Karriere innerhalb des römischen Systems, heiratete in das (ost-)römische Kaiserhaus ein, auch die Vorwürfe seiner Gegner, mit Alarich gegen Rom konspiriert zu haben sind kaum zu halten.
Stilicho war Römer, auch wenn er vandalischer Herkunft war. De Facto war er Regent des Westreiches, weitergehende Ambitionen sind nicht zu belegen.
 
Von Germane pur kann keine Rede sein - er bemühte sich sehr um eine Karriere innerhalb des römischen Systems, heiratete in das (ost-)römische Kaiserhaus ein, auch die Vorwürfe seiner Gegner, mit Alarich gegen Rom konspiriert zu haben sind kaum zu halten.
Stilicho war Römer, auch wenn er vandalischer Herkunft war. De Facto war er Regent des Westreiches, weitergehende Ambitionen sind nicht zu belegen.

Ich las bei der alten Tante Wiki, Stilicho sei "früher oft eher negativ gesehen worden"? Wieso das? Er hat sich doch überall wacker geschlagen!
 
Wo wurde Stilicho denn überhaupt geboren?

Angeblich etwa 359/360 in der Nähe von Konstantinopel, sein Vater diente wohl in der Kavalerie des Valens.

Hatte er da nicht einen gewissen Zwiespalt hinsichtlich seiner Stammesgenossen?

Es gibt doch einige Germanen, die es zum magister militum oder ähnlichen Positionen brachten, da scheint es selten Probleme gegeben zu haben.
Fragt sich auch, zu wem (außer Rom) sie ein besonderes Verhältnis hätten haben sollen.
 
Vielleicht war ihm seine (halb)vandalisch-germanische Herkunft sogar eher peinlich. So hat er sich jedenfalls verhalten.
 
Ich las bei der alten Tante Wiki, Stilicho sei "früher oft eher negativ gesehen worden"? Wieso das? Er hat sich doch überall wacker geschlagen!

Es wurde ihm doch permanent unterstellt, er habe mit Alarich gegen das Reich paktiert. Allerdings ist es fraglich, ob er - auch und gerade im Sinne Roms - großartige Alternativen hatte.
 
Es wurde ihm doch permanent unterstellt, er habe mit Alarich gegen das Reich paktiert. Allerdings ist es fraglich, ob er - auch und gerade im Sinne Roms - großartige Alternativen hatte.

Die hatte er gewiss nicht und wenn der Feind vor den Toren steht, muss man verhandeln. Ich habe Gefühl, dass Honorius mit der Beseitigung Stilichos ein Eigentor schoss, denn ein gutes Einvernehmen zwischen ihm und seinem Heermeister wäre das Gebot der Stunde gewesen.

Wo wurde Stilicho eigentlich geboren?
 

Oh sorry - hatte ich glatt überlesen!

bb sagte oben, dass dem Herrn Stilicho seine teilweise germanische Abkunft sogar peinlich gewesen sein könnte. Das ist sicherlich denkbar.

Überdenkt man die militärische Lage zu Beginn des 5. Jh., so hätte statt des lahmen und in der Höhe schwebenden Honorious besser ein Kaiser wie Stilicho an der Spitze gestanden. Es ist ja schlimm, dass kein weströmischen Kaiser mehr an der Spitze seiner Truppen stand, wie das noch 50 Jahre zuvor die Regel war. Schlug der Valens nicht 371 noch die Schlacht bei Adrianopel gegen die Goten?
 
Aber Odoaker hat das nur 60 Jahre später getan - also nicht gleich Kaiser, aber immerhin erster Mann im Staat! Und Ostrom war zu keiner Reaktion fähig, abgesehen davon, dass es den Teufel Odoaker mit dem Beelzebub Theoderich austrieb.
Das kann man nicht vergleichen: Romulus Augustulus war von seinem Vater Orestes als Kaiser eingesetzt worden. Ostrom betrachtete aber nach wie vor den vertriebenen weströmischen Kaiser Iulius Nepos als rechtmäßig. Odoaker tat also nichts weiter, als einen aus oströmischer Sicht ohnehin unrechtmäßigen Kaiser zu stürzen. Das war etwas ganz anderes als wenn Stilicho Honorius, den Bruder des oströmischen Kaisers Arcadius, gestürzt hätte. Und trotzdem machte sich Odoaker immerhin nicht zum Kaiser.

