Menschenopfer auf Kreta und Griechenland?

Tut mir leid, daß ich darauf rumreite, aber die Aussage, Menschenopfer auf Kreta seien unbekannt, der Fund von Anemospilia sei eine Ausnahme, ist logisch in sich falsch.

Ich kenne keinen anderen archäologischen Fund, der in der Deutlichkeit auf ein gerade stattgefundenes oder stattfindendes Opfer hindeutet. Es gab also wohl zumindest ein Menschenopfer auf Kreta.

Ob das das einzige jemals vollzogene Menschenopfer war oder noch mehr Personen selten oder regelmäßig geopfert wurden, kann man einfach nicht beantworten.
 
... aber die Aussage, Menschenopfer auf Kreta seien unbekannt, der Fund von Anemospilia sei eine Ausnahme, ist logisch in sich falsch.
Ich kenne keinen anderen archäologischen Fund, der in der Deutlichkeit auf ein gerade stattgefundenes oder stattfindendes Opfer hindeutet.
Genau diese "Deutlichkeit" wurde von mir bereits erheblich in Frage gestellt und ich möchte mich mit meinen dargelegten Argumenten nur sehr ungern wiederholen.
Mir geht es dabei keineswegs um eine "Verteidigung der minoischen Kultur", wie Du mir bereits unterstellt hast, sondern lediglich um eine Richtigstellung von (meiner Meinung nach) falsch gezogenen Schlüssen aus archäologischen Funden. @El Quichote und @Dieter hatten ja bereits darauf hingewiesen, dass man mit solchen Interpretationen besser nicht allzu voreilig sein sollte.

Dieter: schrieb:
Wir können das Thema aber noch einige Male hin- und herwenden!
Ja, das könnten wir. Aber ob uns das neue Erkenntnisse bringt, das wage ich zu bezweifeln. :grübel:

Vielleicht könnten wir diesen "Historikerstreit" mit der Aussage beschließen, dass es auf Kreta zwar Menschenopfer gegeben hat (was ja auch die Überschrift dieses Threads ist), aber dass sie eben nicht Bestandteil der minoischen Kultur waren. Jede andere Deutung wäre wirklich nur Kaffeesatzleserei.
Somit hätte jeder von uns ein bisschen recht und keiner würde dabei "sein Gesicht verlieren". Schließlich bestand Kreta nicht nur aus der minoischen Kultur. Da gab es noch viel mehr.

Na, was ist? Wäre eine solche Formulierung eine akzeptable Lösung? :trost:
 
Ich habe mit dem größten Interesse die Diskussion verfolgt. Doch egal, wie man solch grausame Vorkommnisse interpretiert: Wenn man einen Mord aufklären will, sollte man sich doch bitte auch einmal der Leiche zuwenden. Der junge Mann von Anemospilia, gefesselt auf einem steinernen Altar, wurde durch einen gezielten Schnitt in den Hals getötet. Sein Blut wurde in einem Gefäß aufgefangen, wahrscheinlich, um es den Göttern darzubringen. Ich wüsste nicht, warum die Minoer auch so viel "besser" als die Griechen gewesen sein sollten, die ebenfalls Menschenopfer in Notzeiten für einen Ausweg hielten. Und ist man es dem Opfer auf dem Altar nicht schuldig, die Wahrheit schonungslos beim Namen zu nennen? In einem Roman sollte man solche Themen aufgreifen, nicht, um die Menschen zu verurteilen, sondern um ein inneres Verständnis für ihre völlig verzweifelte Lage aufzubringen, in die sie die Naturereignisse gestürzt haben müssen. Ob tatsächlich in einem Buch jedes Detail realitätsgetreu wiedergegeben wird, kann nicht dieselbe Bedeutung haben wie das "Warum" der entsetzlichen Tat. Was geschah wirklich in jenen Wochen oder Monaten, als der Vulkan auf der Nachbarinsel ausbrach, sich der Himmel verdunkelte, es zu Erdbeben, Überflutungen, heißen Aschestürmen, schwefelhaltigen Regenfällen kam, auf dem nahegelegenen Kreta, das die Menschen in diese Not gebracht hat? Urteilen sollte man nicht, solange man sich über diese Frage keine Gedanken gemacht hat! Die Frage: "Gab es Tomaten auf Thera" ist doch dagegen eher zweitrangig..."
 
