Gründe weshalb Wilson scheiterte!

Da sich die Beiträge offenbar überschnitten haben, nochmal der Hinweis:

Wer diese Meinung und dem Urteil fehlender Differenzierung nicht teilt, dem steht es frei, dem in der Sache zu antworten und im Einzelnen zu widersprechen.

Bei Antworten sollte darauf verzichtet werden, Kritik an der Kritik auf die persönliche Ebene zu ziehen. Das sollte selbstverständlich sein, um einen Disput nicht eskalieren zu lassen.
 
Das ist deine Meinung. Billige diese aber auch anderen zu ...

Tue ich und habe ich auch geschrieben.

Gut, jedem seine Meinung.

Das Problem ist nur, dass ich meine Meinung gar nicht für so relevant halte. Was ich wiederholt schon angeführt habe.

Ich referiere lediglich und hauptsächlich Positionen von Historikern, die beispielsweise in Bezug auf Wilson andere Positionen beziehen.

Ansonsten habe ich bisher noch keinen Beitrag in diesem Thread gesehen, der auch nur halbwegs die These belegt, die der Thread behauptet.

PS
Du blendest beispielsweise die aggressiven Kriege der USA einfach aus.

1. Das gehört überhaupt nicht in den Kontext, aber wir können gerne auch kritisch die imperialistischen Kriege der USA betrachten.
2. Von mir sind sicherlich - mit - die kritischten Sichten auf die amerikanische Außenpolitik und dem Anspruch auf den "US-Exeptionalismus" hier im Forum mit formuliert worden, in Anlehnung an Bacevich und anderen. Ich suche auch gerne noch die Threads raus.
3. Deswegen empfinde ich es schon fast komisch, ausgerechnet mir eine einseitige Sicht auf die USA vorzuhalten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Tue ich und habe ich auch geschrieben.



Das Problem ist nur, dass ich meine Meinung gar nicht für so relevant halte. Was ich wiederholt schon angeführt habe.

Ich referiere lediglich und hauptsächlich Positionen von Historikern, die beispielsweise in Bezug auf Wilson andere Positionen beziehen.

Ansonsten habe ich bisher noch keinen Beitrag in diesem Thread gesehen, der auch nur halbwegs die These belegt, die der Thread behauptet.

PS


1. Das gehört überhaupt nicht in den Kontext, aber wir können gerne auch kritisch die imperialistischen Kriege der USA betrachten.
2. Von mir sind sicherlich - mit - die kritischten Sichten auf die amerikanische Außenpolitik und dem Anspruch auf den "US-Exeptionalismus" hier im Forum mit formuliert worden, in Anlehnung an Bacevich und anderen. Ich suche auch gerne noch die Threads raus.
3. Deswegen empfinde ich es schon fast komisch, ausgerechnet mir eine einseitige Sicht auf die USA vorzuhalten.


Im Kontext gehört hier einiges nicht; ist aber nicht weiter schlimm und passiert in vielen anderen Diskussionen auch.

Wilson erklärte zu Beginn des Krieges die Neutralität der USA. Nur diese wurde nun nicht wirklich durchgehalten.

Es war bezeichnend, das Wilson nach der Versenkung der Lusitania sich schlicht weigerte, der Forderung seines Außenministers Bryans zu folgen, der ein Protestnote , an Großbritannien schicken wollte, die die Behinderung des neutralen Handels anprangern sollte, ein Verbot des Transports von Munition auf Passagierdampfern und die Versenkung einen Schiedsverfahren übergeben wollte. Resultat war der Rücktritt des Außenministers , auch wegen der aggressiven Mexikopolitik Wilson, und die Berufung des antideutschen Lansing, der schon kurze Zeit später meinte, die USA müssten auch in dem Krieg eintreten.

Der engste Berater Wilson bezeichnete im Oktober 15 eine Niederlage der Alliierten als untragbar und bot Grey die Intervention der USA an.

Es gibt eben auch Grautöne und nicht nur schwarze und weiße und die Kaiserreiche sind nicht nur dunkelschwarz.
 
Die Mehrheit der US Amerikaner war englisch geprägt. Auch Wilsons Sympathien lagen ganz eindeutig auf der Seite der Alliierten.

Diese grundsätzlich Disponiertheit wurde bei Wilson noch dadurch verstärkt, das er der Meinung war, das England, Frankreich für Recht und Moral im Zusammenleben der Völker kämpften und noch wichtiger Demokratien waren. Das Deutsche Kaiserreich und Österreich-Ungarn wurden verachtet, waren ein Hort des Militarismus und der Autokratie uns missachteten die Rechte kleiner Völker (Belgien). Seufz.

Und die USA achteten die Rechte kleinerer Völker? Mitnichten. Und Frankreich und Großbritannien waren etwa keine Globalplayer und Imperialisten? Mitnichten. Allein schon hierüber kann man ellenlang diskutieren.

Jedenfalls ist es bei einer so grundsätzlichen Disponiertheit wohl ziemlich schwer einen gerechten und dauerhaften Frieden zu vermitteln.

Die entscheidenden Männer der amerikanischen Administration wünschten ein Sieg der Entente; ein Sieg der Mittelmächte wäre eine Katastrophe.

Die Behandlung der Frage der britischen Seeblockade und die des U-Boot-Krieges zeigt die Einseitigkeit Wilsons. Er drohte den Deutschen, bei den Briten wurde angefragt und damit hatte es sich auch schon. Das ist natürlich grob vereinfacht. Die Versenkung der Lusitania galt gar als barbarisch. Wilson harte Haltung war naiv und möglicherweise von wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprägt. Jedenfalls mutet es schon befremdlich an, das die von Bryans geforderte Protestnote an die Engländer, von Wilson geblockt wurde. So tritt man nicht als neutraler Staat auf.
 
Wilson hatte sich gegenüber den Deutschen schon im Oktober 1918 äußerst zynisch verhalten. Um die Einleitung von Waffenstillstandsbedingungen gebeten, wurde daraus eine bedingungslose Kapitulation gedeichselt.
Man muss hier auch die innere Einstellung Wilsons zu Deutschland erwähnen. Ich zitiere Manfred F. Boernke aus "Wilson's Image of Germany" von Seite 603:

"I have always detested Germany. I have never gone there. But I have read many German books on law: they are so far from our views that they have inspired in me a feeling of aversion."

Er sagte dies zwei Wochen vor der Unterzeichnung des "Vertrages" in Versailles zu Lloyd George.

John Kenneth Turner belegt den Zynismus Wilsons schon lange vor 1918, 1916 beginnen sich die Aussagen an die Presse, den Kongress und gegenüber Organisationen zu widersprechen, wie er in seinem 1926 veröffentlichten Buch "Shall it be again" akribisch nachweist. Ein Widerspruch ist zum Beispiel hinsichtlich des Kriegsausbruch die Äusserung im September 1919, dass die Deutschen weder Kenntnis noch eine Wahl gehabt hätten (vom "deutschen Übel und der Absicht der Weltbeherrschung), aber im Mai des selben Jahres, dass sie es wußten und verantwortlich sind.

Und dennoch erscheinen die Absichten zunächst ehrenhaft. 12 der originalen 14 Punkte sind nicht Wilsons, sondern Walter Lippmanns. Wilson beauftragt Lippmann innhalb der Inquiry im Dezember 1917 die "war aims" und "peace terms" zu konzipieren, wobei Punkt 5 und 14 von ihm selbst stammen, "respect for colonial people", und "League of Nations". Lippmann besteht auf die Autonomität Österreich Ungarns, um das politische Gleichgewicht in Zentraleuropa zu erhalten und ein Anschluß Polens an ein demokratisches Russland oder Österreich Ungarn. Hier will Wilson bereits ein unabhängiges Polen für "undisputable Polish people"und einen Zugang zur See, was Lippmann als ein völliges Ignorieren der mehrheitlich oder ausschließlichen deutschen Bevölkerung an der ost- und westpreussischen Küste wertete. Es gab also von Anfang schon unterschiedliche Meinungen zu Lösungen innerhalb der Regierung und denen ihn angeschlossenen Organisationen.

Als Deutschland Ende September um einen Waffenstillstand nach den 14 Punkten bittet, reist House nach Paris und braucht sofort Lippmann, weil er keine Details zu den 14 Punkten kennt. Am 4. November war Lippmanns Arbeit nur noch ein "peace loosely linked to the 14 points" und "freedom of the seas" bedeutete "Supremacy of the Royal Navy", wie Lippmann verbittert in seinem Buch feststellt.

Er ist so enttäuscht, dass er Einzelheiten an die Senatoren Borah und Hiram Johnson zu füttern beginnt, um die Ratifizierung von Versailles wenigstens hinauszuzögern.

Der von Ihnen angesprochene Wandel hinsichtlich der Bedingungen den Waffenstillstand betreffend wurde auch in den USA kontrovers beurteilt, weil hier wieder widersprüchliche öffentliche Aussagen Wilsons vorlagen. Während er im Januar 1918 dem Kongress vortrug, dass " wir uns nicht anmassen, Deutschland vorzuschlagen, seine Institutionen zu ändern oder zu modifizieren", so verzögert er den Waffenstillstand am 23. Oktober, weil er nun glaubt, daß die Vorschläge des deutschen Außenminister hinsichtlich der vorgeschlagenen "wesentlichen und wichtigen" Verfassungsänderungen vom 20 Oktober nicht weit genug gehen, denn "es scheint ein Prinzip für eine Regierung, die dem Volk gegenüber verantwortlich ist, bis jetzt noch nicht völlig ausgearbeitet zu sein. Es ist offensichtlich, daß die Macht des Königs von Preussen [sic!] über das Deutsche Reich und seine Politik uneingeschränkt ist. Ich sehe es als meine Pflicht an darauf hinzuweisen, daß ein Friedensschluß der Vereinigten Staaten deutsche Regierungsvertreter voraussetzt, die auf Verfassungsbasis die wahren Herrscher Deutschlands sind."

