Migration West>Ostrom

julblom

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Hallo zusammen,

mir stellte sich vehement die Frage, vielleicht auch aufgrund aktueller
Themen, wie es zur Zeit des Verfalls/Untergangs der Weströmisches
Reiches mit anhaltender, starker Migration durch Weströmische Bevölkerungsteile stand. Also Militär/Verwaltung/Zivilisten, gab es im Oströmischen Reich eine spürbare Fluchtbewegung der ,,Weströmer"?

Das italische Kernland wurde ja erst quasi durch die Goten erobert,
Odoaker hat man mit seinen germanischen Truppen ggf. noch als römischen Militär und Herrschen/Rex wahrgenommen?

Ich habe letztens in ,,römische Militärgeschichte", von Marcel Frederik Schwarze gelesen, das ganze Einheiten weiterhin, auch nach dem Zerfall des Weströmischen Reiches und ganz klar diesem eigentlich zugehörten (nach der https://de.wikipedia.org/wiki/Notitia_dignitatum)
weiterhin im Osten namentlich auftauchen 5/6 Jahrhundert.

Das es Einzelfälle von Migration römischer Bürgern gab ist mir klar.
Und im Kontext der Frage, veränderte die starke Lateinische Migration
(eine gewisse Migration gab es ja immer im römischen Reich)
den griechisch geprägten Osten, z.B. kulturell wie auch sprachlich?

Vielleicht erklärt dies auch, dass das Lateinische so lange Amtssprache geblieben ist im Osten?

Der weströmische Senat blieb ja bis zur Eroberung Italiens durch Justinian intakt, was ja wieder eher dafür spricht, dass die reiche, gebildete Bevölkerung Italiens im ,,Land" verblieb.. ?

Eine Flucht von Afrika nach Italien, nach der Eroberung durch die Vandalen
fand ja wohl auch nachweislich statt, wie auch von Gallien nach Italien.

Würde mich über weitere Gedanken oder Informationen zu dem Thema freuen :winke:

Es handelt sich nicht um eine Hausarbeit oder dergleichen, sondern die Fragestellung beschäftigt mich rein Privat.
 
Ich hab extra für dich meine Zeitmaschine angeworfen und einen jungen Römer in Neapel 477 befragt:

"Was soll sich für uns Römer schon groß geändert haben? Wir hatten es immer mit unseren lokalen Magistraten und Großgrundbesitzern zu tun. Und daran änderte sich 476 wenig. Vielleicht ersetzte der ein oder andere Germane einen römischen Grundbesitzer. Aber das gabs vorher schon. Außerdem sah man den Eigentümer eh nie. Und der Vindelicus (Verwalter) blieb ohnehin der Gleiche. Die Stadträte in der nahen Stadt sind auch noch die Selben.

Wer das WRE regiert ist doch egal. Die Herren haben sich hier vor Ort eh nie blicken lassen. Nicht einmal in Rom sollen sie gewesen sein. In Ravenna hat es wohl Kaiser gegeben. Aber meist kamen die Verordnungen von den hohen Beamten. Darunter waren schon immer Germanen und andere Ausländer. Zumindest so lange man sich erinnern kann. Eigentlich regierte ja immer der Magister Militum. Meist ein Ausländer. Jetzt gibt es keinen Kaiser mehr. Auch gut. Der hatte doch eh Nix zu melden. War der letzte nicht ein Kind?

Ja da gibt es noch den eigentlichen Kaiser in Konstantinopel. Aber der ist weit weg. Offiziell ist er wohl der Oberkaiser. Dem hat auch noch nie Wer widersprochen. Auch nicht die neuen germanischen Herrscher. Aber gekümmert hat es auch Niemanden. Schon gar nicht hier, in der italienischen Provinz. Odoaker ist doch Patricius und Statthalter des Kaisers in Konstantinopel. Er arbeitet mit dem römischen Senat zusammen. Und zwei neue Konsul gabs dieses Jahr auch wieder. Also Alles in bester Ordnung.

Es heisst, daß einige Gegner von Odoaker hingerichtet wurden oder sich vom Acker gemacht hätten. Ein ganz normaler Machtwechsel also. Dieses Mal war es aber weniger dramatisch. Die Germanen brauchen uns Römer, damit hier überhaupt noch was läuft im römischen Reich.

