Das Germanische Massengrab von Alken Enge und die Knochengruben von Kalkriese

Hermundure

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Bei Alken Enge wurden in den Zeitraum von 2009 - 2014 ein germanisches Massengrab des 1. Jh. n. Chr. systematisch untersucht und vollständig ausgegraben. Das Ergebnis wurde bereits 2018 veröffentlicht. Was mich dabei überrascht hat ist die Tatsache, dass es Parallelen zu den Menschenopfern im Opfermoor von Niederdorla (8 km von der Werra/Visurgis) gibt. An den menschlichen Überesten, man geht von über 380 Individuen aus, wurden zum Teil kultische Handlungen vorgenommen. Auch an den Gefangenen und Gefallenen der Varusschlacht wurden laut Tacitus kultische Handlungen vollzogen. Das lässt sich für Kalkriese bisher jedoch nicht bestätigen. Auch die Überreste von Alken Enge lagen eine Zeit lang noch an der Oberfläche bis man diese wieder begrub. Man hat bei den Toten auch keinen einzigen metallenen Gegenstand gefunden.

https://www.spektrum.de/news/im-massengrab-einer-germanen-armee/1566884

https://www.spektrum.de/news/archaeologen-entdecken-vier-aufgespiesste-beckenknochen/1303135
 
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In Kalkriese wurde ja bisher auch keine der beschriebenen Martergruben gefunden. Diese dürften erheblich tiefer gewesen sein, als die gefundenen Knochengruben. Und dort wären vielleicht heute noch Knochen mit charakteristischen Spuren von Folter aufzufinden.
 
In Kalkriese wurde ja bisher auch keine der beschriebenen Martergruben gefunden.
Vorsicht, das ist die Übersetzung von Sontheimer. Im Text steht:

Lucis propinquis barbarae arae, apud quas tribunos ac primorum ordinum centuriones mactaverant. et cladis eius superstites, pugnam aut vincula elapsi, referebant hic cecidisse legatos, illic raptas aquilas; primum ubi vulnus Varo adactum, ubi infelici dextera et suo ictu mortem invenerit; quo tribunali contionatus Arminius, quot patibula captivis, quae scrobes, utque signis et aquilis per superbiam inluserit.
Scrobis ist eigentlich die 'Grube' oder auch das 'Grab'. Dass Sintheimer scrobes mit 'Martergruben' übersetzt hat, ist bereits Interpretation, beeinflusst durch patibula captivis: 'Galgen' oder 'Marterpfahl der Gefangenen'. Sontheimer fügt das zu einer Sinneinheit zusammen, was zwar durchaus vertretbar aber keineswegs zwingend ist. Er übersetzt:

wie viele Galgen für die Gefangenen, was für Martergruben er habe herstellen lassen
Grün: Tacitus Originaltext, rot: die Hinzufügungen Sontheimers.

Das Problem, vor welches Tacitus den Übersetzer hier stellt, ist, dass er an dieser Stelle kein Verb einsetzt, wo wir gerne eines oder zwei hätten.
 
Ungeachtet der Übersetzung: wäre denn eine Martergrube im Gegensatz zu einem Marterpfahl technisch sinnvoll? Gibt es analoge Überlieferungen aus der römischen Geschichte? So richtig konnte ich mir die Marter in einer Grube nie so recht vorstellen, mal ausgenommen, man hätte sie mit Wasser gefüllt.
 
Wenn ich "Marterpfahl" lese, dann habe ich vor dem geistigen Auge Filmausschnitte aus diversen Karl-May-Verfilmungen, wo Winnetou und Old Shatterhand am Marterpfahl stehen, oder Lucky-Luke-Comics, wo der Marterpfahl auch gelegentlich vorkommt.

Patibulum ist laut Wörterbuch das Marterholz (auch der Querbalken bei der Kreuzigung) oder der Galgen.

So richtig konnte ich mir die Marter in einer Grube nie so recht vorstellen, mal ausgenommen, man hätte sie mit Wasser gefüllt.

In der Tat habe ich auch Schwierigkeiten, mir vorzustellen, wozu diese Gruben benutzt worden sein sollten. Aus dem Kontext läßt sich natürlich schließen, dass es etwas unangenehmes ist.
 
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Aus der Formulierung, dass berichtet wurde, wie viele Gruben es gegeben hätte, kann man nur schlussfolgern, dass es sich um Vorrichtungen für jeweils einzelne Gefangene gehandelt haben müsse. Massengruben in größerer Anzahl scheiden wohl aus. Trotzdem bleibt es beim Rätseln.
 
Aus der Formulierung, dass berichtet wurde, wie viele Gruben es gegeben hätte, kann man nur schlussfolgern, dass es sich um Vorrichtungen für jeweils einzelne Gefangene gehandelt haben müsse. Massengruben in größerer Anzahl scheiden wohl aus. Trotzdem bleibt es beim Rätseln.
quae scrobes nicht quot.
Aber so oder so kann ich deinen Gedankengängen nicht folgen: Wo steht etwas von einzelnen Gefangenen?
Wieviele Gefangenengalgen (ob an einem Galgen einer hing oder zwanzig, wird nicht gesagt), was für Gruben - das ist der Text. Man könnte eher anders herum argumentieren, das die Gruben groß gewesen seien. Aber auch da würde man sich in Gefahr geben den Text zu überstrapazieren.
 
