Der Rassebegriff biologisch und politisch

Ich würde meinen, weil das vorraussetzen würde, dass ein wie auch immer gearteter "Rassebegriff" stringent rein auf die Abstammung zielen würde.
Machen wir mal ein Gedankenexperiment:

Wie wäre im NS wohl eine Person behandelt worden, die nach NS-Abstammungskriterien ohne Probleme ihren Ariernachweis bekommen hätte und dann aus irgendwelchen persönlichen Überzeugunen oder, sagen wir heiratstaktisches Überlegungen zum Judentum konvertiert ist?

Davon ausgehend, dass das Judentum vom NS als "Rasse" definiert wurde, müsste diese Person damit ja dieser Rasse zugerechnet worden sein, ohne dass es da eine abstammungstechnische Verbindung gibt.

Das war der einzige Fall, in dem ein Übertritt zum mosaischen Glauben nicht zur Zugehörigkeit zur "jüdischen Rasse" im Sinne der Nazis führte, weil diese Person von keiner jüdischen Person abstammt. Die Nachkommen dieser Person stammten aber von einer Person jüdischen Glaubens ab und wurden zur "jüdischen Rasse" gerechnet.

Klingt ziemlich schräg. Aber schräg war das ganze "Rassenkonzept" und vieles mehr der Nazis.
 
Ich denke auch Abstammung wird nicht reichen. Ein Mensch kann ja von Deutschen abstammen und selbst Deutscher aber zugleich dunkelhäutig sein. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wird er wegen seiner Hautfarbe irgendwann diskriminiert werden. Die Abstammung interessiert da keinen.
Interessiert schon, weil "man" der Person die vermeintliche oder tatsächliche Abstammung von einer Person "dunkelhäutiger Rasse" ansieht.
 
Nach dem Konzept der "Entartung" innerhalb der NS-Rassenlehre wurden auch Menschen unabhängig von ihrer Abstammung im Namen der Rassenhygiene verfolgt. Dies betraf Menschen, die aufgrund ihrer Abstammung zwar die kruden Kriterien für "deutschblütig" und "arisch" erfüllten, aber psychische Erkrankungen oder als "asozial" aufgefasste Verhaltensweisen aufwiesen, die als Erbkrankheiten verstanden wurden.
Verfolgt wurden sie aber nicht als Angehörige einer "minderwertigen Rasse", sondern als "Entartungen" der "Herrenrasse", die die "Reinheit" oder gar den Fortbestand von deren "Blut" gefährden konnten.
 
...
Das Muster ist willkürlich und fast beliebig.
Es kann letztlich auf jeden angewandt werden.
Und wenn es gelingt eine postulierte Gruppe von Menschen unwidersprochen zu terrorisieren, dann kann man es alsbald mit allen machen.

Jedes autoritäre Regime braucht (mindestens) eine Gruppe, auf die der "Volkszorn" von den Herrschenden weg umgelenkt werden kann. Gibt es gerade keine "traditionell" Ausgegrenzte, dann werden welche geschaffen.

Wie du, hat das auch Martin Niemöller erkannt, allerdings erst nach 1945:
"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."
 
"Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, ... benachteiligt oder bevorzugt werden..."
Gibt es einen Rassismus, der ohne den Bezug zur Abstammung auskommt? Wenn nein, könnte man das Wort Rassismus einfach aus dem Grundgesetzsartikel streichen. Wenn man dächte, dass es einen Rassismus ohne Bezug zur Abstammung gibt, wäre unklar, was überhaupt unter Rassismus zu verstehen ist, und schon deshalb sollte der Begriff nicht im Grundgesetz stehen.
Dass es auch Arten der Benachteiligung wegen Abstammung geben mag, die nicht rassistisch motiviert sind, spricht nicht dagegen, dass auch rassistische Benachteiligungen durch die Benachteiligung wegen Abstammung erfasst werden.
Maglor ist immerhin eine Benachteiligung eingefallen, die rassistisch ist, aber nichts mit der Abstammung des Benachteiligten zu tun hat: Wenn, wie in der Nazizeit, einem behinderten Menschen die Gründung einer Familie verboten wird, weil das die "Rasse" schädige. Allerdings verstieße eine solche Benachteiligung ja wohl auch gegen andere Grundgesetzartikel.
"Rasse" ist im Zusammenhang mit Menschen ein hässliches und falsches oder zumindest irreführendes Wort (auch wenn im Englischen von allen Seiten laufend von "races" gesprochen wird). "Rassismus" ist auch ein hässliches Wort. Natürlich ist es auch notwendig, aber im Grundgesetz? Sollten Grundgesetzartikel nicht klar und einfach und schön sein?
Artikel 3, Absatz 2: Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
Das finde ich klarer und einfacher und schöner, als wenn es hieße: Niemand darf aus sexistischen Gründen benachteiligt werden. Vielleicht kommt die Diskussion ja noch.
 
