Reden vor großem Publikum

Sepiola

Aktives Mitglied
Die Auffassung, dass Jesus vor Tausenden von Zuhörern gepredigt hat, kann ich beim besten Willen nicht ernst nehmen.

Mehrere Tausend heißt nicht auf einmal. Hier die Bevölkerung von Nazareth, dort Gadara, hier in der Nähe von Tiberias etc. Das läppert sich.

Unabhängig von der Ausgangsfrage interessiert mich, wie viele Zuhörer vor der Erfindung von Mikrophon, Verstärker und Lautsprecher eine im Freien gehaltene Rede verfolgen konnten.
Die Pnyx, auf der die athenische Volksversammlung stattfand, fasste ca. 6000 Zuhörer. Noch größer war das Forum Romanum

Dazu lese ich, dass unter den ursprünglichen, akustisch weniger günstigen Verhältnissen an die 10.000 Zuhörer erreicht werden konnten:
"Wenn man annimmt, dass auf einem Quadratmeter vier Zuhörer Platz finden konnten, ergibt sich ein Auditorium von 10.600 Menschen, von denen die meisten das Glück hatten, den Redner nicht nur hören, sondern auch sehen zu können."​

Nach dem Umbau soll die Rede für über 20.000 Zuhörer akustisch verständlich gewesen sein:
Etwa 12.000 Zuhörer, bei einer schweigenden Menge gar über 20.000 Zuhörer, so die Berliner Forscher, dürften die Botschaften gut verstanden haben, die von der neuen Rostra aus verkündet wurden. Die restlichen 20.000 bis 30.000 Menschen, die weiter hinten standen, werden die wichtigen Schlagwörter des neuen Regimes – Augustus, Imperator, Frieden, Tradition – vernommen haben

Akustisch war das Zentrum Roms ein Schwarzes Loch - WELT
 
Wenn man in einem antiken Theater steht und die Rede ausprobiert, das klappt prima. Auf der anderen Seite haben wir uns mal mit einem literaturwissenschaftlichen Proseminar in den Park auf die Wiese gesetzt das wurde irgendwann sehr intim, weil man doch recht nah aneinander rücken musste, um der Diskussion folgen zu können. Es hängt wohl ganz von der Art des Raums ab. Eine Freifläche mit Rasen hat keinen Widerhall und der Rasen schluckt. Ein Felsen, wie beim Pnyx oder im ᚦingvettlir, bietet Widerhall und schluckt nicht. Forum oder Theater sind im Prinzip künstliche Felslandschaften.
 
Und wo steht der Redner? Eine erhöhte Position war z.B. günstig, um verstanden zu werden.

Auch eine Tradition des Zuhörens kann wichtig sein. Denn wenn immer einer dazwischenquatscht, wie heutzutage üblich, hören 10.000 Leute sicher nur anderes als den Redner.

Dann ist da auch noch die Frage nach dem Vortrag. Wie langsam, wie laut wurde gesprochen? Wir wissen, dass Cicero und Co. das trainiert haben. Aber wie war da die Tradition in den Synagogen? Ja, die Gegend war teilweise hellenisiert, doch in dem Sinn, dass es die Bevölkerung spaltete. Wie also war die übliche Vortragsweise in Judea und Galilea?
 
Unabhängig von der Ausgangsfrage interessiert mich, wie viele Zuhörer vor der Erfindung von Mikrophon, Verstärker und Lautsprecher eine im Freien gehaltene Rede verfolgen konnten.
Die Pnyx, auf der die athenische Volksversammlung stattfand, fasste ca. 6000 Zuhörer.
Für die Ausbauphase III (um 330) könnten es bei einer Verdoppelung der Grundfläche der Pnyx Berechnungen zufolge (hier wohl in Bezug auf Mogens Herman Hansen) mit über 13.000 theorethisch mehr als doppelt so viele Zuhörer gewesen sein (S. 258):
Bürger und Unfreie im vorhellenistischen Griechenland
In der deutschen Wikipedia wird (ohne Quellenverweis) ein Fassungsvermögen von sogar 24.100 genannt. Diese Angabe könnte auf Berechnungen des französischen Archäologen Robert Flacelière fußen, der auf Stehplätze für 20.000 zu kommen scheint, was aber wohl umstritten ist:
Pnyx - Wikipedia
 
In unten verlinktem Zeitungsartikel werden computergestütze Simulationen (zu Predigten im Freien des Methodisten Whitefield im 18. Jh.) referiert, dass unter optimalen Bedingungen: “einem begabten Sprecher, einer schweigend lauschenden Zuhörerschaft. Keine vorbeiklappernden Gespanne, kein Wind, kein geschäftiges Treiben in der Stadt“, eine erreichbare Zuhörerschaft von 50.000 - 60.000 möglich sein könnte.
Legendäre Stimme auf dem digitalen Prüfstand | NZZ
 
Denn wenn immer einer dazwischenquatscht, wie heutzutage üblich, hören 10.000 Leute sicher nur anderes als den Redner.

