Rätselhaften Schalensteine

Dion

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Bin zur Zeit am Comer See und habe oberhalb des Dorfes Soriano eine Anzahl von Schalensteinen (wieder)gefunden, die sich an exponierten Stellen befinden: Man hat dort einen spektakulären Panoramablick über die östlich des Sees gelegene Berge und den zentralen und den Lecco-Teil des Sees, weil ab da der gewachsene Felsen steil abfällt, sprich da konnte nie etwas den Blick versperren.

Bisher hat man über die Funktion dieser Schalensteine keine eindeutigen Antworten gefunden – es gibt nur Vermutungen, dass es dort

1. Tieropferrituale
2. Mannbarkeitsrituale
3. Fruchtbarkeitsrituale
4. Wegbeleuchtung bzw. Wegweiser

gab. Doch das sind nur Hypothesen, denn es fehlen nach wie vor archäologische und sonstige Beweise aus der Jungstein-, Bronze- oder Eisenzeit. Jedenfalls sind diese Schalensteine fast über ganz Europa verstreut, was auf einen gemeinsamen kulturellen Ursprung hinweisen könnte. Möglich ist aber auch, dass diese Steine zu unterschiedlichen Epochen unterschiedlich genutzt wurden, denn einige Schälchen scheinen immer wieder nachgearbeitet worden sein, während andere vergessen und durch meteorologische Einflüsse fast eingeebnet worden sind.
 
Im Wesentlichen gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten wie Schalensteine entstehen können. Die meisten entstanden wohl im Zusammenhang mit Gletschern/Gletscherschmelze, sind also geologisch. Davon kenne ich im Alpenraum sehr viele.
Besonders in der Südschweiz gibt es aber auch von Menschen gemachte Schalensteine. Man benutzte die Mulden bis ins frühe 20. Jahrhundert um Nüsse zu knacken.

Wenn du magst, kann ich nachschauen, was in der Fachliteratur über die Schalensteine in Soriano bekannt ist...

Gruss Pelzer
 
Jedenfalls sind diese Schalensteine fast über ganz Europa verstreut, was auf einen gemeinsamen kulturellen Ursprung hinweisen könnte.
Und nicht nur über Europa, z. B.

"Vergleiche ... zwischen Schalensteinen in Graubünden und solchen, die man in den Bergtälern von West-Sichuan und in Tibet fand" (https://www.ostasien-verlag.de/reihen/deutsche-ostasienstudien/doas/info/043.pdf)

Man benutzte die Mulden bis ins frühe 20. Jahrhundert um Nüsse zu knacken.
... und in Nordamerika, um Eicheln zu mörsern:
à propos Schalensteine
 
Schalensteine gibt es in Südtirol massenweise, besonders schön im unteren und mittleren Vinschgau zwischen Algund und Schlanders, auch schön am Fußweg zu Reinhold Messners Burg Juval.
Was auffällt: sie sind oft an Schlüsselstellen, Übergangsorten: Engstellen z.B. am Übergang von Talebenen oder von Weidegründen, manchmal an Viehpferchen.
Oft sind sie im örtlichen Zusammenhang von Transhumanz und Viehwirtschaft. Es gibt dafür auch einen Grund: jemand muss Zeit haben sie an diesem Ort in den Fels zu klopfen bzw. zu ritzen, schaben oder zu drehen (z.B. mit einem Pfeilbohrer). Und das sind nun einmal Hirten die ihre Herden bewachen.

Bei den Schalensteinen gibt es viele die für Opfergaben genutzt wurden: das Opfer, meist Milch, aber wohl auch Blut, muss rinnen können. Also eine napfartige Vertiefung und eine abführende Rinne, die sich manchmal auch aufteilt.
Es ist nicht das Werk einer einheitlichen Kultur, schon gar nicht von Priesterkasten, sondern Ausdruck einer alltäglichen Religiosität die jeder praktizieren konnte. Nicht nur das Opfer, auch das Arbeiten am Stein war eine rituelle Alltagshandlung.

Auf Gran Canaria gibt es mit Cuatro Puertas bei Telde einen Ort an dem man sowohl Opferrinnen für kleine Opfergaben als auch große Rinnen z.B. für Regenrituale hat.
Schalensteine konnten sowohl Opferstelle sein, Abgrenzung von Weidegründen, Quellheiligtum, astronomische bzw. kalendarische Funktion haben oder auch einfach nur Bildstein sein.
 
Die meisten entstanden wohl im Zusammenhang mit Gletschern/Gletscherschmelze, sind also geologisch.
Das bezweifle ich, weil die Gletscher die Felsen glätten, d.h. sie machen die Unebenheiten weg.