Und wie Sie bereits anmerkten, war "regime change" für die Vereinigten Staaten zu dem Zeitpunkt hinsichtlich ihres Imperialismus kein neues Konzept mehr, aber es erstaunt, wie hier zur Durchsetzung, zum Beispiel hinsichtlich Chinas, Santo Domingos, Haitis, Nicagaruas und dann auch vor dem Eintritt und nach demselben in den Ersten Weltkrieg die Verfassung der Vereinigten Staaten, freiwillig und unfreiwillig seine Legislative und Judikative durch die Exekutive ausgehebelt wurden. Die Kosten wurden dem amerikanischen Steuerzahler auferlegt. Und genau diese undemokratischen Mechanismen kritisierte man am Deutschen Reich und verzögerte so den Waffenstillstand. Das ist zynisch.
 
Probleme den Vertrag zu ratifizieren

1. Wilson hätte zuhause mehr Einfluß gehabt anstelle selbst nach Paris zu reisen. Seiner mitgenommenen Inquiry sagte er tell me what is right, und wenn sie ihn in Paris beraten wollten war er beschäftigt oder nicht zur Verfügung stehend. Er wollte den Erfolg des Vertrages für die Demokraten und sich selbst monopolisieren. Ausserdem wollte er eine dritte Amtszeit
2. Er nahm keinen führenden Republikaner mit, der ihn unterstützte (z.B. Root, Taft oder Hughes), keinen Senator, niemanden aus dem Senate Foreign Relations Committee), obwohl der Vertrag auch vom Senat ratifiziert werden mußte.
3. Er politisierte das Friedensprogramm für die Kongresswahlen für die Demokraten und gegen die Republikaner, die es nun angreifen mußten. Theodore Roosevelt verlangt nun eine bedingungslose Kapitulation Deutschlands statt der 14 Punkte. Die Weigerung Wilsons zwang die Republikaner entweder eine Mitwirkung am Vertrag zu erzielen, oder ihn, obwohl er Gutes enthielt, zu bekämpfen.
5. Auch die Anti-League zog bei ihrer Promotour grosse Massen an.
6. Mit dem Schlaganfall war eine Persönlichkeitsveränderung einhergegangen, die zu noch weniger Kompromisbereitschaft und der Entlassung von Lansing führte, weil der nun ohne ihn mit dem Kabinett Sitzungen abhielt und nicht mehr einer Meinung mit Wilson hinsichtlich des Völkerbundes war. Auch House wanderte aufs Abstellgleis, weil er Kompromisse anriet. Obwohl Wilson viele Veränderungen zu Gunsten der VS bei seiner zweiten Reise durchgesetzt hatte, verlor er nun auch den Rückhalt bei der eigenen Basis.
4. Die Wahlversprechen von Lloyd George und Clemenceau stehen dem Friedensplan voll entgegen, der eine will den Kaiser hängen und Deutschland für den Krieg bezahlen lassen, der andere sagt, sein Kriegsziel sei zu erobern. Alle drei Wahlausgänge zeigten ein Hunger der Öffentlichkeit für Rache.
5. Die beworbenen 14 Punkte erlaubten keine Durchsetzung der alliierten Kriegsziele, die aber auf dieselben bestanden.
6. Man stand unter Zeitdruck, die Bevölkerung wollte es vom Tisch haben und zu anderen Problemen übergehen.
7. Keine Beteiligung der Öffentlichkeit an den Entscheidungen in Paris.
8. Wie hier schon gesagt, der Artikel 10, der zum militärischen Eingreifen zwingt. Die Zwangsrekrutierung für den Ersten Weltkrieg hatte einen ausgesprochen schlechten Geschmack bei der Bevölkerung hinterlassen.
9. Selfdetermination kam bei Liberalen gut an, die diese als idealistisch und demokratisch empfanden, aber Kritiker verlangten die selben Rechte für Native Americans, die Southern Confederacy und die Philippinen. Zynikern gefiel die Fragmentierung Europas besser als der Friedensplan, weil sich hiermit die relative Machtposition der Vereinigten Staaten verbessern würde.
10. China war sauer wegen der Bevorzugung Japans.
11. Bei der Rückkehr aus Paris verweigerte das Senate Foreign Relations Committee nun eine Einladung ins Weiße Haus, Senator Frank Brandegee beklagt eine fehlende intellektuelle Verbindung mit dem Präsidenten, mit ihm zu kommunizieren sei wie "wandering with Alice in wonderland".
12. Lodge hatte Zeit gehabt die Unterschrift von 39 Senatoren gegen den Vertrag zu sammeln, 6 mehr, als er eigentlich brauchte.
13. Der Idealismus in den Staaten erlebt nach dem Krieg einen gehörigen Abfall.
14. Isolationists wollten keine Beteiligung an Kriegen in Europa und Asien. Nationalisten waren gegen die Verteidigung anderer Reiche und sahen in dieser Verpflichtung eine Vernachläßigung amerikanischer Interessen, oder mit den Worten von William E. Borah a sterilization of nationalism. Internationalisten empfanden den Vertrag als unnötig harsch, und der Völkerbund sei eine Organisation für die Sieger, um Unrecht zu begehen. Beim Vertrag handelt es sich um Rache und ein internationales Verbrechen, die New Republic bezeichnet ihn als unmenschliches Monster. Senator George Norris bezeichnet ihn als Instrument der Machtdomination. Senator Robert Follette spricht von einem Imperialisten Klub.
15. Und so wurde der Vertrag zu einem Spielball zwischen den Parteien, die an die Regierung wollten.
 
Das ist wohl in einem deutlich umfassenderen Sinne richtig. Und es zeigt auch, wie polemisch es ist, hinter den Titel des Thread: "Gründe, weshalb Wilson scheiterte! " anstelle eines Fragezeichens ein Ausrufezeichen zu setzen. Gut, jedem seine Meinung.

Dennoch ist diese Position einseitig und wird der Komplexität der Organisation kollektiver Sicherheitsinteressen mit dem Ziel der Kriegsverhinderung nicht gerecht. Und die im Kern in den "Visionen" zum Völkerbund von Wilson angelegt waren. Dabei ist jedoch zu betonen, was auch in der entsprechenden Literatur immer deutlich gemacht wird, dass diese Positionen von Wilson noch nicht mal originäre Ideen waren, sondern er auf Vorläufer zugreifen konnte.

Wilson gebürt "lediglich" der Dank, sie in die Realpolitik erneut integriert zu haben, mit allen ihren idealistischen bzw. realpolitischen Widersprüchen.

Und der Völkerbund, die EU, die UNO und viele andere multinationale Institutionen zeigen deutlich, dass die Nationen versuchen, Interessenunterschiede ohne Krieg zu lösen. Zugegebener Maße mit sehr ambivalentem Erfolg, aber ohne diese Institutionen könnte die Erde deutlich kriegerischer aussehen.

Die - insgesamt - erfolgreiche Geschichte der kollektiven Sicherheitspoltik, wie Wilson es anstrebte, ist sehr gut bei Mazover beschrieben.

SEHEPUNKTE - Rezension von: Governing the World - Ausgabe 13 (2013), Nr. 10

https://books.google.de/books?id=E4...ved=0CCEQ6AEwAGoVChMIj5D3h-2ExgIVECDbCh01FgAV

Und es ist in der Diskussion bezeichnend, dass die gesellschaftlichen Probleme der Chanchenungleichheit der unteren Gesellschaftsschichten, die ethnischen Verwerfungen in Kombination mit einem wild wuchernden Nationalismus und die Frage der Angemessenheit der politischen Organe, die die autokratischen monarchischen Regime im DR, Russland und Ö-U hinterlassen haben, nicht berücksichtigt werden.

Es fiel den Demokraten die schwierige Aufgabe zu, diesen historischen Ballast auseinander zu sortieren und Europa eine neue Struktur der Nationalstaaten zu geben. Und man war sich dessen bewußt, dass nicht alle Lösungen optimal waren, aber dafür sollte der Völkerbund ins Leben gerufen werden und "evolutionär" sinnvolle Lösungen finden.

Vor diesen großen Aufgaben haben sich - vor allem - die autokratischen Monarchien 1914 erfolgreich gedrückt und aufgrund der Fülle von Problemen die Flucht nach Vorne - in den Krieg - angetreten. Es war das letzte "Hurra", und die letzte Chance, die Legitimation an anachronistische Herrschaftsstrukturen zu binden und den Versuch zu wagen, den Weg in die Vergangenheit zu beschreiten.

Vor diesem Hintergrund mutet die Kritik an Wilson, die im Moment sehr konzentriert in mehreren Threads vorgetragen wird, schon sehr undifferenziert an, zumal sie - einmal mehr - nicht besonders nah an den entsprechenden Darstellungen zu dieser Zeit, wie beispielsweise bei S. Marks, Z. Steiner, A. Tooze oder bei M. Macmillan, vorgetragen wird und statt dessen auf merkwürdige Internetseiten verweist, die eine dubiose pseudo-Bewertung von Wilsons Punkten mit Hilfe von "Scoring-Modellen" vornehmen.


Ein amerikanischer Journalist, Lincoln Steffens, der die Pariser Verhandlungen beobachtete schrieb folgendes:

"Wir werden einen Völkerbund haben, schwach, missgestaltet, großem Unrecht zugänglich; und so schwanger mit neuen Kriegen, wird der Frieden sein."

"Der Krieg hatte das Problem der Menschheit auf ihren Diplomatentisch ausgebreitet. Das hätte ihnen Geist und Herz öffnen sollen, die Arbeit auf neue, große Weise zu beginnen. Sie wollten auch, es fehlte nicht an gutem Willen. Aber ihre alten, schlechten Denkgewohnheiten, ihre erzwungene besorgtheit um Dinge, die sie im Grunde nicht interessierten, ihr Alter, ihre Erziehung- das hat ihnen die Aufgabe unmöglich gemacht". ...Ich sehe ganz klar, dass es sich hier um keinen bloßen Klassengegensatz handelt, sondern um eine Spaltung, die im Geiste jedes einzelnen verläuft.Jeder kleine Arbeiter und Bauer will beides haben: Rache am Feind, Ersatz für seine Leiden und nie wieder Krieg....Bewusst oder nicht strampeln sie putschen sie alle zu dem Punkt zurück, auf dem sie vor dem Krieg standen. Aber die Welt kann nicht rückwärts gehen, sie kann nicht! Fallen oder absinken wie Griechenland und Rom kann sie, rückwärts gehen nie."