Wie? Das römische Reich ist untergegangen? Wo hast du denn den Blödsinn gehört?"
 
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Das es Einzelfälle von Migration römischer Bürgern gab ist mir klar.
Und im Kontext der Frage, veränderte die starke Lateinische Migration
(eine gewisse Migration gab es ja immer im römischen Reich)
den griechisch geprägten Osten, z.B. kulturell wie auch sprachlich?

Nach dem Zusammenbruch der römischen Grenzen in Germanien und Britannien im 5. Jh. gab es einen Exodus römischer Truppen und ziviler römischer Beamter. In Italien selbst gab es einen Bevölkerungsrückgang, einige Regionen sollen sogar nach dem Einbruch der Westgoten, den Bürgerkriegen unter den letzten Kaisern und durch die Truppen Odoakers und später der Ostgoten entvölkert gewesen sein. Dass das einen spürbaren Einfluss auf Ostrom hatte, ist mir nicht bekannt. Peter Heather sagt dazu:

"Die archäologischen Felduntersuchungen der letzten 20 Jahre haben bestätigt, dass die im 4. Jh. blühende Landwirtschaft in den Kernprovinzen des Ostens - Kleinasien, im Vorderen Orient und in Ägypten - während des 5, Jahrhunderts keine Anzeichen des Niedergangs zeigte. Daher hat man argumentiert, das Ostreich habe also die nötigen Voraussetziungen besessen, wirksam im Westen einzugreifen, dennoch habe es sich dagegen entschieden." [1]

Bis zur Mitte des 5. Jh. war die Fähigkeit Ostroms, dem Westen zu helfen, dadurch eingeschränkt, dass es die Hauptlast der Hunnenangriffe zu tragen hatte. Ferner waren wegen der Perser Truppen an der vorderasiatischen Ostgrenze gebunden. Justinian hat dann vergeblich eine Restitution des Imperium Romanum versucht.

Was die Romanen in den verschiedenen weströmischen Provinzen betrfft, so kehrten viele - wie oben bereits gesagt - in ihre Heimatländer zurück. Die römischen Truppen lösten sich auf, sobald die Soldzahlungen ausblieben. Ein Teil der Römer blieb allerdings und verschmolz im Lauf der Zeit mit der altansässigen Bevölkerung. Zuweilen setzten sich dabei romanische Sprachen wie in Spanien oder Gallien durch, zuweilen musste die romanische Restbevölkerung einen Sprachwechsel wie in Britannien oder Germanien vollziehen.

An der Mosel hielt sich bis ins 11. Jh. eine romanische Restbevölkerung, die Moselromanisch sprach. Auch in Bayern sind romanische Bevölkerungsreste noch bis ins 7. Jh. nachweisbar.

[1] Peter Heather, Der Untergang des Römischen Weltreichs, Stuttgart 2007, S. 443
 
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Wenn also ein großer Teil des Kernlandes des ehemaligen Weströmischen Reiches verwüstet war, wieso sollte es nicht auch zu einer starken Migrationsbewegung von West nach Ost gekommen sein?

Es spricht ja auch dafür, dass ganze Landstriche entvölkert waren,
klar es könnte sein, das die Menschen verhungert sind, im Krieg gefallen oder versklavt wurden, ggf. hat man auch den Weg in den Osten des Reiches gewagt?

Die Kunde von den nahenden Goten wird sich ja bestimmt auch verbreitet haben..?
@Dieter und Agricola, schon mal danke für die Infos
 
Wenn also ein großer Teil des Kernlandes des ehemaligen Weströmischen Reiches verwüstet war, wieso sollte es nicht auch zu einer starken Migrationsbewegung von West nach Ost gekommen sein?

Von einer größeren Migrationswelle aus Italien ins Oströmische Reich ist mir nichts bekannt. Allerdings habe ich auch keinen Einblick in diesbezügliche Spezialliteratur. Wie stets blieb die bäuerliche Bevölkerung vermutlich am Ort und erduldete die wechselnden Herren. Denn eins ist klar: Auf die Arbeit der Bauern waren fremde Heere und Herren angewiesen, wollten sie nicht verhungern.

