Was für eine Kriegsführende Macht als "katastrophal" bezeichnet werden kann, ist eigentlich sehr relativ. Was will ich haben und was bin ich bereit dafür zu zahlen? Dazu kommt noch die historische und geographische Perspektive. Vergleicht dieses Ereignis mal mit den gewaltigen Schlachten im Chinesischen Bürgerkrieg oder in Korea. Dort sind in Gefechten Hunderttausende umgekommen ohne wesentliche Entscheidungen herbei zu führen.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Vietnamesische Führung damals diese Verluste als angemessen und gerechtfertigt betrachtet hat. Es wurde hoch gepokert, der Erfolg hat sich aber eingestellt.
Die Schlacht mitten drin abzubrechen um Blut zu sparen wäre in diesem Fall viel verhängnisvoller gewesen. Der Prestigeverlust wäre enorm gewesen, die Moral der Besatzer und ihrer Gefolgsleute (die es gab) wäre gestärkt worden, der Krieg hätte sich mit offenem Ergebnis verlängert (denkt an die Briten in Malaya zur ungefähr gleichen Zeit).
Im eigenen Lager hätte es sich garantiert negativ auf die Rekrutierung neuer Freiwilliger und auf die Unterstützung von Aussen ausgewirkt. Meiner Meinung nach, hat die Führung des Viet-Minh die historische Gelegenheit erkannt und die richtige Entscheidung getroffen. Wie es der Anschlusskrieg im Süden dann zeigte, hätte ein langer Kleinkrieg im Endeffekt viel mehr Opfer und Zerstörung produziert.
Wir sind uns ja im Grund darüber einig, dass hier eine "Kosten-Nutzen-Rechnung" angestellt worden ist. Allerdings eine, die zumindest im Fall der Tet-Offensive, in hohem Maße menschenverachtend war und von der die Verantwortlichen (ich gehe davon aus, dass Giap hier NICHT das entscheidende Wort zu sprechen hatten) im Voraus nur die Kosten kannten, nicht aber den Nutzen, der sich dann später einstellte. Tet sollte eine bloße Machtdemonstration sein - und ein verantwortlich denkender Militärkommandeur unternimmt keine Machtdemonstrationen, von denen er weiß, dass sie ihn seiner Machtmittel berauben werden. Der Hintergrund mag sein, dass in Folge der Tet-Offensive in erster Linie die Viet Cong - also die zerstreut operierenden Guerilla-Einheiten im Süden - zerrieben wurden. Aus Sicht Nord-Vietnams waren diese Guerillas möglicherweise "verzichtbar", da man davon ausging, dass letztlich die regluäre Armee den Sieg erkämpfen würde. Das wäre dann ein verbrecherisches Vorgehen gewesen. Verbrecherisch gegenüber den eigenen Kräften, denn: Tet hat NICHT zum Sieg geführt. Tet hat die vietnamesischen Streitkräfte sinnlos geschwächt. Man kann jetzt Verschwörungstheorien wälzen, dass die Führung in Nord-Vietnam vielleicht Gründe hatte, die Viet Cong loswerden zu wollen. Oder Vermutungen, dass der Historiker Giap als Stretege zu sehr Theoretiker war. Ich will beides nicht unterstellen. Ich denke, dass da einfach nur Fehler gemacht wurden. Anders wäre es besser gegangen.
Beispiel: Dien Bien Phu.
Wie ich bereits geschrieben habe, bin auch ich der Meinung, dass Giaps Entscheidung, sich auf die Schlacht einzulassen, rückblickend betrachtet richtig war. Trotzdem muss man feststellen, dass es Alternativen gegeben hätte. Nehmen wir mal an, die Franzosen hätten bestimmte taktische Fehler nicht gemacht. Nehmen wir mal an, sie hätten höher gelegene Positionen eingenommen und sie hätten den vietnamesischen Aufmarsch (von dem sie sicher wussten, dass er erfolgen würde) durch intensiven Jagdkampf erschwert. Dann hätte Giap in der Schlacht einen großen Teil seiner Kräfte verlieren können, ohne irgendwas zu erreichen. Etwas Ähnliches war den Viet Minh schonmal passiert. Anfang 1951 bei Vinh Yen. Da sind sie - ebenfalls vor einer französischen Festung - zusammengeschossen worden. Daraus Lehren ziehend, musste Giap die Option sehen, anstatt bei Dien Bien Phu zur Schlacht anzutreten, nach dem gleichen Muster wie später bei der Tet-Offensive gegen alle anderen (zu dem Zeitpunkt stark geschwächten) französischen Stellungen im Land vorzugehen. Ob das besser gewesen wäre, lässt sich heute, da wir die Folgen von Dien Bien Phu kennen, nicht mehr entscheiden. Im Vorfeld der Schlacht muss es jedenfalls eine Option gewesen sein, die großen "Gewinn" versprach und weniger riskant für die eigenen Kräfte war. Da schließt sich für mich wieder die Frage an, was die Franzosen den Viet Minh "angeboten" haben, um sie nach Dien Bien Phu zu locken.
Ähnlich betrachte ich die Jahre später erfolgte Tet-Offensive. Auch diese Aktion war nicht grundsätzlich falsch. Wenn man die Art und Weise betrachtet, wie die Offensive vorgetragen wurde, dann muss man nur feststellen, dass kein "Plan B" existierte, kein Ausstiegs- und Rückzugsszenario, das geeignet gewesen wäre, auch bei ungünstigem Kampfverlauf die Fortdauer der Existenz der eigenen Truppen zu sichern. Es war ein Spiel um "Alles oder Nichts". Sieg oder Tod. Ohne dass im Vorfeld ein Zwang erkennbar gewesen wäre, so eine Gewaltaktion zu starten. Ohne dass im Vorfeld begründete Hoffnung bestanden hätte, alle Gegner zu überwältigen. Schließlich waren die Südvietnamesischen Streitkräfte ungeschwächt und das US-Militär hatte zu keinem anderen Zeitpunkt mehr Truppen im Land. Es ist nicht erkennbar, welche militärischen Erfolge man sich aus dieser Offensive eigentlich erhoffen konnte.
Wie gesagt: Wir wissen heute, dass Tet in den USA die öffentliche Meinung erschüttert hat und dass sich aufgrund der Kämpfe in aller Welt die Stimmung zunehmend gegen diesen Krieg gewendet hat. Dieser "Erfolg" ist aber POLITISCHER Natur und hat sich AUßERHALB Vietnams eingestellt. Kein General kann damit kalkuliert haben, als er den Befehl zum Angriff gab.
MfG