excideuil
unvergessen
Von 1794 – 1796 war Talleyrand in Amerika im Exil.
Er übte sich in Geldgeschäften, pflegte und erwarb Freundschaften, reiste, beobachtete und studierte.
Um ihn geht es nicht in diesem Thread, aber einige seiner Beobachtungen in Amerika, die ihm so wichtig waren, dass sie Platz in seinen Memoiren gefunden haben, weckten mein Interesse:
„An der Frenchman-Bay, im entlegensten Westen wurde ich einmal durch ein Unwetter gezwungen, mich in dem kleinen Hafenort Machias aufzuhalten; ich richtete an den Wirt, bei dem ich eingekehrt war, sofort verschiedene Fragen. Er bewohnte das schönste Haus des Städtchens und war, wie ich hörte, ein Mann von großer „Respektabilität“, d.h. sehr vermögend. Wir unterhielten uns über Landwirtschaft, über Kornpreise u. dergl.; ich fragte ihn, wie zufällig, ob er auch schon in Philadelphia gewesen sei. „Nein“, antwortete er, „noch nicht.“ Und er schien mir doch schon ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Dann fragte ich ihn, ob er den General Washington kenne. Er hatte ihn noch nie gesehen. „Aber wenn Sie nach Philadelphia kommen“, sagte ich, so würden Sie doch sehr froh sein, ihn zu sehen?“ „O ja“, erwiderte er, „das wohl, aber“, setzte er mit leuchtenden Blicken hinzu, „noch lieber möchte ich den Mister Bingham sehen, der so erschrecklich reich sein soll.“
Ich habe in ganz Amerika dieselbe Bewunderung für Geld und Reichtum gefunden, die sich noch dazu oft in sehr plumper Weise zeigte. Wenn der größte Teil der Bevölkerung noch kaum die ersten und notwendigen Lebensbedürfnisse befriedigen kann, so hat der Luxus der Reichen etwas Widerwärtiges. So erinnere ich mich, dass ich einmal in dem Salon einer Madame Robert Morris einen Hut aus der eigenen Fabrik des Hausherren gesehen habe, einen Hut, den kein europäischer Bauernbursche hätte aufsetzen mögen - und dieser Hut hing über einer kostbaren Porzellanvase aus Sèvres, die auf einem eleganten Seitentischchen stand, wie man beides in Trianon nicht schöner gefunden hätte. Ein Herr Smith bewohnte am Ufer des Ohio ein sogenanntes Loghouse, dessen Mauern und Fachwerk mit rohbehauenen Balken bestand. In seinem Wohnzimmer bemerkten wir einen prächtigen Flügel mit den reichsten Bronzeverzierungen. Mein Reisegefährte, Herr von Beaumetz, öffnete den Flügel, um etwas darauf zu spielen. „Bitte, bemühen Sie sich nicht“, sagte der Hausherr, „er ist ganz verstimmt; unser Klavierstimmer wohnt hundert Meilen von hier und ist in diesem Jahr noch nicht bei uns gewesen“.
Unter solchen Verhältnissen ist der Luxus jedenfalls nicht an seinem Platz.
Auch bei uns in Europa hat derselbe oft etwas Aufdringliches und Frivoles, um vielmehr in Amerika, wo er angekünstelt ist und mit den übrigen Sitten oft in einer lächerlichen Disharmonie steht.“ [1]
Der amerikanische Biograf Bernard erklärt Talleyrands Beobachtungen:
„Die amerikanische Einstellung zum Überfluss war für Talleyrand ebenso verwirrend, wie sie es für spätere Generationen von Europäern sein würde. Sein Interesse an Geld war rein zweckbedingt; es war nur dazu gut, ihm die Möglichkeit zu geben, die Dinge zu kaufen, die er gern hatte: luxuriöse Umgebung, Bücher, Gemälde, schöne Kleidung, Geschenke für seine Freunde. Die Vorstellung, dass man damit einen sozialen Status erkaufen könnte, war einem Mann fremd, der in einer Gesellschaft aufgewachsen war, in der eine Stellung ererbt und nicht erkauft wurde und in der ein Rang ein unverkäuflicher Besitz war, den man hatte und haben würde, unabhängig vom materiellen Besitz.“ [2]
Auf die Person Talleyrands bezogen ist die Erklärung sicher schlüssig.
Aber, und das beschäftigt mich, kann man „die übertriebene Verehrung des Geldes als Ziel an sich“ [3] allein auf das Fehlen eines dynastischen Hintergrundes reduzieren?
Muss man nicht vielmehr auch das Fehlen von eigenen Traditionen und einer eigenen Kultur mit in die Betrachtungen einbeziehen?
Was sagen die Amerika - Kenner dazu?
Grüße
excideuil
[1] Talleyrand: Memoiren, Köln und Leipzig, Bd. 1, 1891, Seiten 186-189
[2] Bernard, Jack F.: Talleyrand Diplomat – Staatsmann – Opportunist, München, 1989, Seite 166
[3] ebenda, Seite 167
Er übte sich in Geldgeschäften, pflegte und erwarb Freundschaften, reiste, beobachtete und studierte.