Nach dem Konzept der "Entartung" innerhalb der NS-Rassenlehre wurden auch Menschen unabhängig von ihrer Abstammung im Namen der Rassenhygiene verfolgt. Dies betraf Menschen, die aufgrund ihrer Abstammung zwar die kruden Kriterien für "deutschblütig" und "arisch" erfüllten, aber psychische Erkrankungen oder als "asozial" aufgefasste Verhaltensweisen aufwiesen, die als Erbkrankheiten verstanden wurden.
Das ist wohl ein Argument, muss ich zugeben.
Maglor; du hast dein Argument durch das von mir Hervorgehobene selbst widerlegt. Erbkrankheiten heißen deshalb so, weil man sie von denen erbt, von denen man abstammt.
 
Ja schon, aber die von Maglor angesprochenen Menschen wurden nicht aufgrund ihrer eigenen Abstammung verfolgt, sondern wegen der befürchteten Abstammung ihrer Nachkommen.
 
Die Bücher dieser Schriftsteller hatten in den USA eine sehr hohe Auflage. Stoddard soll den Begriff Untermensch als erster Autor in rassistischer Weise benutzt haben. Allgemein soll er als Reaktion auf Nietzsches Übermensch schon vorher benutzt worden sein.

Lothrop Stoddard - Wikipedia
"Stoddard's work influenced the Nazi government of Germany. His book Untermensch (1922) introduced the term (English: sub-human) into Nazi conceptions of race."

Untermensch – Wikipedia
"In dem ihrer Verwendung des Begriffs am nächsten kommenden Sinne hatten die Nationalsozialisten den Terminus „Untermensch“ vom Titel der deutschen Übersetzung des 1922 erschienenen Buches The Revolt against Civilization: The Menace of the Under Man (dt.: Der Kulturumsturz – Die Bedrohung durch den Untermenschen 1925) des amerikanischen Anthropologen, Rassentheoretikers und Eugenikers Lothrop Stoddard übernommen.
Da selbst die meisten englischsprachigen Historiker nicht wissen, dass das Wort ursprünglich von einem Amerikaner stammt, wird der Begriff zumeist anders ins Englische rückübersetzt, als sub-human beziehungsweise subhuman. Ein führender Nationalsozialist, der Stoddard als Schöpfer der Formel vom slawischen „Untermenschen“ identifiziert, ist Alfred Rosenberg, der in seinem Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930) schreibt, dass der typische russische Bolschewist ein Vertreter jener Art von Mensch sei, „den Lothrop Stoddard als ‚Untermenschen‘ bezeichnete“ (S. 214)."

Lothrop Stoddard – Wikipedia
"Stoddard gilt außerdem als wichtiger Stichwortgeber des deutschen Nationalsozialismus. Nicht nur betrachtete er Juden als eigene „Bastard“-Rasse und Gefahr für die europäische Zivilisation: In seinem Buch The Revolt Against Civilization. The Menace of the Under Man (1922; dt. Der Kulturumsturz. Die Drohung des Untermenschen, 1925) identifizierte er den Bolschewismus mit einem rassisch definierten Judentum und dieses wiederum mit dem „Untermenschen“. Alfred Rosenberg griff diese Verknüpfung in Der Mythus des 20. Jahrhunderts auf, so dass der „Untermensch“ zum nationalsozialistischen Schlagwort wurde.[7] Stoddards Werk wurde nicht zuletzt von Autoren wie Hans F. K. Günther als Inspiration genannt und als bahnbrechend für die deutsche Zwangssterilisationsgesetzgebung bezeichnet.[8]"

