Deutscher Herbst - Gefahr für die Demokratie?

Nun ja,zwar waren Mitglieder der Gruppe bereits früher im Rahmen der Frankfurter Kaufhausanschläge aktiv,aber offiziell wurde die RAF ja 1970 gegründet. also in dem Jahr,in dem Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau kniete.
Insoweit war die Begründung ,die Überwindung eines autoritären Staates mit faschistoiden Repräsentanten von Anfang an eine Lüge zut Selbstlegitimation.

Dass die RAF aber zu keiner Zeit eine Gefahr für die Demokratie war würde ich so nicht unterschreiben. Sie hatte zwar in der Bundesrepunlik nie den nötigen Einfluss und die notwendige Basis , um die Demokratie zu zerstören -aber sie hatte enge Verbindungen zur palästinensischen Fatah und verwandten Terrororganisationen einerseits und wie wir heute wissen auch zur Stasi- hätte also zumindest die Basis für Operationen dieser Gruppen schaffen können
 
Es war sicherlich *auch* ein Generationenkonflikt, aber das würde ich nur als vordergründig sehen. Ein politischer Konflikt war es ganz sicher. Der Generationenkonflikt war dabei der Punkt, an dem insbesondere bei den jüngeren Generationen der Solidarisierungseffekt mit der Studentenbewegung, APO und so einsetzte.

Schleyer war für mindestens einen Teil der Gesellschaft bzw deren Eliten sehr wohl tragbar als Arbeitgeberpräsi, sonst wär ers nicht geworden. Daß er es aber werden konnte, transportiert dann ein paar Botschaften zu den damaligen Zuständen und Bedingungen.

Andreas Baader hätten wir zu jeder Zeit Unterschlupf gewährt, den Mädels sowieso. Ansonsten "Big Raushole"-Aufkleber auf dem Kaefer, viel mehr war da politisch nicht. Wir waren gegen Big Gouverment, Big Money und für Free Drugs und Free Kalashnikows.

Der Spruch mit "Big Raushole" war damals - also zu Zeiten der so benannten Aktion der RAF - schon peinlich, weil er sich an einen Jugendjargon anzubiedern suchte, der allerdings bereits damals obsolet war. Der hat wenig an Solidarisierungseffekten (aber viel an Fremdschämen) bewirkt.

Was du beschreibst, gilt mE und rückblickend betrachtet sicherlich für einen Großteil der damaligen jüngeren Generationen: im Zweifelsfall und bei Gelegenheit hätten viele, einige haben tatsächlich. Wie politisch unterfüttert das bei den Leuten jeweils war, ist eine andere Frage.
 
nun ja, wie bereits oben gesagt, waren de facto bereits bei Gründung der RAF die vermeintlichen Gründe,die zu ihrem Entstehen führten weggefallen.
Die alten konservativen Eliten waren abgelöst durch die Regierung Brandt/ Scheel und Heinemann als Präsident und selbst in der CDU zeichneten sich mit Kohl eine Liberalisierung der Positionen ab.
Nicht nur wir Jugendliche sondern große Teile der Gesellschaft waren damals zwar heftig politisiert , aber die Grundrichtung ging nicht mehr in Richtung der Notwendigkeit einer gewaltsamen revolutionären Veränderung sondern in der Etablierung und Durchsetzung alternativer Lebensentwürfe. Und auch das Austragen des Generationenkonfliktes hatte sich andere Wege (Friedensbewegung, Ökobewegung, Hausbesetzungen) gesucht, die mit der RAF und deren Doktrin wenig am Hut hatten Die RAF war bereits damals in Deutschland ein Anachronismus,dessen Protagonisten sich immer mehr in der eigenen Ideologie einigelten und von der gesellschaftlichen Realität abkoppelten.
Was die RAF immerhin irgendwann erkannt hatte war,daß die sozial-liberale Koalition die Unzufriedenheit der außerparlamentarischen Opposition absorbiert hatte und ihr dadurch die Basis für eine praktische revolutionäre Intervention der Avantgarde entzogen war
Daher versuchte man dann den Kampf zu internationalisieren und sich durch die Vernetzungen mit anderen Terrorgruppen im Ausland eine Basis zu schaffen,was allerdings auch nicht gelang.
Mit Anfangs ca.50 und gegen Ende 20 Aktivisten und einem aktiven Unterstützerkreis der 300 Personen nicht überschritt sowie einer kaum vermittelbaren Zielsetzung die zunehmend auch in Gegensatz zum linken Lager geriet hatte die RAF mehr den Status einer Sekte als den einer politischen Bewegung.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang ,was Rudi Dutschke zur RAF äußerte
„Die negativen Auswirkungen der RAF-Scheiße sind vielerorts erkennbar, CDU/CSU im besonderen, Regierung im allgemeinen und RAF-Kacke im einzelnen scheinen verheiratet zu sein: um den politischen Klassenkampf zu hemmen!“

