Jesusspruch

Oleger

Mitglied
Hallo Forum,

ich weiß nicht, ob ich hier mit meiner Frage richtig bin. Ganz verkehrt wird es nicht sein, denn es gibt schon einen Thread hier über einen Jesusspruch. Mich beschäftigt folgender Jesusspruch: „Geben ist seliger als nehmen“. Mich würde interessieren, wie andere diesen Spruch verstehen. Für mich war lange klar, wie er zu verstehen ist, nämlich dass das Geben, den der gibt, mehr Freude macht, mit einem schöneren Gefühl belohnt als den der bedürftig ist u. es bekommt. Denn beim Bekommen entsteht eine moralische Verpflichtung dem Geber geegenüber sich dankbar zu zeigen. Das dämpft die Freude über das Bekommene, was nicht heißt, dass sich der Beschenkte nicht freut .

Wie gesagt, es war für mich klar. Dann bin ich der Sicht begegnet, dass mit „Nehmen“ das sich etwas Aneignen gemeint ist, was ja nichts schlechtes sein muß, Nehmen was einem zusteht u. dann gibt es das egoistische Nehmen, wenn einer immer nur nimmt, soviel er bekommen kann. Was ist nun die richtige Sicht, welches Nehmen ist in dem Spruch gemeint?

Gruß
Oleger
 
In der Apg. steht es so: τῶν λόγων τοῦ κυρίου Ἰησοῦ ὅτι αὐτὸς εἶπεν Μακάριόν ἐστιν μᾶλλον διδόναι ἢ λαμβάνειν.
Hieronymus hat es so übersetzt: verbi Domini Iesu quoniam ipse dixit beatius est magis dare quam accipere
Das lateinische accipere scheint mir eher ein 'entgegennehmen', als ein capere (was durchaus auch gewaltsames Nehmen umfassen würde) zu sein.
 
"Schenken macht glücklich" ist sicher die übliche Interpretation. Das soll sogar durch eine Studie belegt sein:
Wissenschaft belegt: Geben ist seliger als nehmen

Aber es handelt sich doch um einen religiösen Text und diese Deutung kommt mir sehr weltlich vor. Die Frage ist, warum da "seliger" steht. Seliger hat laut Duden einen deutlich jenseitigen Bezug:

[von allen irdischen Übeln erlöst und] des ewigen Lebens, der himmlischen Wonnen teilhaftig

selig

Dann müsste man es eher so deuten: "Wer gibt, wird im Jenseits belohnt werden."

Ich musste an die Seligsprechungen in der Bibel denken. Aber da wird wohl eine andere griechische Vokabel verwendet?

„Glücklich [selig] ist der … / sind die…“ (hebräisch ascheri, griechischμαϰάριος makários / μαϰάριοιmakárioi), seltener als direkte Anrede „Glücklich [Selig] bist du… / seid ihr…“. „Glück“ oder „Seligkeit“ wird dabei als umfassendes Heil im Sinne des biblischen Shalom verstanden.

Seligpreisung – Wikipedia

Und auch hier geht es wohl um ein irdisches, wenn auch von Gott gegebenes, Wohlergehen.

Die deutsche Übersetzung mit "seliger" scheint also die Bedeutungsebene ins Jenseitige zu verschieben.
 
In der Apg. steht es so: τῶν λόγων τοῦ κυρίου Ἰησοῦ ὅτι αὐτὸς εἶπεν Μακάριόν ἐστιν μᾶλλον διδόναι ἢ λαμβάνειν.
Hieronymus hat es so übersetzt: verbi Domini Iesu quoniam ipse dixit beatius est magis dare quam accipere
Das lateinische accipere scheint mir eher ein 'entgegennehmen', als ein capere (was durchaus auch gewaltsames Nehmen umfassen würde) zu sein.

Das griechische λαμβάνειν kann je nach Kontext beides bedeuten, etwas Angebotenes annehmen oder sich ungefragt selber etwas nehmen.

Ich musste an die Seligsprechungen in der Bibel denken. Aber da wird wohl eine andere griechische Vokabel verwendet?

Das ist dasselbe Wort: μακάριος.