Madison Grant – Wikipedia
"Grants Ideen haben Einfluss auf Adolf Hitler und die aufkommende nationalsozialistische Bewegung gehabt. Hitler schickte an Madison Grant einen begeisterten Fan-Brief, in dem er "Der Untergang der Großen Rasse" (1925 auf Deutsch erschienen) als „seine Bibel“ bezeichnet.[3] Hitler übernahm die Rede von den „minderwertigen“ Rassen; sie sollten zugunsten einer gestärkten „nordischen Rasse“ verschwinden. Das hieß bei Grant „nordisizing“, bei den Nazis dann „aufnorden“. Das Exemplar mit Widmung, das Grant daraufhin an Hitler sandte, befindet sich heute in der Library of Congress."
(Zu dem Zeitpunkt war Hitler bereits Antisemit.)
"Der Autor Jonathan Spiro (2008) nennt Grant den Führer der eugenischen Bewegung in den USA. Er verbreitete die Auffassung von den Blondhaarigen und Blauäugigen als der „Herrenrasse“ und forderte, dass der Staat die Abkömmlinge „minderer Rassen“ vernichten (eliminate) soll, welche keinen „Wert“ (value) für die Gesellschaft haben. Seine Werke waren in den USA der 1920er Jahre sehr populär,"
 
"Grants Ideen haben Einfluss auf Adolf Hitler und die aufkommende nationalsozialistische Bewegung gehabt. Hitler schickte an Madison Grant einen begeisterten Fan-Brief, in dem er "Der Untergang der Großen Rasse" (1925 auf Deutsch erschienen) als „seine Bibel“ bezeichnet.[3]

Echt? Ich würde nicht soviel Wiki-Text ungeprüft übernehmen. Zumal die FN 3 nicht auf eine Quelle oder einen Literaturbezug verweist. Wie insgesamt die gesamte Quellenlage zu diesem Rassisten dubios erscheint.

Wie generell der Versuch, dieses rassistische Gedankengut in den USA als "populär" dazustelen, eines ausführlichen Belges bedarf. USW.
 
Na und? Schon wieder eine unbrauchbare Zitation in FN 6. Was nicht an Shapiro liegt, sondern an den Wiki-Autoren.

Wiki: Grants Ideen haben Einfluss auf Adolf Hitler und die aufkommende nationalsozialistische Bewegung gehabt. Hitler schickte an Madison Grant einen begeisterten Fan-Brief, in dem er "Der Untergang der Großen Rasse" (1925 auf Deutsch erschienen) als „seine Bibel“ bezeichnet.[3] Hitler übernahm die Rede von den „minderwertigen“ Rassen;

Das ist schlichtweg Abwegign, was da bei Wiki geschrieben wurde. Die Entwicklung des Antisemitismus in der NS-Bewegung war sicherlich nicht auf den Input durch Grant angewiesen. Schon rein im zeitlichen Ablauf unwahrscheinlich, wenngleich vermutlich eine verstärkende Wirkung wahrscheinlich ist.

Da sollte man sich eher Gedanken machen, wie man die Wirkung von Eckart einzuschätzen hätte, wenn man schon direkte Beeinflussungsverhältnisse in Form von "Bibeln" etc. erkennen möchte.


Dietrich Eckart – Wikipedia
 
Es spricht absolut nichts gegen die Verwendung von Wiki-Beiträgen, aber dennoch sollte man schon die einzelnen Verweise kurz ansehen.

Der Hinweis, dass A. Rosenberg auf Stoddard zugegriffen haben soll, erscheint Ernst Piper in "Alfred Rosenberg" so irrelevant, dass kein Verweis auf Stoddard erfolgt. Zumindest scheint seine Bedeutung "diskussionswürdig" zu sein.

In den meisten Publikationen zum Faschismus habe ich auch keinen Verweis auf ihn gefunden.

Einen "wichtigen Beitrag" erbrachte - so Moyn & Sartor: Global Intellectual History, S. 34 ff - Stoddard als "white supremacist", indem er den Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam beschrieb. Und so vor allem auch eine höhere Aufmerksamkeit bei den Pan-Islamisten hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Maglor; du hast dein Argument durch das von mir Hervorgehobene selbst widerlegt. Erbkrankheiten heißen deshalb so, weil man sie von denen erbt, von denen man abstammt.
Ich empfehle ganz dringend eine Dekonstruktion des Begriffs.
Erbkrankheiten hießen deshalb so, weil man ein bestimmtes Phänomen für krankhaft und erblich hielt.
Die Rassenhygiene der Nazis befasste sich vor allem mit sozialen Phänomen, die die Nazis für erblich hielten.