Um ihn geht es nicht in diesem Thread, aber einige seiner Beobachtungen in Amerika, die ihm so wichtig waren, dass sie Platz in seinen Memoiren gefunden haben, weckten mein Interesse:
„An der Frenchman-Bay, im entlegensten Westen wurde ich einmal durch ein Unwetter gezwungen, mich in dem kleinen Hafenort Machias aufzuhalten; ich richtete an den Wirt, bei dem ich eingekehrt war, sofort verschiedene Fragen. Er bewohnte das schönste Haus des Städtchens und war, wie ich hörte, ein Mann von großer „Respektabilität“, d.h. sehr vermögend. Wir unterhielten uns über Landwirtschaft, über Kornpreise u. dergl.; ich fragte ihn, wie zufällig, ob er auch schon in Philadelphia gewesen sei. „Nein“, antwortete er, „noch nicht.“ Und er schien mir doch schon ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Dann fragte ich ihn, ob er den General Washington kenne. Er hatte ihn noch nie gesehen. „Aber wenn Sie nach Philadelphia kommen“, sagte ich, so würden Sie doch sehr froh sein, ihn zu sehen?“ „O ja“, erwiderte er, „das wohl, aber“, setzte er mit leuchtenden Blicken hinzu, „noch lieber möchte ich den Mister Bingham sehen, der so erschrecklich reich sein soll.“
Ich habe in ganz Amerika dieselbe Bewunderung für Geld und Reichtum gefunden, die sich noch dazu oft in sehr plumper Weise zeigte. Wenn der größte Teil der Bevölkerung noch kaum die ersten und notwendigen Lebensbedürfnisse befriedigen kann, so hat der Luxus der Reichen etwas Widerwärtiges. So erinnere ich mich, dass ich einmal in dem Salon einer Madame Robert Morris einen Hut aus der eigenen Fabrik des Hausherren gesehen habe, einen Hut, den kein europäischer Bauernbursche hätte aufsetzen mögen - und dieser Hut hing über einer kostbaren Porzellanvase aus Sèvres, die auf einem eleganten Seitentischchen stand, wie man beides in Trianon nicht schöner gefunden hätte. Ein Herr Smith bewohnte am Ufer des Ohio ein sogenanntes Loghouse, dessen Mauern und Fachwerk mit rohbehauenen Balken bestand. In seinem Wohnzimmer bemerkten wir einen prächtigen Flügel mit den reichsten Bronzeverzierungen. Mein Reisegefährte, Herr von Beaumetz, öffnete den Flügel, um etwas darauf zu spielen. „Bitte, bemühen Sie sich nicht“, sagte der Hausherr, „er ist ganz verstimmt; unser Klavierstimmer wohnt hundert Meilen von hier und ist in diesem Jahr noch nicht bei uns gewesen“.
Unter solchen Verhältnissen ist der Luxus jedenfalls nicht an seinem Platz.
Auch bei uns in Europa hat derselbe oft etwas Aufdringliches und Frivoles, um vielmehr in Amerika, wo er angekünstelt ist und mit den übrigen Sitten oft in einer lächerlichen Disharmonie steht.“ [1]
Der amerikanische Biograf Bernard erklärt Talleyrands Beobachtungen:
„Die amerikanische Einstellung zum Überfluss war für Talleyrand ebenso verwirrend, wie sie es für spätere Generationen von Europäern sein würde. Sein Interesse an Geld war rein zweckbedingt; es war nur dazu gut, ihm die Möglichkeit zu geben, die Dinge zu kaufen, die er gern hatte: luxuriöse Umgebung, Bücher, Gemälde, schöne Kleidung, Geschenke für seine Freunde. Die Vorstellung, dass man damit einen sozialen Status erkaufen könnte, war einem Mann fremd, der in einer Gesellschaft aufgewachsen war, in der eine Stellung ererbt und nicht erkauft wurde und in der ein Rang ein unverkäuflicher Besitz war, den man hatte und haben würde, unabhängig vom materiellen Besitz.“ [2]
Auf die Person Talleyrands bezogen ist die Erklärung sicher schlüssig.
Aber, und das beschäftigt mich, kann man „die übertriebene Verehrung des Geldes als Ziel an sich“ [3] allein auf das Fehlen eines dynastischen Hintergrundes reduzieren?
Muss man nicht vielmehr auch das Fehlen von eigenen Traditionen und einer eigenen Kultur mit in die Betrachtungen einbeziehen?
Was sagen die Amerika - Kenner dazu?
Grüße
excideuil
[1] Talleyrand: Memoiren, Köln und Leipzig, Bd. 1, 1891, Seiten 186-189
[2] Bernard, Jack F.: Talleyrand Diplomat – Staatsmann – Opportunist, München, 1989, Seite 166
[3] ebenda, Seite 167