"Ich hab ihr nur gesagt, sie soll ihren Mund halten, damit ich den Mann da verstehe, Rübennase!" - "Darf ich um Ruhe bitten?! Was hat er gesagt?" - "Ich weiß nicht, ich hab gerade mit Rübennase geredet." - "Ich glaube, er sagte: Gepriesen sind die Skifahrer..."
 
Wenn hinten Wände seine Rede reflektierten. Auf einer freien Fläche hingegen ist eine erhöhte Position nur fürs Gesehenwerden gut. Schließlich geht es bei der Akustik v.a. um den Nachhall.(s. bspw. »Nachhallzeit« @ Wiki)

Der Nachhall ist in geschlossenen Räumen relevant, hier geht es vor allem darum, ihn in größeren Räumen möglichst abzudämpfen, wenn man das gesprochene Wort verstehen soll.
 
Der Nachhall ist in geschlossenen Räumen relevant, […]
Bin keine Expertin, nehme aber an, dass man dies so einfach nicht behaupten kann. Amphitheater haben auch ohne Dach abgestufte Zuschauerreihen, die den Schall reflektieren. Ein Dach könnte sogar die Schallwellen mehr streuen, d.h. das Verstehen einer Rede behindern. (Habe dazu jetzt leider nur diese mickrige Zusammenfassung der Publikation “Acoustic diffraction effects at the Hellenistic amphitheater of Epidaurus: Seat rows responsible for the marvelous acoustics”, The Journal of the Acoustical Society of America @ ResearchGate.)

[…] hier geht es vor allem darum, ihn in größeren Räumen möglichst abzudämpfen, wenn man das gesprochene Wort verstehen soll.
Okay, dann halt ich mich hier raus, obwohl… Amphitheater waren ja in erster Linie Sprechtheater…

Edit: Wikipedia schreibt zum Amphitheater in Epidaurus, »Das Theater wirkt als Akustikfilter für niederfrequente Töne, da Störgeräusche vornehmlich aus tiefen Tönen bestehen. Ein weiterer Faktor ist der warme Luftstrom von unten nach oben.« Mag ja sein, doch solch eine steile Zuschauertribüne wird wohl auch einen Nachhall bewirken, wie dies übrigens auch Berge tun, ganz ohne Dach.
 
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Bin keine Expertin, nehme aber an, dass man dies so einfach nicht behaupten kann. Amphitheater haben auch ohne Dach abgestufte Zuschauerreihen, die den Schall reflektieren.
Wenn die Zuschauerreihen mit Zuschauern besetzt sind, wird da nichts reflektiert.
Reflektierende Wände sind hinter (und ggf. unter/über) dem Redner wichtig. Also am besten eine glatte Wand im Rücken des Redners. Wenn er von unten zu den Zuhörern spricht wie im griechischen Theater, braucht er außerdem einen glatten Boden unter sich. Wenn er von oben spricht wie auf der Kanzel einer Kirche, braucht er einen Schalldeckel über sich.
Schalldeckel – Wikipedia

Amphitheater waren ja in erster Linie Sprechtheater…
Amphitheater???
Die waren in erster Linie für Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen konzipiert. Für Sprechtheater waren sie in mehrfacher Hinsicht denkbar schlecht geegnet: Es gab keine Wand im Rücken des Redners, die Arena (das Wort bedeutet so viel wie 'Sand'!) unter den Füßen des Redners bestand aus besonders schallschluckendem Material.
 
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Edit: Wikipedia schreibt zum Amphitheater in Epidaurus, »Das Theater wirkt als Akustikfilter für niederfrequente Töne, da Störgeräusche vornehmlich aus tiefen Tönen bestehen. Ein weiterer Faktor ist der warme Luftstrom von unten nach oben.« Mag ja sein, doch solch eine steile Zuschauertribüne wird wohl auch einen Nachhall bewirken, wie dies übrigens auch Berge tun, ganz ohne Dach.
Der warme Luftstrom ist akustisch sicherlich nicht von Belang. Dass die Steinreihen niederfrequente Töne absorbieren, mag sein. Ob das bei voll besetztem Theater noch einen ausschlaggebenden Effekt bewirkt, scheint mir zweifelhaft.

Nachhall, um es noch einmal zu sagen, stört die Sprechverständlichkeit. Echoeffekte (das ist nicht dasselbe wie Nachhall) sind ebenso störend.

