Die Sowjetunion, die 2+Vier-Verträge & NATO-Osterweiterung

andreassolar

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Die aktuell wiederholt auflebende Diskussion um mögliche verbindliche Zusagen 'westlicher' Entscheidungsträger bzw. von Regierungschefs und Regierungsangehörigen der drei westlichen Alliierten, den früheren westlichen Siegermächten über das besiegte NS-Deutschland, gegenüber den Führungsspitzen der sowjetischen Regierung in den Begegnungen und Treffen besonders im Rahmen der Gespräche und Diskussionen, Erörterungen und Verhandlungen zur Zukunft der beiden deutschen Staaten über eine Nicht-Erweiterung der NATO nach Osten, zeigt einmal mehr, dass substanzielle historische bzw. geschichtswissenschaftliche Kenntnisse eine gute Grundlage bieten, die damaligen komplexen Situationen und Entwicklungen differenziert zu verstehen und darstellen zu können.

Für einen Zeitgenossen jener Jahr überraschen gewisse Darstellungen zum Thema, die seit Jahren wiederholt, neu vertieft und aufgerollt werden, mit auffallenden Lücken zum damaligen Kontext, gerne verbunden mit unilateralen Sichtweisen.

Eine wissenschaftlich fundierte, immer noch gültige Übersicht zum Thema möglicher Zusagen zur Nichterweiterung der NATO gegenüber der sowjetischen Führung und zur Entwicklung der Jahre danach bietet die Veröffentlichung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages mit dem Titel

Zur öffentlichen Diskussion über Anfang der 1990er Jahre möglicherweise getroffene Zusagen westlicher Spitzenpolitiker zu einem Verzicht auf eine NATO-Osterweiterung.

Abschlussdatum 18. Februar 2016.

Auszüge davon nachfolgend:
[...]
Auch der am 12. September 1990 unterzeichnete Zwei-plus-Vier-Vertrag selbst enthält keine Regelung, die der NATO eine über die DDR hinausgehende Ausdehnung nach Osten untersagt. Die Artikel 5 und 6 enthalten ausschließlich Aussagen zur Möglichkeit der Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands in einem Bündnis sowie zur Stationierung deutscher Streitkräfte auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. In Artikel 6 heißt es zur Bündnisfrage: Das Recht des vereinten Deutschland, Bündnissen mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten anzugehören, wird von diesem Vertrag nicht berührt.

Damit hatte Russland explizit einer NATO-Osterweiterung um das Gebiet der ehemaligen DDR zugestimmt, auf dem nach dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte (nur) Deutschland eigene NATO-assignierte Streitkräfte, aber keine Kernwaffen stationieren durfte, wie Absatz 3 des Artikel 5 ausführt:Nach dem Abschluss des Abzugs der sowjetischen Streitkräfte vom Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins können in diesem Teil Deutschlands auch deutsche Streitkräfteverbände stationiert werden, die in gleicher Weise militärischen Bündnisstrukturen zugeordnet sind wie diejenigen auf dem übrigen deutschen Hoheitsgebiet, allerdings ohne Kernwaffenträger.

Eine Thematisierung der NATO-Osterweiterung über die DDR hinaus, deren Nationale Volksarmee mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland aus dem Warschauer Pakt herausgelöst worden war, erfolgte in diesem Vertrag aufgrund der noch bestehenden Bündnisstrukturen in Osteuropa nicht. Da mit Ausnahme der DDR das östliche Bündnis noch weiter fortbestand, war der Beitritt weiterer Staaten der östlichen Hemisphäre zur NATO zu diesem Zeitpunkt jenseits jeglicher Imagination und daher Regelungen zur Rechtmäßigkeit einer dauerhaften Truppenstationierung auf dem Gebiet solcher Länder nicht Bestandteil des Zwei-plusVier-Vertrages.

Erst mit der Auflösung des Warschauer Paktes am 1. Juli 1991 und der Sowjetunion am 26. Dezember 1991 und den sich daraufhin anschließenden Diskussionen über eine künftige europäische Sicherheitsarchitektur gelangte das Thema einer über Gesamtdeutschland hinausgehenden Expansion der NATO nach Osten wieder verstärkt auf die Tagesordnung. Zwar war das Bündnis auf der einen Seite an einem Ausbau der Kooperation mit Russland interessiert. Auf der anderen Seite verstand man allerdings auch die Interessen der osteuropäischen Staaten, die mit dem Wunsch nach langfristiger territorialer Sicherheit und wirtschaftlicher Prosperität auf eine Integration in westliche Strukturen (NATO, EU) drängten.

Die Notwendigkeit einer Einbindung der ost- und mitteleuropäischen Staaten zur Stabilisierung Europas sah vor dem Hintergrund des jugoslawischen Bürgerkrieges und der labilen Situation in Russland insbesondere auch die amerikanische Regierung unter Bill Clinton. Dennoch zeigte sie sich mit Rücksicht auf die Isolations- und Einkreisungsängste Moskausmit konkreten Erweiterungsplänen anfänglich zurückhaltend.11 Daher entschied sie sich zunächst dafür, die Verbindung mit den osteuropäischen Staaten durch dasPartnership for Peace“-Programm (PfP-Programm) zu stärken, zu dem während des NATO-Gipfels in Brüssel vom 10 – 11. Januar 1994 der Startschuss gegeben wurde und dem u.a. zahlreiche Staaten aus dem Vertragsgebiet des ehemaligen Warschauer Paktes und auch Russland selbst (am 22. Juni 1994) beitraten. In seiner Rede zur Auflegung des PfP-Programms versicherte Clinton am 10. Januar 1994, dass es nicht der Wille der USA sei „[…]

jetzt eine neue Trennlinie durch Europa [zu] ziehen, halt nur ein wenig weiter östlich“,

und damit den europäischen Friedensprozess zu gefährden. So wurde den osteuropäischen Beitrittskandidaten ohne Festlegung eines genauen Zeitplans lediglich eine zukünftige Aufnahme in die NATO in Aussicht gestellt. Eine engere Kooperation mit Russland wurde dennoch weiterhin nicht ausgeschlossen.

