Natürlich schießt der Artikel (wir diskutierten bereits darüber) übers Ziel hinaus, weil er einiges unterstellt, was de facto nicht gegeben ist. Zunächst einmal war Schlüter der Vorgesetzte von Wilbers-Rost/Rost bis beschlossen wurde, dass in Kalkriese ein Museum errichtet würde und aus der Archäologie des Osnabrücker Landes ausgegliedert. Also quasi etwa von 1987 - 2001. Dann wird so getan, als würden alle in Kalkriese über jeden Einzelsachverhalt dieselbe Meinung haben. Das ist ja Quatsch. Dann bräuchte man dort kein Team von mehreren Archäologen sondern es würde reichen, einen Archäologen einzustellen, der die Grabungshelfer anleitet und fertig. In der Wissenschaft - das immerhin schreibt Schönherr richtig - werden häufig alte Gewissheiten korrigiert und ad acta gelegt. Es war ja explizit das Grabungsziel von Ortisi/Rappe in den Jahren 2016/17 und soll es wohl, was ich den Mitteilungen entnehme, auch in diesem Jahr sein, die 2011 von Schlüter veröffentlichte These, dass es sich um ein römisches Lager und keinen germanischen Wall/Hinterhalt handelt, zu untersuchen und archäologisch zu be- oder widerlegen. Zur Zeit sieht es tatsächlich so aus, als habe Schlüter recht gehabt. Aber das ist doch nicht - wie der Artikel schreibt - peinlich für Kalkriese. Diese Grabungen fanden und finden im Auftrag von Kalkriese statt, die Kalkrieser haben dafür Forschungsgelder beantragt, um genau das zu untersuchen. Ja, die alte Erklärung vom Hinterhalt/Defileegefecht scheint nach heutigem Erkenntnisstand falsch zu sein. Die Indizien für ein Lager haben sich v.a. im vergangenen Jahr verdichtet. Man kann nun Wilbers-Rost, die sich in den letzten Jahren in der Tat vermehrt der Umgebung von Kalkriese und nicht so intensiv dem Oberesch gewidmet hat, vorwerfen, sie habe gemeinsam mit ihrem Mann die Lagertheorie zu schnell verworfen. Dabei sollte aber berücksichtigt werden, dass es ja Suchschnitte (7, 19, 6, 8, 37, 39, besonders auch die Schnitte an den Wallenden 43 und 45) nach Norden gab, eben weil natürlich die erste These die war, dass es sich um einen römischen Lagerwall handele. Die Suchschnitte aber waren nach Norden hin weitestgehend fund- und befundleer. Die Fundkonzentration lag am vermeintlichen Germanenwall/vermeintlichen Südwall des Lagers. Das bedurfte einer Erklärung und da schien die Lagerwalltheorie immer unplausibler zu werden.
Und man darf folgendes nicht vergessen: Schlüters Lagertheorie geht von Wällen an der Nord- und Südflanke, aber von archäologisch kaum nachzuweisenden Verhauen an der Ost- und Westseite aus, wie es Tacitus für das Lager des Germanicus im Caesischen Wald seiner Auffassung nach beschreibt.
Ein weiteres Problem für die Lagertheorie bleibt die Lage der Spitzgräben, vor allem am Ostende des Südwalls: Der läge nämlich im Lagerinneren. Wenn sich also die Lagertheorie bei den diesjährigen Grabungen endgültig bestätigen sollte, würde es einer guten Erklärung für die Innenlage des Grabens bedürfen.
Warum hat man nun also, nachdem die Lagertheorie doch aufgrund der Fundleere nach Norden hin ad acta gelegt schien, diese wieder ernster genommen?
Ich bin mir nicht sicher, denke aber [Vorsicht Spekulation meinerseits], dass das mit dem letzten Kalkrieseband in den Römisch-Germanischen Forschungen zu tun hat. Da hat das Archäologieteam von Kalkriese nämlich Fundgruppen kartiert und dabei festgestellt, dass der vermeintliche Germanenwall/Südwall offenbar als Sammelstelle von Plünderungsgut gedient hatte und damit die Fundverteilung in Kalkriese zu erkären sei. Die Germanen scheinen nämlich Haufen mit verschiedenen Gütergruppen gebildet zu haben, womöglich um sie aufzuteilen. Eine solche Haufenbildung führt natürlich zu einer Verlagerung des Fundgutes unmittelbar nach der Schlacht und damit zu einer Verzerrung, wo die Archäologie die Funde 2000 Jahre später macht, sie findet also nicht mehr in erster Linie die Ergebnisse der Schlacht sondern die der anschließenden Plünderung. Die vielen Funde am Südwall wären also nicht das Ergebnis davon, dass hier besonders heftig gekämpft wurde und die Römer gezwungen waren, besonders nah am Wall entlang zu marschieren. Wobei dann natürlich wieder die anderthalb Maultiere, die während der Kampfhandlungen am Wall verstarben und verschüttet wurden zum Problem würden. Mit dem Defileegefecht waren sie dagegen gut vereinbar.