r
 
In meiner Kindheit / Jugend hatte ich damals einen Vater, der eher konservativ war und eine Flower Power Mama, die zum Leidwesen meines Vaters äusserst revolutionäre Ansichten hatte.
Allerdings waren diese ( und damals war mein Vater sehr verwundert ) in Sachen RAF einer Meinung ( einige der wenigen Dinge mit einer Meinung in dieser Ehe ):
RAF besteht aus durchgeknallten und Mördern. Feinde einer jeden Demokratie.

Und die RAF wurde als Problem für all diejenigen gesehen, die wirklich was verändern wollten. Und sie hatten auch Recht. Der damalige Staat hat als Folge nicht nur seine eigene Richtung hinterfragt, sondern ist auch vehement gegen etwaige Verbindungen vorgegangen, wo ähnliches hätte entstehen können.
Im Prinzip hat die RAF es dem Staat irrsinnig leicht gemacht, mehr Überwachung zu legimitieren.
Ich denke sogar, daß die RAF dem Staat recht gelegen gekommen ist, um in der Folge mit weniger Widerstand mehr Überwachung voranzubringen.
 
Die RAF war bereits damals in Deutschland ein Anachronismus,dessen Protagonisten sich immer mehr in der eigenen Ideologie einigelten und von der gesellschaftlichen Realität abkoppelten.

Dieser Punkt bringt die Entwicklung der innenpolitischen Bedeutung sehr gut auf den Punkt. Aber auch der Hinweis von Ingeborg zum "Generationskonflikt" in Kombination mit der Infragestellung von Autorität - "Unter den Talaren, Muff von 1000 Jahren" - sind wichtige Aspekte. Ergänzt durch die Sicht von Scorpio auf die RAF als "ideologisch abgehobene" Stadtguerilla.

Zwei weitere Aspekte.

1. Ideologische Ausrichtung:
Die RAF war in Bezug auf die Begründung ihrer politischen Aktivitäten bzw. ihres Terrorismus stark an der Befreiungs-Ideologie eines Mao angelehnt. Mao hatte die Begründung zur "revolutionären Aktion" von Lenin in Bezug auf die Oktober-Revolution für China ausgearbeitet und noch zugespitzt, nicht zuletzt weil in beiden Fällen Marx unbrauchbar gewesen als "Pate" der Revolution. Die Thesen von Mao in Kombination mit einem universellen Antikolonialkampf, wie in Vietnam, gaben die Taktik des Kampfes gegen die Regierung in der BRD vor.

Allerdings ohne wirklich die unterschiedlichen Bedingungen und die Wirkungen des "Kampfes" angemessen zu reflektieren, wie an dem Zitat von zaphodB von Dutsche m.E. prägnant ersichtlich wird.

Die Positionen von einzelnen Philosophen aus dem Umfeld der Neo-Marxisten, wie beispielsweise von H. Marcuse oder von C. Reich, lieferten dann Versatzstücke einer Ideologie, die den "Kampf" rechtfertigen sollte und Anknüpfungspunkte an einzelne Sichtweise der Apo herstellen sollte.

Aber es ist auch darauf hinzuweisen, dass wiederum von anderen Theoretikern aus dem Umfeld des "Neo-Marxismus" der Sichtweise der RAF deutlich widersprochen worden ist, so beispielsweise von J. Habermas oder von T. Adorno.

2. Politisches Umfeld und Konsequenzen:
Die RAF hat sicherlich zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für das politische System der BRD bedeutet. Dennoch hatte sie eine gewisse Bedeutung für die politische Kultur, die sich am besten in "Deutschland im Herbst" bildlich darstellte.