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker mochte aufrichtig von Wilson gemeint sein und unbestreitbar gerecht in vielen Einzelheiten, doch insgesamt wurde es instrumentalisiert zu Ungunsten der Besiegten. Wo sich eine Bevölkerungsmehrheit für den Beitritt zu Deutschland aussprach, in Österreich oder Nordböhmen durften keine Volksabstimmungen stattfinden. Das Selbstbestimmungsrecht wurde meist nur zu Ungunsten Deutschlands eingesetzt, genau so, wie es die Deutschen in Brest- Litowsk getan hatten. Die Bestimmungen des Vertrags von Brest-Litowsk ließen die Sieger unangetastet, soweit sich das Chaos überhaupt kontrollieren ließ. Das neu entstandene Polen, das ursprünglich in den Grenzen Kongresspolens bleiben sollte, wurde mit Minderheiten vollgestopft, und Polen geriet bald in Grenzstreitigkeiten mit fast allen seiner Nachbarn. Die auf Kosten Deutschlands, der Donaumonarchie und Russland neu gegründeten Staaten gerieten sich bald in die Haare, und es wurden durch willkürliche Grenzkorrekturen und Volksbefragungen gefährliche Präzedenzfälle geschaffen, die Hitler sich später zunutze machte.
Die deutschen Kolonien ließen sich die Sieger als Mandatsgebiete durch den neuen Völkerbund übertragen, von der Freiheit und selbstbestimmung der Afrikanerin war ebensowenig die Rede wie vom Recht der Araber und der Zionisten. Durch das Sykes-Picot Abkommen teilten GB und F den Nahen Osten unter sich auf.

In den USA trat Wilson vehement für die Rassentrennung ein, lancierte Südstaatler in Schlüsselpositionen und unterstützte diskriminierende Maßnahmen, die Afro-Amerikaner von politischer Partizipation und Bildung ausschlossen, oder sie zumindest stark behinderten. Afro- Amerikanern empfahl Wilson als Präsident der Eliteuni Princeton die Hochschule zu meiden, um den "Rassefrieden" zu erhalten. Die Rassentrennung nach dem Motto "seperate but equal" wurde unter Wilsons Amtszeit zementiert. Indianer konnten US- Bürger mit Anspruch auf Grundbesitz erst nach 1924 werden und das auch nur, sofern sie sich der "Zivilisation" anpassten und sich assimilierten.

Das zarte Pflänzchen der ersten deutschen Demokratie wurde durch die Reparationen stark belastet. Ausgerechnet die, die den Karren in den Dreck manövriert hatten, die am lautesten Annexionen gefordert hatten und sich einen Verständigungsfrieden gar nicht vorstellen wollten und den Zeitpunkt, an dem Deutschland sich moralisch auf die 14 Punkte hätte berufen können verpasst hatten, nannten die "Novemberverbrecher", die im Oktober 1918 die Verantwortung übernahmen, nachdem die wahren Schuldigen die Nerven verloren hatten. Der 1. Weltkrieg, der als ein Krieg zur Beendigung aller Kriege geführt werden sollte war die Urkatastrophe des 20. Jhds, und die Friedensordnung, die Freiheit und Demokratie die Bahn brechen sollte, war dazu nicht in der Lage. Statt Frieden und Demokratie setzten sich in Österreich, Italien, Spanien, Ungarn, Rumänien, Deutschland, den Baltischen Staaten und der Türkei faschistische und faschistoide der zumindest extrem autoritäre Regime durch. Dafür Wilson die Schuld zu geben, wäre ungerecht und undifferenziert. Der Völkerbund, dem die USA fernblieben, war ein recht kraftloses Gebilde. Immerhin hat man trotz mancher Dummheiten nach dem 2. Weltkrieg den Unsinn der Reparationen nicht wiederholt und Europa eine größere Stabilität verliehen.
 
Vor diesem Hintergrund mutet die Kritik an Wilson, die im Moment sehr konzentriert in mehreren Threads vorgetragen wird, schon sehr undifferenziert an, zumal sie - einmal mehr - nicht besonders nah an den entsprechenden Darstellungen zu dieser Zeit, wie beispielsweise bei S. Marks, Z. Steiner, A. Tooze oder bei M. Macmillan, vorgetragen wird und statt dessen auf merkwürdige Internetseiten verweist, die eine dubiose pseudo-Bewertung von Wilsons Punkten mit Hilfe von "Scoring-Modellen" vornehmen.
Nah an der Zeit war auch Robert Binkley, ein Historiker und chair des Joint Committee on Materials for Research of the Social Science Research Council. 1929 beschwerte er sich ueber die Arbeitsweise vieler Journalisten wie Ray Stannard Baker, der Pressesekretar Wilsons in Versailles, der den Mythos der unschuldigen Nation und der boesen Welt herbeischreibt, dass man in den Krieg eintrat, um die Isolation zu erhalten. Er kritisiert das Bild der moralischen Überlegenheit, die diese Aktivisten von sich selbst zeichnen und erwähnte hier auch Vernon Louis Parrington und Charles Beard.
Andere kritisierten House, der den Präsidenten in seiner Selbstein-(oder auch -über)schätzung ermutigte, er sei der Prophet einer neuen Ordnung die die der alten Staatsmänner überwindet. Seine Reden pflegten einen Manichean, den religiösen und philosphischen Dualismus in der Aufmachung eines moralischen und religiösen Kreuzzuges.

Es gab durchaus Kritik an Wilsons Ideen während der Kriegsphase, die höchst undemokratisch abgewürgt wurde, aber gleich nach dem Krieg wieder aufkam, dann aber konzentrierter. Und hier traf es vorallem das Vorgehen und die Methoden vieler von House in die Regierung Installierten, das so gar nicht den progressiven und liberalen Idealen entsprach.

Charles E. Neu kritisiert in A Biography of Woodrow Wilson's Silent Partner die bereits fehlerhaften Vorkriegsanalysen, die House zu Wilson nach einer Europareise vom Mai 1913 bis Mai 1914 trägt. Sein Fokus auf Einzelpersonen und damit das Scheitern ein tatsächliches Gesamtbild der Situation zu erhalten weitete sich also schon vor dem Krieg auf Wilson und Regierungsteile aus und so fände ich es fatal den Texas dominierten Demokraten zu der Zeit eine Neugestaltung Europas, die auf Fehleinschätzungen beruhte, nicht nur zuzutrauen, sondern das auch noch gutzuheissen.

Ich will das in einem anderen Beitrag noch etwas deutlicher herausarbeiten, welche Probleme viele Amerikaner während und nach dem Krieg mit Wilsons Ideen und seiner Art von Politik hatten.
 
Das zarte Pflänzchen der ersten deutschen Demokratie wurde durch die Reparationen stark belastet. Ausgerechnet die, die den Karren in den Dreck manövriert hatten, die am lautesten Annexionen gefordert hatten und sich einen Verständigungsfrieden gar nicht vorstellen wollten und den Zeitpunkt, an dem Deutschland sich moralisch auf die 14 Punkte hätte berufen können verpasst hatten, nannten die "Novemberverbrecher", die im Oktober 1918 die Verantwortung übernahmen, nachdem die wahren Schuldigen die Nerven verloren hatten.
Moment, die Nachfolgenden übernahmen die angebliche Schuld, nicht wegen der Vergangenheit, der sie ja zugestimmt hatten, sondern wegen der im Nachhinein trügerischen Lösung.
Der 1. Weltkrieg, der als ein Krieg zur Beendigung aller Kriege geführt werden sollte war die Urkatastrophe des 20. Jhds, und die Friedensordnung, die Freiheit und Demokratie die Bahn brechen sollte, war dazu nicht in der Lage. Statt Frieden und Demokratie setzten sich in Österreich, Italien, Spanien, Ungarn, Rumänien, Deutschland, den Baltischen Staaten und der Türkei faschistische und faschistoide der zumindest extrem autoritäre Regime durch. Dafür Wilson die Schuld zu geben, wäre ungerecht und undifferenziert.
Warum? War der Erste Weltkrieg wirklich ein Krieg zur Beendigung aller Kriege, oder war das Propaganda? Sollten hier wirklich Freiheit und Demokratie die Bahn brechen? Hatten Sie bei Versailles den Eindruck? Haben Sie heutzutage bei irgendwelchen "Fruehlingen" den Eindruck, dass das funktioniert? Welche Moeglichkeiten hatte Wilson in der Tasche, gesetzt dem Fall er wollte wirklich neutral agieren...


Der Völkerbund, dem die USA fernblieben, war ein recht kraftloses Gebilde. Immerhin hat man trotz mancher Dummheiten nach dem 2. Weltkrieg den Unsinn der Reparationen nicht wiederholt und Europa eine größere Stabilität verliehen.
Der "Unsinn" hiess Wiedergutmachung, die man vor einem offiziellen Friedensvertrag kassieren kann, und das uebertraf alles, was man sich im Ersten Weltkrieg nur vorstellen konnte. "Reparations in kind" nannte Roosevelt das, und das bedeutete Lagerhaft fuer unbeteiligte Frauen und Jugendliche in Soviet Camps, and much more...

Wieso dem Voelkerbund beitreten, wenn man ihn im Grunde finanzierte und somit kontrollierte? Diese Abhaengigkeiten funktionieren, und welche Auswirkungen hatten nachfolgende "Dummheiten"?
 
Der "Unsinn" hiess Wiedergutmachung, die man vor einem offiziellen Friedensvertrag kassieren kann, und das uebertraf alles, was man sich im Ersten Weltkrieg nur vorstellen konnte. "Reparations in kind" nannte Roosevelt das, und das bedeutete Lagerhaft fuer unbeteiligte Frauen und Jugendliche in Soviet Camps, and much more...

Wieso dem Voelkerbund beitreten, wenn man ihn im Grunde finanzierte und somit kontrollierte? Diese Abhaengigkeiten funktionieren, und welche Auswirkungen hatten nachfolgende "Dummheiten"?