Möglicherweise setzten sich Großgrundbesitzer und wohlhabende Eliten ins Oströmische Reich ab, aber die Masse der Bevölkerung blieb.
 
Eine Abwanderung der Bevölkerung als ganzes, kann ausgeschlossen werden. Es gab eine kontinuierliche Abwanderung.
Die Bevölkerungsdichte im östlichen Mittelmeerraum war immer höher als im Westen. Selbst ein starker Zustrom aus dem Westen war gegen die dort bereits vorhandende Bevölkerung nur ein Senfkorn.

Die Abwanderung der Landbevölkerung wurde teilweise durch das spätantike Kolonat verhindert. Es handelt sich um den Vorläufer der mittelalterlichen Leibeigenschaft. Die Bauern waren somit fest an ihre Scholle gebunden und die Abwanderung war ihnen verboten.
Die Ursachen für die Entrechtung der Bauern sind umstritten. Es wird angenommen, dies sei der Versuch gewesen der Landflucht einen Riegel vorzuschieben.
Der Bevölkerungsrückgang in Gallien konnte dadurch allerdings nicht verhindert werden.
 
Mir ist Nichts bekannt über Abwanderungen.

Ganz im Gegenteil! Die Elite in Hispania oder Gallia arrangierte sich prächtig mit den neuen Herrschern. Denn die hatten keine Ahnung, wie man so ein großes Land regiert. Nicht umsonst wird in Spanien und Frankreich heute romanisch gesprochen! Die Franken in Gallien und Westgoten in Spanien waren sicher nicht zimperlich, aber sie waren sicher auch keine Alles vernichtenden Barbaren. Was man vielleicht(?) den Hunnen nachsagen kann.

Da mag es Einige furchtsame Eliten gegeben haben, aber keine Migration der Massen. Zentralgallien wurde ja noch lange von Römern (Syagrius) gehalten. Der kleine Mann war eh an die Scholle gebunden und es war ihm egal, wer da in der Villa seine Sommerfrische verbringt und seine Steuern einziehen lässt.

Die Massen hatten doch eh keine Mittel zu fliehen. Wenn der Landeigener weg war tauchte Irgendwann ein Neuer auf. Und das Leben ging weiter.

In Africa gab es wohl massive Fluchtbewegeungen nach Italien. Aber meines Wissens war das nur die zahlenmässig relativ kleine Elite, die es sich leisten konnte. Die Furcht vor den Vandalen war wohl groß. Nach Allem was wir wissen aber unbegründet. Auch sie brauchten kompetente Römer, um zu regieren. Und in Africa wurden die Vandalen ihrem Ruf wohl eher nicht gerecht.

Also ich kann nicht sehen, daß sich da Millionen bewegten, wie heute. Dem kleinen Mann (80%+) war es vollkommen egal, Wer da grad seine Steuern bekommt, solange Alles ruhig und beim Alten blieb. Und den aktuellen Herrschern war es vollkommen egal, wer da auf seinen Feldern arbeitet. Solange nur Alles ruhig war und die Kasse stimmte.

200 Jahre später eroberten die Araber Ägypten. Sie brachten den bislang verfolgten christlichen Sekten nicht nur Religionsfreiheit, sondern senkten auch noch die Steuern. Und dann hatte diese neue schräge "christliche Sekte" auch noch den gleichen Gott. Herz, was willst du mehr?
 
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... einige Regionen sollen sogar nach dem Einbruch der Westgoten, den Bürgerkriegen unter den letzten Kaisern und durch die Truppen Odoakers und später der Ostgoten entvölkert gewesen sein.
Die Entvölkerung etwa Kampaniens hatte aber in erster Linie eine ganz andere Ursache: Malaria. Man möge sich davor hüten, Bevölkerungsrückgänge immer mit einer blutrünstigen Soldateska zu erklären.
 
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Wenn also ein großer Teil des Kernlandes des ehemaligen Weströmischen Reiches verwüstet war, wieso sollte es nicht auch zu einer starken Migrationsbewegung von West nach Ost gekommen sein?
Ganz einfach: weil sich ihre Situation im Osten um keinen Deut verbessert hätte. Das dürfte damals selbst der dümmste Bauer begriffen haben.
 