In den sechziger bzw. siebziger Jahren wurde zunehmend die Legitimation des Kapitalismus weltweit in Frage gestellt. In Deutschland schrieb K. Offe "Strukturprobleme des kapitalistischen Staates" und J. Habermas "Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus" und drückte das aus, was auch andere wie beispielsweise U. Jaeggi oder W-D Narr formuliert hatten.

Von J. Hirsch wurde diese Sicht Ende der siebziger dann als "Der Sicherheitsstaat. Das Modell Deutschland" aufgegriffen und in Bezug auf die sich entwickelnden Neuen Sozialen Bewegungen thematisiert.

Und in diesen Sichtweisen kam die Kritik zum Ausdruck die eine sich emanzipierende Gesellschaft an der Politik und an der Wirtschaft formulierte. Und damit die BRD im Sinne einer Zivilgesellschaft transformieren half.

Die Verunsicherung hinsichtlich der Zukunft des Kapitalismus wurde noch verstärkt durch die Diskussion über die Konvergenz der beiden großen rivalisierenden politischen Systeme, ergänzt durch Ideen zum Ende der Ideologien (P.Bender).

Diese Entwicklung war für die "etablierte" Gesellschaft durchaus eine ideologische Herausforderung, die das Potential hatte, im Rahmen des "Marsches durch die Instanzen" die Gesellschaft, inklusive Politik und Wirtschaft zwar langsam aber dennoch nachhaltig zu transformieren.

Die RAF, deren objektive politische Bedeutung für die BRD eingeschränkt war, fiel die - unfreiwillige - Steigbügelhalterfunktion zu, die Innenpolitik zu dynamisieren. Und in der Folge eine "Neokonservative" Restauration begründen zu helfen (H. Dubiel: Was ist Neokonservatismus?)

Wie gesagt, eine Dynamik, die Dutschke klar erkannt hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vorab erstmal ein Dank für die interessanten Beiträge!

Kann man die "Dynamisierung der Innenpolitik", die wohl unbestritten vorliegt (und unter der sozialliberalen Koalition vorlag), von weiteren politisch-ökonomischen Entwicklungen separieren, die mit Wirkmacht in diese Phase fallen?

Entwicklungen im Kalten Krieg (mit Übergang in die Nachrüstungsdebatte, und drohender Abkopplung der Sicherheitsinteressen der USA von Europa), Ökonomische Krise seit Mitte 60er, und Verschärfung nach Ölpreisschock, Ökologische Wahrnehmung und Umweltverschmutzung, etc.

Gab es ein Bündel von "Treibern" der Dynamisierung, mit Interdependezen?
 
Ideologie hin oder her, ohne finanzielle Unterstützung wäre auch diese "Revolte" kaum durchführbar. Da spielen dann doch die großen Ideologischen Konflikte des Kalten Krieges eine Rolle, denn die DDR war wohl ein starker Unterstützer der RAF und hier wiederum verwundert es mich, wie die RAF Leute sich so einer spießigen und starren Diktatur hingezogen fühlen konnten.
War die Ideologie der RAF doch nur ein Vorwand um ein unbestimmtes Machtgefühl von Persönlichkeiten auszuleben?
 
Ideologie hin oder her, ohne finanzielle Unterstützung wäre auch diese "Revolte" kaum durchführbar. Da spielen dann doch die großen Ideologischen Konflikte des Kalten Krieges eine Rolle, denn die DDR war wohl ein starker Unterstützer der RAF und hier wiederum verwundert es mich, wie die RAF Leute sich so einer spießigen und starren Diktatur hingezogen fühlen konnten.
War die Ideologie der RAF doch nur ein Vorwand um ein unbestimmtes Machtgefühl von Persönlichkeiten auszuleben?

Das ist im Prinzip auch das was ich Denke. Gerade die "Persönlichkeiten" innerhalb dieser Bewegung waren keine Persönlichkeiten.
Es heisst nicht umsonst: "Gib dem einfachen Mann Macht......"

Ein Baader oder eine Meinhof werden mir zu oft als Intellegent hingestellt.
Das es sowohl mit der Weitsicht als auch mit der Einschätzung der aktuellen Situation nicht weit her war, haben diese Personen sehr wohl bewiesen.
 