Du meinst, dass Entschädigungs- und "Wiedergutmachungszahlungen, die die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger des 3. Reichs u. a. an Israel zahlte, waren ein Unsinn? Zahlungen, zu denen die Bundesrepublik mit Sicherheit auch moralisch verpflichtet war. Als reale Entschädigungszahlungen zur Disposition standen, war Roosevelt übrigens gar nicht mehr am Leben, und wenn in der Zeit des Kalten Krieges sicher auch viel Unsinn verzapft wurde, hat sich zumindest die Bundesrepublik recht schnell, dank des allgemeinen Nachkriegsbooms und mit Hilfe des Marschallplanes wirtschaftlich von den Folgen des Krieges erholt, und das Verhältnis Deutschlands zu seinen westlichen Nachbarn und seit den 70ern auch zu seinen östlichen Nachbarn entspannte und normalisierte sich, trotz des Kalten Krieges oder vielleicht auch wegen des Kalten Krieges, denn der Eiserne Vorhang ließ billige Importe durch und schloss billige Arbeitskräfte aus dem Ostblock aus.

Die Periode von 1945- 1990 für die Bundesrepublik eine prosperierende und friedliche. Die Bundesrepublik war bis 1990 ein Land, in dem die höchsten Löhne gezahlt wurden, es wurden Gastarbeiter engagiert, und in den 60ern bekam der Millionste Gastarbeiter, ein Portugiese ein Moped geschenkt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Den Unsinn hat der Kanzler als Zitat von dir aufgegriffen. Beitrag 27 letzte Zeile.

Was der Kanzler wohl meinte ist, .... (Zweimal aus Wiki)

1. Reparationsleistung des Deutschen Reichs[Bearbeiten]

Die Gesamtsumme der durch das Deutsche Reich erfolgten Zahlungen beträgt nach deutschen Angaben 67,7 Milliarden Goldmark, nach den alliierten Berechnungen aber nur 21,8 Milliarden Goldmark.


2. Wiedergutmachung

Die Gesamtsumme aller Entschädigungsleistungen belief sich bis Ende 2012 auf 70,05 Milliarden Euro, .....


... dass sich die beiden Zahlungen nicht viel schenkten. Womit er offensichtlich recht hat.

Wenn er allerdings schreibt "... und das uebertraf alles, was man sich im Ersten Weltkrieg nur vorstellen konnte. " ist das natuerlich auch falsch.

Tatsache ist, das D auch nach dem Zweiten Weltkrieg gezahlt hat. Während die Reparationszahlungen nach dem ersten Weltkrieg aber auch ein Instrument waren, Deutschland schwach zu halten, hat man nach dem Zweiten Weltkrieg immer nur so viel abgeschöpft, dass noch Geld für ein Moped übrigblieb.
 
Du meinst, dass Entschädigungs- und "Wiedergutmachungszahlungen, die die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger des 3. Reichs u. a. an Israel zahlte, waren ein Unsinn? Zahlungen, zu denen die Bundesrepublik mit Sicherheit auch moralisch verpflichtet war. Als reale Entschädigungszahlungen zur Disposition standen, war Roosevelt übrigens gar nicht mehr am Leben, und wenn in der Zeit des Kalten Krieges sicher auch viel Unsinn verzapft wurde, hat sich zumindest die Bundesrepublik recht schnell, dank des allgemeinen Nachkriegsbooms und mit Hilfe des Marschallplanes wirtschaftlich von den Folgen des Krieges erholt, und das Verhältnis Deutschlands zu seinen westlichen Nachbarn und seit den 70ern auch zu seinen östlichen Nachbarn entspannte und normalisierte sich, trotz des Kalten Krieges oder vielleicht auch wegen des Kalten Krieges, denn der Eiserne Vorhang ließ billige Importe durch und schloss billige Arbeitskräfte aus dem Ostblock aus.

Die Periode von 1945- 1990 für die Bundesrepublik eine prosperierende und friedliche. Die Bundesrepublik war bis 1990 ein Land, in dem die höchsten Löhne gezahlt wurden, es wurden Gastarbeiter engagiert, und in den 60ern bekam der Millionste Gastarbeiter, ein Portugiese ein Moped geschenkt.
Mir ging es, wie steffen04 das anmerkt, um die Aussage, man habe im Zweiten den Unsinn mit den Reparationen nicht wiederholt. Laut Voelkerrecht, und korrigieren Sie mich hier bitte, wenn ich mich irre, sind Reparationen nur nach einem Friedensvertrag zulaessig, die Entnahmen zuvor nennt man Wiedergutmachung.
 
Den Unsinn hat der Kanzler als Zitat von dir aufgegriffen. Beitrag 27 letzte Zeile.

Was der Kanzler wohl meinte ist, .... (Zweimal aus Wiki)

1. Reparationsleistung des Deutschen Reichs[Bearbeiten]

Die Gesamtsumme der durch das Deutsche Reich erfolgten Zahlungen beträgt nach deutschen Angaben 67,7 Milliarden Goldmark, nach den alliierten Berechnungen aber nur 21,8 Milliarden Goldmark.


2. Wiedergutmachung

Die Gesamtsumme aller Entschädigungsleistungen belief sich bis Ende 2012 auf 70,05 Milliarden Euro, .....


... dass sich die beiden Zahlungen nicht viel schenkten. Womit er offensichtlich recht hat.

Wenn er allerdings schreibt "... und das uebertraf alles, was man sich im Ersten Weltkrieg nur vorstellen konnte. " ist das natuerlich auch falsch.

Tatsache ist, das D auch nach dem Zweiten Weltkrieg gezahlt hat. Während die Reparationszahlungen nach dem ersten Weltkrieg aber auch ein Instrument waren, Deutschland schwach zu halten, hat man nach dem Zweiten Weltkrieg immer nur so viel abgeschöpft, dass noch Geld für ein Moped übrigblieb.
Ich dachte eher an die Beschlagnahmung von "foods, supplies, buildings, machinery, technology, patents usw. Senator Kenneth Wherry sagte im Januar 1946, dass die alliierte Politik in Deutschland die Bevoelkerung der "mass starvation" aussetzt, und dass diese Politik den nun Gegner Sowietunion staerkt, waehrend es die Staaten mehr kostete, die dt. Bevoelkerung nun mit Lieferungen am Leben zu halten, da sie zur Selbstversorgung nicht mehr in der Lage war. Man fuehrte diese Politik aber noch 2 Jahre fort.
Mittlerweile hatte man sich zerstritten, die Nahrungsmittellieferungen der Sowiets im Austausch fuer Industriegueter stoppten im Mai 1946, und nun setzte wirklich ein akutes Problem der Grundversorgung ein - ein Moped kann man nicht essen.
Ich meine, dieses Ausmass haben die Massnahmen nach dem Ersten Weltkrieg nicht erreicht. Gab es da waehrend und nach dem Krieg Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen und Zivilpersonen? Da muessten Sie mich korrigieren.
 
Ein amerikanischer Journalist, Lincoln Steffens, der die Pariser Verhandlungen beobachtete schrieb folgendes:

"Wir werden einen Völkerbund haben, schwach, missgestaltet, großem Unrecht zugänglich; und so schwanger mit neuen Kriegen, wird der Frieden sein."

"Der Krieg hatte das Problem der Menschheit auf ihren Diplomatentisch ausgebreitet. Das hätte ihnen Geist und Herz öffnen sollen, die Arbeit auf neue, große Weise zu beginnen. Sie wollten auch, es fehlte nicht an gutem Willen. Aber ihre alten, schlechten Denkgewohnheiten, ihre erzwungene besorgtheit um Dinge, die sie im Grunde nicht interessierten, ihr Alter, ihre Erziehung- das hat ihnen die Aufgabe unmöglich gemacht". ...Ich sehe ganz klar, dass es sich hier um keinen bloßen Klassengegensatz handelt, sondern um eine Spaltung, die im Geiste jedes einzelnen verläuft.Jeder kleine Arbeiter und Bauer will beides haben: Rache am Feind, Ersatz für seine Leiden und nie wieder Krieg....Bewusst oder nicht strampeln sie putschen sie alle zu dem Punkt zurück, auf dem sie vor dem Krieg standen. Aber die Welt kann nicht rückwärts gehen, sie kann nicht! Fallen oder absinken wie Griechenland und Rom kann sie, rückwärts gehen nie."

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker mochte aufrichtig von Wilson gemeint sein und unbestreitbar gerecht in vielen Einzelheiten, doch insgesamt wurde es instrumentalisiert zu Ungunsten der Besiegten. Wo sich eine Bevölkerungsmehrheit für den Beitritt zu Deutschland aussprach, in Österreich oder Nordböhmen durften keine Volksabstimmungen stattfinden. Das Selbstbestimmungsrecht wurde meist nur zu Ungunsten Deutschlands eingesetzt, genau so, wie es die Deutschen in Brest- Litowsk getan hatten. Die Bestimmungen des Vertrags von Brest-Litowsk ließen die Sieger unangetastet, soweit sich das Chaos überhaupt kontrollieren ließ. Das neu entstandene Polen, das ursprünglich in den Grenzen Kongresspolens bleiben sollte, wurde mit Minderheiten vollgestopft, und Polen geriet bald in Grenzstreitigkeiten mit fast allen seiner Nachbarn. Die auf Kosten Deutschlands, der Donaumonarchie und Russland neu gegründeten Staaten gerieten sich bald in die Haare, und es wurden durch willkürliche Grenzkorrekturen und Volksbefragungen gefährliche Präzedenzfälle geschaffen, die Hitler sich später zunutze machte.
Die deutschen Kolonien ließen sich die Sieger als Mandatsgebiete durch den neuen Völkerbund übertragen, von der Freiheit und selbstbestimmung der Afrikanerin war ebensowenig die Rede wie vom Recht der Araber und der Zionisten. Durch das Sykes-Picot Abkommen teilten GB und F den Nahen Osten unter sich auf.