Im Laufe des Jahres 1994 wuchs dann allerdings in den USA der politische Druck auf Präsident Clinton, die NATO-Osterweiterung zügig voranzutreiben. So drängte der republikanisch dominierte Kongress mit demNATO Expansion Actam 14. April 1994 und demNATO Revitalization Actam 11. Mai 1994 auf einen Zeitplan zur raschen Aufnahme neuer NATO-Mitgliedstaaten. Clintons Ankündigung am 1. Juli 1994, im Jahre 1995 Standards und einen Zeitplan für die Osterweiterung auszuarbeiten, zeigte ebenso wie seine Aussage, dass die NATO seiner Meinung nach aus sicherheitspolitischen Gründen

erweitert werden wird, und erweitert werden sollte“,

dass er dem innenpolitischen Druck nachgegeben hatte. Gleichzeitig versicherte er allerdings in einem Gespräch mit dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin am 27. September 1994, die amerikanische Politik lasse sich von den

three no’s“ leiten: „no surprises, no rush and no exclusion.“

Diese Aussage gegen eine schnelle Aufnahme neuer NATO-Mitglieder und für die Möglichkeit eines Einschlusses Russlands in eine künftige europäische Sicherheitsarchitektur ist möglicherweise von russischer Seite missverstanden worden.
[...]
 
Das historisch-wissenschaftlich zutreffende Fazit der Arbeit:

3. Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in einem frühen Stadium der Gespräche zur deutschen Einheit im Rahmen der Verhandlungsdiplomatie zwar Äußerungen getätigt worden waren, die auf eine mögliche Bereitschaft der NATO zum Verzicht auf eine Ostausdehnung hätten schließen können. Diese Äußerungen entfalteten aus völkerrechtlicher Sicht nach Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrages am 15. März 1991 allerdings keine Bindungswirkung.

Der sowjetischen Führung hätte damals – darüber besteht in der Politikwissenschaft weitgehende Übereinstimmung – bereits klar sein müssen, dass mit den betreffenden Äußerungen eine völkerrechtlich verbindliche Zusage zu einem Verzicht auf eine NATO-Osterweiterung nicht vorgelegen hat, zumal diese sowohl im Fortgang der Zwei-plus-Vier-Gespräche nicht aufrechterhalten als auch nach der deutschen Wiedervereinigung von entscheidenden westlichen Politikern explizit nicht wiederholt wurde. 18 Vielmehr unterstrichen verschiedene westliche Spitzenpolitiker mit ihren Aussagen im Wesentlichen nur, dass russische Sicherheitsinteressen bei der Bündnisexpansion berücksichtigt werden müssten. Diese sah die NATO durch die verschiedenen Phasen ihrer Osterweiterung nicht eingeschränkt, u.a. deshalb, weil sie Russland stets zur Zusammenarbeit einlud und hierfür verschiedene Kooperationsformate (z.B. das PfP-Programm oder der Gemeinsame Ständige NATO-Russland-Rat 19) entwickelte und weiterentwickelte.

Wann man davon absieht, dass im Text gelegentlich 'Russland' geschrieben wird, wo die Sowjetunion gemeint ist....und andere Kleinigkeiten...

Die labile Situation in Russland unter Yeltsin wird häufig vergessen und nachträglich übersehen. Bei den Duma-Wahlen 1993 wurde die rechtspopulistische, nationalistische LDPR deutlich die stärkste Partei, bei den Duma-Wahlen 1995 deutlich die sowjetsozialistische KPRF - im September/Oktober 1993, wenige Wochen vor den Duma-Wahlen, war es zum Machtkampf zwischen Yeltsin und dem Kongress der Volksdeputierten der RSFSR gekommen, den Yeltsin in tagelangen, gewaltsamen Kämpfen zu seinen Gunsten beendet.
Und endgültig nach der Duma-Wahl, mit der wieder erschaffenen (Staats-)Duma, im Dezember 1993 mit dem Sieger Schirinowski gab in vielen mittel- und osteuropäischen Staaten gewisse Überlegungen, welchen Weg Russland einschlagen werde - hin zum alten russischen Imperium? Das wurde nach der Duma-Wahl 1995 mit dem Sieg der sowjetsozialistischen KPRF eben nicht besser - hin zum alten sowjetischen Imperium? Yeltsin war seit 1995 wohl erkennbar 'eingeschränkt'.
 
Als Beispiel für die Situation damals Anfang 1994,
  • nach gewaltsamer wie blutiger Lösung des Verfassungskonfliktes zwischen Yeltsin und dem Kongress der Volksdeputierten der RSFSR im Herbst 1993
  • nach der Staatsduma-Wahl Anfang Dezember 1993 mit dem Wahlerfolg der nationalistischen, rechtspopulistischen LDPR unter Führung von Schirinowki
  • nach Inkrafttreten der neuen Verfassung Russlands Ende Dezember 1993 mit einer umfassenden, kaum noch kontrollierbaren Präsidentenstellung

notiert ein SPIEGEL-Artikel vom 9.1.1994, "Die Knute zeigen" in der Einleitung:

Die wilden Sprüche und Drohungen des Rechtsradikalen Schirinowski haben dem Westen die neue Gefahr vor Augen geführt, die von Moskau ausgehen kann. Osteuropäische Staaten verlangen den sofortigen Beitritt zur Nato - den die Allianz nicht gewähren will, um Rußlands Nationalisten nicht zu provozieren.

Und im Artikel u.a. weiter:
[...]
In den Strudel ja nicht wieder hineingezogen zu werden, ist nach dem Schirinowski-Wahlerfolg das hektische Bestreben aller Nachbarn des taumelnden Riesen Rußland. Den Eiseshauch aus dem Osten im Nacken, drängen sie auf einen warmen Platz unter dem Schutzschild der Nato.

Litauen stellte in der vergangenen Woche als erste ehemalige Sowjetrepublik einen offiziellen Aufnahmeantrag. Die Begehren Polens, Tschechiens, Ungarns und der Slowakei nach Ausstellen der Mitgliedsurkunde liegen vor.
Die Allianz aber, in die so viele hineinwollen, ist nicht geschmeichelt, sondern verunsichert. Vor ihrem Gipfeltreffen in Brüssel befand sie sich in einem strategischen Dilemma:
Einerseits möchte sie vermeiden, daß Rußland ausgegrenzt und in den Status eines potentiellen Feindes zurückversetzt wird. Andererseits kann sie nicht stillschweigend eine Art neues Jalta zulassen und die Staaten Osteuropas, die gerade ihrem Satellitendasein entronnen sind, erneut in die Einflußsphäre des übermächtigen Nachbarn im Osten stoßen.

Eine Erweiterung des Bündnisses würde bedeuten, die Garantie von Artikel 5 des Nato-Vertrags auch auf die Neuen auszudehnen - die automatische Beistandspflicht aller Mitglieder im Falle eines Angriffs auf einen von ihnen.
US-Präsident Clinton ist dazu nicht bereit und bekäme im Kongreß auch keine Mehrheit dafür. Und die Westeuropäer können den Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn keine Sicherheit ohne die Amerikaner versprechen, selbst wenn sie es wollten.