Ein Baader oder eine Meinhof werden mir zu oft als Intellegent hingestellt.
Das es sowohl mit der Weitsicht als auch mit der Einschätzung der aktuellen Situation nicht weit her war, haben diese Personen sehr wohl bewiesen.
Eine gewisse Intelligenz hatten sie zu schon. Diese kannst du ihnen auch nicht absprechen. Nur war diese Intelligenz gefangen in einer stocksteifen Ideologie, so dass Situationen nicht mehr realistisch gesehen werden konnten, sondern alles durch die verklärte Ideologie-Brille gesehen wurde.
 
Es heisst nicht umsonst: "Gib dem einfachen Mann Macht......"

Äh wie jetzt - "einfach" die "wichtigen Leutz" machen lassen, die werdens schon richten, wofür der "einfache Mann" (wo bleiben da die Frauen?!?!?) "einfach" zu unfähig ist?
Na danke auch.

Ein Baader oder eine Meinhof werden mir zu oft als Intellegent hingestellt.
Beiden Personen kannst du nicht einfach per "paßt mir nich" Intelligenz absprechen. Meinhof hatte ein Studium absolviert und galt als exzellente Journalistin mit geschliffener Feder. Den Ruf wiederum erarbeitet man sich nicht als dumpfer Vollpfosten. Baader hatte mW kein Abitur, Student war er jedenfalls nicht, womit aber keineswegs eine Wertung seiner Intelligenz verbunden werden darf. Vielmehr war er in der ersten Generation einer der wenigen ohne universitären Hintergrund.

Daß auch kluge Personen auf gedankliche Abwege kommen können ist ja nun auch eine alte Erkenntnis in der Menschheitsgeschichte, die nicht erst die RAF verdeutlicht hat. Man sollte sich außerdem hüten, von der eigenen Meinung abweichende Ansichten generell als "kann nur blöd sein" einzusortieren.
 
Eine gewisse Intelligenz hatten sie zu schon. Diese kannst du ihnen auch nicht absprechen. Nur war diese Intelligenz gefangen in einer stocksteifen Ideologie, so dass Situationen nicht mehr realistisch gesehen werden konnten, sondern alles durch die verklärte Ideologie-Brille gesehen wurde.
Nun war ja eine ideologische Verblendung nicht immer in der Geschichte eine so starke Behinderung, dass diese den Erfolg unterband.
Wäre z.B. die Weimarer Republik in der Phase ihrer Stabilisierung nicht von der Wucht der Weltwirtschaftskrise getroffen worden, würde man heute vielleicht die Frage ob Hitler eine Gefahr für die Demokratie darstellte mit einem klaren Nein beantworten. Er wäre möglicherweise in der geschichtlichen Betrachtung zu einer kuriose Nebenerscheinung geworden.

Worauf ich hinaus will:
Wenn die Frau Meier eine Grippe hat, dann wird sie wahrscheinlich nicht daran sterben. Wenn sie sich aber gleichzeitig einen Schenkelhalsbruch zuzieht, dann kann das schon genügen.
Die RAF war zu keiner Zeit eine Gefahr für die Demokratie, sie hatte nie den nötigen Einfluss und die Macht die Demokratie zu zerstören - ausser vielleicht dadurch..
Es war die RAF natürlich eine Gefahr für die Demokratie, so wie es alle organisierten Bestrebungen sind, die auf deren Beseitigung abzielen.
Man kann schwerlich einschätzen was geschehen wäre, hätten sich davon unabhängige politische Prozesse, deren Wesen stets auch eine chaotische Komponente haben, in eine andere Richtung entwickelt als sie es taten.
Die Potenz einer Idee hängt ja auch von der Entwicklung des Biotops ab in dem sie gedeiht.
Und diese ist nicht vorbestimmt, sondern wird stets neu geboren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es war die RAF natürlich eine Gefahr für die Demokratie, so wie es alle organisierten Bestrebungen sind, die auf deren Beseitigung abzielen.

Die "einzige" (im Sinne von Existenzgefährdung) Gefahr, die von der RAF auf die Demokratie ausging, war die heftige Gegenreaktion der "wehrhaften Demokratie", die über das Ziel der unmittelbaren strafrechtlichen Verfolgung und Bekämpfung hinausschiest.