Die Entvölkerung etwa Kampaniens hatte aber in erster Linie eine ganz andere Ursache: Malaria. Man möge sich davor hüten, Bevölkerungsrückgänge immer mit einer blutrünstigen Soldateska zu erklären.
langsam...
nachweislich hat der langjährige Gotenkrieg in Italien zu einem spürbaren Bevölkerungsrückgang geführt (Hungersnöte, geringe Ernten wegen weitflächig zerstörter Anbaugebiete etc.) vgl. H. Wolfram, die Goten
 
Die Entvölkerung etwa Kampaniens hatte aber in erster Linie eine ganz andere Ursache: Malaria. Man möge sich davor hüten, Bevölkerungsrückgänge immer mit einer blutrünstigen Soldateska zu erklären.

langsam...
nachweislich hat der langjährige Gotenkrieg in Italien zu einem spürbaren Bevölkerungsrückgang geführt (Hungersnöte, geringe Ernten wegen weitflächig zerstörter Anbaugebiete etc.) vgl. H. Wolfram, die Goten

Es gab in der Zeit auch noch die sogenannte Justinianische Pest, eine Pandemie, die weite Teile des Mittelmeerraumes betraf. Desweiteren gab es gewisse Klimaänderungen, die länger andauerten. Die Vermutungen gehen dahin, dass ein Vulkanausbruch und die dadurch ausgelösten Aschewolken global das Klima zeitweilig beeinflußten.

Der Bevölkerungsrückgang hatte sicherlich mehrere Ursachen.
 
In Africa gab es wohl massive Fluchtbewegeungen nach Italien. Aber meines Wissens war das nur die zahlenmässig relativ kleine Elite, die es sich leisten konnte. Die Furcht vor den Vandalen war wohl groß. Nach Allem was wir wissen aber unbegründet. Auch sie brauchten kompetente Römer, um zu regieren. Und in Africa wurden die Vandalen ihrem Ruf wohl eher nicht gerecht.
Was wir mindestens wissen, ist, dass die Katholiken im Vandalenreich zeitweise unterdrückt wurden. Der arrianische Bischof Cyrila verweigerte sich einem interkonfessionellen Dialog mit den Worten Nescio latinae - ich kann kein Latein. Allerdings sind unsere Quellen diesbezgl. recht stark katholisch gefärbt.

Eine Massenabwanderung ist mir tatsächlich bekannt: Und zwar die der romanischsprachigen Bevölkerung aus dem Donautal zwischen Passau hin nach Osten unter dem Druck von Herulern und anderen Stämmen nach Italien. Diese Massenabwanderung ist in der Vita Sancti Severini von Eugippiusüberliefert. Auch wenn dieser in Teilen übertrieben haben mag.
 
Es gab in der Zeit auch noch die sogenannte Justinianische Pest, eine Pandemie, die weite Teile des Mittelmeerraumes betraf.
dazu ein paar Daten:
542 bricht die von Süden gekommene Pest in Byzanz aus
543 erreicht sie Italien & Gallien
544 proklamiert Justinian das Ende der Pestwelle
557 flammt die Pest wieder auf
570 dito
dann unregelmäßig in Abständen von 10-20 Jahren bis 8. Jh. (die verheerendste Pestwelle soll 746-48 gewesen sein)