In diesem Zwiespalt hat sich die Allianz in die verlockende Idee »Partnerschaft für den Frieden« geflüchtet: Anbindung der ehemaligen Ostblockstaaten an die Nato ohne sofortige Mitgliedschaft. Verbittert interpretieren die Abgewiesenen die dehnbare Formel als verschämten Kniefall vor Jelzin, der aber den Herrn im Kreml nicht besänftigen, sondern die imperialistischen Gelüste erst recht verstärken werde.

[...]
Und die Partnership for Peace, PfP, der NATO hat im Laufe der Jahre teils eine märchenhaft wirkende Karriere zurück gelegt hinsichtlich der nachträglichen, unilateralen Deutung...;)

 
Allerdings scheint der bpb da ein kleiner Fehler unterlaufen zu seien: "In einem weiteren Erweiterungsschritt traten 2009 Albanien und Kroatien bei – zwei Länder, die früher Teil Jugoslawiens gewesen waren."

Stimmt, also beide Länder sind zwar 2009 der NATO beigetreten, aber anders als Kroatien gehörte Albanien nie zu Jugoslawien. Albanien war aber bis 1968 Mitglied des Warschauer Paktes und RGW, blieb aber danach ein kommunistischer, jedoch blockfreier Staat. Die frühere Zugehörigkeit Albaniens zum Ostblock war mir bisher noch nicht bekannt gewesen.
 
Nato Mitglieder gesamt:
Die 30 Mitgliedsstaaten der Nato sind: Albanien (Beitritt 2009), Belgien (1949), Bulgarien (2004), Dänemark (1949), Deutschland (1955), Estland (2004), Frankreich (1955), Griechenland (1952), Großbritannien (1949), Italien (1949), Island (1949), Kanada (1949), Kroatien (2009), Lettland (2004), Litauen (2004), Luxemburg (1949), Montenegro (2007), Niederlande (1949), Nordmazedonien (2020), Norwegen (1949), Polen (1999), Portugal (1949), Rumänien (2004), Slowakei (2004), Slowenien (2004), Spanien (1982), Tschechien (1999), Türkei (1952), Ungarn (1999), USA (1949).
aus Nato: Verteidigungsbündnis und Wertegemeinschaft | Bundesregierung

Nato Beitritt nach Zerfall der UDSSR:
Albanien (Beitritt 2009),
Bulgarien (2004),
Estland (2004),
Kroatien (2009),
Lettland (2004),
Litauen (2004),
Montenegro (2007),
Nordmazedonien (2020),
Polen (1999),
Rumänien (2004),
Slowakei (2004),
Slowenien (2004),
Tschechien (1999),
Ungarn (1999)

aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen sind: Kroatien, Montenegro, Nordmazedonien, Slowenien

Albanien war nur bis 1968 im Warschauer Pakt.
Jugoslawien (und folglich die später daraus entstandenen Länder) war nie im Warschauer Pakt

Tschechien und Slowakei waren zuvor als Tschechoslowakei ein Staat und Mitglied im Warschauer Pakt
Die baltischen Staaten gab es vor 1981 nicht, waren Teil"republiken" der UDSSR
Ukraine, Moldau, Weißrussland u.a. sind ebenfalls erst mit der Auflösung der UDSSR selbständige Staaten geworden, als Teil"republiken" der UDSSR waren sie im Warschauer Pakt

Mitglieder bzw Teil des "Ostblocks" / Warschauer Pakts waren:
(Albanien bis 1968)
Tschechoslowakei (heute Tschechien und Slowakei)
Polen
Ungarn
Rumänien
Bulgarien
sämtliche Teilrepubliken der ehemaligen UDSSR (und natürlich diese selber auch)
DDR

Jetzt kann man leicht abzählen, welche Nato-Beitritte ehemalige Ostblockländer waren (Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, "Tschechoslowakei", baltische Länder) und welche nicht (ehemals jugoslawische Länder) und als Sonderfall sozusagen Albanien.
 
Ebenfalls bei der Bundeszentrale für politische Bildung kann von Gorbi-Biograph Ignaz Lozo der Artikel NATO-Osterweiterung: Die Legende von gebrochenen westlichen Versprechen vom 29. November 2021 online aufgerufen werden.

In konventioneller Druckausgabe findet man eine dicht belegte, geschichts- und politikwissenschaftliche Publikation von 1998, die alle entscheidenden Punkte, Entwicklungen und Veränderungen im Detail akribisch nachzeichnet unter dem Titel

Werner Weidenfeld u.a., Außenpolitik für die deutsche Einheit. Die Entscheidungsjahre 1989/1990, Stuttgart 1998.
 
Für die Bündniszugehörigkeit des vereinten Deutschlands gab es durchaus mehrere Möglichkeiten - einschließlich die Möglichkeit eines neutralen Staates wie die Schweiz, Österreich oder Finnland.

Frankreich und Deutschland wollten, dass vereinte Deutschland unbedingt Teil der NATO, der EG usw. bleibt, weil sie davon ausgingen, dass nur durch das westliche Bündnis der gefährliche Nachbar Deutschland kontrollibier sei. Die Westbindung Deutschlands war daher Bedingung für die Deutsche Einheit.

Eines der wesentlichen Ziele der Deutschen bei den Verhandlungen zum 2+4-Vertrag war es, die sowjetischen Truppen im eigenen Land loszuwerden.

Gorbatschow hat einen Kompromiss ermöglicht, indem er formulierte, Deutschland solle sein Bündnis frei wählen. So konnte die DDR den Warschauer Pakt verlassen, ohne das irgendwer "sein Gesicht verliert." Sicher war allen Beteiligten klar, dass sich die künftige Regierung Deutschlands (zufällig schon wieder Helmut Kohl) nicht für die Neutralität oder den Warschauer Pakt entscheidet.
Der Austritt der DDR aus dem Warschauer Pakt führte aber in einer Kettenreaktion und wenige Monate später zur Auflösung des Militärbündnisses, dass in seiner Geschichte vor allem Krieg gegen die eigenen Bündnispartner führte.

Was ist Osteuropa oder gar im Kaukasus passiert, hat Deutschland in den frühen 1990ern weitgehend ignoriert. Man hat darüber hinweggesehen, was russische Truppen im Balitkum, am Schwarzen Meer oder im Kaukasus getan haben und alles dafür getan, um selbst von Jelzin in Ruhe gelassen zu werden.
 