In der Folge wurde die RAF, als - angeblich - militanter Ausdruck linker Theorie instrumentalisiert und medial überzeichnet, so beispielsweise die These von A. Wellmer (A. Wellmer: Terrorismus und Gesellschaftskritik, in: J. Habermas: Stichworte zur Geistigen Situation der Zeit, Bd. 1, S. 265). Und in diesem Kontext argumentiert Wellmer ähnlich wie das bereits angeführte Zitat von Dutschke.

So schreibt dann auch Reichel: "Dass die siebziger Jahre nicht im Zeichen einer Politik der inneren Reformen, sondern jener der inneren Sicherheit standen, ist an der öffentlichen Reaktion auf den Terrorismus ebenso abzulesen wie am Radikalenerlass ...." (Reichel: Politische Kultur der Bundesrepublik, S. 206)

Und in diesem Zusammenhang der Bekämpfung eine weitere Einschränkung von demokratischen Rechten vornimmt, auch vor dem Hintergrund der "Notstandsgesetzgebung" und den damit zusammenhängenden Bedenken und Protesten.

Ein Vorgang, den wir als Reaktion auf 9/11 auch in den USA sehen, die in vergleichenden "Demokratie-Rankings" deutlich abgewertet worden sind, weil traditionelle demokratische Rechte eingeschränkt worden sind (Literaturverweis kann geliefert werden)

Und in der Folge ergab sich vor allem eine aus dem konservativen Lager kommende Diskussion über die "Unregierbarkeit" der Bundesrepublik und der Notwendigkeit, Reformen der sozial-liberalen Regierungszeit ("Mehr Demokratie wagen") wieder einzukassieren, wie beispielsweise die Rolle rückwärts beim "HRG" (Hochschul Rahmen Gesetz) etc. in der langen Phase der Kanzlerschaft von Kohl.

Da liegt die Gefahr für eine Demokratie, indem die Rechte und die Beteiligung der Bürger eingeschränkt werden. Wie die aktuelle Diskussion in der Politologie (Merkel, Streek, Beck, Kitschelt oder Dahl etc.) über die Politikverdrossenheit in den Demokratien illustriert und eine neue, wesentlich gravierender Legitimationskrise konstatiert wird.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieser Punkt bringt die Entwicklung der innenpolitischen Bedeutung sehr gut auf den Punkt. Aber auch der Hinweis von Ingeborg zum "Generationskonflikt" in Kombination mit der Infragestellung von Autorität - "Unter den Talaren, Muff von 1000 Jahren" - sind wichtige Aspekte. Ergänzt durch die Sicht von Scorpio auf die RAF als "ideologisch abgehobene" Stadtguerilla.

Zwei weitere Aspekte.

1. Ideologische Ausrichtung:
Die RAF war in Bezug auf die Begründung ihrer politischen Aktivitäten bzw. ihres Terrorismus stark an der Befreiungs-Ideologie eines Mao angelehnt. Mao hatte die Begründung zur "revolutionären Aktion" von Lenin in Bezug auf die Oktober-Revolution für China ausgearbeitet und noch zugespitzt, nicht zuletzt weil in beiden Fällen Marx unbrauchbar gewesen als "Pate" der Revolution. Die Thesen von Mao in Kombination mit einem universellen Antikolonialkampf, wie in Vietnam, gaben die Taktik des Kampfes gegen die Regierung in der BRD vor.

Allerdings ohne wirklich die unterschiedlichen Bedingungen und die Wirkungen des "Kampfes" angemessen zu reflektieren, wie an dem Zitat von zaphodB von Dutsche m.E. prägnant ersichtlich wird.

Die Positionen von einzelnen Philosophen aus dem Umfeld der Neo-Marxisten, wie beispielsweise von H. Marcuse oder von C. Reich, lieferten dann Versatzstücke einer Ideologie, die den "Kampf" rechtfertigen sollte und Anknüpfungspunkte an einzelne Sichtweise der Apo herstellen sollte.

Aber es ist auch darauf hinzuweisen, dass wiederum von anderen Theoretikern aus dem Umfeld des "Neo-Marxismus" der Sichtweise der RAF deutlich widersprochen worden ist, so beispielsweise von J. Habermas oder von T. Adorno.

2. Politisches Umfeld und Konsequenzen:
Die RAF hat sicherlich zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für das politische System der BRD bedeutet. Dennoch hatte sie eine gewisse Bedeutung für die politische Kultur, die sich am besten in "Deutschland im Herbst" bildlich darstellte.