In den USA trat Wilson vehement für die Rassentrennung ein, lancierte Südstaatler in Schlüsselpositionen und unterstützte diskriminierende Maßnahmen, die Afro-Amerikaner von politischer Partizipation und Bildung ausschlossen, oder sie zumindest stark behinderten. Afro- Amerikanern empfahl Wilson als Präsident der Eliteuni Princeton die Hochschule zu meiden, um den "Rassefrieden" zu erhalten. Die Rassentrennung nach dem Motto "seperate but equal" wurde unter Wilsons Amtszeit zementiert. Indianer konnten US- Bürger mit Anspruch auf Grundbesitz erst nach 1924 werden und das auch nur, sofern sie sich der "Zivilisation" anpassten und sich assimilierten.

Das zarte Pflänzchen der ersten deutschen Demokratie wurde durch die Reparationen stark belastet. Ausgerechnet die, die den Karren in den Dreck manövriert hatten, die am lautesten Annexionen gefordert hatten und sich einen Verständigungsfrieden gar nicht vorstellen wollten und den Zeitpunkt, an dem Deutschland sich moralisch auf die 14 Punkte hätte berufen können verpasst hatten, nannten die "Novemberverbrecher", die im Oktober 1918 die Verantwortung übernahmen, nachdem die wahren Schuldigen die Nerven verloren hatten. Der 1. Weltkrieg, der als ein Krieg zur Beendigung aller Kriege geführt werden sollte war die Urkatastrophe des 20. Jhds, und die Friedensordnung, die Freiheit und Demokratie die Bahn brechen sollte, war dazu nicht in der Lage. Statt Frieden und Demokratie setzten sich in Österreich, Italien, Spanien, Ungarn, Rumänien, Deutschland, den Baltischen Staaten und der Türkei faschistische und faschistoide der zumindest extrem autoritäre Regime durch. Dafür Wilson die Schuld zu geben, wäre ungerecht und undifferenziert. Der Völkerbund, dem die USA fernblieben, war ein recht kraftloses Gebilde. Immerhin hat man trotz mancher Dummheiten nach dem 2. Weltkrieg den Unsinn der Reparationen nicht wiederholt und Europa eine größere Stabilität verliehen.


Und dieser Woodrow Wilson und seine Berater, vor allem House und Lansing, spielen sich dann gegenüber dem Kaiserreich als moralische Autorität auf. Da gab es noch allerhand Dreck vor der eigenen Tür zu kehren.
 
Ein amerikanischer Journalist, Lincoln Steffens, der die Pariser Verhandlungen beobachtete schrieb folgendes:
"Wir werden einen Völkerbund haben, schwach, missgestaltet, großem Unrecht zugänglich; und so schwanger mit neuen Kriegen, wird der Frieden sein."

Bereits 1939 formulierte E.H. Carr seine Kritik an dem angeblichen oder realen "Idealismus", mit dem Wilson und seine Vorstellung über die Neuordnung der Welt nach Paris kam.

Bei der Anreise nach Paris wurde Wilson von einem seiner Berater gefragt, welche Konsequenzen sich aus einem Scheitern der Pläne von Wilson beim Völkerbund ergeben könnten und der antwortete: „If it won`t work, it must be made work.“ [1, S. 8].

Allerdings basierte dieser „Idealismus“ auf einer generell kritischen Haltung gegenüber der europäischen Diplomatietradition, die sich weitgehend unter Ausschluss der Beteiligung von Parteien etc. vollzog, sondern durch die spezialisierten Diplomaten. Und die so kläglich versagt hatte, den - vermeidbaren - Ausbruch des WW 1 zu handhaben.

In diesem Sinne hatte Wilson relativ schnell nach seiner Amtseinführung im Jahr 1913 seinen Sondergesandten Oberst House im Vorfeld der Juli-Krise nach Europa geschickt. Das Ziel der Verhandlungen von House war, eine Übereinkunft zwischen GB und dem DR zu erzielen. Und zu diesem Zweck hatte House sowohl Gespräche mit Grey als auch mit KW II geführt, da Bethmann aufgrund eines Todesfall nicht in Berlin anwesend war[2, S. 123 ff].

Relevant ist, dass House die traditionell kritische Sicht der US-Amerikaner auf Europa in Briefen gegenüber Wilson tendenziell verstärkte, da er beispielsweise auf Tendenzen des „Jingoimus“ in GB hinwies. Und somit zutreffend die angespannte politische Situation in Europa für Wilson beschrieben hatte, allerdings auch Lösungen des Problem auf dem Verhandlungsweg sah. Eine dann und zu dem Zeitpunkt möglicherweise etwas "naive" Einschätzung eines US-Amerikaner der komplexen und komplizierten, und vor allem sensiblen, europäischen "Großmachtbefindlichkeiten".

Vor diesem Hintergrund war das Erscheinen von Wilson in Paris sicherlich idealistisch geprägt, aber dennoch auch von der Überzeugung, das ein ähnlicher Krieg verhindert werden muss. Und in diesem Sinne war der Völkerbund bewußt keine evolutionäre Entwicklung des antiquierten europäischen Diplomatieverständnisses, sondern es war eine „killer application“, die die Spielregeln neu definieren wollte. Wäre er ein Unternehmer gewesen, dann hätte man ihm einen bemerkenswerten innovativen Wagemut bescheinigt!

Dass der Völkerbund dann in den zwanziger und dreißiger Jahren nicht leisten konnte, was er hätte leisten sollen hat dann viele Ursachen. Wie beispielsweise die Aspekte, die Du zu Recht anführst.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker mochte aufrichtig von Wilson gemeint sein und unbestreitbar gerecht in vielen Einzelheiten, doch insgesamt wurde es instrumentalisiert zu Ungunsten der Besiegten. Wo sich eine Bevölkerungsmehrheit für den Beitritt zu Deutschland aussprach, in Österreich oder Nordböhmen durften keine Volksabstimmungen stattfinden. Das Selbstbestimmungsrecht wurde meist nur zu Ungunsten Deutschlands eingesetzt, genau so, wie es die Deutschen in Brest- Litowsk getan hatten. Die Bestimmungen des Vertrags von Brest-Litowsk ließen die Sieger unangetastet, soweit sich das Chaos überhaupt kontrollieren ließ. Das neu entstandene Polen, das ursprünglich in den Grenzen Kongresspolens bleiben sollte, wurde mit Minderheiten vollgestopft, und Polen geriet bald in Grenzstreitigkeiten mit fast allen seiner Nachbarn. Die auf Kosten Deutschlands, der Donaumonarchie und Russland neu gegründeten Staaten gerieten sich bald in die Haare, und es wurden durch willkürliche Grenzkorrekturen und Volksbefragungen gefährliche Präzedenzfälle geschaffen, die Hitler sich später zunutze machte.

Dennoch halte ich meine These weiterhin aufrecht, dass die Idee von Wilson richtig war und dass sie gezeigt hat, dass sie nicht „idealistisch“ ist, sondern „realistisch“.

In einer relativ langen Aufbereitung von empirischem Material geht Pinker der Frage nach, in welchem Umfang das zwanzigste Jahrhundert besonders war in Bezug auf Kriege. Und er kommt tendenziell zu dem Ergebnis, dass abgesehen von den zwei „Ausreißern“ der beiden Weltkriege der Trend der Zeitreihen eher in die Richtung eines nachlassens der Wirkungen von Kriegen geht [3, S. 441 ff, Kap. 5].

Zudem darf man nicht übersehen, dass „hinter“ dieser „idealistischen“ Vision von Wilson ein klares und „knallhartes“ wirtschaftliches und politisches Programm stand. Aus seiner Sicht war Deutschland nach dem WW I schnellstens wieder in den – kapitalistischen – Welthandel einzubeziehen, um das reibungslose Funktionieren der internationalen Handels- und Finanzmärkte zu garantieren, wie D. Junker (Kampf um Weltmacht & Der unteilbare Weltmarkt) es so treffend beschrieben hat.

Und es waren politische Strukturen zu schaffen, die ähnlich wie in den USA eine ausreichende Pluralität und Transparenz bei den zentralen Mechanismen der politischen Legitimation schaffen. Und in diesem letzten Punkt ist Wilson uneingeschränkt mit der empirisch fundierten Feststellung von Dahl zuzustimmen: „Modern representative democracies do not fight wars with one another [4, S. 57].

Wilson ist kurzfristig, gemessen an seinen eigenen hohen Zielen, in Paris gescheitert. Er mußte wohl scheitern, weil zu viele antiquirte politische Strukturen noch vorhanden waren, auch weil Clemenceau und Lloyd George noch emotional durch den Krieg geprägt waren und gleichzeitig zuviele Veränderungen stattfanden, die nicht zu kontrollieren waren.

Und er ist nicht zuletzt an sich und seiner Gesundheit gescheitert und somit waren die USA aus dem Spiel. Und es war stattdessen niemand mehr da, der als Mediator den Willen und die politische und wirtschaftliche Macht fokussieren konnte, um "it must be made work" in den zwanziger und dreißiger Jahren zu leisten.

Seine Ideen konnten erst nach 1945 greifen und teilweise hat es bis 1989 gedauert, bis sie wirkten, aber sie haben gewirkt. Und reale historische Veränderungen verlaufen in Jahrzehnten und nicht als Oberflächenphänomen auf der Basis einzelner Jahre.

1.Carr, Edward Hallett (1964): The twenty years' crisis, 1919-1939;. An introduction to the study of international relations. 2d ed. New York: Harper & Row
4.Dahl, Robert A. (2000): On democracy. New Haven: Yale University Press
2. Neu, Charles E. (2015): Colonel House. A biography of Woodrow Wilson's silent partner. New York, NY: Oxford University Press.
3.Pinker, Steven (2013): Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit. Frankfurt, M.: Fischer Taschenbuch
 
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Und es waren politische Strukturen zu schaffen, die ähnlich wie in den USA eine ausreichende Pluralität und Transparenz bei den zentralen Mechanismen der politischen Legitimation schaffen.
Ich will mal beschreiben, wie diese angeblich pluralistischen und transparenten Zentralmechanismen dann durch Wilson und sein Kabinett wegmanipuliert wurden:
1. Die Zwangseinziehung zum Kriegsdienst, der Passzwang, Zwangsregistrierung, Verbot das Land zu verlassen (Att. Gen. im April 1918: Es gibt kein Gesetz, das die Regierung dazu bemaechtigt, die Ein- und Ausreise von Personen zu kontrollieren, es sei denn, sie sind Staatsbuerger des Kriegsgegners), Anweisungen an Zahnaertze das Ziehen der Zaehne zu unterlassen, die potentielle Soldaten vornehmen liessen um kriegsuntauglich zu werden, Verbot oeffentlich gegen den Zwangskriegsdienst zu protestieren (1. Amendment, Freedom of Speech!). Diese Gesetzesvorlage gab Wilson an die Republikaner, die sie im Kongress vorstellten, weil sich die Demokraten weigerten.