Für die Bündniszugehörigkeit des vereinten Deutschlands gab es durchaus mehrere Möglichkeiten - einschließlich die Möglichkeit eines neutralen Staates wie die Schweiz, Österreich oder Finnland.
Letzteres hat wer vorgeschlagen? Mir ist bislang kein entsprechender Vorschlag, keine entsprechende Stellungnahme der damaligen Akteure bekannt.
Frankreich und Deutschland wollten, dass vereinte Deutschland unbedingt Teil der NATO, der EG usw. bleibt, weil sie davon ausgingen, dass nur durch das westliche Bündnis der gefährliche Nachbar Deutschland kontrollibier sei. Die Westbindung Deutschlands war daher Bedingung für die Deutsche Einheit.
'Frankreich' und GB wie auch Italien und anfangs die sowjetische Führung usw. bzw. deren Akteure wollten zunächst gar keine Wiedervereinigung, die US-Administration war fast von vornherein für die Möglichkeit einer Wiedervereinigung - es ist hilfreich, sich die Entwicklung der Positionen der Akteure vom 'Mauerfall' im November 1989 bis mindestens der Unterzeichnung der 2+4-Verträge am 12.9.1990 anzuschauen.

Ansonsten wollten alle genannten 'westlichen' Administrationen keinesfalls ein neutrales, geeintes Deutschland ohne Einbindung in die NATO. Aus verschiedenen Gründen.

Gorbatschow hat einen Kompromiss ermöglicht, indem er formulierte, Deutschland solle sein Bündnis frei wählen.
Das hat nicht Gorbi ermöglicht, es war vielmehr im Rahmen der völligen Souveränität, die das geeinte Deutschland erlangen würde nach Ablösung der Vier-Mächte-Rechte in Berlin und mit Eintritt in einen Art Friedensvertrag, welcher endgültig die volle völkerrechtliche Souveränität nach sich ziehen würde, selbstverständlich und unvermeidlich, dass Deutschland völlig souverän über seine Bündniszugehörigkeit entscheiden könne.
Das ging ebenso konform mit der KSZE-Schlussakte.

Der Kompromiss, der mit der sowjetischen Führung gefunden wurde, war jener, dass auf dem Gebiet der DDR nach Abzug der sowjetischen Truppen keine ausländischen NATO-Truppen, keine Atomwaffen und auch keine Vorrichtungen zur Bereitstellung und zum Abschuss von Atomwaffen stationiert werden.

Sicher war allen Beteiligten klar, dass sich die künftige Regierung Deutschlands (zufällig schon wieder Helmut Kohl) nicht für die Neutralität oder den Warschauer Pakt entscheidet.
Natürlich nennt der 2+4-Vertrag die NATO nicht namentlich, doch die ganzen Verhandlungen sprachen selbstverständlich explizit über die NATO. Und genauso war allen Akteuren seit Frühsommer 1990 klar, dass auch das geeinte Deutschland in der NATO bleiben würde. Das wurde vielfach so diskutiert, angesprochen und verhandelt.

Der Austritt der DDR aus dem Warschauer Pakt führte aber in einer Kettenreaktion und wenige Monate später zur Auflösung des Militärbündnisses,
Nicht ursächlich, eher als weiterer Anstoß in einer Entwicklung, bei welcher bereits im Sommer, Spätsommer 1989 beispielsweise die polnische wie ungarische Regierung eigene bzw. Reformwege beschritten hatten.
Der eigentlich Startschuss für die Entwicklung hin zur Auflösung des Warschauer Paktes stellt wohl die Charta von Paris dar, welche die KSZE-Staaten auf einer Sonderkonferenz Ende November 1990 verabschiedet hatten. Sinngemäß wurde damit die Spaltung und Konfrontation in Europa beendet, die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Teilnehmerstaaten explizit betont usw. usw.

Was ist Osteuropa oder gar im Kaukasus passiert, hat Deutschland in den frühen 1990ern weitgehend ignoriert. Man hat darüber hinweggesehen, was russische Truppen im Balitkum, am Schwarzen Meer oder im Kaukasus getan haben und alles dafür getan, um selbst von Jelzin in Ruhe gelassen zu werden.
??? Anfangs waren das noch sowjetische Truppen und später hat 'Deutschland' keineswegs 'weggesehen', um etwa von Jelzin in Ruhe gelassen zu werden. Die teils chaotische Lage in Russland selber, die teils bürgerkriegsähnlichen Szenerien dort beschäftigten die Akteure hier wie anderswo in Europa durchaus - neben Jelzin gab es aber arg wenig Personal in Moskau, welches einen zuverlässigen, handlungsfähigen, ausreichend legitimierten und halbwegs kompatiblen Gesprächspartner abgegeben hätte. Etwa Schirinowski? Oder der Führer der Sowjetkommunisten, Sjuganow? Und daneben gab es seit 1991 die lange Kette der Yugoslawienkriege ziemlich nahe der deutschen Haustür u.v.a.m.
 
Die Forderung nach einer Neutralisierung des vereinten Deutschlands wurde zeitweilig von der Sowjet-Union und von DDR-Staatschef Modrow (SED) in den Raum gestellt.
BPB schrieb:
Die Diskussion über den künftigen militärischen Status Deutschlands war bereits vor Ottawa überaus intensiv gewesen. Dabei hatte die amerikanische Regierung ebenso wie Paris und London von Anfang an darauf bestanden, dass sich der Wiedervereinigungsprozess "im Rahmen der fortbestehenden Verpflichtungen Deutschlands gegenüber der NATO" bewegen müsse, wie es ein wenig unbestimmt hieß. Die sowjetische Führung hatte dagegen im Einklang mit Ministerpräsident Modrow dafür plädiert, dass ein "vereinigtes deutsches Vaterland" neutral sein müsse und weder der NATO noch dem Warschauer Pakt angehören dürfe.

https://www.bpb.de/themen/deutsche-...n-mit-den-vier-maechten/#node-content-title-1
 
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Die Diskussion über die Nato-Osterweiterung berührt drei Themenkomplexe. Die erste Fragestellung und die eigentliche seriöse Frage, betrifft die Rekonstruktion, was im Rahmen der diplomatischen Verhandlungen formuliert wurde, wie es verstanden wurde und dann auch die Frage, in welcher Form es als Vertrag formalisiert wurde. Das ist die genuine Arbeit des Historikers.