So wurde z.B. Alkoholismus von den Nazis als Erbkrankheit eingeordnet und konnte zur Zwangssterilisation führen.
Selbst wenn man jene angeborenen "Krankheiten" betrachtet, die zweifellos medizinische Krankheiten und keine unerwünschten Verhaltensweisen sind, so fällt auf, dass nach der NS-Lehre eben nicht zwischen wirklich erblichen, d.h. genetischen Ursachen und nicht genetischen Geburtsfehlern (z.B. Sauerstoffmangel während der Geburt) unterschieden wurde, weil der NS-Gesetzgeber schlicht keinen blassen Schimmer von Genetik hatte.
Besonders auffällig sind bei der NS-Rassenlehre die fließenden Übergänge. Soziale Probleme werden medizinisch und gleichzeitig national-völkisch gedeutet. Das besten Beispiele ist die Zigeunerverfolgung der Nazis. Zigeuner wurde in die Kategorie der "Asozialen" eingeordnet, obwohl sie doch eigentlich "fremdvölkisch" sein müssten. "Asozial", "fremdvölkisch" oder "erbkrank" machte für die Nazis praktisch keinen Unterschied und ihre Ideologie gab theoretisch auch nicht so viel her, dass man das hätte genau unterscheiden müssen.

Es muss berücksichtigt werden, dass die Menschheit als ganzes Anfang des 20. Jahrhunderts schlicht kaum eine Ahnung hatte, wie Vererbung wirklich funktioniert. Selbst die führenden Darwinisten (aus heutiger Sicht eher Lamarckisten) wie Ernst Haekel gingen noch davon aus, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden könnten. In den 1920er gelang Paul Kammerer ein spektakulärer Nachweis der Erblichkeit erworbener Eigenschaften im Experiment mit Geburtshelferkröten. Jedenfalls waren lamarkistische Vererbungstheorien damals in der Biologie und Medizin vorherrschend, während die Vererbungslehren Gregor Mendels von der Biologie und auch von rassistischer Pseudowissenschaft weitgehend ignoriert wurden.
Dreht man das Rad er Zeit noch ein bisschen weiter zurück, so wird um 1900 unter Biologen ganz ernsthaft über Telegonie diskutiert.

Rassenlehren entstanden zu einer Zeit, als selbst die Biologen noch keine Ahnung hatten, wie Vererbung wirklich funktioniert. Das erklärt vielleicht auch, warum solche Flachbegriffe wie "deutsches Blut" ernst genommen werden konnten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da muss ich jetzt mal nachfragen: Ist de Bluterkrankheit keine Erbkrankheit?
Die Bluterkrankheit und ihre Vererbung wurden früh erforscht.
Ob sie eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (1933), d.h. im Sinne des NS-Unrechtsystems ist, ist eine gute Frage. Da bräuchte man erstmal eine Legaldefinition von "schwerer körperlicher Missbildung".
 
Gibt es einen Rassismus, der ohne den Bezug zur Abstammung auskommt?
Nach Ansicht gewisser Kreise ist dem so; sogar der Begriff des postrassischen Rassismus macht in manchen Abhandlungen die Runde, etwa bei Michael Dyson. Dies geschieht z.B. im Zusammenhang mit einer ablehnenden Haltung dem Islam gegenüber, in den USA aber zunehmend auch im Gefüge des sog. Intersektionalismus.

Persönlich erblicke ich darin (gerade in puncto Islam) einen intellektuell unaufrichtigen Versuch, zu verhindern, dass als verwerflich erachtete Positionen dem Stigma des Rassismus enteilen.

Zutreffender wäre vielleicht der Begriff des Kulturalismus, also der Glaube an die Unterlegenheit anderer Kulturen.

Dieser bereitet der Rassismusforschung indes Unbehagen, weil er sie sowohl vor konkrete Anwendungsprobleme als auch vor abstrakte Dilemmata stellt.

Konkrete Probleme insofern, als gewisse Verrenkungen notwendig sind, um bspw. die Diskriminierung, die ein zum Islam konvertierter Sachse von seinen sächsischen Nachbarn erfahren mag, als Rassismus zu bezeichnen.

Philosophische Schwierigkeiten treten hingegen insofern auf, als ("echte") Kulturalisten ihre Ablehnung einer Kultur für gewöhnlich an den Handlungen ihrer Angehörigen festmachen, mithin an zumindest prinzipiell freien Willensentscheidungen, nicht unabänderlichen äußerlichen Merkmalen.

Und spätestens dort, wo kulturelle Praktiken den Menschenrechten zuwiderlaufen, könnte Kulturalismus sogar zur Bürgerpflicht werden. Denn unser Menschenrechtsbegriff ist universalistisch; stellen wir ihn in Hinblick auf eine Kultur, eine Weltgegend zur Disposition, zweifeln wir auch zwangsläufig seine Allgemeingültigkeit an und riskieren, uns seines Schutzes zu benehmen.

