Ende des Christentums im Maghreb - Zwangsislamisierung?

Carolus

Aktives Mitglied
In den meisten heute mehrheitlich islamischen Ländern im Nahen Osten und Nordafrika gibt es christliche Minderheiten, die aus der Zeit von vor der islamischen Expansion stammen, so die Kopten in Ägypten und Libyen, die Christen in Libanon (mit einem Anteil von über 40 % der Bevölkerung) etc.

Aber im westlichen Teil Nordafrikas (etwa den Maghreb), so Tunesien, Algierien, Marokko, ist anscheinend von dem (historischen) Christentum nichts mehr übrig geblieben. Diese Gebiete gehörten in der Antike zum Römischen Reich, so dass davon auszugehen ist, dass sie spätestens mit der Einführung des Christentums als Staatsreligion zum Ende des 3. Jhdt. weitgehend christianisiert waren (wie auch der Nahe Osten sind diese Gebiete erst mit der islamischen Expansion unter arabische Herrschaft geraten).

Christen in diesen Staaten sind in erster Linie Ausländer. Eigentlich waren doch Christen (wie auch Juden) als "Buchbesitzer" unter dem Schutz des Islam, mußten aber eine Sondersteuer zahlen. Hingegen gibt und gab es in diesen Ländern ansässige jüdische Gemeinden, wobei ich da allerdings auf die Schnelle nicht habe herausfinden können, ob diese auf die antiken, jüdische Diasporagemeinden zurückgeht, oder ausschließlich aus die von der iberischen Halbinsel im 16. Jhdt. geflohenen Juden zurückgehen.

Geht dieses christliche "Vakuum" möglicherweise auf eine Phase der Intoleranz gegenüber den nicht-islamischen Religionen in diesen Gebieten zurück? Ich dachte jetzt speziell an die Dynastie der Almohaden, die im 12. / 13. Jhdt. in diesen Gebieten herrschten.
 
Zumindest weiß al-Idrīsī im 12. Jhdt. noch von Christen in Nordafrika zu berichten, die einen romanischen Dialekt (luġa(tu) lātīniyya(tu)) sprachen.
Man kann wohl davon ausgehen, dass unter den Almoraviden keine Kirchen mehr errichtet werden durften, zumindest gibt es in al-Andalus aus der Zeit diverse Zeugnisse von Kirchrückbauten.
Unter den Almohaden dürfte es zunächst zu einem Zuzug von Christen gekommen sein, da diese Christen aus al-Andalus in den Maġrib deportierten. Um Dynastien im eigentlichen Sinne handelt es sich bei Almoraviden (al-Murābiṭūn, ribāṭ-Bewohner) und Almohaden al-Muwaḥḥidūn ('Unitarier', von wāḥid, 'eins') nicht, eher um ǧihādistische Glaubensbewegungen, die natürlich ihre Anführer hatten, die irgendwann auch dynastische Bestrebungen entwickelten.
 
Ich habe noch ein wenig in der Wiki gesucht: in der englischen und französichen Version der Artikel zu den Almohaden wird im Herrschaftsgebiet der Almohaden von Zwangskonversionen berichtet. Die Christen bzw. Juden in dem Herrschaftsgebiet sind dann entweder konvertiert oder in tolerantere Gebiete geflohen. Die Christen also wohl in die christlichen Gebiete im Norden Spaniens, während die Juden sich Richtung der islamischen Gebiete im Osten Nordafrikas aufgemacht haben.

https://en.wikipedia.org/wiki/Almohad_Caliphate#Status_of_non-Muslims

https://fr.wikipedia.org/wiki/Almohades#Fanatisme_religieux
 
Zu Hinterfragen wäre hierbei aber auch der Umfang der Romanisierung im Maghreb.
Das römische Mauretania scheint spätestens seit der Vandalenzeit aus nicht viel mehr als Ceuta bestanden zu haben, auch die byzantinische Rückeroberung Nordafrikas umfasste wohl mehr das heutige Tunesien und Libyen.
In wie weit und wie lange der römische Herrschaftsanspruch über das westliche Nordafrika wirklich der Realität entsprach, ist fraglich, die Informationen sehr spärlich, die über die dort lebenden Berber noch spärlicher.
 
Wiki zitiert auch William Tabbernee:
Christianity is known to have existed in Mauretania as early as the 3rd century.
It spread rapidly in these areas despite its relatively late appearance in the region.
Although it was adopted in the urban areas of Mauretania Caesariensis, the hinterlands

retained the Romano-Berber religion
 
Zu Hinterfragen wäre hierbei aber auch der Umfang der Romanisierung im Maghreb.
Das römische Mauretania scheint spätestens seit der Vandalenzeit aus nicht viel mehr als Ceuta bestanden zu haben, auch die byzantinische Rückeroberung Nordafrikas umfasste wohl mehr das heutige Tunesien und Libyen.
In wie weit und wie lange der römische Herrschaftsanspruch über das westliche Nordafrika wirklich der Realität entsprach, ist fraglich, die Informationen sehr spärlich, die über die dort lebenden Berber noch spärlicher.

