Peripherie oder Kernreich: Direkte & indirekte Herrschaft
Dann frage ich mich immer noch, welches Spanien Eurich nun in den 470ern erobert hat, wenn es nicht das Spanien südlich der Pyrenäen war. Und welche Romanen ihn dort als König anerkannten. Oder warum man den Sohn des gefallenen Königs nach Barcelona "in Sicherheit" schaffte, wenn man die Gegend um Barcelona nur locker beherrschte. Und wer um alles in der Welt denn damals in Spanien herrschte, bzw. wie die Westgoten jemals ein Toledanisches Reich gründen konnten...
[FONT="]Dass die Könige der Völkerwanderungszeit sich eher auf wandernde Heere mit ihrem Anhang, denn auf „(gar geschlossen) siedelnde Völker“ stützten brauche ich nicht zu erwähnen? Infolgedessen konnte sich der Schwerpunkt der Reiche und Ansiedlungen relativ leicht verschieben. Auch die mittelalterlichen Könige/Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches“ beherrschten etwa Böhmen nicht direkt durch Präsenz und Ansiedlung, sondern über formelle Oberhoheit und Unterstellung der dortigen Machthaber. Nochmal: Völkerwanderungszeitliche „Völker“ waren mehr durch Personenverbände (durch persönliche Bindungen der Familien, Krieger und Mächtigen an einen König…) gekennzeichnet denn als echte Abstammungsgemeinschaften. Es war also möglich von Tolosa/Toulouse aus Teile Spaniens zu „beherrschen“ ohne sonderliche „strukturelle“ Präsenz dort zu zeigen… [/FONT]
[FONT="]Mit diesem Ansatz löst sich auch das relative „Missverhältnis“ zwischen gotischer „Oberherrschaft“ über mehr oder weniger große Teile Spaniens ab König Eurich einerseits, und den häufigen „Neueroberungen“ der Westgoten in Spanien vor Vouillé andererseits auf, wie EQ sie zu Recht mehrfach betont. Die Vorgänge erinnern mich an die frühen mittelalterlichen Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches“, die sehr wohl auch über Reichsitalien geboten, ihre Oberherrschaft aber ständig wieder in neuen Zügen über die Alpen festigen mussten. Vielleicht hilft dieser grobe Vergleich, die Vorgänge besser zu verstehen und die Kontroverse darüber zu entschärfen? Fakt ist aber, dass erst nach Verlust der alten Hauptstadt in Gallien, die Westgoten daran gingen ihre Herrschaft in Spanien auf andere, deutlich festere Basis zu stellen als vorher![/FONT]
[FONT="]Warum der Sohn des gefallenen Königs, (Amalrich) nach Barcelona in Sicherheit gebracht werden konnte – also fern des eigentlichen Zentrums ist auch indirekt zu erkennen. Gesalech, der statt seiner König der Westgoten geworden war, ließ sich Andernorts (nördlich der Pyrenäen!) krönen und hatte vorerst Wichtigeres zu tun, als sich um seinen Halbbruder im fernen Barcelona zu kümmern. Wäre Barcelona ein wichtiges Zentrum des Reiches vor Vouillé gewesen, dürfte er anders gehandelt haben! Der „Run“ etwa auf den Königsschatz in Carcassonne zeigt eine weitaus wichtigere Komponente für Königsherrschaft jener Zeiten. Ihn zu besitzen war wichtig für einen König. So entschied sich Theoderich auch nicht von Anfang an gegen Gesalech vorzugehen, sondern erst nachdem er Schatz und Königsspross in seinem Sinne einsetzen konnte![/FONT]
[FONT="]Die Bedeutung des Königsschatzes zeigte sich noch nach dem Ende des letzten
Ostgotenkönigs 552 nach der Schlacht am Mons Lactarius. Die noch Widerstand leistenden Goten in Italien mochten durchaus gewillt sein, einen neuen König zu erheben, zumal ein Bruder des letzten Königs noch immer eine Festung mit dem Kronschatz gegen die Oströmer/Byzantiner hielt. Dieser kapitulierte aber lieber und schloss sich den siegreichen Byzantinern an, statt mit jenen Goten gemeinsame Sache zu machen, die sich den nun einfallenden Franken angeschlossen hatten. Ihm war klar dass zwischen Franken und Byzantinern keine neue gotische Königserhebung mehr möglich war… [/FONT]
[FONT="]Mit dem Ende des Krieges gegen Franken und Burgunder hatten die Westgoten eben das Glück in das vorher mehr indirekt beherrschte Spanien ausweichen zu können, wo sich in der Tat noch sehr gute Entfaltungsmöglichkeiten boten. In der Folge davon konnte das Reich von Toledo gegründet werden, nachdem sich die Verhältnisse unter dem Schirm Theoderichs und seiner Ostgoten stabilisierten. Betont wurde bereits, dass sich an dieser Neuformierung ostgotische Gruppen maßgeblich beteiligten und Teil der Westgoten wurden. Auch Wolfram betont, dass die Trennung der beiden gotischen Kronen nach dem Tode Theoderichs das italische Ostgotenreich schwächte, durch die Verluste an jenen Kriegern, die sich für das westgotische Reich entschieden hatten! Hier, zusammen mit der langjährigen Erholungsphase unter der Herrschaft Theoderichs wurden die Grundlage für den Neuaufstieg der Westgoten gelegt. Das ist auch die Antwort auf folgende Frage:[/FONT]
Dekumatland schrieb:
Wenn die Niederlage von Vouille die Westgoten so sehr geschwächt haben sollte, dass sie ohne Theoderichs Intervention völlig am Ende gewesen wären, dann fragt man sich meiner Ansicht nach zurecht, warum sie innerhalb von nur 60 Jahren wieder so erstarken und attraktiv werden konnten, dass sie bald darauf tatsächlich fast ganz Spanien beherrschten…
[FONT="]60 Jahre sind für die Verhältnisse der Völkerwanderungszeit doch eine durchaus lange Zeit! Man bedenke, dass die Wurzeln der Westgoten im Jahre 376 noch im heutigen Rumänien lagen und die Ansiedlung der Westgoten bei Toulouse erst 418 (= über 30 Jahre!!) stattfand. In der Zeit dazwischen hatten sie fast ständig gekämpft, waren durch Balkan, Italien und Gallien und bis nach Spanien hinein und nach Gallien zurück gezogen. Sie hatten dutzende Niederlagen und Siege errungen, mehrfach am Rande der Vernichtung gestanden, nur um doch immer wieder neu aufzustehen, solange es noch Raum zur Entwicklung gab! Verglichen damit waren die Jahre zwischen der faktischen Königsherrschaft Theoderichs und der stabilen Etablierung in Spanien weniger Ereignisreich, wenn sie auch nicht ohne Höhen und Tiefen abliefen, was mir kennzeichnend für diese Zeiten scheint.[/FONT]