parallel die Ereignisse der Gotenkriege in Italien:
540 Belisar "erobert" Ravenna, die letzte Zuflucht des von Byzanz als Usurpator bekriegten got. Königs Witichis; Witichis samt der Tochter der letzten legitimen Gotenkönigin wird nach Byzanz gebracht. Ende des 1. Gotenkriegs. Belisar wird abberufen nach Byzanz (Verdacht des Hochverrats)
541 got. Aufstände etc. Der got. Adel samt seiner Truppen sucht sich einen Anführer / Heerkönig: erst (h)ildebad, dann Erarich, zuletzt wird Anfang 542 Totila (Baduila) König der Ostgoten. Und dieser beginnt einen erstaunlichen Siegeslauf: Neapel, sogar Rom wird erobert und damit wieder ostgotisch. Unterdessen sind die byz. Truppen wegen der Perserkriege gebunden, zugleich schwächt die Pest die oströmischen Gebiete. Totila samt seinen Truppen scheint die italienische Pestwelle 543 nicht sonderlich geschadet zu haben
544 Belisar wieder in Italien, allerdings mit zu geringer Truppenstärke - dennoch oder gerade deshalb (gleich"starke" Gegner) wird der (nun 2.) Gotenkrieg immer krasser und brutaler (was sich nun deutlich auf die Bevölkerung auswirkt)
547 Belisar erobert Rom
549 Rückeroberung Roms durch Totila
Die blutigen Kämpfe des zweiten Gotenkrieges führten dazu, dass die Stadt, die die Angriffe der Westgoten und Vandalen im 5. Jahrhundert noch einigermaßen unbeschadet überstanden hatte und 535 immer noch etwa 100.000 Einwohner gezählt hatte, nunmehr fast entvölkert und in ein Ruinenfeld verwandelt wurde. Totila soll sogar die völlige Zerstörung Roms geplant haben und erst im letzten Moment davon abgebracht worden sein.
aus https://de.wikipedia.org/wiki/Gotenkrieg_(535%E2%80%93554)#Zweiter_Gotenkrieg_.28541.E2.80.93550.29
550/51 Perserkrieg flaut vorübergehend ab, hierdurch werden byz. Truppen für den Gotenkrieg frei
551 beginnt Narses die Rückeroberung Italiens mit starkem Truppenkontingent; die Ostgoten unter Totila haben dem nicht viel entgegenzusetzen:
552 werden die ostgot. Truppen vernichtend geschlagen (busta gallorum), König Totila erliegt seinen Verletzungen
Kurz darauf vernichtende Niederlage von Teja (Totilas Nachfolger)
554 alemann.-fränk. und restgotische Truppen werden vernichtet
554 Justinian proklamiert die sanctio pragmatica pro petitione Vegilii
555 die Festungsstadt Salerno mit ihren got. Truppen kapituliert

Fazit: mag die Pest auch gewütet haben, so scheint sich die Kriegsführung davon nicht sonderlich beeindrucken zu lassen... man kämpfte vehement trotz oder unbeschadet von der Pest.

Desweiteren gab es gewisse Klimaänderungen, die länger andauerten.
du meinst damit die https://de.wikipedia.org/wiki/Wetteranomalie_von_535/536
ich weiß nicht, inwiefern sich die klimabedingten Missernten 535-36 auf den Jahre später ausbrechenden zweiten Gotenkrieg ausgewirkt haben - Tatsache ist, dass die verheerende Kriegsführung gegen Totilas ostgotische Truppen trotz Klima und Pest stattgefunden hatten.

Der Bevölkerungsrückgang hatte sicherlich mehrere Ursachen.
Davon muss man wohl ausgehen. Und auch davon, dass regional mal mehr die eine (Pest), mal mehr die andere (ausgeweiteter Vernichtungskrieg*)) oder eine dritte (Missernten infolge Klimaschwankungen) Ursache stärker wirkte.
Für Italien in der Mitte des 6. Jhs. dürfte der byz. Vernichtungskrieg gegen die Ostgoten in Sachen Bevölkerungsrückgang mindestens so schwerwiegend wie die Folgen der Pestwellen dieser Zeit gewesen sein - immerhin markiert das Ende der Gotenkriege zugleich das Ende der antiken Kultur auf der Appeninhalbinsel. Dort gelang es Byzanz von 552 bis 568 nicht, wieder blühende Landschaften zu rekreieren - das immer noch geschwächte Land konnte von den Langobarden teilweise erobert (und weiter ruiniert) werden.

