Jared Diamond setzt sich auch mit der Geschichte Islands auseinander, er hat die Insel mehrmals besucht. Sie ist eines seiner Musterbeispiele für ökologischen Kollaps.
„Sie waren aber unter anderem auch deshalb ausgewandert, weil sie sich der wachsenden Macht der späteren norwegischen Könige entziehen wollten, und deshalb setzten die Gesellschaften in Island und Grönland nie selbst Könige ein. Die Macht blieb dort in der Hand einer Militäraristokratie aus Häuptlingen. Nur sie konnten sich ein eigenes Schiff und eine vollständige Ausstattung mit Vieh leisten, einschließlich der geschätzten, schwierig zu haltenden Kühe und der weniger wertvollen, anspruchsloseren Schafe und Ziegen. Zu den Untertanen, Gefolgsleuten und Helfern der Häuptlinge gehörten Sklaven, freie Arbeiter, Lehensbauern und freie Bauern …
… Als die Besiedlung Islands begann, war die Insel auf einem Viertel ihrer Fläche bewaldet. Die Siedler holzten immer mehr Bäume ab, um Weideland zu schaffen, und die Bäume selbst wurden als Brennstoff, Bauholz und zur Herstellung von Holzkohle verwendet. In den ersten Jahrzehnten wurden ungefähr 80 Prozent der ursprünglichen Waldflächen gerodet, und bis heute ist dieser Anteil auf 96 Prozent gestiegen, sodass Wälder nur noch ein Prozent der Fläche Islands ausmachen …
… Das isländische Hochland oberhalb der Baumgrenze, wo von Natur aus Wiesen auf einem flachen Boden gedeihen, war für die Siedler besonders reizvoll: Hier brauchten sie nicht einmal Bäume zu fällen, um Weideflächen anzulegen. Aber das Hochland war noch empfindlicher als die Niederungen, denn es war hier kälter und trockener, sodass die Pflanzen langsamer nachwuchsen, und außerdem war der Boden nicht durch eine Walddecke geschützt. Als der natürliche Grasteppich beseitigt oder abgeweidet war, wurde der Boden, der ursprünglich aus vom Wind verwehter Asche entstanden war, erneut der Winderosion ausgesetzt … Schon kurz nach der Besiedlung wurde der Boden Islands vom Hochland in die Niederungen und ins Meer transportiert. Im Hochland gab es nun weder Boden noch Vegetation, und die früheren Wiesen im Landesinneren Islands wurden durch Mensch und Vieh zu der Wüste, die man heute dort vorfindet; später entwickelten sich auch in den Niederungen große erodierte Gebiete …
… diese Insel ist ökologisch das am stärksten geschädigte Land Europas. Seit der ersten Besiedlung durch Menschen wurden die ursprünglichen Bäume des Landes und die gesamte Vegetation weitgehend zerstört, und etwa die Hälfte des ursprünglichen Bodens wurde durch Erosion in den Ozean geschwemmt.“
Jared Diamond: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, Frankfurt/M. 2005, S. 240 ff.