Latein im Mittelalter

Dackelhasser

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Bekanntlich war Latein lange Zeit nach dem Untergang des Römischen Reiches die europäische Sprache für Gelehrte, Diplomaten usw. und natürlich für die Kirche.
Deshalb würde ich gerne wissen, ob es für Latein so etwas wie Rechtschreibregeln gab.
 
Ich vermute, daß es keine Sprachnormierung in einer klaren Festlegung gab. Meines Wissens ist das ein Phänomen der frühen Neuzeit in bezug auf die Landessprachen (definitiv am Hof von Versailles, wobei die Orthographiediskussion eigentlich bereits vorher im buchhändlerischen Bürgertum einsetzte). Damit meine ich nicht, daß es impliziten gar keine Normen gab, in dem Sinne, daß jeder so geschrieben hätte, wie er wollte; aber der Schreiber hat doch immer ein gewisses Maß an Freiheit besessen, eine ihm angemessene stilistische Verbesserung vorzunehmen, ggf. auf Lautwandel zu reagieren oder ähnliches.
Die Festsetzung der Schreibung wurde akut, wie angedeutet eigentlich durch die Erfindung des Buchdrucks. Frankreich war seinerzeit ein zentralistsicher Staat und folglich landete die Autorität über die Gültigkeit der Sprachform letztendlich beim König ... aber das bezieht sich freilich nicht aufs Lateinische, sondern auf die Landessprache.

Habe kurz nach "Vorbild Sprachnorm Latein" gegoogelt - vllt hift also dieses Buch weiter: Latein: Geschichte einer Weltsprache - Jürgen Leonhardt - Google Books
 
Kommt darauf an, was Du konkret unter "Wörterbuch" verstehst, ob Du dazu also auch Glossare rechnest. Wenn ja, dann ab es Latein-Griechisch- und Griechisch-Latein-Wörterbücher schon in der Spätantike.
 
Auf der einen Seite zeigt das mittelalterliche Latein - natürlich nicht durchgängig - einige Eigentümlichkeiten und Unsicherheiten. Beliebt ist z.B. im Mittelalter das nach /ts/ klingende <t> vor <i> durch ein <c> zu ersetzen. Z.B. etiam und eciam. Bemerkbar macht sich auch der Quantitätenkollpas bei den Vokalen, bzw. dem Wegfall der Lateinischen Umlaute. Aecclesia wird zu Ecclesia, Proelio zu Prelio, saepe zu sepe.
Auf der anderen Seite gibt es ein Abkürzungssystem, welches sich seit der karolingischen Renaissance entwickelt, verstärkt dann mit den gotischen Schriften ab dem 12. Jhdt. und welches bis zur Erfindung des Drucks überdauert (und Anfangs auch noch in den Druck mit einfließt, die Humanisten schreiben allerdings wieder klassischer mit der klassischen Orthographie und ohne die Abkürzungen). Dieses Abkürzungssystem wird - mit Abweichungen - im ganzen lateinischen Europa verstanden. Dies setzt eine Normierung voraus, die vermutlich über die Orden und Klöster verbreitet wurde. Und teilweise werden die Abkürzungen auch stumpf dort verwendet, wo man sie nicht erwarten würde.
Andere Abkürzungen sind auch mehrdeutig oder zeitabhängig.
 
Aecclesia wird zu Ecclesia
Ich dachte eigentlich immer, "aecclesia" wäre eine entstellte spät- und mittellateinische (Gregor von Tours verwendete sie häufig) Form. Da es sich um ein Fremdwort aus dem Griechischen (εκκλησία) handelte, ist schließlich "ecclesia" eh die korrekte Transkription im Lateinischen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mag sein. Jedenfalls ist es eines der Worte, welches bis in die karolingische Zeit mit der AE-Ligatur geschrieben auftaucht, dann mit der die AE-Ligatur ersetzende E caudata und als dann die E caudata nicht mehr als Abkürzung für AE erkannt wird und vergessen wird, wofür sie steht, nur noch mit E.
 
Als nicht Altsprachler ist mir bei Büchern in denen sich der lateinische Ursprungstext und die deutsche Übersetzung gegenüber stehen aufgefallen, dass das Textvolumen des Lateinischen im Verhältnis zur Übersetzung bei Schriften aus der Antike (Tacitus,Sueton,...) doch teilweise erheblich geringer ist als bei Schriften aus dem Mittelalter (Vita Caroli Magni, Widukind, etc.). Ist das ein Effekt den man durch die Muttersprachlichkeit der antiken Autoren erklären kann, oder ist der Schreibstil im Mittelalter generell voluminöser geworden ?