Da fällt mir folgender Bibeltext ein:

Μακάριος ἀνὴρ ὁ φοβούμενος τὸν κύριον,
ἐν ταῖς ἐντολαῖς αὐτοῦ θελήσει σφόδρα·
δυνατὸν ἐν τῇ γῇ ἔσται τὸ σπέρμα αὐτοῦ,
γενεὰ εὐθείων εὐλογηθήσεται·
δόξα καὶ πλοῦτος ἐν τῷ οἴκῳ αὐτοῦ,
καὶ ἡ δικαιοσύνη αὐτοῦ μένει εἰς τὸν αἰῶνα τοῦ αἰῶνος.
Lesen im Bibeltext :: bibelwissenschaft.de

Selig der Mann, der den Herrn fürchtet
und sich herzlich freut an seinen Geboten.
Seine Nachkommen werden mächtig im Land,
das Geschlecht der Redlichen wird gesegnet.
Wohlstand und Reichtum füllen sein Haus,
seine Gerechtigkeit hat Bestand für immer.
Psalm 112,1 | Einheitsübersetzung 2016 :: BibleServer
 
Ich würde diesen Ausspruch in eine Reihe von kontra-intuitiven Moralprinzipien einordnen, d.h. Sprüchen, die dem üblichen, vom Subjektiv ausgehenden Common Sense entgegenstehen, hier: dass Nehmen besser sei als Geben. Meine Oma hat mir immer eingeschärft: Wer dir gibt, nimm; wer dir nimmt, schrei!

Ein weiterer Ausspruch dieser Gruppe, einige Jahrhunderte älter, ist der von Sokrates im Gorgias-Dialog 479a-e, im Gespräch mit Polos, wobei die Vorbereitung der These einige Seiten vorher beginnt: dass Unrecht erleiden besser ist als Unrecht tun. Das widerspricht auch dem Alltagsverständnis und klingt paradox.

Eine ähnliche Umkehrung der üblichen subjektiven Sichtweise findet man im Lysis-Dialog, wo gezeigt wird, dass es der Liebende besser hat als der Geliebte - selbst dann, wenn er nicht zurückgeliebt wird (212b ff).

In solchen Aussprüchen wird eine ethische (objektive) Perspektive der üblichen (subjektiven) Alltagsperspektive gegenübergestellt. Der Jesus-Spruch wird in der Apostelgeschichte ja von Paulus zitiert, diesem aber war die gr. Philosophie nicht unbekannt.
 
Ja, da ist das Original aber hebräisch.

Dass das Original hebräisch ist, weiß ich schon.
Es geht hier um den Gebrauch des Worts μακάριος bei griechischsprachigen Juden.

(Wenn der hier in Frage stehende Spruch auf Jesus zurückgeht, wird er wohl im Original aramäisch gewesen sein.)
 
Hallo Traklson,

es gibt noch eine zweite Bedeutung von selig bei Duden, nämlich „einem tiefen, (spontanem) Glücksgefühl hingegeben; wunschlos glücklich; zutiefst beglückt, das hört sich aber weltlich an.

Gruß
Oleger
 
Hallo El Quijote, Sepiola u. andere,

aus den griechischen u. lateinischen Übersetzungen ist nicht herauszulesen, um welches Nehmen es sich in dem Spruch handelt. Der Zusammenhang, in dem der Spruch in der Apg. steht, lässt aber schließen, dass es ums Helfen von Bedürftigen geht. Dann ist eher das Nehmen von etwas Angebotenem gemeint, sicher ist das aber auch nicht. In meiner Bibel steht es so: „Ich habe euch stets ein Vorbild gegeben, dass man hart arbeiten muß, um auch den Bedürftigen helfen zu können. Denkt an die Worte des Herrn Jesu, der gesagt hat: Geben macht mehr Freude als nehmen“.

Wie ist euere persönliche Meinung, was für ein Nehmen ist gemeint?
Gruß
Oleger
 
Wenn die beiden Verben so unmittelbar verknüpft sind, stellt sich bei mir die Assoziation zweier Personen ein: Die eine gibt, die andere nimmt. Die nehmende Person freut sich, die gebende Person freut sich noch mehr.
 
