Georg Friedrich Händel ist ja ein Zeitgenosse von Rameau und hat ebenfalls zahlreiche Opern hinterlassen - ich glaube, es sind etwa 40 Werke.
Wie würdest du in einem Vergleich die musikalischen und thematischen Unterschiede oder Gemeinsamkeiten beider Opernkomponisten beschreiben? Wie sieht es mit der Bühnenwirksamkeit aus? Händel ist immerhin auf den internationalen Bühnen erheblich präsenter als sein Kollege Rameau.
Woran liegt das?
Uff, schwer zu sagen.
Von Rameaus rein instrumentalen Werken sind eigentlich nur die Pieces de Clavecins allgemein bekannt. Dafür sind diese aber auch wirklich extrem verbreitet, egal ob historisch informiert eingespielt (Christie, Rousset) oder auch viele Versuche mit modernem Klavier. Diese Musik hat offenbar schon sowas wie einen Status als Standard. Wenn ich da allein in der CD-Handlung nachschaue.
Händel hat möglicherweise den Vorteil, dass er seit dem 18.Jh. durchweg gespielt wurde. Seine geistliche Musik fiel nie in Vergessenheit. Rameaus Kirchenmusik (motets) hingegen wurde rasch als zu weltlich empfunden - gut Swift hat ja damals auch gegen Händel gewettert. Aber das scheint nicht nachhaltig gewesen sein.
Händel war enorm erfolgreich mit seiner Konzertmusik. Seine berühmtesten Werke wie die Wassermusik und Feuerwerksmusik sind auch m.E. recht "aufführungsfreundlich".
Auf diese Weise hat sich Rameau aber garnicht betätigt. Rameau ist, sieht man auch in "Rameaus Neffe" primär schon damals als Opernkomponist und Musiktheoretiker wahrgenommen worden. In neuerer Zeit versucht man diese "Schwäche" Rameaus damit auszugleichen, dass man wie in Schwetzingen das SWR-Sinfonieorchester nur mit Auszügen aus "Pygmalion" oder in ganz anders gelagerter Qualität und Ausrichtung auf CD in Minkowskis Verarbeitung von Instrumentalmusik von Rameau aus den Opern in der "symphonie imaginaire" praktisch Konzerte zusammen stellt.
Rameau hat aber auch gegenüber Händel ein Problem, was vielleicht stärker reinschlägt. Rameau hat fast immer für große Häuser, d.h. den Hof und die Academie Royale komponiert. Etwa 1/3 der Musik in der franz. Oper ist für die Passagen des Ballet. Damals hatte das seine Daseinsberechtigung, denn aufwändige Ballets mit entsprechend ausgeklügelten Choreographien, Bühnenbildern etc. waren enorm publikumswirksam.
Händel hingegen hatte (wie auch mal die Verantwortliche von Händels Karlsruher "Radamisto" bemerkte) enorm aufpassen müssen, dass er sich finanziell nicht übernahm. Der Aufwand an Ballett, Chören etc. im "Radamisto" sollte das englische Publikum ködern. Aber in der Regel mussten sich die ital. Opern mit geringerem Budget zufrieden geben. D.h. es gab fast kein Ballett und oft keine Chöre.
Beides zusammen macht die Aufführung einfacher.
Ich habe schon einige Inszenierungen von Rameau-Opern gesehen, wo das Ballet dann eben mit Laien oder irgendwie improvisiert abgearbeitet wurde. Nimmt dieses Ballet aber 1/3 der Oper ein, wirkt so eine Lösung natürlich auf die Dauer für das Auge langweilig, mag die Musik auch noch so lebhaft (Chaconnes, Tambourins etc.) sein.
Und dann natürlich auch die Sprache. Rameau-Opern werden nicht übersetzt. Gut, damals war das anders. Da wurden französische Opern einfach auf Deutsch übersetzt, teilw. anders arrangiert und dann einfach auf Deutsch aufgeführt. Aber heute käme wohl keiner auf den Gedanken Händels oder Rameaus Werke zu übersetzen.
Eher eine Vermutung von mir wäre, dass Rameaus Musik anspruchsvoller sein könnte. Damit meine ich weniger die Herausforderung für die Sänger (da würde ich meistens sogar das Gegenteil behaupten, weil ja gerade das ital. Operngeschäft von dem Starrummel bzw. herrausstechenden Arien lebte) als die für das Publikum. Schon damals wurde Rameaus Musik gerade von den Aufklärern als zu kompliziert empfunden. Entsprechend waren auch die Forderungen, denen dann die "einfachere" Musik mit "natürlicheren" Inhalten von Grétry und Co zu entsprechen schien.
Eine Weile hätte ich auf Deine Frage geantwortet, dass traditionell Händel weiter verbreitet war und die franz. Musik nur auf Frankreich begrenzt. Aber das stimmt ja nicht wie ich herausgefunden habe.
Ich würde aber mal sagen, dass die Aspekte Ballett, Konzertmusik, Beliebtheit nach dem Tod des Komponisten (George III.!) wichtiger sein könnten.
Was man untersuchen könnte wäre, ob es Rameau auch so in das kollektive Gedächtnis (Volksmusik) schaffte wie Händel. Händel fand Widerhall in der Baggars Opera (woraus Aires auch losgelöst bis heute gesungen werden) und man denke mal an Tochter Zion...