In den sechziger bzw. siebziger Jahren wurde zunehmend die Legitimation des Kapitalismus weltweit in Frage gestellt. In Deutschland schrieb K. Offe "Strukturprobleme des kapitalistischen Staates" und J. Habermas "Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus" und drückte das aus, was auch andere wie beispielsweise U. Jaeggi oder W-D Narr formuliert hatten.

Von J. Hirsch wurde diese Sicht Ende der siebziger dann als "Der Sicherheitsstaat. Das Modell Deutschland" aufgegriffen und in Bezug auf die sich entwickelnden Neuen Sozialen Bewegungen thematisiert.

Und in diesen Sichtweisen kam die Kritik zum Ausdruck die eine sich emanzipierende Gesellschaft an der Politik und an der Wirtschaft formulierte. Und damit die BRD im Sinne einer Zivilgesellschaft transformieren half.

Die Verunsicherung hinsichtlich der Zukunft des Kapitalismus wurde noch verstärkt durch die Diskussion über die Konvergenz der beiden großen rivalisierenden politischen Systeme, ergänzt durch Ideen zum Ende der Ideologien (P.Bender).

Diese Entwicklung war für die "etablierte" Gesellschaft durchaus eine ideologische Herausforderung, die das Potential hatte, im Rahmen des "Marsches durch die Instanzen" die Gesellschaft, inklusive Politik und Wirtschaft zwar langsam aber dennoch nachhaltig zu transformieren.

Die RAF, deren objektive politische Bedeutung für die BRD eingeschränkt war, fiel die - unfreiwillige - Steigbügelhalterfunktion zu, die Innenpolitik zu dynamisieren. Und in der Folge eine "Neokonservative" Restauration begründen zu helfen (H. Dubiel: Was ist Neokonservatismus?)

Wie gesagt, eine Dynamik, die Dutschke klar erkannt hatte.


Guter Beitrag, nur beim (langen) Marsch durch die Institutionen, sind viele, die sich nach der Auflösung des SDS auf diesen Weg begeben haben, selbst so transformiert worden, dass Rudi Dutschke, von dem dieses Zitat stammt, wohl große Probleme hätte, die Marschierenden und ihre Positionen wiederzuerkennen.

Aus den Parlamenten oder aus Schlüsselpositionen von Politik und Wirtschaft sind, meiner Meinung nach, wenige bis keine nachhaltigen Impulse für eine Veränderung hervorgegangen. Der lange Marsch durch die Institutionen hat eher dazu beigetragen, den Forderungen von sozialen Bewegungen die Spitze zu nehmen und sie weichzuspülen.

Dafür haben sich in der Umweltschutz- und der Friedensbewegung sehr heterogne Gruppen zusammengefunden, von denen die wenigsten "Experten" für Atomphysik waren, denen es aber gelungen ist, den Neubau von Hunderten von AKWs zu verhindern.


Dafür haben sich sehr heterogene
 
Nun war ja eine ideologische Verblendung nicht immer in der Geschichte eine so starke Behinderung, dass diese den Erfolg unterband.
Wäre z.B. die Weimarer Republik in der Phase ihrer Stabilisierung nicht von der Wucht der Weltwirtschaftskrise getroffen worden, würde man heute vielleicht die Frage ob Hitler eine Gefahr für die Demokratie darstellte mit einem klaren Nein beantworten. Er wäre möglicherweise in der geschichtlichen Betrachtung zu einer kuriose Nebenerscheinung geworden.

Worauf ich hinaus will:
Wenn die Frau Meier eine Grippe hat, dann wird sie wahrscheinlich nicht daran sterben. Wenn sie sich aber gleichzeitig einen Schenkelhalsbruch zuzieht, dann kann das schon genügen.
Dein Beispiel hakt ziemlich, denn die Grippe (=RAF) kann nur dann zur tödichen Gefahr werden, wenn es gleichzeitig einen Schenkelhalsbruch gibt. Den gab es aber zur Zeit der RAF nicht, es wurden nur präventive Maßnahmen getroffen um weiteren Grippen vorzubeugen, welche Frau Meier (=die Demokratie) von da an einschränkten.
Jedoch kam es während der Weimarer Republik zum Tod der Demokratie (auch wenn ich es extrem unpassend finde Hitler mit einer Grippe gleichzusetzen), da es nicht nur Grippe und Schenkelhalsbruch gab, sondern auch noch weitere "Verletzungen", die dazu führten, dass die "Grippe" (=Hitler) Abermillionen getötet hat.