Daraus abgeleitet ergibt sich ein Aspekt, der für die Meinung in Russland von Bedeutung war und ist. Im Ergebnis des Prozesses des Zerfalls der UdSSR hatte das post-sowjetische Russland politisch, wirtschaftlich und militärisch deutlich an Relevanz verloren. Und als Reaktion auf diesen kollektiven Schock, verstärkt durch die massive Wirtschaftskrise von 1998, wurde die Frage nach den Ursachen und damit verbundenen Schuldzuschreibungen laut. In diesem Kontext erfuhren reale oder imaginierte Zusagen eine Instrumentalisierung und verstärkten das Feindbild bei ca. 60 bis 70 Prozent der Russen in Richtung USA und Nato.

Dieser Aspekt ist separat als Veränderung des Verhältnisses zwischen der Nato, der EU und Russland zu betrachten und die damit verbundene Veränderung des Meinungsklimas.

In Interaktion mit dieser Haltung in der Bevölkerung, die durch einen nationalistischen russischen Narrativ begünstigt wurde, griff Putin dieses Argument auf und instrumentalisierte es als Erklärung und Begründung für seinen Angriff auf die Ukraine.

Dieser dritte Aspekt ist völlig unabhängig von den beiden vorherigen zu bewerten, da es keine völkerrechtlich akzeptable Begründung für einen Angriffskrieg gibt. Insofern ist auch die positive wie negative Beantwortung der ersten beiden –seriösen – wissenschaftlichen Fragestellungen völlig egal. Der Krieg verletzt in jedem Fall das Völkerrecht.

Vor diesem Hintergrund kann und sollte man emotionslos diskutieren können, was eigentlich in den Jahren 1989 bis 1991 historisch sich ereignet hat. Für die Vorgeschichte ist jedoch bereits das Verhältnis von Gorbatschow zu Reagan von Bedeutung (vgl. Zubok). Reagan formulierte für sich das Entscheidungsdilemma, dass er durch potentiell unterlassene ausreichende Unterstützung der Perestroika eine historische Chance vertun könnte, wenn er Gorbatschow nicht ausreichend unterstützt und er durch den Mißerfolg der Reformen durch die Hardliner in der KPdSU gestürzt werden könnte. In diesem Dilemma wird sich die Diskussion vor allem auf US-Seite während des gesamten Prozesses bewegen. Nicht zuletzt noch verschärft dadurch, weil um 1990 die CIA-Berichte eine besorgniserregende Instabilität innerhalb des WP berichteten und eine Dynamik befürchtet wurde, die schwer zu kontrollieren wäre.

Die einzelnen Akteure verfolgten seit Ende 1989 auf der westlichen Seite mindestens temporär unterschiedliche Vorstellungen, die auch in dieser Unterschiedlichkeit in Richtung Kreml kommuniziert wurden. Zentrale Akteure waren auf der westlichen Seite Bush und sein Außenminister Baker sowie Scowcraft als Sicherheitsberater. Für Deutschland natürlich Kohl und Genscher mit divergierenden Vorstellungen. Teilweise lagen die unterschiedlichen Positionen auch an der hohen Dynamik des Prozesses begründet, da Absprachen durch neue Fakten quasi über Nacht überholt waren. Mitterand und Thatcher spielten nur am Rande mit.

Begibt man sich auf die Spurensuche nach einer fundierten Einschätzung, dann kommt man nicht an der Darstellung von Zelikow und Rice vorbei. Da der Kontext für die Formulierung "not one inch", die als „corpus delicti“ fungiert, relevant ist, sollen die entsprechenden Passagen ausführlicher dargestellt werden.

"In Moscow, Baker (who had not yet seen Bush’s final letter to Kohl) urged Gorbachev to accept a unified membership of Germany in NATO. Baker made the case for keeping German military power embedded in a NATO framework. For instance, “a neutral Germany would undoubtedly acquire its own independent nuclear capability.” He then stressed that NATO itself would have to then become a “changed NATO,” one “that is far less of a military organization, much more of a political one.” In this context, the U.S. military presence was stabilizing and reassuring.” As for America, “we do not necessarily desire to keep troops in Europe.… So if there is any indication that the Allies don’t want them we will in no way keep our troops there.” Baker repeated that point again: “[If foreign countries] don’t want [the U.S. military], our country is simply not going to be able to sustain a presence in Europe and we will immediately bring our troops home.” If Europeans wanted it, NATO would need to become a political alliance “by which we maintain our presence in Germany and elsewhere.”134 Baker helped sell Gorbachev on Two Plus Four.135 Gorbachev’s team had also been thinking about a “six-power” forum. “I say four plus two; you say two plus four. How do you look at this formula?” “Two plus four is a better way,” Baker answered. It put the German states first. The Two Plus Four process, Baker explained to Gorbachev, could work on security assurances. It also “could explore” certain assurances, such as “no NATO forces in the eastern part of Germany.” Or, as Baker put it in his meeting with Gorbachev, using the Genscher formula, NATO would not extend “one inch to the East.” (Zelikow, Philip; Rice, Condoleezza. , S.230-231).

In ihrer Sicht beziehen sich Zelikow und Rice explizit auf Spohr. „The best of these reconstructions is by a European historian, Kristina Spohr, who most fully combines the story behind the scenes in all the major capitals.“

In einer der folgenden Monographien zu dem Thema schreibt dann Spohr:
„Baker then moved on to explain that Washington, like Bonn, rejected the idea of German neutrality – the Kremlin’s demand for a unified Germany outside NATO and the Warsaw Pact. He argued that neutrality would not prevent possible German remilitarisation; on the contrary, a Germany unbound might feel encouraged to acquire its own nuclear weapons. Following on from this, he said, America’s West European partners and several East Europeans had in fact asked for a continued US presence on the continent. But of course, if the allies demanded US withdrawal, Washington would comply. ‘If US forces stayed in Germany, within the framework of NATO’, he promised that ‘neither the jurisdiction nor the military presence of NATO would extend one inch to the east’. In effect, Baker was conveying Genscher’s ideas on Germany and NATO in the guise of presenting America’s own thoughts on these issues" (Spohr, Kristina, 2020, S.219).

Interessant ist es die inhaltliche Bezugnahme zu sehen, da sich Spohr explizit an Kramer, der wurde im Kontext mit Sarotte bereits erwähnt, und auch an Sarotte selber abarbeitet. Sehr positiv bei Zubok: „For the best-documented study on the Eastern European approaches to NATO at the time see Mary Sarotte, Not One Inch: America, Russia, and the Making of Post-Cold War Stalemate, ch. 4.)

In einzelnen Punkten widerspricht Sporh der Deutung von Sarotte, darauf soll aber nicht eingegangen werden.

