Diese Sicht auf politischen Mord entspricht sicherlich nicht dem, was man heute von einem Offizier angesichts der Demokratisierung von Deutschland nach 1945 erwarten sollte. (...)
An diesem Punkt ist deutlich mehr kritische historische Aufklärung gefordert, die m.E. und aus eigener Erfahrung, komplett vernachlässigt wird in der Bundeswehr.
Das ist sicher richtig, doch sind Zweifel angebracht, ob das Problem durch "kritische Aufklärung" so einfach aus der Welt geschafft werden kann. Die Faszination am Nationalsozialismus hat psychologisch tiefsitzende Gründe, an die eine verstandesorientierte Aufklärung kaum heranreicht. Die Frage stellt sich, wie diese Faszination in der dritten und vierten Generation nach dem 2. WK überhaupt entstehen kann. Eine entsprechende Disposition entsteht regulär in der Kindheit im familiären Umfeld, wobei dieses nicht unbedingt selbst nazistisch sein muss; oft verläuft die Genese auch so, dass das Umfeld ein politisch unspezifisches autoritär-gewaltbereites Klima aufweist und der dadurch geprägte Heranwachsende erst im Kontakt mit externen auslösenden Faktoren eine Faszination am Nationalsozialismus entwickelt. Was sind nun solche Faktoren? Das können Freunde sein, die den Heranwachsenden mit nationalsozialistischen Ideen infizieren, das können aber auch TV-Dokumentationen über das 3. Reich sein, deren Bilder - und wer kann es ernsthaft leugnen - auf junge und autoritär geprägte Gemüter eine Faszination ausüben können, der sie sich unbewusst nicht zu entziehen vermögen.
Für mich besteht kein Zweifel daran, dass die Flut von NS-Dokus den Nationalsozialismus in den Augen vieler Jugendlicher in gewisser Weise salonfähig macht und ihn faktisch entdämonisiert statt ihn zu dämonisieren, was doch, neben der Information, die eigentliche Intention dieser Produktionen ist (oder etwa nicht?). Dass die Nazis Millionen von Opfern auf dem Gewissen haben, weiß heute im wahrsten Sinne des Wortes "jedes Kind", eine Aufklärung darüber kann also kein hinreichendes Mittel für die Eindämmung des Neonazismus sein; eher trägt dieses Wissen (und die vielen visuell sehr expressiven Bilder in den Dokus) auf der unbewussten Ebene (und oft auch auf der bewussten) zur Faszination bei, die das 3. Reich auf viele Jugendliche ausübt. Wie gierig diese auf virtuellen Mord und Totschlag sind, weiß die Film- und Game-Industrie doch am besten, das ist ein Milliardengeschäft. Was können ethische Aufklärungskampagnen dagegen mehr sein als ein Tropfen auf den heißen Stein?
Ich will damit natürlich nicht einer Verdrängung des Themas in Form eines "Schlussstrichs" das Wort reden, aber dass vorgenannte Dinge eine Rolle bei der Entstehung des Problems spielen oder spielen können, ist nicht von der Hand zu weisen und sollte einmal gründlich bedacht werden.
Die diversen Hintergrundkontexte listet der Wiki-Artikel "Autoritäre Persönlichkeit" auf, worunter auch die Neigung zum Gehorsam bzw. zur Akzeptanz autoritärer Hierarchien zu verstehen ist:
Autoritäre Persönlichkeit – Wikipedia
- Aus psychoanalytischer Sicht bildet sich der autoritäre Charakter aus, wenn aggressiv-triebhafte und andere Bedürfnisse des Kindes durch elterliche Gehorsamkeitsforderungen zu stark unterdrückt und schließlich auf andere Menschen, sozial Schwächere oder Minderheiten gerichtet werden;
- aus soziologischer Sicht wird primär der Anpassungsdruck der repressiven gesellschaftlichen Bedingungen und hierarchischen Strukturen verantwortlich gemacht;
- aus sozialpsychologischer Sicht werden vor allem die von der Familie und anderen sozialen Bezugsgruppen übernommenen Denkmuster hervorgehoben, also Einstellungen und Vorurteile aufgrund des fehlenden oder falschen Wissens über andere Personengruppen;
- entwicklungspsychologisch bedingen Autoritätskonflikte in einer misslingenden Ablösung von den Eltern eine unzureichende Identitätsfindung und Selbständigkeit, so dass eine autoritär strukturierte Abhängigkeit fortbesteht;
- aus Sicht der differentiellen Psychologie ist das Zusammenwirken einer Verhaltensbereitschaft (Disposition) und einer „passenden“ Auslösesituation wichtig, um verständlich zu machen, dass autoritäres Verhalten sich nicht einheitlich zeigt, sondern von der individuellen Disposition und der jeweiligen Situation abhängt.
Zuletzt bearbeitet: