Wappen auf Wandpfeiler des frühgotischen Turmes der Pfarrkirche Bad Deutsch Altenburg

Grantler

Mitglied
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Hallo Leute,
ich habe wieder ein Problem bzw. zur Zeit nicht den Nerv mich damit tagelang auseinanderzusetzen.
An einem Wandpfeiler des Turmes (erbaut zw. 1350 und 1380) der Kirche von Bad Deutsch Altenburg (Niederösterreich) gibt es ein Wappen mit einem doppelten(?) Löwen mit gekröntem Kopf. Wer kann damit was anfangen?
Danke für eure Hinweise!
 
Ich habe keine Ahnung, aber mein Interesse ist geweckt und ich habe gerade etwas Zeit.
Das Wappen kommt mir nicht bekannt vor, was aber gar nichts heißt. Ich habe nach den im 14. Jahrhundert ansässigen Adelsgeschlechtern gesucht, aber zumindest bei denen, die ich gefunden habe, passt das Wappen nicht im entferntesten dazu.
Bei der Schnellsuche nach Infos zur Kirche auf Wikipedia bin ich in den Einzelnachweisen auf ein interessantes Buch gestoßen, das als Quelle für mehrere bautechnische Details angegeben wird (ISBN 3-85028-364-X). Ein Handbuch "Die Kunstdenkmäler Österreichs", herausgegeben vom Bundesdenkmalamt. Das wäre wohl die erste Anlaufstelle würde ich sagen, wenn man irgendwie an dieses Buch kommt.
 
Ich habe nach den im 14. Jahrhundert ansässigen Adelsgeschlechtern gesucht, aber zumindest bei denen, die ich gefunden habe, passt das Wappen nicht im entferntesten dazu.

Vielleicht handelt es sich um gar kein Adelswappen. Nur so als Idee:

In christlicher Tradition wird der Löwe genannt, um Jesusdarzustellen. Viele christliche Organisationen und Predigtämter benutzen den Löwen Judas als ihr Emblem oder selbst in ihrem Namen.

Löwe Judas – Wikipedia
 
@Traklson gute Idee, davon habe ich tatsächlich noch nie gehört.

Mich verwirren hier vor allem die zwei Rümpfe mit einem Kopf. Das ist... seltsam. Aber wie gesagt, da kenne ich mich auch nicht gut aus.
 
Jetzt habe ich in einem Reisemagazin noch etwas entdeckt: https://www.reisen-magazin.at/ausfl...tischemarienkircheinbaddeutsch-altenburg.html

Da wird gesagt, dass sich an den Strebepfeilern des Turms insgesamt sieben Wappen befinden. Davon ist das größte das Vorliegende, der doppelte Löwe mit gekröntem Kopf. Was es damit auf sich hat, bleibt in dem Artikel offen. Vielleicht ist es auch ein noch ungelöstes Rätsel, was es mit diesem Wappen auf sich hat (was es umso interessanter macht). Immerhin schreibt der Autor des Artikels (die "Marktgemeinde Bad Deutsch-Altenburg" selbst) von sieben Wappen, von denen nur zwei zugeordnet werden (können?), vier weitere werden nicht erwähnt und sind also nur aus der genannten Gesamtzahl erschließbar. Das Löwenwappen wird nicht zugeordnet, es steht an erster Stelle und wird als einziges genauer beschrieben. Klingt für mich nach einem interessanten Wappen (wohl nicht nur für mich als Laie ungewöhnlich) ohne Wissen dazu. @Grantler , wohnst du selbst in der Gegend? Nach diesen ersten Recherche bin ich doch sehr neugierig geworden, mich würde Bilder aller sieben Wappen interessieren.

Die zwei zugeordneten sind die der Hundsheimer und der Altenburger Linie der Familie Dörr.
Familie Dörr ist wohl "modernisiert", es gab ein österreichisches Adelsgeschlecht "von der Dürr" (auch "Dürre" oder "Doerr"), das 1388 erstmals urkundlich erwähnt wurde (https://books.google.de/books?id=ucgEAAAAIAAJ&pg=PA532&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false, Neues deutsches allgemeines Adelslexicon Band 2). Das passt nicht ganz zu der erwähnten Bauzeit bis 1380, was mich zu der Frage bringt, ob diese nur angenommen ist oder urkundlich/inschriftlich oder in irgendeiner Chronik belegt ist. Aber es kann natürlich auch sein, dass die Familie vorher schon "aktiv" war und nur in keiner (erhaltenen) Urkunde erwähnt wird.
Ohne die Wappen der beiden speziellen Familienlinien gesehen zu haben, bezweifle ich allerdings, dass die anderen Wappen auch Linien der Dürrs sind. Ihr Familienwappen ist wesentlich komplexer aufgebaut und hat scheinbar mit Löwen nicht ansatzweise zu tun.

Jetzt würde mich wirklich das Handbuch interessieren, das ich in meiner ersten Antwort genannt habe. Ansonsten wird das wohl eine langwierige Recherche (oder Forschung, falls es wirklich ungeklärt ist) in den lokalen Archiven.
 
Die Kirche ist architektonisch sehr beeindruckend. Ich denke dass der Doppellöwe (eigentlich ein Dreifachlöwe mit dem Löwenkopf en face) vielleicht auf eine Doppelherrschaft hinweist. Bezüge zu den Staufern und zu den ungarischen Königen bestehen ja dort.
 
Korbi, danke für dein Interesse. Ich wohne von Deutsch Altenburg 60 km entfernt und schreibe einen Aufsatz über die Bauphasen der Kirche, die als sakrales Zentrum (Kollegiatsstift) einer eigenständigen, gegen Ungarn gerichteten Grenzmark 1050 von einer Regensburger Bauhütte errichtet worden war. Spätestens im ausgehenden 12. Jh. erhielt das aus dem ministerialen Adel der Babenberger hervorgegangene Geschlecht der Dörr die Patronanz über die Kirche, die zwischen 1350 und 1380 den Turm mit den Wappen und zwischen 1380 und 1400 einen hochgotischen Chor errichten ließen. Aufpassen es hat zwei Dörr oder Dürr Geschlechter gegeben. Siehe Franz Karl Wissgrill, findest du als Digitalisat. Die Frage, die sich mir stellt: wie konnte sich ein relativ unbedeutender Ritter ein so kostspieliges Bauvorhaben leisten. Meine Vermutung: mehrere Adelige der Region haben "zusammen gelegt" und wurden dafür an den Pfeilern verewigt. Die Kirche war lange auch eine Wallfahrtskirche (Patrozinien Maria Himmelfahrt und die Reichsheiligen Mauritius und Laurentius). Im Dehio Handbuch findest du außer zu den Dörr Wappen nichts.
Kann es sein das der gekrönte Löwe für einen Bischof (von Passau?) oder Habsburger steht?
Ich muss mir von den restlichen beiden Wappen erst die Bilder suchen, beide sind aber relativ schlicht.
 
... die Staufer haben in Deutsch Altenburg nichts zu suchen, wohl aber die Salier (Heinrich III.) Da es die Sage gibt, dass der ungarische König Stephan der Heilige die Kirche errichtet haben soll, die 1050 als Propstei unter Umständen lediglich wieder errichtet worden war, könnte dieser Ansatz zielführend sein. Das Löwenwappen ist auch das Größte.
 
Was mir gerade einfällt: Die Kirche mitsamt der Propstei von Deutsch Altenburg unterstand nach Eigenkirchenrecht Kaiser Heinrich III. 1058 wurde die Kirche von Heinrich IV. (damals ein Knabe von acht Jahren) seiner Mutter Agnes, damals Regentin für den unmündigen Sohn übergeben. Könnte der Doppel- oder u.U. auch Dreifachlöwe nicht für die Konstellation "Heinrich III. - Kaiserin Agnes - Heinrich IV." stehen?
 
Danke für die Bilder.

Könnte der Doppel- oder u.U. auch Dreifachlöwe nicht für die Konstellation "Heinrich III. - Kaiserin Agnes - Heinrich IV." stehen?
Das wäre dann wieder das von @Pardela_cenicienta angesprochene Symbol für Doppel-/Mehrfachherrschaft, ergibt meiner Meinung nach durchaus Sinn. Allerdings muss ich sagen, meine (politischen) Kenntnisse von dieser Zeit/Region sind mangelhaft.

Aufpassen es hat zwei Dörr oder Dürr Geschlechter gegeben. Siehe Franz Karl Wissgrill, findest du als Digitalisat.
Danke für den Hinweis.

Meine Vermutung: mehrere Adelige der Region haben "zusammen gelegt" und wurden dafür an den Pfeilern verewigt.
Das ergibt meiner Meinung nach bisher am meisten Sinn. Sonst frage ich mich auch, wieso zwei Linien einer Familie ihre jeweils eigenen Wappen am Turm haben. Und darüber, allein schon durch die Größe, die von dir genannte Konstellation der Löwe für die Heinrich-Sippe, das macht sogar sehr viel Sinn finde ich.
Die Theorie klingt jedenfalls logisch. Jetzt brächte man wohl einen Heraldik-Experten...

In jedem Fall werde ich mir die Kirche bei Zeiten selbst ansehen :)
 
... habe die Wappen auch in das Heraldikforum gestellt, Hinweise hierzu stehen aber noch aus.
Die Kirche ist absolut sehenswert, publizistisch - abgesehen von den Tourismustexten, die ja nur altbekanntes wiedergeben - allerdings noch zu erschließen.
Korbi, danke für deine Hinweise, bin nun nicht mehr ganz im luftleeren Raum.

Woher reist du an?
 
Aus München. Also zu weit für einen Tagesausflug... aber wenn ich bei Zeiten endlich mal nach Wien kommen, plane ich diesen Ausflug ein. Dann werd ich dich aber vorher nochmal ansprechen zu deiner Arbeit. Spannendes Thema.

... habe die Wappen auch in das Heraldikforum gestellt, Hinweise hierzu stehen aber noch aus.
Wenn dabei etwas rauskommt, schreib es doch hier rein, würde mich interessieren.
 
Nur eine Überlegung - wenn die Kirche 1050 von einer Regensburger Bauhütte errichtet wurde, könnte beim Bau der Kirche auch das Bistum Regensburg mitgemischt haben, das wiederum im Mittelalter durchaus im "Konkurrenzkampf" mit dem Bistum Passau stammt. Das Bistum Passau war wiederum ein Suffagan-Bistum des Bistums Salzburg, das im heutigen Niederösterreich aber auch einige eigenen Besitzungen hatte.

Ein drei Löwenwappen sollen die Herzöge von Mödling (eine Nebenlinie der Babenberger) geführt haben - vielleicht gibt es da einen Zusammenhang.

Ein drei Löwenwappen führten außerdem einige Herzöge von Kärnten. Auch hier könnte trotz geographischer Entfernung ein Zusammenhang bestehen, zudem die Besitzverhältnisse im Mittelalter innerhalb eines Herzogtums nicht ausschließlich bei jener Familie lagen, die sozusagen den Herzogstitel führte und von Herrscher des Heiligen Römischen Reiches belehnt worden war.
 
Teresa,
Bischof Gebhard III. von Regensburg, der bayerische Herzog sowieso (Name ist mir entfallen) und der Babenberger Markgraf Adalbert haben ab Herbst 1050 den militärisch bewachten Aufbau der Heimenburg geleitet. Ein aus Regensburg stammender Bautrupp muss damals (anstelle eines älteren Sakralbaues) auch den Bau der Marienkirche in Angriff genommen haben (die Kapitelle der Pfeiler - Kirche ist eine querschifflose Pfeilerbasilika - weisen nach Regensburg).
Gut möglich auch, dass die drei obgenannten in einem Wappen dargestellt wurden - die Baugeschichte wird im 14. Jahrhundert noch bekannt gewesen sein.
Ich suche aber einen Beweis! Da erhoffe ich mir von den Heraldikern vielleicht noch den einen oder anderen Hinweis!
 
... in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts fielen die Rechte an der Pfarre Altenburg an die Babenberger, die sie wieder als Lehen an die Dörr weitergereicht haben.
 
Die Wappen mit den Ritterhelmen scheinen Ritterwappen zu sein, wie sie um 1300 gängig waren. Vermutlich haben damit die Stifter des Turms sich als solche verewigt, um den lieben Gott (und andere Adelige) an ihre Wohltat für seine Kirche zu erinnern (kann ja nicht schaden, dem Typen ein Memorial zu schicken, auch wenn er allmächtig ist ;) )
 
Der Doppellöwe mit nur einem Kopf trieb sein Unwesen als Wappentier wohl eher nur selten.(Hatte zunächst den Eindruck, es handle sich um einen ›apotropäischen Wappen‹, so quasi, das oberste Ungeheuer fungiere hier als ›Schutzherr‹ und wache über den Bau.) Konnte aber immerhin eine Reliefdarstellung ergoogeln, die ehemals die romanische Klosterkirche in Vértesszentkereszt schmückte und seit Ende des 18. Jhs. in die Mauer einer Kirche in Szákszend eingefügt ist: Carvings originating from the Benedictine Abbey in Vértesszentkereszt. Ob ein Zusammenhang besteht, sei dahingestellt…

Wie dem auch sei, sowohl die anderen (oben geposteten), stilistisch einheitlich völlig anders gestalteten Wappensteine wie auch die Beschaffenheit der Mauer hinter dem Wappenstein mit dem ›Doppellöwenkönig‹ wecken in mir den Verdacht auf eine spätere Ergänzung. ›Verschönernde‹ Änderungen im Laufe einer Renovierung waren insbesondere im 19. Jh. en vogue…
 
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