Kann man, muss man aber nicht. Mir ist bei der Darstellung nicht ersichtlich, ob das nun der Versuch ist, Deine Alltagsvorstellung im Rahmen einer neuen "Theorie" zu systematisieren, oder ob Du Dich auf bereits vorhandene Theorien stützt.
Eine "wissenschaftliche Theorie" ist das nicht und soll es auch nicht werden; so ehrgeizig bin ich gar nicht.
Und natürlich muss man das nicht so sehen, oder sich gar mit biologischer Evolution beschäftigen, um Geschichte zu verstehen, oder irgendwelche anderen hochtrabenden Ansprüche.
Vielleicht hätte ich es von vorne herein anders formulieren sollen: Wenn man sich etwas eingehender mit der Evolutionsbiologie und dem Ablauf der Geschichte beschäftigt, fallen einem Parallelen auf; bzw ging es mir so. Das finde ich interessant, manchmal auch hilfreich. Wer sich nur mit einem von beiden Gebieten beschäftigt, merkt das evtl nicht, oder versteht es nicht, was ja auch kein Problem ist, denn notwendig ist es vermutlich nicht.
Anmerkung: Die "Alltagsvorstellungen", die über die Evolutionstheorie im Umlauf sind, sind zu großen Teilen miserabel, stark vereinfacht, verdreht oder völlig falsch. Unter dem Gesichtspunkt kann ich das Misstrauen noch am ehsten verstehen, denn auf das "Überleben des Stärksten" will ich ganz sicher nicht hinaus... :winke:
über die vermeintliche "Blindheit" kultureller (und meinetwegen auch zivilisatorischer) historischer Prozesse würde ich gerne mehr erfahren
Mir kommt es vor, als seien dies nur scheinbare Zufälle, denn wir hatten und haben noch immer die großen Zielsetzer Religion, Gesetze, Moral, politische Ideen. Diese wirken sich auf die vielfältigen Kulturausdrücke aus, in der Summe entsteht so etwas wie Zeitgeist. Der sich natürlich laufend verändert aber nicht zufällig evolutionär sondern von menschlichen Gedanken gesteuert. Und da paßt für mich Entwicklung besser.
Gerade dieser "Zeitgeist" (ich mag denn Begriff nicht, muss an Hegel liegen oder so...
) ist doch nicht von Menschen gesteuert, geplant oder konstruiert. Er ergibt sich, indem unterschiedliche Menschen Unterschiedliches planen und tuen und lassen, in den auftretenden, ungeplanten und ungesteuerten Wechselwirkungen.
Nehmen wir mal den "Gesellschaftsvertrag" von Rousseau. Das ist doch eine idealisierte, aber genau genommen unrealistische Betrachtungsweise. Eine Gesellschaft setzt sich nicht zusammen und schließt mit mehr oder minder viel Sachverstand einen Vertrag. Sondern dieser "Gesellschaftsvertag" kommt zustande, indem viele Menschen versuchen, dass durchzusetzen, was sie für richtig halten... oder was ihnen die meisten Vorteile bringt. Selbst im idealtypischen Falle einer Verfassungsgebenden Versammlung (die dem Bild Rousseaus vielleicht am nächsten kommt) wird nicht "die Zukunft gesteuert" oder "die Gesellschaft geplant", sondern verschiedene Gruppen versuchen, ihre Vorstellungen oder Interessen durchzusetzen, und die neue Verfassung ergibt sich daraus, (meist) aus Adaptionen, Veränderungen oder Rekombination früher Verfassungen bzw Verfassungsartikel.
Ja, das Wirken einzelner Menschen ist planvoll (machmal... eventuell...). Aber nicht die sich aus dem Wirken vieler Menschen ergebenden Prozesse oder Mechanismen. Das, was Jesus getan und gesagt hat bzw was in der Bibel festgehalten wurde beeinflusste die späteren christlichen Gesellschaften enorm. Aber das haben weder Jesus noch die Evangelisten geplant oder vorhergesehen. Sondern es ergab sich, durch die Zufälle der geschichte.
Als die Kirche im Mittelalter dann mit diesen Texten leben musste, weil sie nicht einfach eine neue, besser geplante Bibel schreiben konnten, diskutierte sie lang und breit darüber, ob Jesus einen Geldbeutel hatte, weil ihnen die "religiöse Evolution" nur diesen Weg ließ, bzw zu dieser Situation geführt hatte. Die Ergebnisse dieser auf den ersten Blick absurden Debatte, die nur durch die historischen Kontext verständlich wurde, beeinflusste später "die Geschichte", sei es die der Möche, der Kirche oder Europas. Wer hat jetzt das Steuer so geführt, dass die Diskussion über die Börse eines lange toten (oder zum Himmel gefahrenen) Menschen irgend eine kulturelle, soziale oder politische Relevant hatte? Niemand, es ergab sich halt.
Je radikaler das mit der "Kultur- und Gesellschaftsplanung" versucht wurde, desto schiefer ging das Ganze, bspw ab 1917 im großen Experiment "Wir bauen eine völlig neue Gesellschaft" in der SU.