Es war die RAF natürlich eine Gefahr für die Demokratie, so wie es alle organisierten Bestrebungen sind, die auf deren Beseitigung abzielen.
Man kann schwerlich einschätzen was geschehen wäre, hätten sich davon unabhängige politische Prozesse, deren Wesen stets auch eine chaotische Komponente haben, in eine andere Richtung entwickelt als sie es taten.
Die Potenz einer Idee hängt ja auch von der Entwicklung des Biotops ab in dem sie gedeiht.
Und diese ist nicht vorbestimmt, sondern wird stets neu geboren.

Wenn ich mich jetzt hier hin stelle und behaupte; "Demokratie ist scheiße. Ich möchte die Demokratie vernichten.", dann bin ich keine Gefahr für die Demokratie, auch wenn ich mich organisiert hinstelle und das behaupte.
Du versuchst jetzt der RAF eine demokratische Wirkkraft zu zuschreiben indem du versuchst durch die Erwähnung MÖGLICHER anderer politischer Prozesse eine theoretische Gefahrensituation für die Demokratie herbeizu phantasieren.
Natürlich wünscht eine diktatorische Verdrehung marxistischer Ideen die Auflösung der Demokratie und wird somit - bei einer genügend groß und mächtigen Unterstützungsbewegung - zur Gefahr für die Demokratie, die RAF war aber zur keiner Zeit mächtig und groß genug und somit nie eine Gefahr für die Demokratie.
 
Zur Frage, ob der Deutsche Herbst eine Gefahr für die Bonner Demokratie darstellte, möchte ich mit der Gegenfrage antworten, ob Marinus van der Lubbe - ebenfalls zu keiner Zeit mächtig und groß genug - eine Gefahr für die Weimarer Demokratie dargestellt hat.

Ja, er hat, und zwar mit durchschlagendem Erfolg.
 
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Ein Vorgang, den wir als Reaktion auf 9/11 auch in den USA sehen, die in vergleichenden "Demokratie-Rankings" deutlich abgewertet worden sind, weil traditionelle demokratische Rechte eingeschränkt worden sind (Literaturverweis kann geliefert werden)
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Der Vergleich ist interessant.
Denn im Falle der RAF ergab sich eine
heftige Gegenreaktion der "wehrhaften Demokratie", die über das Ziel der unmittelbaren strafrechtlichen Verfolgung und Bekämpfung hinausschiest.
Bei 9/11 geht das noch weit darüber hinaus, und wird zu einer außenpolitischen Doktrin einer Admistration, deren Einsetzung mit so geringer Mehrheit zustande kommt, dass man diese als zufällig sehen kann.
Zudem, ich denke das kann man postulieren, scheitert diese am erklärten Ziel der Terrorismusbekämpfung, sondern gießt Öl ins Feuer eines Kulturkampfes, in dessen Zentrum sie sich, aus welchen Gründen auch immer, sieht.
Das hätte sich aber ebenso gut auch ganz anders entwickeln können.

Im Falle 9/11 wurde ein törichter Eskalationsweg beschritten, dessen Nachwirkung nicht absehbar ist.
Es wäre nun die Frage, ob auch im Falle der RAF die Möglichkeit bestand ähnliche Unvernunft walten zu lassen.
Man braucht sich ja nur einmal vorstellen, es wäre eine andere Regierung, mit zufällig an die mediale Oberfläche tretenden Erkenntnissen über noch nicht bekannte internationale Komplikationen, im Amt gewesen.
Und angenommen es wäre nicht gelungen eine Versöhnung der Generationen durch Brandt zu erreichen, sondern eine Verhärtung nach Innen wie nach Außen.
(Das lag ja keineswegs abseits der Entwicklungsmöglichkeiten.)
Man könnte auch sagen, dass sich der Weg der Niederschläge des Regens, mit einer immer rascheren Veränderung der Topologie der Landschaft, immer unvorhersehbarer gestaltet.
 
Zur Frage, ob der Deutsche Herbst eine Gefahr für die Bonner Demokratie darstellte, möchte ich mit der Gegenfrage antworten, ob Marinus van der Lubbe eine Gefahr für die Weimarer Demokratie dargestellt hat.