Ich las bei der alten Tante Wiki, Stilicho sei "früher oft eher negativ gesehen worden"? Wieso das? Er hat sich doch überall wacker geschlagen!
Für deutschtümelnde Historiker war er ein "Verräter" an den Germanen. (Siehe dazu exemplarisch Felix Dahns Roman "Stilicho", wo Dahn auch klar durchblicken lässt, dass Stilicho seiner Meinung nach eigentlich mit den Vandalen hätte zusammenarbeiten müssen.)

Angeblich etwa 359/360 in der Nähe von Konstantinopel, sein Vater diente wohl in der Kavalerie des Valens.
Woraus geht das hervor?

Fragt sich auch, zu wem (außer Rom) sie ein besonderes Verhältnis hätten haben sollen.
Gundobad kehrte in seine Heimat zurück und wurde Burgunderkönig.

Es gibt doch einige Germanen, die es zum magister militum oder ähnlichen Positionen brachten, da scheint es selten Probleme gegeben zu haben.
Im Westen weniger, aber im Osten instrumentalisierten die germanischen Heermeister mitunter ihre Stammesgenossen für die innerrömischen Machtkämpfe.
 
Überdenkt man die militärische Lage zu Beginn des 5. Jh., so hätte statt des lahmen und in der Höhe schwebenden Honorious besser ein Kaiser wie Stilicho an der Spitze gestanden.
Das hätte aber einen Haufen Probleme gegeben: die ständige Feindschaft Ostroms, Widerstand auch im Westen etc. Wichtiger war, dass Stilicho die faktische Macht hatte und die Armeen kommandierte. (Man stelle sich vor, Honorius hätte selbst kommandiert ...)

Es ist ja schlimm, dass kein weströmischen Kaiser mehr an der Spitze seiner Truppen stand, wie das noch 50 Jahre zuvor die Regel war. Schlug der Valens nicht 371 noch die Schlacht bei Adrianopel gegen die Goten?
Die Schlacht war 378, und ja, er schlug sie selbst. Theodosius I. kommandierte seine Truppen aber auch noch selbst, ebenso die weströmischen Gegenkaiser unter Honorius.
 
Für deutschtümelnde Historiker war er ein "Verräter" an den Germanen. (Siehe dazu exemplarisch Felix Dahns Roman "Stilicho", wo Dahn auch klar durchblicken lässt, dass Stilicho seiner Meinung nach eigentlich mit den Vandalen hätte zusammenarbeiten müssen.) .

Das ist ja eine interessante Rezeptionsgeschichte, auf die ich überhaupt nicht gekommen wäre: Stilicho als Verräter an den Germanen! - Erinnert mich stark an den "Sachsenschlächter" Karl den Großen, dem die Nazis dieses Attribut aufdrückten; aber viellicht gab's das schon im Kaiserreich.

Selbst wenn Stlicho zu einer solchen "Zusammenarbeit" bereit gewesen wäre, ist es doch die große Frage, ob er z.B. bei den Vandalen überhaupt Gehör gefunden hätte, die bei Gefahr der Unterwerfung durch die Hunnen zusammen mit den Sueben 407 über den Rhein nach Gallien flüchteten.
 
Selbst wenn Stlicho zu einer solchen "Zusammenarbeit" bereit gewesen wäre, ist es doch die große Frage, ob er z.B. bei den Vandalen überhaupt Gehör gefunden hätte,
In Dahns Roman bieten die Vandalen ihm sogar die vandalische Königswürde an, was Stilicho aber ablehnt. Historisch ist das natürlich nicht.

die bei Gefahr der Unterwerfung durch die Hunnen zusammen mit den Sueben 407 über den Rhein nach Gallien flüchteten.
Dass die Hunnen Ursache für den Rheinübergang waren, ist Spekulation.
 
In Dahns Roman bieten die Vandalen ihm sogar die vandalische Königswürde an, was Stilicho aber ablehnt. Historisch ist das natürlich nicht.

Selbst wenn das historische Realität wäre: römischer Heermeister und zweiter Mann im Staat nach dem Kaiser war für Stilicho angesichts des Drucks der Hunnen auf die Germanen bestimmt erstrebenswerter.

Dass die Hunnen Ursache für den Rheinübergang waren, ist Spekulation.

Warum hätten sie sonst flüchten sollen? Sie wollten oder mussten den großen Völkerverschiebungen ausweichen, die die Hunnen hervorgerufen hatten. Ob nun mittel oder unmittelbar: Der Zug der Vandalen und Sueben fügt sich in die Völkerwanderung ein, wie auch die Züge der anderen Germanenstämme.
 
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