Sarotte konstatiert: „Dear Mr. Chancellor,” Baker’s note began. “In light of your meeting with President Gorbachev, the President wanted me to brief you on the talks I’ve had in Moscow.” The secretary summarized Gorbachev and Shevardnadze’s fears about German unification, and indicated that he had tried to assuage them by proposing the 2 + 4 mechanism, in which they seemed interested. Baker said that he had also explained to Gorbachev that a united Germany would choose to stay in NATO. “And then I put the following question to him. Would you prefer to see a unified Germany outside of NATO, independent and with no US forces or would you prefer a unified Germany to be tied to NATO, with assurances that NATO’s jurisdiction would not shift one inch eastward from its present position?” Baker quoted Gorbachev’s response verbatim: “‘ Certainly any extension of the zone of NATO would be unacceptable.’ (By implication, NATO in its current zone might be acceptable.)” In short, Baker thought that Gorbachev was “not locked-in” and he looked “forward to comparing notes with you after your meeting. Sincerely yours, Jim.” (Sarotte, Mary Elise. 1989, S.111)

In „Not one inch“ beschreibt Sarotte diese Situation noch ausführlicher mit Bezug auf die quellengestützte Einsicht in die Notizen von Baker: „They discussed the two-plus-four framework as a better idea for managing German unification than four-power control, which the “Germans won’t buy.” They also talked about the possibility that NATO might become more a political than a military organization. Baker decided to pose a hypothetical concession, asking whether there “might be an outcome that would guarantee that there would be no NATO forces in the eastern part of Germany. In fact there could be an absolute ban on that.” 65 In his handwritten notes from this discussion, Baker put stars and an exclamation point next to his summary of these points: “End result: Unified Ger. anchored in a ★ changed (polit.) NATO— ★ whose juris. would not move ★ eastward!

Das ist der Hinweis auf ein Verhandlungsergebnis, das konsensual definiert wurde (vgl. Bush & Scowcraft, S. 417)
 
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Und Sarotte fährt fort: „Baker then repeated the key concept from his talks with Shevardnadze in the form of a question, unwittingly touching off a controversy that would last decades: “Would you prefer to see a unified Germany outside of NATO, independent and with no US forces, or would you prefer a unified Germany to be tied to NATO, with assurances that NATO’s jurisdiction would not shift one inch eastward from its present position?” The Soviet leader replied that any expansion of the “zone of NATO” was not acceptable. And, according to Gorbachev, Baker answered, “we agree with that.”

Diese Darstellung bezieht sich primär auf die Gespräche zwischen Baker und Gorbatschow. Ziemlich zeitgleich entwickelte Genscher im Rahmen der Tutzinger Rede seine Vorstellungen einer europäischen integrierten Lösung, die mindestens anfangs auf eine Überwindung der Blockstrukturen abzielte. Genscher war in seiner Sicht wohl derjenige, der am „radikalsten“ die europäische Sicherheitsstruktur umbauen wollte.

Im Ergebnis kann man festhalten, dass es im Vorfeld, parallel oder im Verlauf der 2+4-Gespräche zu keiner völkerrechtlich bindenden Fixierung der mündlichen Zusagen von Baker oder Genscher gekommen ist. Insofern liegt sicherlich kein Vertragsbruch von Seiten des Westens vor. Dennoch hat der Westen gegen den „Geist“ der Gespräche verstoßen und fixierte mündliche Zusagen im Rahmen der diplomatischen Gespräche nicht ernst genommen und auch nicht eingehalten. Das war ein gewisser Bruch der Spielregeln unter den beiden Supermächten USA und UdSSR. Und sofern die UdSSR noch eine voll gleichrangige Supermacht gewesen wäre, hätte mindestens ein Kissinger sich eine derartige Mißachtung seiner Gesprächspartner sicherlich nicht erlaubt.

Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind in der Diplomatie die zentralen Währungen. Es war dabei kein Zufall, dass diese mündlichen Zusagen keine Rolle mehr spielten, sondern die realpolitische Machtbalance hatte sich durch den kompletten Zusammenbruch der UdSSR verschoben. Und die UdSSR respektive Russland war zumindest zeitweise „Costa Rica“. Und aus diesem Nukleus heraus hat sich die Sicht vieler Russen auf den Westen verändert bzw. ist neu justiert worden. Für das Verhältnis nicht zum Vorteil und erklärt die Distanz von Teilen der russischen Gesellschaft zum Westen und die nationalistische Haltung der Russen zu Russland, von der Putin profitiert.

Bush, George H.; Scowcroft, Brent (C 2011): A world transformed. New York: Vintage Books.
Sarotte, M. E. (2014): 1989. The struggle to create post-Cold War Europe. Princeton, N.J: Princeton University Press.
Sarotte, Mary Elise (2021): Not one inch. America Russia and the making of post-Cold War stalemate. New Haven, London: Yale University Press
Spohr, Kristina: “Precluded or Precedent-Setting? The ‘NATO Enlargement Question’ in the Triangular Bonn-Washington-Moscow Diplomacy of 1990–1991,” Journal of Cold War Studies 14, no. 4 (Fall 2012): 4–54;
Spohr, Kristina (2020): Post Wall, Post Square: How Bush, Gorbachev, Kohl, and Deng Shaped the World after 1989. New Haven, London: Yale University Pres.
Zelikow, Philip; Rice, Condoleezza (2019): To build a better world. Choices to end the Cold War and create a global commonwealth. 1. Aufl. New York, NY
Zubok, Vladislav M. (2021): Collapse. The Fall of the Soviet Union. New Haven, London: Yale University Press.
 
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@andreassolar und @thanepower : danke für die Beiträge, die die verschiedenen Aspekte aus der Sicht verschiedener Akteure beleuchten. Aber mir fehlt der Blick der Staaten, die früher zum RGW oder WP gehörten, oder sogar Teil der Sowjetunion bzw. GUS waren.

Der Beitritt zur NATO dieser Staaten war ja nicht primär eine Expansion der nordatlantischen Allianz, sondern wurde von diesen Staaten freiwillig begangen. Hintergrund dieser Entscheidung dürfte m. E. eine Furcht vor dem als unberechenbaren großen Nachbarn Rußland gewesen sein. Da hätte man sich in Moskau auch selbstkritisch fragen können, warum die ehemaligen Verbündeten und Teile der Sowjetunion sich lieber nach Westen als nach Osten orientieren.

Anders herum ausgedrückt: Wäre Rußland zu einem demokratischen, politisch stabilen Staat geworden, wäre möglicherweise keiner der Staaten in Osteuropa der NATO beigetreten.
 