EDIT:

Die kürzesten Nachhallzeiten sind wegen der erforderlichen Sprachverständlichkeit in Vortragsräumen und Theatern notwendig. Als Gegenbeispiel ist die schlechte Sprachverständlichkeit in Bahnhofshallen allgemein bekannt.
[...]
Es ist in Epidauros deutlich feststellbar, daß das Theater praktisch keinen Nachhall besitzt. Damit werden die Bedingungen des freien Schallfeldes mit ungehinderter Schallausbreitung in alle Richtungen ohne Reflexionen fast als ideal angenähert. Lediglich ein einzelnes Echo aus dem Bereich der unteren Zuschauerreihen bis etwa zur Kopfhöhe des Sprechers läßt sich in der Mitte der Orchestra vernehmen. [...] Die beschriebenen Echos verschwinden bei Besetzung des Theaters völlig, so daß dann die idealen Freifeldbedingungen vorliegen.
https://www.carsten-ruhe.de/app/dow...nnten die Griechen es besser.pdf?t=1489188318
 
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EDIT: https://www.carsten-ruhe.de/app/download/13281177230/1988-03 TA Konnten die Griechen es besser.pdf?t=1489188318
Da habe ich etwas Mühe mit der einfachen Begründung vom Beratungsbüro für Akustik in Halstenbek. Demnach müsste eine große, flache Wiese (»Freifeldbedingungen«) die allerbeste Akustik aufweisen, d.h. noch besser als im Theater von Epidauros sein, da der Schall nicht absorbiert wird. Und auch kein überdachtes Theater könnte bessere Bedingungen schaffen.

Nachhall, um es noch einmal zu sagen, stört die Sprechverständlichkeit. Echoeffekte (das ist nicht dasselbe wie Nachhall) sind ebenso störend.

Soweit ich es verstanden habe, ist Nachhall das permanent vorhandene Vermögen der Schall-Reflexion an einem Punkt im Raum (im weitesten Sinn, offen oder geschlossen), worin sich Objekte (Fels, Mauer, etc.) befinden.
Anm.: Für uns Menschen ist der Nachhall eher nur in künstlichen Räumen von Belang, weshalb beim Beschrieb von »Nachhall« meist nur von Räumen mit Decke die Rede ist. Rein theoretisch aber ist Nachhall überall vorhanden, wo es auch Objekte und Atmosphäre gibt. Was du, Sepiola, mit »Nachhall« meinst, wäre eine lange Nachhallzeit, bzw. ein sehr diffuses Schallfeld, was beim Zuhören stört. Ein Echo hingegen ist ein reflektierter Schall mit großer Verzögerung, was bei einer sehr langen Nachhallzeit passiert.(vgl. PDF zur Raumakustik der FH Münster.)

Nehm ich jetzt die angebl. optimalen »Freifeldbedingungen« des Akustikbüros und addiere sie zu meinem vagen Wissen über Theaterakustik, könnte ich mir vorstellen, dass ein gewisser Rückprall des Schalls die Lautstärke einer Rede verstärkt und somit weitum verständlicher macht, sofern das Verstehen nicht durch zu lange (und mehrere wirre) Nachhallzeiten beeinträchtigt wird.
 
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Da habe ich etwas Mühe mit der einfachen Begründung vom Beratungsbüro für Akustik in Halstenbek. Demnach müsste eine große, flache Wiese (»Freifeldbedingungen«) die allerbeste Akustik aufweisen
Aber nicht doch! Gras schluckt Schall, ebenso wie Kleidungsstücke, Sand usw.
Hartes, glattes Material reflektiert den Schall am besten.

Soweit ich es verstanden habe, ist Nachhall das permanent vorhandene Vermögen der Schall-Reflexion an einem Punkt im Raum (im weitesten Sinn, offen oder geschlossen), worin sich Objekte (Fels, Mauer, etc.) befinden.
Anm.: Für uns Menschen ist der Nachhall eher nur in künstlichen Räumen von Belang,
Nachhall entsteht im ganzen Raum, nicht nur an einem Punkt.
Der Raum, um den es hier geht, wird von Mauern, Fels o. ä. umschlossen. (Die Objekte, die sich im Raum befinden, können je nach Größe und Beschaffenheit Schall schlucken oder reflektieren).
Die Sprechverständlichkeit leidet unter Nachhall, ob der Raum nun eine natürliche Höhle oder ein künstlicher Hinterhof ist.

Ein Echo hingegen ist ein reflektierter Schall mit großer Verzögerung, was bei einer sehr langen Nachhallzeit passiert.(vgl. PDF zur Raumakustik der FH Münster.)
Schon eine Verzögerung von wenigen Hundertstelsekunden ist als Echoeffekt hörbar. Echoeffekte kann es schon in einem größeren Wohnzimmer mit wenig Nachhall geben.

könnte ich mir vorstellen, dass ein gewisser Rückprall des Schalls die Lautstärke einer Rede verstärkt und somit weitum verständlicher macht
Die "Rückprall"-Wände müssen sich aber in nächster Nähe zum Redner befinden. Siehe oben: Rückwand, Boden, Schalldeckel. (Oder in nächster Nähe zum Zuhörer, das gestaltet sich bei einer größeren Zuhörerschaft aber als schwierig, da nicht jeder Zuhörer seine eigenen Wände bekommen kann.)

Sobald die "Rückprall"-Wand einige Meter vom Sprecher entfernt ist, ist mit Echo- und Nachhalleffekten zu rechnen, die zu Lasten der Verständlichkeit gehen.

Um eine gute Sprechakustik herzustellen, müssen also einerseits die nötigen Reflektionsflächen bereitgestellt werden und gleichzeitig der von diesen Flächen verursachte Nachhall minimiert werden.
 
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