Man benutzte die Mulden bis ins frühe 20. Jahrhundert um Nüsse zu knacken.
In neueren Zeit war das sicher praktisch, wenn ein solcher Stein in der Nähe war – hingebracht oder vom Berg heruntergerutscht. Ob das auch für die Prähistorie galt, wage ich zu bezweifeln, weil sich die meisten Steine nicht in der Nähe von Siedlungen befanden.

Wenn du magst, kann ich nachschauen, was in der Fachliteratur über die Schalensteine in Soriano bekannt ist...
Danke für das Angebot, aber da habe ich mich schon informiert: http://www.artepreistorica.com/2009...a-s-maria-rezzonico-e-cremia-alto-lario-como/

Der Autor Alberto Pozzi ist Prähistoriker und hat die Steine über Soriano und anderswo genau untersucht.

Und nicht nur über Europa, z. B.

"Vergleiche ... zwischen Schalensteinen in Graubünden und solchen, die man in den Bergtälern von West-Sichuan und in Tibet fand" (https://www.ostasien-verlag.de/reihen/deutsche-ostasienstudien/doas/info/043.pdf)
Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der „Ötzi“ auf seinem Rücken tätowierte Punkte an Stellen hatte, die in China jetzt noch als Akupunkturpunkte bei bestimmte Rückenschmerzen angewandt werden. Und Ötzi hatte chronische Rückenschmerzen, das steht fest.

Daraus kann man schließen, dass Akupunktur als Behandlungsmethode auch in Europa vor 5000 Jahren bekannt war, dann aber in Vergessenheit geriet und erst im 19. Jahrhundert - angeregt durch Berichte aus China und Japan - wiederentdeckt bzw. angewandt wurde.

Oft sind sie im örtlichen Zusammenhang von Transhumanz und Viehwirtschaft. Es gibt dafür auch einen Grund: jemand muss Zeit haben sie an diesem Ort in den Fels zu klopfen bzw. zu ritzen, schaben oder zu drehen (z.B. mit einem Pfeilbohrer). Und das sind nun einmal Hirten die ihre Herden bewachen.
Eben. Und das könnte auch bedeuten, dass die Schälchen gar keinen kultischen Sinn gehabt haben, sondern einfach aus Langweile in die Steine geschabt wurden. So eine vom Gletscher gemachte glatte Fläche musste auf Hirten wirken wie auf uns ein leeres Blatt Papier. Oder wie eine weiße Wand für Sprayer.
 
Das bezweifle ich, weil die Gletscher die Felsen glätten, d.h. sie machen die Unebenheiten weg.
jein - die Oberflächen sind natürlich glatt gewaschen/geschliffen, aber Felsen können von Wasser & Eis durchaus "ausgehöhlt" werden, z.B. Strudellöcher, Gletschertöpfe. Und ohnehin "steter Tropfen höhlt den Stein".
 
Das bezweifle ich, weil die Gletscher die Felsen glätten, d.h. sie machen die Unebenheiten weg.
...
Bei der Detersion mag das so sein.
Doch ich kenne mehrere Stellen, wo man heute zuschauen kann, wie solche Mulden/Strudellöcher entstehen. Das ist ein üblicher geologischer Vorgang.

Gruss Pelzer
 
Natürlich gibt es auch auf natürliche Weise entstandenen „Mulden/Strudellöcher/Gletschertöpfe“. Doch diese sind hier nicht gemeint – gemeint sind ausschließlich künstlich entstandene (runde) Vertiefungen in großen Steinen. Die kann man u.a. daran erkennen, dass sie meistens zu mehreren auf engen Raum auftreten und nicht durch schnellere Verwitterung von „weicheren Stellen“ im Gestein entstanden sein können.
 
Natürlich gibt es auch auf natürliche Weise entstandenen „Mulden/Strudellöcher/Gletschertöpfe“. Doch diese sind hier nicht gemeint – gemeint sind ausschließlich künstlich entstandene (runde) Vertiefungen in großen Steinen. Die kann man u.a. daran erkennen, dass sie meistens zu mehreren auf engen Raum auftreten und nicht durch schnellere Verwitterung von „weicheren Stellen“ im Gestein entstanden sein können.
Ich kann das sehr wohl unterscheiden, denn ich befasse mich seit vielen Jahren damit ;-)

Gruss Pelzer
 
Also erst mal Gruss an den Chomer See, da muss es schön sein bei diesem Wetter. Glückwunsch dass Du sie dir ansehen kannst. Und mir gefällt der Begriff "Feenmühlen" für diese Phänomen viel besser, als "cup marks". Ich rätsle auch schon seit vielen Jahren über diese Relikte, halte sie in der Regel für anthropogen erzeugt (wobei ich nicht sagen will, dass bei Konglomeratgesteinen solche Vertiefungen nicht geologisch entstehen können) und hab ausser einem sehr inspirierten Artikel über Palaeoastronomie noch eine ganz andere Erklärung gefunden, die sich gerade für gelangweilte Hirten anbietet. Kalaha – Wikipedia
 
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