***

Allerdings reduziert sich die Spätantike / Völkerwanderungszeit / Barbarenepoche nicht auf die italischen Gotenkriege. Migrationsbewegungen und sogar "Umsiedlungen" hat es in diesen rund 3-400 Jahren einige gegeben:
- die Umsiedlung der Burgunden
- die Migration der romanisierten Briten in die Bretagne (daher der Name)
die Abwanderung vieler (nicht aller!) Romanen aus Dacien
- ganz zu schweigen von den diversen, mal vom (ost)röm. Kaiser befohlenen, mal gegen diesen durchgesetzten Ansiedlungen diverser barbarischer Truppen samt Anhang (man denke nur an die vielen "Siedlungsplätze" des west- und ostgot. exercitus)

Völlig verfehlt allerdings wäre ein fiktives Szenario a la oh Mist, da kommen fellbehangene und knoblauchverströmende Barbaren mit ranziger Butter im Bart, die hier alles plattmachen, Himmel auch, wo ist der nächste Schlepper, der mich, meine Familie, meine Sklaven für ein paar Sesterzen in die sicheren oströmischen Gefilde kutschiert? :autsch::D Wie schon zuvor geschrieben wurde, traten etliche "Eroberer" weströmischer Gebiete zunächst als quasi legitimierte Truppen & Militäreliten in römisch-kaiserlichem Dienst auf. Und die adelige Oberschicht dieser Militärs suchte durchaus den Anschluß an die herrschenden Schichten im west- wie oströmischen Reich (interessant hierzu ein Aufsatz von Demandt über die Verwandtschaftsbeziehungen barbarischer Heerführer mit der römischen Militäraristokratie) Für die weströmische Oberschicht (Senatoren, Ritterstand, Kurialen) waren solcherlei gotische, burgundische, fränkische, skirische, herulische, (gelegentlich auch) hunnische und noch viele weitere Truppen samt ihrem Anhang schlichtweg "das Militär", der Ersatz der ehemaligen Legionen (von denen es im kriselnden weström. Reichsteil immer weniger gab, weshalb man ja hereindrängende Barbarenkontingente militärisch instrumentalisierte und legitimierte). Die senatorische Oberschicht, reich begütert in allen Reichsteilen, hatte kaum Probleme, sich auf ihre oströmischen Besitzungen/Güter zurückzuziehen**) (schlimmstenfalls gehörte dann die vormals eigene Villa in Rom einem gotischen Haudegen) - nahezu alle anderen Bevölkerungsteile (ausgenommen aktive Militärs) waren nicht derart mobil. Es gab also nur Fluchtbewegungen, wo die Lebensumstände unhaltbar wurden, und seltene Umsiedlungen. Kein Wunder: zwar gab es allerorten und von allen Seiten Rückkäufe gefangener Bevölkerungsteile (darüber verhandelten die Hunnen oftmals mit dem oströmischen Kaiser), aber es gab im heutigen Sinne kein "Asylrecht".

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*) ein solcher war spätestens der zweite (ost)Gotenkrieg
**) allerdings kam das nahezu nicht vor: die Senatoren blieben überwiegend, wo sie waren (was ein Zeichen dafür ist, dass sie die Barbarenmilitärs für ein vorübergehendes Übel, für eine Art Reichskrise hielten) - sonst hätte es bei Odoakar und Theoderich ja keinen Symmachus und Boethius und Cassiodor gegeben; und wo die Macht der Senatorenfamilien am schwinden war, wie im merowingischen und westgotischen Gebiet, da stellten diese die Bischöfe (vgl. Gregor von Tours) Das ist erstaunlich: reich genug waren die (stadt)römischen Senatoren, um in Italien alles hin zu schmeissen und ihr Otium an der sicheren Schwarzmeerküste (in der heutigen Türkei) in schönen Villen genießen zu können.
 
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Fluchtbewegung/Asyl

Es gab also nur Fluchtbewegungen, wo die Lebensumstände unhaltbar wurden, und seltene Umsiedlungen. Kein Wunder: zwar gab es allerorten und von allen Seiten Rückkäufe gefangener Bevölkerungsteile (darüber verhandelten die Hunnen oftmals mit dem oströmischen Kaiser), aber es gab im heutigen Sinne kein "Asylrecht".


Sehr ausführlich, danke. :yes:

Dadurch das alle ,,freien" Bürger des römischen Reiches,
das Bürgerrecht erhielten, sollte man wohl davon ausgehen, dass man als römischer Bürger in einem offiziell nie geteilten Römischen Reich, kein Asyl innerhalb der eigenen Grenzen beantragen musste.