Der Beitritt zur NATO dieser Staaten war ja nicht primär eine Expansion der nordatlantischen Allianz, sondern wurde von diesen Staaten freiwillig begangen.
Da gehören aber zwei dazu.
Ein Militärbündnis nimmt doch kein Land auf, für das es nicht bereit ist eigene Söhne und Töchter zu opfern. Das liegt ja im Wesen des Bündnisses.
Es müssen also starke Interessen bestehen, die sich bei einem Militärbündnis in einer entsprechenden Strategie ausdrücken sollten.
Und NATO-Mitgliedschaft bedeutet auch NATO-Standards, überlegene NATO-Technik und NATO-Vernetzung.

Und sie beinhaltet auch den großen politischen Hebel einen Bündnisfall zu provozieren, oder auch nur auf diesen zu spekulieren.
 
Sarotte konstatiert: „Dear Mr. Chancellor,” Baker’s note began. “In light of your meeting with President Gorbachev, the President wanted me to brief you on the talks I’ve had in Moscow.” The secretary summarized Gorbachev and Shevardnadze’s fears about German unification, and indicated that he had tried to assuage them by proposing the 2 + 4 mechanism, in which they seemed interested. Baker said that he had also explained to Gorbachev that a united Germany would choose to stay in NATO. “And then I put the following question to him. Would you prefer to see a unified Germany outside of NATO, independent and with no US forces or would you prefer a unified Germany to be tied to NATO, with assurances that NATO’s jurisdiction would not shift one inch eastward from its present position?” Baker quoted Gorbachev’s response verbatim: “‘ Certainly any extension of the zone of NATO would be unacceptable.’ (By implication, NATO in its current zone might be acceptable.)” In short, Baker thought that Gorbachev was “not locked-in” and he looked “forward to comparing notes with you after your meeting. Sincerely yours, Jim.” (Sarotte, Mary Elise. 1989, S.111)

Wie schon mehrfach angemerkt, nur zur Ergänzung, blendet Sarotte in ihrem Argumentationsgang weitgehend die historische Situation aus. Auch in Deinem Zitat fehlt entsprechend das Datum der Unterhaltung Baker-Gorbatschow, der 9.2.1990. Ganz am Anfang aller Gespräche, so wie Genschers Tutzinger Überlegungen. Das waren noch nicht mal die vorbereitenden Treffen für die späteren 2+4-Verhandlungen.
Sarotte nutzt ansonsten auch keine Quelleneditionen von sowjetisch-russischer Seite, wie den 2006 in limitierter Auflage in Russland, dann 2011 auch auf deutsch erschienenen Band von Galki/Tschernjajew, Michail Gorbatschow und die deutsche Frage. Sowjetische Dokumente 1986-1991.

Die weiteren Gespräche, Treffen und Diskussionen im Vorlauf und dann in den Verhandlungen zum 2+4-Vertrag werden ja in aller Ausführlichkeit in diversen Quellen-Editionen abgebildet, so auch in der sowjetischen Quellenedition. Sie zeigen vielfach, dass im Laufe der Wochen und Monate zahllose male über die NATO gesprochen wurde in Zusammenhang mit der Frage, ob ein geeintes Deutschland wiederum Mitglied der NATO sein kann, darf, muss, soll oder nicht. Schon unmittelbar nach Bakers Alleingang am 9.2.90 wurde dessen informelle Äußerung von keinem weiteren Vertreter der US-Regierung gegenüber den sowjetischen Akteuren wiederholt.

Dass Baker am 9.2.90 eine vermeintliche 'Zusage' gab, stimmt so natürlich nicht, denn hatte er lediglich abklärende Vorgespräche geführt und keinen offiziellen Auftrag der US-Administration in einem entsprechenden formalen Rahmen in Moskau ausgeführt. Der historische Kontext wäre hier, Sarotte erwähnt ihn nicht, dass noch zu diesem frühen Zeitpunkt die explizite Ablehnung einer Ausdehnung der NATO auf DDR-Gebiet bei der sich abzeichnenden Entwicklung hin zu einem wie auch immer verbundenen Deutschland als eine wichtige Vorbedingung artikuliert und wahrgenommen wurde, worauf Baker schlicht nur reagiert, so wie Genscher in seinen Tutzinger Überlegungen.


Der weitere Verlauf wie die eigentlichen 2+4-Gespräche, beispielsweise zwischen Kohl/Genscher und Gorbatschow/Schewardnadse am 15./16.7.90 in Moskau bzw. im Kaukasus brachten ja den Durchbruch zur sowjetischen Zustimmung einer völlig souveränen und freien Entscheidung des kommenden geeinten Deutschland auch für eine Bündniszugehörigkeit.
In den Gesprächen, siehe Galki, Michail Gorbatschow, Nr. 102, 103, 104 akzeptiert die sowjetische Führung die Formel, dass ein kommendes Gesamtdeutschland Natomitglied bleiben wird, doch bis zum vollständigen Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR werden dort nur deutsche Truppen ohne NATO-Integration stehen, danach keine Atomwaffen und keine ausländischen NATO-Truppen.

Gerade wenn man auf diplomatische Gepflogenheiten, auf wissenschaftlich fundierte Diplomatiegeschichte in historischem Kontext abzielt, greift Sarotte offenkundig zu kurz, m. E. tendenziös und mehr literarisch orientiert. Ihre Behauptungen sind zudem ziemlich unilateral geprägt, die Interaktion mit dem historischen Kontext wird m.E. oft nicht ausreichend referiert, siehe Baker und den historischen Kontext Anfang 1990.
 
Im Ergebnis kann man festhalten, dass es im Vorfeld, parallel oder im Verlauf der 2+4-Gespräche zu keiner völkerrechtlich bindenden Fixierung der mündlichen Zusagen von Baker oder Genscher gekommen ist. Insofern liegt sicherlich kein Vertragsbruch von Seiten des Westens vor. Dennoch hat der Westen gegen den „Geist“ der Gespräche verstoßen und fixierte mündliche Zusagen im Rahmen der diplomatischen Gespräche nicht ernst genommen und auch nicht eingehalten. Das war ein gewisser Bruch der Spielregeln unter den beiden Supermächten USA und UdSSR. Und sofern die UdSSR noch eine voll gleichrangige Supermacht gewesen wäre, hätte mindestens ein Kissinger sich eine derartige Mißachtung seiner Gesprächspartner sicherlich nicht erlaubt.

Siehe oben, bitte nicht einfach den Zeitablauf ignorieren, die stürmische Entwicklung, den jeweiligen historischen Kontext. Baker wie Genscher haben Anfang 1990 weder offizielle, amtliche und abgesprochene, gebilligte Zusagen in einem entsprechenden formellen Rahmen, einer entsprechenden Veranstaltung der Regierungen getätigt, noch wurden diese danach vielfach, konstant und gemeinsam wiederholt, bestätigt.