2. Der Kongress war mehrheitlich dafuer, alle Amerikaner zu warnen, dass sie sich auf eigene Gefahr auf bewaffnete Schiffe begeben, die somit zu Kriegsschiffen wurden. Wilson zwang den Kongress die Resolution abzulehnen, daraufhin gingen die ersten Representanten aus Protest in den Ruhestand (Page, Sherwood und Eagle).

3. Im Oktober 1914 wird der Floorleader Underwood von Wilson gewarnt, dass Aussenpolitik ausserhalb des Zustaendigkeitsbereichs der Legislative laege (Kaiserreich, ich komme!) Das Abkommen mit Japan wurde nie dem Kongress vorgelegt, auch nicht das "Gentlemen Agreement" mit den Briten, beide treaties und nicht executive agreements, die ratifiziert werden muessen. Die geheimen Absprachen, Vertraege und Vereinbarungen mit der Entente haette eine 2/3 Mehrheit des Kongress verlangt, 5th Amendment.

4. In der Verfassung heisst es, dass nur der Kongress die Macht hat, Angriffe auf die internationale Staatengemeinschaft zu definieren und zu bestrafen.

5. Die Bewaffnung privater Schiffe ab 17. Maerz wurde ohne Zustimmung des Kongress angeordnet. Erstes Schiff ist die St. Louis, ein britisches Schiff, weil die Mehrheit der Aktien in der Hand der International Mercantile Marine Comp. liegt. Senator Follette bemerkt, dass so nun Waffen und Schuetzen des neutralen Amerikas der britischen Admiralitaet unterstellt wurden, was eindeutig die Neutralitaet verletzt. Alle 17 mit amerikanischer Flagge fahrenden Schiffe, die vor dem Kriegseintritt versenkt wurden, waren durch mehrheitlichen Aktienbesitz britisch.

6. Das National Defense Council bereitet lange vor dem Kriegseintritt ohne Kenntnis des Kongress denselben vor, so auch Attorney General Gregory.

7. Die Aufsicht ueber die Kriegskosten liegen normalerweise bei einem Kongresskommittee, Wilson erklaert das nun zu einem Resort der Regierung, Senator Hiram Johnson bemerkt, dass sich die Regierung mit unbegrenzter Macht ausstattet, weder von der Verfassung abgedeckt, noch vom Kongress ueberwacht, oder von Laendern und Buergern kontrolliert. Auf Legitimation durch den Kongress wurde nicht mehr gewartet, man eignete sich nun widerrechtlich Kompetenzen an die Innenpolitik zu gestalten.

8. Der Sedition Act. Nicht alle unpatriotischen Aeusserungen seien strafrelevant, sagt der Att. General, und dennoch greifen die Behoerden hart durch.

9. Die Kontrolle des Eisenbahnverkehrs durch den Presidenten ab Dezember 1917, zur Genehmigung dem Kongress vorgelegt im Februar 1918. Der Bundesrichter Walter Evans bezeichnet das als verfassungswidrig.

10. Anstelle eines Gesetzes wurde das Streikrecht in privaten Firmen per Einschuechterung ausser Kraft gesetzt.

11. Illegale Festlegung der Getreidepreise (Hoover gibt das 1919 bei einer Anhoerung vor dem Kongress zu, auf Anfrage des Senator Reeds bestaetigt Hoover, er haette diese Anweisung vom Praesidenten erhalten). Landwirte wehrten sich, ihr Getreide wird konfisziert.

12. Zahlreiche Untersuchungsausschuesse versuchten den Machtmissbrauch der Regierung wieder einzudaemmen, und brachten Misswirtschaft und Bestechung im grossen Stil hevor, die der Praesident jedoch abwuergen kann. Im Februar 1918 der Parteifuehrer Senator Underwood: "Gefahr ist fuer Amerikaner im Verzug, wenn der Kongress den Punkt erreicht hat, wo er bereit ist, verfassungsrechtliche Grenzen auszusetzen und Rechtstaatlichkeit der Autokratie preisgibt."

13. Die Kriegsfinanzierungsvorlage veranlasst den Abgeordneten Longworth zu der Aussage, dass kein Kriegsherr, Kaiser oder Zar je so eine Machtfuelle besessen hatte, und dass das Verhalten der Regierung eine direkte Gefahr fuer alle Institutionen darstellte.

14. Senator Overmans Gesetzesvorlage enthaelt so viele autokratische Elemente, dass sich Senator Martin und sogar Hitchcock weigern sie einzubringen und als "Abdankung des Kongresses" bezeichnen.

15. Der Einzug des amerikanischen Vermoegens, Besitz, Patente, Firmen der Kriegsgegner, 25 Mio Dollar eingeschlossen, die den amerikanischen Frauen dt. und oesterreichischer Staatsbuerger gehoerten.

16. Die Beschlagnahmung der hollaendischen Flotte

17. Das Einsperren von 61 000 Personen in Internment Camps, oft ohne rechtskraeftiges Urteil und anhand von Kleinigkeiten, auch noch 7 Monate nach dem Waffenstillstand, wobei der letzte im April 1920 entlassen wurde. Adam Hodges untersuchte dies auf Rechtstaatlichkeit und fand Verfassungsverstoesse gegen due process, ohne Entschaedigung, Lagerhaft ohne Anwalt und Anklage, und "in violation of international laws and treaties".

18. Im Maerz 1917 beginnt der Terror gegen Kriegsgegner mit persoenlichen Angriffen, dem Aufloesen von Versammlungen und Demonstrationen (1. Amendment, Assembly), ausgefuehrt durch Privatpersonen und angestiftet durch offizielle oder halboffizielle Behoerden. Regulaere Soldaten und Milizen (Unteroffiziere) fuehrten mit Wissen ihrer Offiziere und Zustimmung der Regierung Razzien durch. Im April 1918 prahlt Gregory mit der flaechendeckenden voelligen Ueberwachung.

Und ich bin noch nicht einmal halb durch meine Notizen...
 
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@Kanzler:

Mir ist unklar, was die Zusammenstellung im Hinblick auf das Scheitern von Wilson in Versailles und seiner Völkerbund-Ambitionen zu tun haben soll.

Aber egal:

Die Zusammenstellung bildet im Prinzip die innenpolitischen Konfrontationen zwischen Demokraten und Republikanern über den Krieg ab, mit den polemischen Zuspitzungen dieser Konfrontation, gemischt mit der politischen Offensive der Hearst-Presse und den deutschamerikanischen Gruppen. Gespiegelt findet man diese Konfrontationen in den diversen Schreibschlachten der Historiker der 1920er und 1930er.

Ausgewogene neuere Publikationen, die emotionalen Abstand zu den seinerzeitigen Auseinandersetzungen haben, würden derartige Zuspitzungen nicht aufweisen. Von daher wundere ich mich etwas, wie solche anti-Wilson-Polemik und in dieser Zusammenstellung zustande kommt.

Reihenweise enthalten Deine Punkte Rechts- und insbesondere Verfassungsrechtsfragen. Ich kann nicht beurteilen, ob Du Dir dazu schon mal die Mühe gemacht hast, Dich mit den Verfassungskontroversen über die Zeit der Wilson-Administration 1914/19 zu beschäftigen.

Also die Frage: welche Positionen hat dazu der Supreme Court, das "Bundesverfassungsgericht" bezogen? Das ist der Massstab konstitutioneller Wertungen, nicht irgendwelche Privatmeinungen, die Hearst-Presse, politische Offensiven deutschamerikanischer Kreise oder Tintenschlachten von Historikern der 1920er/30er.

Hast Du daran die politischen Zuspitzungen gemessen, die den Zitaten zugrunde liegen?

So zum Beispiel:
Schenck vs. United States 1919
Abrams vs. United States 1920
Pierce vs. United States 1921
Railroad Control Act, Trading with the Enemy Act etc. in den War Powers-Kontroversen, so zB United States vs. Cohen Grocery Company (1921)
Selective Draft Law Cases (1918) zum Kriegsdienst, Arver vs. United States.


Danach erledigen sich Deine "konstitutionellen" Punkte. Wir können gern die Details der Cases einzeln anhand der rechtsgeschichtlichen Fachliteratur (zB Encyclopedia of the American Constitution, Encyclopedia of the United States Constitution, The Supreme Court in American Politics, Historic US Court Cases) durchgehen.

Auf die Durchmischung der Aussagen mit Minderheits-Meinungen (so zB abweichender Einzelurteile, die auch individuell zu bewerten sind, oder einzelner Abgeordneter) gehe ich vorerst nicht ein. Eben sowenig auf Deine völkerrechtlichen Einschätzungen.

Wenn Du die inneramerikanischen politisch-polemischen Diskussionen 1914/1919 aufarbeiten möchtest, und dabei auf die juristischen Aspekte Wert legst, würde ich dringend mindestens die vier oben genannten Beispielpublikationen empfehlen. Das öffnet den Blickwinkel, da die Kontroversen mit "Abstand" betrachtet werden.
 
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@Kanzler:

Mir ist unklar, was die Zusammenstellung im Hinblick auf das Scheitern von Wilson in Versailles und seiner Völkerbund-Ambitionen zu tun haben soll.
Die Zusammenstellung, wie man dem Zitat erkennen kann, bezog sich auf den Vorschlag, die politischen Strukturen der USA in die "antiquierten" Systeme Europas zu exportieren, um dann die Idee der kollektiven Sicherheit besser etablieren zu koennen. Dem stimmte ich nicht zu und stellte diese Zusammenstellung ein, um zu zeigen, wie ein angeblich transparentes System unter Druck wie im Kriegsfall, oder bei der Vorbereitung eines Kriegseintrittes sehr schnell in mehreren Bereichen die repraesentative Demokratie einschraenkt. Um es deutlicher zu sagen, wenn Nye 1934 dem Kongress Beweise vorlegt, dass der Kriegseintritt auf Druck der Industrie aus Profitgruenden zustande kam, und nicht aus den Gruenden die die Regierung dem Kongress und der Bevoelkerung 1917 nannte, dann gibt es hier eklatante Fehler im System, die ich nicht exportiert wissen will, wobei andere politische Strukturen ohnehin nicht exportiert, sondern freiwillig und nach Pruefung importiert werden sollten. Dieses Problem des Demokratieexports verfolgt uns bis in die Gegenwart.