:grübel:

,,Im Lauf der römischen Kaiserzeit erhielten immer mehr Personen und Personengruppen das römische Bürgerrecht (s. o.), bis es durch die Constitutio Antoniniana des Jahres 212 n. Chr. fast allen freien Reichsbewohnern verliehen wurde und in der Folgezeit als soziales und rechtliches Merkmal der Abgrenzung weitgehend seine Bedeutung verlor" (Wiki)
 
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Es gab also nur Fluchtbewegungen, wo die Lebensumstände unhaltbar wurden, und seltene Umsiedlungen. Kein Wunder: zwar gab es allerorten und von allen Seiten Rückkäufe gefangener Bevölkerungsteile (darüber verhandelten die Hunnen oftmals mit dem oströmischen Kaiser), aber es gab im heutigen Sinne kein "Asylrecht".

Ich habe hier noch einmal in der einschlägigen Literatur geblättert. Von Fluchtbewegungen der Bevölkerung im Weströmischen Reich ist da nichts zu lesen - einmal abgesehen von den aufgegebenen Grenzabschnitten besonders im Rhein- Donaugebiet. Dort zogen sich die römischen Militärs, Beamten und Gutsbesitzer zurück, wobei nicht immer klar ist, in welche Regionen.

Die breite Schicht der bäuerlichen Bevölkerung blieb an Ort und Stelle. Wohin hätte sie auch gehen sollen? Wenn von einem partiellen Bevölkerungsrückgang die Rede ist, so wird das auf wiederholte Pestepidemien, Missernten und kriegerische Einwirkungen durch plündernde germanische Haufen der Ost- und Westgoten, der Wandalen sowie Räuberbanden wie der Bagauden in Gallien und Spanien zurückgeführt.

In den germanischen Reichen der Völkerwanderung wechselte die bäuerliche Bevölkerung lediglich den Besitzer, während Abgaben und Frondienste meist unverändert blieben. Da die alte römische Herrenschicht nach dem System der Hospitalitas ein Drittel des Landes an die neue germanische Kriegerschicht abtreten musste, hatte die ansässige Bevölkerung in der Regel sowohl römische als auch germanische Herren. Da sich die alten Eliten meist mit den neuen verständigten, gab es für die abhängigen Bauern keinen Grund zur Flucht.

Der gallo-römische Senatsadel südlich der Loire blieb auch nach dem Untergang Westroms weitgehend unangetastet. Er herrschte über riesige Ländereien und unterstützte die merowingischen Könige im kirchkichen Bereich, wo er die meisten Bischöfe stellte, sowie in der Administration, sodass die staatliche Verwaltungsmaschinerie einigermaßen reibungslos weiterlaufen konnte.

Nach Osten bzw. Byzanz war ohnehin der Weg versperrt, denn gerade der Balkan war aufgrund plündernder und brandschatzender westgotischer Haufen sowie Vorstößen römischer Truppen völlig verheert.
 
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Vielleicht sollte man auch auf die Siedlungsarchäologie und die Schlussfolgerungen für die Populationshistorie zB in den oströmischen Kerngebieten schauen.

Bezogen auf den Südbalkan/Anatolien/Levante/Ägypten gehen die Schätzungen von etwa 19 Mio um 250 auf 16 Mio um 450, dann vor den Epidemien von einem erneuten Anstieg aus (19 Mio). Es gibt auch vereinzelte höhere Schätzungen, aber mit ähnlichem Verlauf der Entwicklung. 450/550 wird ein Anstieg der Population in den größeren Städten, wichtiger noch aber ein massiver Anstieg kleinerer Siedlungen angenommen.

Die Frage ist, wieweit das auf Migrationen zurückzuführen ist, und wenn, woher die stammen (etwa auch aus übrigen Balkangebieten, aus den östlichen Teilen etc.).
 
Bezogen auf den Südbalkan/Anatolien/Levante/Ägypten gehen die Schätzungen von etwa 19 Mio um 250 auf 16 Mio um 450, dann vor den Epidemien von einem erneuten Anstieg aus (19 Mio). Es gibt auch vereinzelte höhere Schätzungen, aber mit ähnlichem Verlauf der Entwicklung. 450/550 wird ein Anstieg der Population in den größeren Städten, wichtiger noch aber ein massiver Anstieg kleinerer Siedlungen angenommen.