Im Video ist u.a. die Rede davon, dass im 16. Jahrhundert dem Zeus Tiere geopfert worden seien. Nach meinen beschränkten Kenntnissen über die Antike müsste diese Epoche noch in der minoischen Zeit liegen. Deshalb meine Frage: Woher weiss man, dass bereits die Minoier dem Zeus geopfert haben ? Oder ist das nur eine Annahme ?
Was weiss man denn konkret über die Götterwelt der minoischen Kultur ?
 
Der Berg Lykaion befindet sich nicht auf Kreta, sondern in Arkadien, also auf der Peloponnes. Für die mykenische Kultur ist Zeus zumindest vom Namen her belegt.
Ob es irgendwelche Belege gibt, dass auf dem Lykaion schon zu mykenischer Zeit dem Zeus geopfert wurde, weiß ich leider auch nicht.
 
Der Berg Lykaion befindet sich nicht auf Kreta, sondern in Arkadien, also auf der Peloponnes. Für die mykenische Kultur ist Zeus zumindest vom Namen her belegt.
Ob es irgendwelche Belege gibt, dass auf dem Lykaion schon zu mykenischer Zeit dem Zeus geopfert wurde, weiß ich leider auch nicht.

Merci für die Antwort. Da habe ich nicht aufgepasst. Ich dachte, es sei von Kreta die Rede. Dass die Mykener im 16. Jahrhundert Zeus geopfert haben, ist insofern durchaus naheliegend - insbesondere auch dann, wenn die Thesen, welche in Zeus eine indoeuropäische Gottheit sehen, stimmen sollten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Welcher Zeus? (könnte man dann fragen)

Im Fall von Lykaion wurde Zeus wohl als Regengottheit verehrt.
Die besondere Bedeutung für eine Agrarwirtschaft/Ernährung liegt auf der Hand. Mglw. stehen die "speziellen" Opfer im Kontext einer Dürreperiode oder als Erfahrung einer solchen erfolgten sie sozusagen "präventiv".
 
Ich kann zu diesem Thema keine neuen Erkenntnisse, sondern nur meine Gedanken beisteuern:
Es gibt - wie im Thread bereits gezeigt - belegte Beispiele für Menschenopfer in Notzeiten aus dem nicht-minoischen Griechenland, aus der römischen Republik - und wenn man noch weiter in die Gegenwart geht, findet man diesen Topos z.B. literarisch in Theodor Storms Schimmelreiter wieder. (Ich weiß Analogien sind nicht sonderlich beweiskräftig, aber ich will und kann auch nichts beweisen, sondern nur sagen, was ich nach Lesen dieses Threads denke, bzw mich was, warum frage.)
Warum sollte Anemospilia nicht als Beleg für ein Menschenopfer im minoischen Kreta herhalten können? Gibt es Funde aus dem minoischen Kreta, die die von Minotauros erwähnte "Zweitbestattungstheorie à la Hallstatt" untermauern könnten?
 
Warum sollte Anemospilia nicht als Beleg für ein Menschenopfer im minoischen Kreta herhalten können?

Dazu kann ich nur den französischen Archäologen Paul Faure zitieren:

Während die blutigen (Tier)opfer sehr gut bezeugt sind, denn es wurden auf den Altären Kälber, Stiere, Ziegen und Hirsche geopfert, findet man weder auf den Bildern noch auf den Ausgrabungsfeldern jemals eine Spur von Menschenopfern. Späte griechische Autoren berichten uns zwar, dass man einst in Lyktos dem Kronos Menschen opferte, jenem Titanen, der seine Kinder verschlang, um sie danach wieder zum Leben zu erwecken: aber handelt es sich hier nicht um eine Erfindung böswilliger Nachbarn oder vielmehr um einen Mythos, der ein Initiationsritual, d.h. das Ritual des symbolischen Todes, verkünden sollte?

(Paul Faure, Kreta, Stuttgart 1976, S. 376)
 
Mal eine Frage :
Können es nicht auch mal fließende Übergänge gewesen sein von Hinrichtungen oder auch, in Notzeiten, Kannibalismus zu rituellen Opferungen ?
Ich denke z.B. an die "geopferten" Römer nach der Varusschlacht. Das war bestimmt kein sehr spiritueller Vorgang.
 