Oder wie schon Bernard Kouchner hervorhob: Wenn wir nicht sagen wollen, dass eine Kultur, die Vergewaltigungsopfer wegen vermeintlichen Ehebruchs bestraft, einer Kultur unterlegen ist, die dies nicht tut, stellt sich die Frage – da es doch einerlei zu sein scheint –, warum nicht auch wir dazu übergehen, die Opfer zu bestrafen?

Gewiss gibt es viele Menschen, die unter dem Deckmantel des Kulturalismus rassistische Einstellungen hegen. Dennoch würde ich behaupten, dass im Westeuropa des 21. Jahrhunderts eher kulturalistische als im Wortsinne rassistische Denkmuster kursieren.

Aber sei dem wie es sei, der Rassebegriff ist deswegen noch lange nicht obsolet:
Wenn nein, könnte man das Wort Rassismus einfach aus dem Grundgesetzsartikel streichen.
(Ich nehme an, das Wort "Rasse" ist gemeint, nicht "Rassismus".)

Freilich kann man die in letzter Zeit häufiger erhobene Forderung diskutieren, ob nicht der "Rassebegriff" aus dem Grundgesetz getilgt werden sollte. Aber dann wird man nicht an der Frage vorbeikommen, was das Grundgesetz denn nun genau enthält: einen"Rassebegriff, oder den Begriff "Rasse"?

Hier besteht ein unscheinbarer, aber wichtiger Unterschied.

Das Grundgesetz stellt nach dem Willen des parlamentarischen Rates einen diametral dem NS-Unrecht entgegengesetzten Staatsentwurf dar, also auch zur Rassenideologie der Nazis. Rechtsbegriffe entwickeln sich außerdem fort.

Ist "Rasse" im modernen Sprachgebrauch nicht ein bloßes Synonym für 'Ethnie', das wahrscheinlich gerade deshalb beibehalten werden sollte, weil es dem Begriff des "Rassismus", den wir bekämpft sehen wollen, als Anknüpfpunkt dient?

Jedenfalls glaube ich nicht, dass sich das Verhalten der Gesellschaft durch die Steuerung ihres Sprachgebrauchs beeinflussen lässt.
 
Ich empfehle ganz dringend eine Dekonstruktion des Begriffs.
Erbkrankheiten hießen deshalb so, weil man ein bestimmtes Phänomen für krankhaft und erblich hielt.
Die Rassenhygiene der Nazis befasste sich vor allem mit sozialen Phänomen, die die Nazis für erblich hielten....
Da muss ich jetzt mal nachfragen: Ist de Bluterkrankheit keine Erbkrankheit?
Die Bluterkrankheit und ihre Vererbung wurden früh erforscht.
Ob sie eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (1933), d.h. im Sinne des NS-Unrechtsystems ist, ist eine gute Frage. Da bräuchte man erstmal eine Legaldefinition von "schwerer körperlicher Missbildung".

Alte Juristenweisheit: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Entscheidungsfindung ungemein.

Auszug aus dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses":
"(2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:
  1. angeborenem Schwachsinn,
  2. Schizophrenie,
  3. zirkulärem (manisch-depressivem Irresein),
  4. erblicher Fallsucht,
  5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea),
  6. erblicher Blindheit,
  7. erblicher Taubheit,
  8. schwerer erblicher körperlicher Missbildung.
(3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet."

Dass die Nazis Krankheiten für vererblich hielten, die es nicht sind, heißt nicht, dass es gar keine vererblichen Krankheiten oder Krankheitsdispositionen gibt.
 
Schönen Dank muck, natürlich meinte ich, dass das Wort Rasse gestrichen werden könnte.
Es ist zwar fraglich, ob die Steuerung des Sprachgebrauchs gesellschaftliches Verhalten ändert, man sollte trotzdem Sprache so gebrauchen, als wäre das der Fall.
Rasse kann nie ein bloßes Synonym von Ethnie sein, solange das gleiche Wort auf Tiere bezogen etwas ganz anderes bedeutet.
Historisch mag es ja wichtig sein, den unwissenschaftlichen und bösartigen Unsinn des Nationalsozialismus zu rekonstruieren, der Wortlaut des heutigen Grundgesetzes sollte aber nicht explizit auf diesen Unsinn zugeschnitten werden.
 
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