Weder völkerrechtlich, noch diplomatisch-geschichtlich können diese Äußerungen als valider wissenschaftlicher Beleg für einen 'Bruch' der Spielregeln gelten zwischen den beiden Supermächten. Warum hat die sowjetische Führung dann etwa der Nato-Formel für das geeinte Deutschland im Rahmen der 2+4-Gespräche zugestimmt, so wie sie auch in der sowjetischen Quellenedition belegt ist?
 
Empfehlenswert sind immer gute Kenntnisse der Grundlagenliteratur, hier die Quelleneditionen zum großen Rahmen der deutschen Einheit, in welchen auch vielfach und besonders um die NATO diskutiert, gestritten und gerungen wird; zwei einschlägige Quelleneditionen stellen dar

  • Werner Weidenfeld u.a., Außenpolitik für die deutsche Einheit. Die Entscheidungsjahre 1989/90, Stuttgart 1998, 952 Seiten.
  • Galki/Tschernjajew, Michail Gorbatschow und die deutsche Frage. Sowjetische Dokumente 1986-1991. München 2011, 640 Seiten. (zunächst in limitierte Auflage 2006 in Moskau erschienen)
Gerne möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass Anfang Februar 1990 gemeinhin die zeitlichen Vorstellungen über die Entwicklung hin zu einer wie auch immer gearteten deutschen XXXX von ganz verschiedenen Modellen ausgingen. Weder die französische noch die britische Regierung befürworteten einen wie auch immer aussehenden Zusammenschluss beider dt. Staaten, das war in Rom nicht anders. Kohl ging Anfang Februar noch davon aus, dass es erst eine Zusammenarbeit, dann eine Art 'Konföderation' geben könnte, und danach vielleicht eine Art Einheit 1992/1993.

Dies und die sich dann rasant beschleunigende Entwicklung auf vielen Gebieten, besonders auch nach dem Volkskammerwahlen am 18. März 1990 in der DDR mit dem deutlichen Sieg der 'Allianz für Deutschland' und der Ablösung der Modrow-Administration, sind im Detail beispielsweise in den Quelleneditionen nachvollziehbar und die Basis für wissenschaftlich ausreichend differenziert dargestellte historische Kontexte, welche aktuell und um so mehr, um so länger zurückliegend, gelegentlich etwas unterbelichtet bleiben und die in m.E. für Einsteiger und NichthistorikerInnen plausibel klingenden, doch mehr spekulativen, verkürzenden Darstellungen ein zu vereinfachendes Bild offerieren.

Weithin ist es hilfreich, sich zu verdeutlichen, dass die damalige Sowjetführung außer den Besatzungsrechten in Berlin als einzigen Faustpfand die unfreiwillige Mitgliedschaft der DDR in der WVO aufbieten konnte, um eine allzu rasche oder unerwünschte deutsche Einheit bzw. eine unerwünschte Form des Zusammenschlusses zu verhindern bzw. zu verschleppen.

Und der WVO-Zwangsmitgliedschaft fehlte damals zusehends und auf Dauer die legitimatorische Basis und im Rahmen der KSZE-Schlussakte gab es damals defacto wie völkerrechtlich auf Dauer gar keine Möglichkeit, den wie auch immer gearteten Beitritt oder Zusammenschluss beider Deutschland zu verhindern, ebenso ihre vielleicht dann nicht völlig, aber ausreichend souveräne, selbst bestimmte Entscheidung für den Beitritt zu einem Militärbündnis. Ausnahme Berlin.

Weiterhin ist es nützlich und wissenschaftlich unabdingbar, sich die so genannte Grundakte NATO-Russland vom Mai 1997 anzuschauen....und vielleicht auch mal den 2+4-Vertrag vom 12.9.90.....
 
@andreassolar : Vielen Dank für DEINE Meinung. Gemessen an den "leidenschaftlichen" Bekenntnissen zur Fundierung von historischen Narrativen durch Quellen und entsprechende Literatur wirkt Deine sehr prononzierte inhaltliche Positionierung und teils herablassende Bewertung von seriösen Historikern erstaunlich.

Kommen wir zu den Fakten der Untermauerung von divergierenden Positionen.

Andreassolar bezieht sich im Kern auf das "Gutachten" des wissenschaftlichen Dienstes. Auffallend an diesem "Gutachten" ist, dass es sehr "sparsam" ist bei der Fundierung seiner Sicht. In seiner wissenschaftlichen Qualität wird es höchstens als "Seminararbeit" durchgehen können und selbst dann würde ein Gutacher die Frage aufwerfen, ob der Ersteller der Arbeit keine Lust gehabt hat, sich eingehender mit dem Thema zu beschäftigen.

Betrachten wir demgegenüber meine Darstellung, die einer "harschen Kritik", überwiegend "abstrakten" und selten an der kritisieren Literatur orientierten Darstellung folgt.

Das ist umso verwunderlicher, da Zelikov und Rice sich auf Spohr beziehen und diese Sarotte u.a. als Referenzpunkt für ihre Sicht auswählt. Da von - laut andreassolar- : "m. E. tendenziös und mehr literarisch orientiert" zu sprechen ohne jegliche Belege, ist eine Meinung, aber nicht mehr.

Dass darüberhinaus Zubok Sarotte als kompetenteste Darstellung zu diesem Themenkomplex anspricht ist dann auch - aus der Sicht von andreassolar - wohl auch völlig egal.

Man würde zusätzlich andreassolar empfehlen, sich wenigstens die Teile von Sarotte anzusehen, in denen sie methodisch die Probleme reflektiert, die sich aus dem eingeschränkten und schwierigen Zugang von teils noch "klassifizierten" Dokumenten ergeben. Und genau die Gewährung des Zugangs für einzelne Personen / Historiker sollte man sich genau ansehen. Also wer welchen Zugang zu welchen "geheimen" Papieren erhalten hat und an diesem Punkt unterscheidet sich die Qualität der Darstellungen doch erheblich, auch bedingt, dass einzelne Arbeiten früher und so mit eingschränktem Zugang konfrontiert waren.

Und natürlich handelt der Secretary of State immer im offiziellen Auftrag. In welchem denn sonst.

Dass Baker am 9.2.90 eine vermeintliche 'Zusage' gab, stimmt so natürlich nicht, denn hatte er lediglich abklärende Vorgespräche geführt und keinen offiziellen Auftrag der US-Administration in einem entsprechenden formalen Rahmen in Moskau ausgeführt.

The Secretary of State - United States Department of State
 
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