Die Zusammenstellung bildet im Prinzip die innenpolitischen Konfrontationen zwischen Demokraten und Republikanern über den Krieg ab, mit den polemischen Zuspitzungen dieser Konfrontation, gemischt mit der politischen Offensive der Hearst-Presse und den deutschamerikanischen Gruppen. Gespiegelt findet man diese Konfrontationen in den diversen Schreibschlachten der Historiker der 1920er und 1930er.

Ausgewogene neuere Publikationen, die emotionalen Abstand zu den seinerzeitigen Auseinandersetzungen haben, würden derartige Zuspitzungen nicht aufweisen. Von daher wundere ich mich etwas, wie solche anti-Wilson-Polemik und in dieser Zusammenstellung zustande kommt.
Ich halte das nicht fuer zugespitzt und Polemik, sondern Reaktionen auf die Taten und Aussagen Wilsons von Senatoren und Repraesentanten, die eine mehrheitlich kriegsunwillige amerikanische Bevoelkerung vertraten. Vielleicht ist es ja das Unemotionale und der zu grosse Abstand, dass sich eine kriegsunwillige Bevoelkerung erst im Ersten, dann im Zweiten, in Korea, in Vietnam, und schliesslich im ersten und zweiten Golfkrieg befindet.

Reihenweise enthalten Deine Punkte Rechts- und insbesondere Verfassungsrechtsfragen. Ich kann nicht beurteilen, ob Du Dir dazu schon mal die Mühe gemacht hast, Dich mit den Verfassungskontroversen über die Zeit der Wilson-Administration 1914/19 zu beschäftigen.

Also die Frage: welche Positionen hat dazu der Supreme Court, das "Bundesverfassungsgericht" bezogen? Das ist der Massstab konstitutioneller Wertungen, nicht irgendwelche Privatmeinungen, die Hearst-Presse, politische Offensiven deutschamerikanischer Kreise oder Tintenschlachten von Historikern der 1920er/30er.

Hast Du daran die politischen Zuspitzungen gemessen, die den Zitaten zugrunde liegen?

So zum Beispiel:
Schenck vs. United States 1919
Abrams vs. United States 1920
Pierce vs. United States 1921
Railroad Control Act, Trading with the Enemy Act etc. in den War Powers-Kontroversen, so zB United States vs. Cohen Grocery Company (1921)
Selective Draft Law Cases (1918) zum Kriegsdienst, Arver vs. United States.
Meiner Ansicht nach greifen diese Faelle den Kriegsdienst betreffend bei diesem Problem nicht, weil, wie man so schoen sagt, das Kind mit dem Selective Service Act schon in den Brunnen gefallen ist. Hier gab der Solicitor General als Begruendung zahlreiche auslaendische Gesetze zum Kriegsdienst und als wichtigste amerikanische Gerichtsentscheidung die des Pennsylvania Supreme Courts

Kneedler vs. Lane

an, die noch vom Buergerkrieg (!) stammte.
Diese Entscheidung, und das Basieren des Selective Service Acts von 1917 auf dieselbe ist auch noch heute kontrovers:

https://books.google.com/books?id=rpOkMyVjGKQC&pg=PA1132&hl=en#v=onepage&q&f=false

https://books.google.com/books?id=l_DGwM93-64C&pg=PA708#v=onepage&q&f=false

Danach erledigen sich Deine "konstitutionellen" Punkte. Wir können gern die Details der Cases einzeln anhand der rechtsgeschichtlichen Fachliteratur (zB Encyclopedia of the American Constitution, Encyclopedia of the United States Constitution, The Supreme Court in American Politics, Historic US Court Cases) durchgehen.
Wie ich ausgefuehrt hatte, basieren die Faelle Schenck, Pierce, Arver, Abrams auf der Konstitutionalitaet des Selective Service Acts, und der hauptsaechlich auf den kontroversen Kneedler vs. Lane.

Auf die Durchmischung der Aussagen mit Minderheits-Meinungen (so zB abweichender Einzelurteile, die auch individuell zu bewerten sind, oder einzelner Abgeordneter) gehe ich vorerst nicht ein. Eben sowenig auf Deine völkerrechtlichen Einschätzungen.
Bei einer mehrheitlich kriegsunwilligen Bevoelkerung kann es sich bei diesen Aussagen und Einschaetzungen wohl kaum um Minderheitsmeinungen handeln. Zu untersuchen waere hier, warum die Mehrheit der Repraesentanten und Senatoren letztendlich die Mehrheitsmeinung der Bevoelkerung ignorierten.
Wenn Du die inneramerikanischen politisch-polemischen Diskussionen 1914/1919 aufarbeiten möchtest, und dabei auf die juristischen Aspekte Wert legst, würde ich dringend mindestens die vier oben genannten Beispielpublikationen empfehlen. Das öffnet den Blickwinkel, da die Kontroversen mit "Abstand" betrachtet werden.
Ich finde, dass die natuerlich auftretende Polemik oft auch auf die Hilflosigkeit der Volksvertreter hinweist, und daher ein wichtiger Aspekt im Reflektieren dieser Zeitgeschichte ist.

Den Cohen Fall kannte ich noch nicht, darauf werde ich spaeter eingehen.
 
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...stellte diese Zusammenstellung ein, um zu zeigen, wie ein angeblich transparentes System unter Druck wie im Kriegsfall, oder bei der Vorbereitung eines Kriegseintrittes sehr schnell in mehreren Bereichen die repraesentative Demokratie einschraenkt. Um es deutlicher zu sagen, wenn Nye 1934 dem Kongress Beweise vorlegt, dass der Kriegseintritt auf Druck der Industrie aus Profitgruenden zustande kam, und nicht aus den Gruenden die die Regierung dem Kongress und der Bevoelkerung 1917 nannte, dann gibt es hier eklatante Fehler im System, die ich nicht exportiert wissen will, ...

Das Nye Committee hat keine "Beweise" vorgelegt, sondern Mutmaßungen über nicht spezifizierte "Verbindungen" und "Einfluss". Das ist von Neutralisten, Kriegsgegnern, politischen Gegnern der Wilson-Administration etc. als Anschuldigung der "Händler des Todes" gedeutet worden.

Es sollte hier nicht etwas als "belegt" hingestellt werden, was nicht belegt ist.
http://www.geschichtsforum.de/526730-post51.html

Die Wertung der Ergebnsse der Nye-Kommission ist in der Literatur völlig umstritten. Wer es mag, kann sich ja hier an die populistischen Schreibschlachten halten. Was nicht geht, ist, einen Standpunkt einseitig als den Richtigen hinzustellen. Mindestens sollte Objektivität dergestalt gewahrt bleiben, auf divergierende Meinungen hinzuweisen.


Ich halte das nicht fuer zugespitzt und Polemik, sondern Reaktionen auf die Taten und Aussagen Wilsons von Senatoren und Repraesentanten, die eine mehrheitlich kriegsunwillige amerikanische Bevoelkerung vertraten. ...
Zeitgenössische politische Polemik ist ja nett, unterhaltsam und interessant, ist aber nicht mit dem Forschungsstand der Geschichtswissenschaft oder Rechtswissenschaft gleichzusetzen.

Oben ist in #36 die These enthalten, die Maßnahmen der Wilson-Administration seien bewiesenermaßen verfassungswidrig. Das ist Unsinn.

[/I]Meiner Ansicht nach greifen diese Faelle den Kriegsdienst betreffend bei diesem Problem nicht, weil, wie man so schoen sagt, das Kind mit dem Selective Service Act schon in den Brunnen gefallen ist. Hier gab der Solicitor General als Begruendung zahlreiche auslaendische Gesetze zum Kriegsdienst und als wichtigste amerikanische Gerichtsentscheidung die des Pennsylvania Supreme Courts

Kneedler vs. Lane

an, die noch vom Buergerkrieg (!) stammte.
Diese Entscheidung, und das Basieren des Selective Service Acts von 1917 auf dieselbe ist auch noch heute kontrovers:...

Weder basiert der Selective Service Act 1917 auf dem Kneedler-Case, noch basiert darauf die Entscheidung des Supreme Court 1918 (Selective Draft Law Cases, Arver/Grahl/Wangerin/Wangerin).
ARVER v. US | FindLaw

Der SSA 1917 "basiert" auf den Handlungen der Exekutive.
Der Supreme Court hat in den genannten Fällen die Verfassungswidrigkeit geprüft und abgelehnt.


Wie ich ausgefuehrt hatte, basieren die Faelle Schenck, Pierce, Arver, Abrams auf der Konstitutionalitaet des Selective Service Acts, und der hauptsaechlich auf den kontroversen Kneedler vs. Lane.
Das ist Unsinn, wie am Wortlaut der Entscheidung ablesbar.

Die von mir genannten Supreme Court-Fälle bestätigen vielmehr die Konstititionalität letztinstanzlich.

Ob da irgendwer anderer Meinung ist, interessiert solange nicht in einem Rechtsstaate, wie der Supreme Court seine Meinung revidiert:

"That every member of society hath a right to be protected in the enjoyment of life, liberty, and property, and therefore is bound to contribute his proportion toward the expense of that protection, and yield his personal service when necessary, or an equivalent thereto. [mit Bezug auf die Verfassung]...
Finally, as we are unable to conceive upon what theory the exaction by government from the citizen of the performance of his supreme and noble duty of contributing to the defense of the rights and honor of the nation as the result of a war declared by the great representative body of the people can be said to be the imposition of involuntary servitude in violation of the prohibitions of the Thirteenth Amendment, we are constrained to the conclusion that the contention to that effect is refuted by its mere statement. "

Dabei ist zu beachten, dass der SC die Konstitutionalität letztlich überhaupt nicht in Frage gestellt hat, sondern im Gegenteil das Recht der Regierung für den Kriegsfall erheblich weit gegeben sieht.