Tatsache ist, dass jener Teenager sorgfältig begraben wurde, wenn auch der obere Teil des Schädels fehlt (der nicht nur post mortem, sondern auch Jahre später hätte entfernt werden können). So dient bislang einzig der Fundort des Grabes zur schauerlichen Annahme, während das Skelett laut The Guardian aus etwa 1000 AC stammt. Höchstens subminoisch also, sofern die Altersangabe stimmt.

Weiter heißt es: “According to legend, a young boy would be sacrificed with animals, before the human and animal meat was cooked and eaten.” Dass da ein Jugendlicher getötet, gekocht und gegessen worden sein könnte, wobei das Skelett unangetastet blieb und schließlich sorgsam zwischen ausgelegten Steinplatten begraben wurde, erfordert ein phantasievolles Puzzle, damit der Tod des Teenagers mit dem (früheren) Ruf des Ortes in Verbindung gebracht werden kann.
 
Das balösen von Fleisch verursacht Schnittspuren an den Knochen. Hat man solche, hat man ein Indiz für Kannibalismus (aber keinen zwingenden Beweis). Findet man solche Spuren dagegen nicht, kann man auch Ablöseprozesse und damit Kannibalismus ad acta legen.
 
Warum sollte Anemospilia nicht als Beleg für ein Menschenopfer im minoischen Kreta herhalten können?

Prof. Dennis D. Hughes zieht die Menschenopfer-These des Ausgräbers J. Sakellarakis in Zweifel.

D. D. Hughes, Human Sacrifice in Ancient Greece (London 1991) | Eirini Paizi - Academia.edu

Einige seiner Argumente:

1)
Es ist nicht erwiesen, dass das Gebäude, in dem das vermeintliche Ritualopfer gefunden wurde, ein Tempel ist, was Voraussetzung für den Vollzug eines Opferrituals wäre.

2)
Es ist nicht erwiesen, dass das Steingebilde, auf dem das vermeintliche Opfer gefunden wurde, ein Altar ist. Die kretische Ikonographie lässt darauf schließen, dass Altare für Stieropfer aus transportablen (Holz?-) Plattformen bestanden, die mit Beinen abgestützt waren. Da laut Ausgräber das in Rede stehende Gebäude hauptsächlich für Stieropfer verwendet wurde, müsste der Altar also anders beschaffen sein als die vorgefundene Vorrichtung. Vermutlich hatten Stieropfer ohnehin nur im Freien stattgefunden.

3)
Der in Rede stehende vermeintliche Opfer-Raum scheint wegen der Enge des zu ihm führenden Korridors für Stiere kaum zugänglich gewesen zu sein. Einen lebenden Stier dort hineinzubugsieren hätte einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert.

4)
Es ist nicht erwiesen, dass die auf dem vermeintlichen Opfer gefundene Waffe ein Opfermesser war. Es erinnert eher an einen Speer. Dass er auf der Gestalt lag, beweist nicht seine Ritualfunktion. Er könnte an einer Wand gelehnt haben und beim Erdbeben auf die Gestalt gefallen sein.

5)
Es ist nicht erwiesen, dass das vermeintliche Opfer gefesselt war. Dagegen spricht die ungleichmäßige Position seiner Füße und fehlende Fesselungsspuren an den Händen.
 
Zuletzt bearbeitet:
... fließende Übergänge ... Kannibalismus zu rituellen Opferungen?
... Schnittspuren an den Knochen ...

Der Hinweis auf fließende Übergänge ist sicher richtig, wohingegen mir die Technik (noch) unvertraut ist. Zur Breite des Anwendungsspektrums siehe jedenfalls auch Claude Levi-Strauss' berühmtes Neuguinea-Beispiel [1]:
Der Akt des Essens der Leiche von bestimmten nahen Verwandten war ein Mittel, um ihnen Zuneigung und Respekt zu demonstrieren. [!]
Fleisch, Eingeweide und Gehirne wurden gekocht; die Knochen wurden zermahlen und serviert mit Gemüse. Die Frauen waren verantwortlich für das Zerschneiden der Leichen und die anderen kulinarischen Operationen, und sie mochten diese makabren Mahlzeiten besonders.
[1] We are all cannibals and other essays. Neudruck Chichester 2016, S. 85 (erschienen in der Buchreihe "European Perspectives")
 
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