Hallo Sepiola,
deine Formulierung: "Die nehmende Person freut sich, die gebende Person freut sich noch mehr." trifft es gut, wie ich ursprünglich diesen Spruch verstanden habe u. wie es mir vorkommt ihn die meisten Menschen verstehen. Deshalb wird er auch wohl so von Jesus gemeint sein.

Gruß
Oleger
 
Hallo Traklson,

es gibt noch eine zweite Bedeutung von selig bei Duden, nämlich „einem tiefen, (spontanem) Glücksgefühl hingegeben; wunschlos glücklich; zutiefst beglückt, das hört sich aber weltlich an.

Gruß
Oleger
Ja, und warum sollte man einen religiösen Text säkular deuten.

Mich hat schon irritiert, dass eine offensichtlich religiös ausgerichtete Website sich hinter einer Studie versteckt (s.o.)

Was gemeint ist habe ich ja oben geschrieben:

Glück“ oder „Seligkeit“ wird dabei als umfassendes Heil im Sinne des biblischen Shalom verstanden.

https://www.bibelwissenschaft.de/wi...-schalom/ch/57d626cb9281a2540033faf76906de99/
 
Der Spruch besagt, dass Nehmen auch selig ist. Er besagt offenbar nicht, dass Nehmen unselig wäre.
Seeliger ist viel geben als (an-)nehmen sagt die Vulgata. Das schließt nicht absolut aus, dass etwas anzunehmen seelig sein könnte, besagt aber im Grunde genommen nichts über die "Seeligkeit" des Nehmens.
"Peter ist besser als Paul" besagt nicht, ob Paul gut ist. Es beschreibt eine Relation von beidem zueinander.
 
Wenn ein Geber seine Gabe loswerden will, ist er auf die Existenz eines Nehmers angewiesen. Der Nehmer vollstreckt die Tat des Gebers und erweist sich dadurch als Helfer.
 
Großartig! Das führt mich direkt zu einer meiner privaten Aporien: ist denn "besser" nicht definiert als der Komparativ zu "gut"? Mithin: "besser" besser als "gut"?
Ja, besser ist der Komparativ von gut.
„Paul ist schlecht. Peter ist besser.“ (deswegen aber noch lange nicht gut, das erfahren wir schlicht nicht.)
 
Ja, besser ist der Komparativ von gut.
„Paul ist schlecht. Peter ist besser.“ (deswegen aber noch lange nicht gut, das erfahren wir schlicht nicht.)
Ich denke, eine von Menschen benutzte Sprache ist nicht rein logisch wie Mathe, sondern transportiert auch implizit Inhalte. Wer sagt, dass Peter besser in der Schule ist als Paul, lässt damit durchblicken, dass Paul zumindest nicht abgrundtief schlecht ist. Sonst würde man eher sagen, Peter ist, anders als Paul, ein ganz ordentlicher Schüler oder so was.

Paulus wird sich auch nicht gedacht haben: Dass Nehmen ganz schlimm ist, sag ich den Ephesern jetzt nicht, die können sich ja selbst denken, dass das von meinem Spruch logisch nicht ausgeschlossen wird.
 
Ich denke, eine von Menschen benutzte Sprache ist nicht rein logisch wie Mathe, sondern transportiert auch implizit Inhalte. Wer sagt, dass Peter besser in der Schule ist als Paul, lässt damit durchblicken, dass Paul zumindest nicht abgrundtief schlecht ist. Sonst würde man eher sagen, Peter ist, anders als Paul, ein ganz ordentlicher Schüler oder so was.

Paulus wird sich auch nicht gedacht haben: Dass Nehmen ganz schlimm ist, sag ich den Ephesern jetzt nicht, die können sich ja selbst denken, dass das von meinem Spruch logisch nicht ausgeschlossen wird.


Nein, das ist doch falsch. Darüber, wie gut Peter und Paul in der Schule sind, wird nichts ausgesagt. Denkbar wäre, Peter ist sehr gut in der Schule und Paul nur durchschnittlich oder Peter ist durchschnittlich und Paul sehr schlecht, aber auch Peter hat nur Einser und Paul bleibt sitzen.
 
Zurück
Oben