Stimmt. Ich habe die Anzahl fälschlicherweise auch auf die Gruben übertragen. Aus der Formulierung "was für Gruben" könnte man natürlich vermuten, dass es bezüglich Form und oder Größe unterschiedliche Ausführungen gegeben haben wird, die wohl damals auch allgemein bekannt waren. Umso mehr wundert es mich, dass darüber nichts in den Quellen zu finden ist. Es bleibt also die reine Information, dass es Gruben gab. Und diese müssten irgendwann einmal gefunden werden. Schließlich lautet der bekannte Spruch in der Archäologie: "Nichts ist so dauerhaft, wie ein Loch im Boden"
 
Im Heft "Archäologie in Deutschland Nr. 5 / 2023" findet sich ein lesenswerter Artikel über eine Ausgrabung in Alken Enge. Die Ausgrabungsstätte befindet sich südwestlich von Aarhus in Dänemark. Am Rand eines verlandeten Sees als auch im See selbst machten die Ausgräber Funde mit einer Zeitstellung 2. Jahrhundert vuZ bis zum 5. Jahrhundert uZ.

Man fand dort Überbleibsel einer Schlacht, welche wohl in Dänemark im 1. Jahrhundert uZ stattfand. Es kämpften damals zwei germanische "Heere" gegeneinander. In einem Massengrab fand man 2.095 menschliche Knochen, welche sich auf mindestens 380 Individuen verteilten.

Der Autor des Beitrages ist Jesper Tae Jensen. Ins Deutsche hat es Annine Fuchs übersetzt.

Was ich sehr spannend finde, ist eine Angabe zu der damaligen Besiedelung Nordeuropas - im engeren Sinne von Jütland.


Jesper Tae Jensen schrieb:
Die Dörfer dieser Zeit bestanden aus drei bis fünf Haupthäusern, in denen 8 bis 15 Personen lebten, darunter auch Frauen und Kinder. Man schätzt, dass jedes Dorf zwischen 24 und 75 Menschen beherbergte., vielleicht die Hälfte davon Männer und Jungen. Dies bedeutet, dass ein Dorf über etwa 10 bis 40 potenzielle Krieger verfügte ...

Jensen setzt den Fund der Knochenreste von 380 Männern und männlichen Jugendlichen zu dem Potenzial an Kriegern. Für mich sind dagegen die Bevölkerungszahlen interessant. Ich habe das Zitat mal hier gepostet. Ich finde in unserem "Germanenforum" keinen speziellen Faden zur Bevölkerung in der Germania Libra.
 
Aus einem Artikel über die (fehlenden) Bestattungen von Waterloo:

Umgekehrt werfe das Fehlen von menschlichen Knochen auf untersuchten Schlachtfeldern früherer Zeiten wie Azincourt (1415), Bosworth (1485) oder Minden (1759) die Frage auf, was mit all den Toten geschehen sei. „Diese Frage“, so Homann/Schäfer/Wilkin, werden sich Archäologie und Geschichtswissenschaft bei der Arbeit auf und mit historischen Schlachtfeldern weiterhin stellen müssen.“​
 
Aus einem Artikel über die (fehlenden) Bestattungen von Waterloo:

Umgekehrt werfe das Fehlen von menschlichen Knochen auf untersuchten Schlachtfeldern früherer Zeiten wie Azincourt (1415), Bosworth (1485) oder Minden (1759) die Frage auf, was mit all den Toten geschehen sei. „Diese Frage“, so Homann/Schäfer/Wilkin, werden sich Archäologie und Geschichtswissenschaft bei der Arbeit auf und mit historischen Schlachtfeldern weiterhin stellen müssen.“​



Knochenfunde in Waterloo sind wohl sehr selten, obwohl Zehntausende in der Schlacht ums Leben kamen. Laut dem Artikel gibt es zeitgenössische Quellen, nach denen die Knochen gesammelt, gemahlen und als Dünger auf den Bauernhöfen verwendet wurden.

Ob man auch schon bei anderen Schlachten im MA oder in der Antike Knochen eingesammelt, gemahlen und dann als Knochenmehl zum Düngen verwendet hat, ist eine andere Frage.
 
In dem Artikel von der Welt wird die These vertreten, dass außer der Nutzung als Düngemittel auch das Knochenmaterial auch zur Klärung des Rübenzuckers verwendet wurde, eine 1811 erfundene Technik. Das ist aber für die mittelalterlichen und früheren Schlachtfelder irrelevant. Mir war hier nur wichtig, dass es offenbar nicht so selten ist, dass nicht so viele Bestattungsüberreste gefunden werden.

https://www.welt.de/geschichte/arti...ette-verschwanden-in-der-Zuckerindustrie.html
 
Ich kenne mich in der Forensik nicht aus, aber Knochen bauen sich im Zeitablauf im Regelfall ab. Da gibt es wohl Abhängigkeiten, ob diese auf der Oberfläche lagern oder vergraben werden. Im Erdreich hängt das wohl auch vom Milieu ab, wie schnell die Knochen vergehen. Bei Kalkriese waren es wohl die Kalksteine die dafür gesorgt haben, dass immerhin einige Knochen die Jahrtausende überdauert haben.

Also es müssen nicht nur menschliche Sammeltätigkeiten dafür gesorgt haben, dass Knochen verschwinden, sondern es gibt auch ganz natürliche biologische Prozesse.
 
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