Ja, er hat, und zwar mit durchschlagendem Erfolg.

Tatsächlich? Als der Reichstag brannte, hatte die Weimarer Republik schon längst das Leben ausgehaucht und zwar schon vor der Wahl Hitlers mit den Notverordnungen der Präsidialkabinette. Als Hitler am 30.Januar 1933 an die Macht kam, brauchte er nur noch den Totenschein zu unterschreiben.

Die Hintergründe und die Täterschaft des Reichstagsbrands vom 27/28.02. 1933 sind unklar, klar aber ist, wem es am meisten nützte, um ein Ermächtigungsesetz durchzusetzen.
 
Im Prinzip hat die RAF es dem Staat irrsinnig leicht gemacht, mehr Überwachung zu legimitieren.
Ich denke sogar, daß die RAF dem Staat recht gelegen gekommen ist, um in der Folge mit weniger Widerstand mehr Überwachung voranzubringen.

Insofern gehe ich hier auch mit Rudi Dutschke konform, daß die RAF allen Reformkräften in Deutschland mit ihren Aktionen, oder besser gesagt Anschlägen, einen Bärendienst erwiesen hat.
Natürlich ging es der RAF nicht um "Reformen", sondern um Bekämpfung bzw. Umsturz des "herrschenden Systems". Nur die Politik hat dies zu willkommenen Anlaß genommen "ein wenig" über das Ziel hinauszuschießen.

Ich würde sogar behaupten, daß die Politik ( nicht nur bezogen auf Deutschland) daraus gelernt hat und selbst die eine oder andere "RAF" aus der Taufe gehoben hat, um mit deren Hilfe Einschränkungen von Bürgerrechten und Ausweitungen von Überwachungsmaßnahmen zu legitimieren, nach Möglichkeit auch noch außerhalb jeder parlamentarischer Kontrolle.
Ich denke in diesem Zusammenhang besonders an "Stay Behind” bzw. an die italienische "Gladio", geheime militante staatliche Organisationen, die erwiesenermaßen an Terroranschlägen, z.B. in Bologna beteiligt waren um Stimmung in der Bevölkerung zu machen.

Sehenswert dazu war die Dokumentation in ZDF-Info vor einiger Zeit:
“STAY BEHIND – Die Schattenkrieger der NATO”
Wird bestimmt nochmal wiederholt werden in einem der Spartensender, z.B. auf Phoenix oder ARTE.

Hier gibt es noch einige Infos dazu: ...

[MOD: Link mit Verschwörungsmüll gelöscht]

Oder einfach mal googlen mit "Stay behind Attentate"

Vermutlich halten sich auch deshalb so hartnäckige Gerüchte, 9/11 wäre eine Geheimdienstoperation gewesen, um den Boden für den "Patriot-Act" zu bereiten, der weit über die Bekämpfung des Terrorismus hinausgeht und man eher als ein Instrument der Unterdrückung bezeichnen kann für den Fall, daß der herrschenden Elite die Macht entgleitet.

Irgendjemand hat einmal gesagt, die größte Gefahr ...
[MOD: politische Aussagen gelöscht. Dies ist ist ein Geschichtsforum, siehe Forenregeln, kein tagespolitisches Politik-Laberforum]
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ideologie hin oder her, ohne finanzielle Unterstützung wäre auch diese "Revolte" kaum durchführbar. Da spielen dann doch die großen Ideologischen Konflikte des Kalten Krieges eine Rolle, denn die DDR war wohl ein starker Unterstützer der RAF und hier wiederum verwundert es mich, wie die RAF Leute sich so einer spießigen und starren Diktatur hingezogen fühlen konnten.
War die Ideologie der RAF doch nur ein Vorwand um ein unbestimmtes Machtgefühl von Persönlichkeiten auszuleben?

Vor ein paar Jahren kam heraus, dass der Polizeibeamte, der Benno Ohnesorg erschoss, IM der Stasi war. Um die BRD zu destabilisieren, ging der DDR Geheimdienst selbst mit Rechtsradikalen und militanten Neonazis wie Dieter Kersten Bündnisse ein, was ein noch viel größerer Widerspruch war zum offiziellen Selbstbild der DDR als der bessere und "antifaschistische" Staat.
 
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