Tatsächlich lagen die Einschränkungen und Rechtsprobleme für die "Erfassungslisten" (für Rekrutierungen) nur dort, wo zB aus religiösen Gründen der Kriegsdienst verweigert wurde, oder - wie später behandelt - durch die Erfassung "aller Männer" sexuelle Diskriminierung behauptet wurde.

Tatsächlich zum Zweiten hat die Wilson-Administration über die ältere Praxis hinausgehend Waffendienst-Verweigern nicht nur die Rekrutierung zum "nicht-bewaffneten Dienst" angeboten, sondern solche Fälle in den Zivildienst übergeleitet.

Die gesamte Entscheidung befasst sich überhaupt nicht tiefergehende mit der unzweifelhaft verfassungsgemäßen Rekrutierung als solcher, sondern lediglich mit der Tatsache, dass alle Männer in Erfassungslisten aufgenommen wurden, aus denen dann weiter "selektiv" Rekrutierungen in den Dienst an der Waffe vorgenommen werden sollte. Es ging um das "selektiv", nicht um den Grundsatz als solchen.

Bei einer mehrheitlich kriegsunwilligen Bevoelkerung kann es sich bei diesen Aussagen und Einschaetzungen wohl kaum um Minderheitsmeinungen handeln. Zu untersuchen waere hier, warum die Mehrheit der Repraesentanten und Senatoren letztendlich die Mehrheitsmeinung der Bevoelkerung ignorierten.

Irgendwelche angeblichen, virtuellen oder informellen Mehrheiten oder angeblich ignorierte Meinungen spielen hier keine Rolle.

Insbesondere nicht bei der rechtshistorischen Frage, ob hier Verfassungswidrigkeit vorgelegen hat, wie Du in #36 behauptet hast.

Es ist daher fruchtlos, die politische Polemik der 20er und 30er Jahre als "Tatsachen" vorzutragen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Nye Committee hat keine "Beweise" vorgelegt, sondern Mutmaßungen über nicht spezifizierte "Verbindungen" und "Einfluss". Das ist von Neutralisten, Kriegsgegnern, politischen Gegnern der Wilson-Administration etc. als Anschuldigung der "Händler des Todes" gedeutet worden.

Es sollte hier nicht etwas als "belegt" hingestellt werden, was nicht belegt ist.
http://www.geschichtsforum.de/526730-post51.html
Mich erstaunt dieser Link dann doch ein wenig.
"Hierzu - zur Nye-Kommission - gibt es doch eine Reihe von Untersuchungen, immerhin handelt es sich um einen Aspekt der Neutralitätspolitik der USA, deren Richtungswechsel sich erst durch die Quarantäne-Rede von Roosevelt vor dem Hintergrund globaler dramatischer Entwicklungen andeutete."

Das Verlassen der Neutralitaet deutete sich erst auf Grund "dramatischer Entwicklungen" unter Roosevelt an? Wilson ist nie neutral gewesen, die nachfolgenden drei republikanischen Regierungen waren es auch nicht. Das belegen alle Aktionen der Vereinigten Staaten.

Und dann verlinkt der Beitrag einen Beitrag von "ganz der alte", der Hilfe bei einer Diskussion mit "Ewig-Gestrigen" (noch dazu englisch Sprachigen!)erbittet, also einem Ideologen, der Nye ueber Wilson auf Rossevelt anwenden will. Das ist anachronistisch!

Nye war gut genug fuer den Kongress, der die Neutralitaetsakte beschloss, er sollte gut genug fuer uns sein!

Die Wertung der Ergebnsse der Nye-Kommission ist in der Literatur völlig umstritten. Wer es mag, kann sich ja hier an die populistischen Schreibschlachten halten. Was nicht geht, ist, einen Standpunkt einseitig als den Richtigen hinzustellen. Mindestens sollte Objektivität dergestalt gewahrt bleiben, auf divergierende Meinungen hinzuweisen.
Nye war Standard bei meiner amerikanischen Hochschulausbildung, wenn Deutsche das anders sehen, sollten sie ihr Schuldthermometer der aktuellen Temperatur angleichen.

Zeitgenössische politische Polemik ist ja nett, unterhaltsam und interessant, ist aber nicht mit dem Forschungsstand der Geschichtswissenschaft oder Rechtswissenschaft gleichzusetzen.
Wieviele Vorgaenge kann ich Ihnen derzeit nennen, die in der Welt abgehen, aber keinen Richter haben, obwohl sie gegen bestehende Gesetze verstossen. Wo kein Richter, da kein Henker! Glauben Sie, dass das die Antwort der Geschichtswissenschaft auf alle Probleme ist, mal 100 Jahre vergehen zu lassen, bis wir einen Genozid "mit Abstand" historisieren? Da bekanken sich sich wohl all die Opfer in Cambodia und Rwanda! "Zeitgenoessische politische Polemik" is right on the ball, waehrend Sie nur unbeteiligt die Ergebnisse dokumentieren, die in sicherem Abstand Ihrem Weltbild entsprechen.

Oben ist in #36 die These enthalten, die Maßnahmen der Wilson-Administration seien bewiesenermaßen verfassungswidrig. Das ist Unsinn.
Nennen wir sie grenzwuerdig.

Weder basiert der Selective Service Act 1917 auf dem Kneedler-Case, noch basiert darauf die Entscheidung des Supreme Court 1918 (Selective Draft Law Cases, Arver/Grahl/Wangerin/Wangerin).
ARVER v. US | FindLaw

Der SSA 1917 "basiert" auf den Handlungen der Exekutive.
Der Supreme Court hat in den genannten Fällen die Verfassungswidrigkeit geprüft und abgelehnt.
Nun, von 1917 kann er wohl kaum auf Faellen von 1918 basieren. Allerdings basiert er, und wurde nach eben diesem Enrollment Act von 1863 modelliert. Und nach wie vor ist dieser, wie Kneedler vs. Lane zeigt, kontrovers.

Die von mir genannten Supreme Court-Fälle bestätigen vielmehr die Konstititionalität letztinstanzlich.
Sicher, zwischen Buergerkrieg, Erstem und Zweitem Weltkrieg ist viel Zeit vergangen, bis Menschen beim Vietnamkrieg ein extremes Problem mit dieser Gesetzgebung hatten. Die Medienpropaganda moechte ich sehen, die einen fuenften gegenueber einer freiwilligen Armee begruenden....

Ob da irgendwer anderer Meinung ist, interessiert solange nicht in einem Rechtsstaate, wie der Supreme Court seine Meinung revidiert:

"That every member of society hath a right to be protected in the enjoyment of life, liberty, and property, and therefore is bound to contribute his proportion toward the expense of that protection, and yield his personal service when necessary, or an equivalent thereto. [mit Bezug auf die Verfassung]...
Finally, as we are unable to conceive upon what theory the exaction by government from the citizen of the performance of his supreme and noble duty of contributing to the defense of the rights and honor of the nation as the result of a war declared by the great representative body of the people can be said to be the imposition of involuntary servitude in violation of the prohibitions of the Thirteenth Amendment, we are constrained to the conclusion that the contention to that effect is refuted by its mere statement. "
Ich wuenschte ja nur, dass Deutsche dieselbe Leidenschaft fuer das deutsche Grundgesetz aufbringen wuerden, wie sie das fuer die amerikanische Verfassung tun. Und das ist mein Winkel, verteidigen Sie nichts in einem anderen Land, dass Sie Ihrem eigenen nicht zugestehen wollen!

Dabei ist zu beachten, dass der SC die Konstitutionalität letztlich überhaupt nicht in Frage gestellt hat, sondern im Gegenteil das Recht der Regierung für den Kriegsfall erheblich weit gegeben sieht.

Tatsächlich lagen die Einschränkungen und Rechtsprobleme für die "Erfassungslisten" (für Rekrutierungen) nur dort, wo zB aus religiösen Gründen der Kriegsdienst verweigert wurde, oder - wie später behandelt - durch die Erfassung "aller Männer" sexuelle Diskriminierung behauptet wurde.

Tatsächlich zum Zweiten hat die Wilson-Administration über die ältere Praxis hinausgehend Waffendienst-Verweigern nicht nur die Rekrutierung zum "nicht-bewaffneten Dienst" angeboten, sondern solche Fälle in den Zivildienst übergeleitet.

Die gesamte Entscheidung befasst sich überhaupt nicht tiefergehende mit der unzweifelhaft verfassungsgemäßen Rekrutierung als solcher, sondern lediglich mit der Tatsache, dass alle Männer in Erfassungslisten aufgenommen wurden, aus denen dann weiter "selektiv" Rekrutierungen in den Dienst an der Waffe vorgenommen werden sollte. Es ging um das "selektiv", nicht um den Grundsatz als solchen.
Vielleicht in den gerichtlichen, in den sozialen Diskussionen ging es um den Tatbestand, dass eine mehrheitlich kriegsunwillige Bevoelkerung durch die Regierung und ihren "selective service" zum Kriegsdienst genoetigt wurde.

Irgendwelche angeblichen, virtuellen oder informellen Mehrheiten oder angeblich ignorierte Meinungen spielen hier keine Rolle.

Insbesondere nicht bei der rechtshistorischen Frage, ob hier Verfassungswidrigkeit vorgelegen hat, wie Du in #36 behauptet hast.
Ich finde das absolut erstaunlich, dass mir hier ein Deutscher aus der Distanz die Rechtswidrigkeiten einers Amerikaners gegen sein eigenes Land als legitim erklaeren will, nicht weil er es muss, aber weil er es will. Das ist "telling", es gibt keine schlimmere Form von geistiger Kapitulation!

Es ist daher fruchtlos, die politische Polemik der 20er und 30er Jahre als "Tatsachen" vorzutragen.
Ich empfinde die Arroganz der Generationen, die nicht einmal einen Ansatz des Hungers und der Leiden dieser Zeit mitgemacht oder ueberhaupt reflektiert haben, als abstossend!
 
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