In Nordafrika gab es eine Vielzahl von römischen Städten, das zeugt m. E. schon von einer tiefgreifenden Romanisierung. Diese sind allerdings alle im Norden angesiedelt. Südlich davon sind das Atlasgebirge und die Sahara. Und noch heute lebt die Mehrheit der Bevölkerung im Norden der heutigen Staaten in Nordafrika.

Romanisierung verstanden als Latinisierung ist eine andere Frage: ich gehe davon aus, dass wohl in den Städten die Mehrheit der Bevölkerung Lateinisch sprach, während in den ländlichen Bereichen durchaus noch die einheimischen Sprachen gesprochen wurden. Dazu kommen noch die Sprachen der früheren Kolonialherren (Punisch und auch Griechisch). Punisch wurde mindestens noch bis in die Zeiten von Augustinus benutzt (s. https://www.geschichtsforum.de/thema/punische-quellen.16789/ ). Die griechischen Kolonialstädte in Tripolitania (heutiges Libyen) dürften vermutlich auch noch Griechisch benutzt haben. Aber da wollte ich auch nicht weiter einsteigen, weil es nicht zum Thema des Threads gehört.

Aber die Annahme des Christentums ist von der Sprache unabhängig. Für die Antike bis zur arabischen Eroberung sind eine Reihe von Bischofssitzen erwähnt, die noch heute von der Katholischen Kirche als sog. Titularbistümer geführt werden. Das Christentum wurde in der Spätantike Staatsreligion. Ich wüßte keinen Grund, warum das römische Nordafrika weniger christlich gewesen sein sollte als irgendeine andere Region des Reiches.


Wiki zitiert auch William Tabbernee:
Christianity is known to have existed in Mauretania as early as the 3rd century.
It spread rapidly in these areas despite its relatively late appearance in the region.
Although it was adopted in the urban areas of Mauretania Caesariensis, the hinterlands

retained the Romano-Berber religion

Das Christentum kann sich nur da ausbreiten, wo aktiv missioniert wird und die Bevölkerung freiwillig den Glauben annimmt oder ein Staat seine Macht ausübt, um die Bevölkerung dazu zu zwingen. Das Christentum hat sich zunächst in den Städten ausgebreitet. Der Begriff pagan (= heidnisch) leitet sich vom lateinischen paganus (ländlich) ab. Im übrigen frage ich mich, was eine "Romano-Berber religion" sein soll.
 
Ich wüßte keinen Grund, warum das römische Nordafrika weniger christlich gewesen sein sollte als irgendeine andere Region des Reiches.

Weil es ganz einfach nicht so römisch war, wie die meisten anderen Regionen. Die meisten Städte liegen, wie du richtig sagst, im Norden, oft nur am Küstenstreifen. Gerade im Westen wohl nur ein paar Festungen. Wenn der Atlas und die Gebiete südlich davon nicht dazu gehören, bleibt nicht viel. Leider wissen wir sehr wenig über die Berberkönigreiche der Spätantike, bei Herrschern wie der legendären Königin Kahina wird um deren Religion gestritten.
Dass katholische Titularbistümer nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun haben, sollte doch auch klar sein.
Die Frage wäre also: Wie lange war das heutige Marokko römisch, wie weit ging die römische Herrschaft, und wie sah es bei den Nachfolgestaaten aus?

Im übrigen frage ich mich, was eine "Romano-Berber religion" sein soll.

Über die Frage bin ich allerdings auch gestolpert.
 
Wiki zitiert auch William Tabbernee:
Christianity is known to have existed in Mauretania as early as the 3rd century.
It spread rapidly in these areas despite its relatively late appearance in the region.
Although it was adopted in the urban areas of Mauretania Caesariensis, the hinterlands

retained the Romano-Berber religion

Ich habe den Wiki-Artikel nicht gelesen, aber zum wörtlichen Zitat:
Tabernee, Early Christianity in Context, S. 232:

Christianity spread rapidly throughout the Medjerda Valley in the early third century (Ben Khader and Soren 1987, 120–21). Rugged terrain in parts of Numidia and in the Mauretanias slowed the reception of the gospel there. Only in the latter half of the third century did significant portions of Numidia convert to Christianity. In Tripolitania and in Mauretania Caesariensis (Caillet 2008), coastal cities and municipalities on main roads embraced the new faith, but many settlements in the hinterlands remained faithful to traditional Romano-Berber deities

Dmit klärt sich auch wohl etwas die Nachfrage von Carolus. Tabernee fasst schlicht die - ansonsten - traditionell verehrten Gottheiten zum Rest zusammen, und spricht nicht, was missgedeutet werden könnte, von einer (Misch-)Religion.
 
Dann muss ich nochmals rückfragen, über welchen Teil des Maghreb wir reden.
Das heutige Tunesien und das östliche Algerien stellen sich völlig anders dar als das heutige Marokko.
Mauretania Tingitana wurde um 280 mehr oder weniger aufgegeben, abgesehen vom Küstenstreifen zwischen Lixus, Tingis(Tanger) und Septa (Ceuta). Alles andere war schon "Hinterland".
Für Mauretania Caesariensis sind dutzende Bischofssitze genannt (Mauretania Caesariensis - Wikipedia ) - wie real die auch immer waren - für Tingitana ist vor dem 13. Jhd überhaupt keiner überliefert. Da dürfte es mit christlicher Religion nicht weit her gewesen sein.
 
Zurück
Oben