Gruß
jchatt
 
Ja, das dürfte schon stimmen. Z. B. wird bei "dass"-Konstruktionen statt des im klassischen Latein üblichen knappen Accusativus cum infinitivo gerne "quod" als "dass" verwendet, was mehr Platz braucht. Außerdem tendierte man dazu, statt korrekter Bildung von Formen sie zu umschreiben, z. B. durch die Verwendung der Präposition "de" als Genitiversatz, indem also statt des Genitivs eines Wortes de + der Ablativ des Wortes geschrieben wurde. Es wurden überhaupt mehr Präpositionen (und auch Demonstrativpronomina) verwendet, auch in Fällen, wo das im klassischen Latein nicht nötig war. Auch das Passiv wurde gerne umschrieben, indem z. B. statt der korrekten Passivform eines Verbs eine Form von sein + ein Partizip des Verbs geschrieben wurde. Auch Gerundiv und Gerundium wurden gerne umschrieben.
Generell kann man sagen, dass die mittellateinische Grammatik der deutschen wesentlich ähnlicher war als die des klassischen Latein. Ob das aber mit der nichtlateinischen Muttersprache der Autoren zu tun hat, weiß ich nicht, dazu weiß ich auch zu wenig über die nichtlateinischen Sprachen des Mittelalters. Immerhin neigt auch heute noch das Englische (zumindest das Geschriebene) oft zu wesentlich knapperen Ausdrucksweisen (z. B. Partizipkonstruktionen) als das Deutsche, in dem heute gerne wortreich viel umschrieben wird.
 
Das hängt meines Wissens mit syntaktischen Veränderungen, vor allem präpositionaler Natur, was zum "Zerfall des Kasussystems" führte, wobei Bodmer (Die Sprachen der Welt) allerdings auch meint, daß es dabei schon einen Unterschied zwischen Schrift- und Volkssprache des klassischen Latein gab (S.370 f; vgl. S.378 ff) Es gibt wohl noch weitere Veränderungen hinsichtlich der Konjugation, wodurch Sätze länger wurden, ferner welche in pronominaler Hinsicht.
(Edit: das hat Revenik ja irgendwie auch schon alles, viel schneller beantwortet!)
 
Kommt darauf an, was Du konkret unter "Wörterbuch" verstehst, ob Du dazu also auch Glossare rechnest. Wenn ja, dann ab es Latein-Griechisch- und Griechisch-Latein-Wörterbücher schon in der Spätantike.

Naja, zumindest Wortlisten, auf die Leute zurückgegriffen haben, wenn ihnen die eigene Sprache ausging, und von denen sie ja auch die Schreibweise dann übernehmen konnten. Etwaige Fehler beim Abschreiben sind dann natürlich wieder inbegriffen.
 
Gab es nicht ein paar Lehrbücher mit denen im Mittelalter an den Universitäten Latein gelehrt wurde? Mir fallen dabei die "Institutiones grammaticae" des Priscian (http://de.wikipedia.org/wiki/Priscian), das Ars Minor des Donat, ( http://de.wikipedia.org/wiki/Aelius_Donatus) beide aus der Spätantike und das "Doctrinale" von Alexander von Villa Dei ein, Letzteres um 1200 verfasst.

Eine Art "Wörterbuch" war wohl der "Graecismus" von Eberhard von Bethune, auch im 13. Jahrhundert entstanden. Das war eine Art Auflistung griechischer Fremdwörter im Latein.

Im 13. Jahrhundert sind dann m.W. eine Reihe von Werken von den so genannten "Modisten" entstanden und im 14.-15. Jahrhundert, im Zuge der beginnenden Renaissance, die Werke der ersten italienischen Humanisten, die sich dann durch ganz Europa verbreiteten.
 
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Danke für diesen Hinweis, der zur näherer Recherche anregt. Und irgendwie habe ich das Bedürfnis, einen lesenswerten Artikel zu verlinken (den ich von Wikipedia zur "Geschichte der Sprachwissenschaft" appropriiere), der auf zehn Seiten die "propädeutischen" Grammatiken von der Antike und der frühen Scholastik bis hin zur spekulativen Grammatik der Modisten im Zusammenhang der (Vor)Geschichte der spätscholastischen Grammatiktheorie" referiert: http://www.christianlehmann.eu/publ/Thomas_von_Erfurt.pdf
 
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