Die Frage ist, wieweit das auf Migrationen zurückzuführen ist, und wenn, woher die stammen (etwa auch aus übrigen Balkangebieten, aus den östlichen Teilen etc.).
also trotz Ausgliederung etlicher Beiträge nochmal, denn es gehört dazu (Südbalkan)
450-550 angenommener Bevölkerungsanstieg auf oström. Territorium ohne jegliche nachweisbare Fluchtemigration weströmischer Bevölkerungsteile (kein Wunder, eine solche Fluchtbewegung in diesem Zeitraum ist fiktiv, es gab sie nicht (bestenfalls marginal ein paar Oberschichtler, die ohnedies längst Landgüter im oström. Gebiet besaßen))
541 Pest in Ägypten (oström. Provinz)
542 Pest in Konstantinopel
543 Pest in Italien und Gallien
552 Narses vernichtende Siege über die Ostgoten
553/554 Prokops Bella fertiggestellt
558 byz. Vertrag mit den Avaren (Tributzahlungen an diese!)

In Prokops Bella findet sich eine erste umfangreichere Erwähnung der Anten und Sclavenen (Slawen). Diese taucht im Zusammenhang mit der letzten Phase des Gotenkriegs auf. Mitte des 6. Jhs. sind also Slawen auf dem Südbalkan aufgetaucht/eingesickert. https://de.wikipedia.org/wiki/Slawen#Ausbreitung_der_heutigen_S.C3.BCdslawen

Bevölkerungsverschiebungen hat es doch etliche im 5.-6. Jh. gegeben, die Expansion der Hunnen löste eine Lawine aus. Die zahlreichen Quellen zur römischen und (früh)oströmischen Geschichte listen genügend davon aus (Ansiedlung gotischer Bevölkerungsteile in oström. Balkanprovinzen, Kleingoten u.v.a) Und kaum dass diese Wirren sich entflochten hatten, musste Ostrom schon zu Tributzahlungen an die Avaren greifen, um die Ostgrenzen halbwegs halten zu können: der awarische Druck muss also schon vorher begonnen haben, denn plötzlich hic et nunc zahlt kein oströmischer Kaiser Tribute an Barbaren außerhalb des Reichsterritoriums.

Hierbei kann in diesem Zeitraum (Hunnensturm - Gotenkriege - erste Pestwelle - erster Awarenvertrag) nicht von einer permanent gehaltenen Nord- und Ostgrenze des oströmischen Territoriums die Rede sein! Zahlreiche Provinzen bzw. Provinzteile mussten zeitweilig aufgegeben werden, waren infolge von Kriegswirren nahezu entvölkert, auch wenn nominell der Kaiser sie als seinen Herrschaftsbereich betrachtete. Aber tatsächlich änderten sich die Herrschaftsverhältnisse alle Nase lang. Insofern ist es schwer, für diesen Zeitraum ein Gebiet samt Bevölkerung festzulegen.

Der langen Rede kurzer Sinn: einen Anteil am erwähnten Bevölkerungsanstieg auf dem Balkan haben die nachweislich im zweiten Drittel des 6. Jhs. genau dort einsickernden Slawen. Diese tauchten im Kontext mit dem Druck auf die Ostgrenzen auf und besiedelten dezentral mal kriegerisch mal friedlich bevölkerungsarme (siehe Kriegswirren) ehemalige Provinzteile sowie seinerzeit aktuelle Gebiete des oström. Territoriums. Wo das friedlich ablief (Ansiedlung, einsickern), war das willkommen: die Spätantike und das Frühmittelalter kannte das Problem der "demografischen Armut" (damit ist arm an Bevölkerung gemeint, vgl. Demandt) und hatte überall daran Interesse, dass brachliegende Gebiete wieder besiedelt und bewirtschaftet werden. Die weitere Geschichte der Slawisierung auf dem Balkan ist dann Sache der byz. Geschichte des 7.-9./10. Jhs.
 
Es ist doch schon immer so gewesen das Menschen ausgewandert sind und neue sind zugewandert. Das ist heute nix anderes auch die Gründe sind doch ähnlich ob es jetzt Hunger, Krieg oder einfach das interesse nach was neuem ist.
 
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